Читать книгу Currys für Connaisseure - Frank Winter - Страница 7

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Ein seltsames Paar

Aadi Panicker saß auf seiner liebsten Bank in South Queensferrys Hafen, heftig atmend. Er war ein großer Mann mit prominenter Nase und dünnen Lippen. Kohlrabenschwarze Haare ließen den Schluss zu, dass er aus Indien stammte, auch sein dunkler Teint, dem schottischen Wetter trotzend. Von diesen Merkmalen abgesehen, wirkte er sehr britisch: Zweireiher, weißes Hemd und distinguiertes Benehmen. Die Papageien-Krawatte wiederum schien all das zu belächeln. Mister Panicker liebte den ehemaligen Fischereihafen, der nur noch von Hobbyseglern genutzt wurde. Robert Stevenson, Großvater des berühmten Schriftstellers, hatte den Anlegeplatz mit John Rennie zwischen 1809 und 1818 neu konstruiert. Die Stevensons waren angesehene Ingenieure und bauten die meisten Leuchttürme Schottlands. Nur Robert Louis schlug mit seinen Büchern aus der Art. Doch würdigte er die Verwandten mit dem Ausspruch: »Wann immer ich Salzwasser rieche, bin ich dem Werk meiner Vorfahren nahe.« Wo aber waren seine Ahnen, wenn er Rat benötigte? Nicht in der Nähe! Auch mit dem Stolz South Queensferrys war es eines Tages zu Ende gegangen. Er konnte sich noch gut an die Empörung der Bürger im Jahr seiner Ankunft, 1975, erinnern. Über Jahrhunderte hinweg war das Städtchen autonom gewesen, betrachtete sich höchstens als Teil West Lothians. Bis diese arroganten Edinburgher kamen und uns eingemeindeten! Wo wären sie denn ohne die beiden Brücken, den famosen Eisenbahnübergang, hier von fast jedem Punkt zu sehen, und die Autobrücke im Hintergrund, ein weiteres Beispiel schottischer Ingenieurskunst? Bald würden sie Gesellschaft bekommen. Eine zweite Brücke für Pkws und Lastwagen baute man bereits: Am Anblick der gewaltigen Stützpfeiler, die ins Meer gestemmt wurden, konnte er sich nicht sattsehen. Regen, Sturm und klirrende Kälte machten alles noch beeindruckender. Brooklyn Bridge, Golden Gate Bridge und wie sie alle hießen, konnten mit dieser Skyline nicht mithalten. Solange man nichts Essbares bei sich hatte, ließen die Möwen einen sogar unbehelligt! Die Angelegenheit war ein gewaltiges Musibat! Ja, ja, ein Musibat! Was mochte die Ursache sein? Hatte er sich in einem vergangenen Leben eines Verbrechens schuldig gemacht? Oder kämpfte er gegen irdische Plagen, kam bald sein Ende? Andächtig zog er ein Gläschen aus dem Jackett und liebkoste es.

»Wir sind immer noch auf dem Weg zum ernährungswissenschaftlichen Fachbereich der Universität!«, verkündete Miss Armour, ihren Stechschritt nicht ein Jota verlangsamend.

Für Angus Thinnson MacDonald war es eine allzu bittere Tatsache, dass ihm die Diplom-Ökotrophologin wie ein Mühlstein am Hals hing. »Ich erkundigte mich nur, weil wir bereits zum zweiten Mal an der Quarter Mile entlangschritten. So schön sie auch ist …«

»Drei Worte: Bewegung, Bewegung und Bewegung.«

»Das ist immer das gleiche Wort, werte Miss Armour und …«

»Genug geplappert! Jetzt verbrennen wir Kalorien.«

Welcher Erwachsene ließ sich gerne den Mund verbieten?, dachte MacDonald. Er jedenfalls nicht! Grotesk war es, dass sie solche Wüstheiten ausstieß und den Mund kaum öffnete. Die Beine bewegten sich, doch die Arme klebten am Oberkörper, welcher in einem blauen Polyacrylpullover steckte. Schuld an allem war Karen Miller, seine … sehr gute Bekannte und Hausärztin, in Großbritannien als GP, General Practioner, bekannt. Immer wieder riet sie zum Abnehmen. Bar sichtbaren Erfolges, war ihm die Armour erneut einquartiert worden, und zu seiner Buße gehörte der heutige Termin. Sie hatte das Büro wohl aus Nervosität zwei Mal passiert, wollte sich im Gehen beruhigen. Selbstverständlich würde Miss Armour das niemals zugeben, denn jemand, der sich gesund ernährte, glich einem Wunder und konnte nur von Fledermaus-Batman übertroffen werden. Er öffnete den untersten Knopf seines Harris-Tweed-Jacketts, weil der Oktober sich in den letzten Tagen frühlingshaft gerierte.

»Obacht!«, blaffte sie ihn an. »Was genau besprachen Sie mit den Waddells?«

»Die … äh … Waddells?«, erkundigte er sich unschuldig.

»Leiter der ernährungswissenschaftlichen Forschungsgruppe!«

»Sind es Brüder?«

»Nein! Mann und Frau! Sie führten doch eine Unterredung?!«

»In der Tat. Nur an den Namen der Herrschaften konnte ich mich nicht mehr erinnern. Man erwartet uns um zehn Uhr.«

»Schweigen!« Miss Armour hob den rechten Polyacrylärmel in die Luft, derweil der linke nach dem mobilen Telefon fischte. Doch so flink war sie nicht. Das Läuten brach ab. »Thomasinas Nummer! Ich rufe kurz zurück.«

MacDonald nickte verständig. »Unbedingt! Wir sollten wissen, was los ist.«

Thomasina war mit ihrer Mutter eingezogen. Obwohl er nicht um Erlaubnis gebeten wurde, hatte er gegen eine derart liebreizende, junge Dame natürlich nichts einzuwenden. Am Abend zuvor wollte sie ihn um detektivischen Rat angehen, brachte die Sprache schüchtern auf sein neues Buchprojekt »Currys für Connaisseure«. Wie ihre Sache mit der Kulinarik verquickt war, schien noch nicht klar, denn nur solche Fälle übernahm er und als er nachfragte, wehrte sie ab. Miss Armour wählte die eingespeicherte Nummer und schüttelte den Kopf. »Nimmt nicht ab! Es wird alles in Ordnung sein!« Träten Worte als Kanonenschläge auf, wäre er an diesem Vormittag mehrfach zermalmt worden. »Kommen Sie oder halten wir Maulaffen feil?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen.

»Immer mit der Ruhe.«

»Achtung!« Erneut läutete ihr Telefon. Einmal, zweimal, Schluss. »Shite

»Miss Armour! Ich kann vieles ertragen. Doch Kraftausdrücke sparen Sie sich besser für Kreaturen, die sie zu schätzen wissen!«

»Irgendetwas stimmt nicht. Doch wir gehen weiter.«

»Ihre Frau Tochter …?«, erwiderte MacDonald weitaus milder.

»Später, später. Kommen Sie jetzt. Die Waddells hassen Unpünktlichkeit.«

»Wer tut das nicht? Aber machen Sie sich keine Sorgen. Es wird schon klappen.«

»Pah, Sie haben gut reden mit Ihren Artikeln, Bestsellern und Fernsehsendungen!«

»Arbeit schändet nicht, Gnädigste«, antwortete er indigniert.

Es kam selten vor, doch Miss Armour gab keine Widerrede. Zu ihrem Glück! Sonst hätte er sie alleine zu dem Gespräch wandern lassen. Sorgen musste sie sich keine machen, denn er, Angus MacDonald, hatte alles arrangiert. Auf die Nase binden würde er es ihr nicht, denn womöglich lehnte sie ab und Thomasina zog aus. Also gingen sie gemeinsam weiter und als er kaum noch damit rechnete, standen sie vor dem Gebäude. Ein Herr in mittleren Jahren, sehr wahrscheinlich der Hausmeister, hielt ihnen die Tür auf und nickte ihm ironisch zu. Unerhört! Wie konnte er annehmen, dass die Armour seine Bekanntschaft war!

»Vierter Stock!«, sagte sie bellend und eilte zu den Treppen.

»Wir nehmen besser den Aufzug.«

»Bewegung ist …«

»Danke für die Durchsage. Sie erinnern sich, dass ich kein Waldläufer bin, ja?«

»Stimmt allerdings. Los, einsteigen.« Armour drückte den Knopf mit der Nummer vier. Der Aufzug startete raketenhaft, die Anzeige erlosch und sie blieben stecken. »Hülfe! Zu Hülfe!«, schrie die Ernährungsberaterin jämmerlich und trommelte die Fäuste gegen die Tür.

»Sicherlich streikt die Kabine auch bei anderen Nutzern hin und wieder. Sie müssen es nicht persönlich nehmen.«

»Mensch, wir haben einen Termin!«

»Ich weiß«, erwiderte er stirnrunzelnd, »und deswegen sollen Sie sich zügeln. Ein erhitztes Gemüt ist jeder Präsentation abträglich.« Er suchte in seiner Aktenmappe nach Notizbuch und Kugelschreiber.

Miss Armour stemmte die Arme in die Flanken. »Was machen Sie da?«

»Notizen, Miss Armour.«

»Wie können Sie in dieser Situation an Essen denken?!«

»Ein neuer Bestseller, wie Sie es so drollig bezeichneten, schreibt sich kaum von alleine, gnädige Frau. Schon gar nicht, wenn das Thema ›Currys für Connaisseure‹ ist.«

»Ich dachte, Sie wollen meine Bewerbung unterstützen?«

»Miss Armour! Wenn Ihnen jemand zur Seite steht, dann bin ich …«

»Hallo, ist da wer?«, fragte eine männliche Stimme vor der Kabine.

Er nahm Haltung an. »Guten Morgen, Sir. Hier spricht Angus Thinnson MacDonald. Neben mir steht Miss Armour. Wir haben einen Termin bei Familie Waddell.«

»Befinden Sie sich in der richtigen Fakultät?«

»Er meint Mister und Mrs Waddell!«, sagte die Armour ärgerlich.

»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«

»Sind wir noch weit weg?«

»Im Gegenteil.«

»Ihre Stimme kommt mir sehr bekannt vor. Kennen wir uns, Sir?«

»Wir hatten telefoniert. Waddell, der Name.«

Schwarztee mit Pfeffer drin! Waren alle Ernährungsfachleute so kauzig? »Mister Waddell, ja. Wusste ich es doch.«

Mit einem sanften Schnurren öffnete sich die Tür. »Sehen Sie, alles ist gut.«

Miss Armour drückte sich die Hand auf den Mund und konnte das infernalische Lachen doch nicht zurückhalten! Wenn doch nur ihr Telefon wieder klingelte, er sich vom Abspecken fernhalten und detektivisch arbeiten könnte …

»Tak the bit an the buffet.«

Man soll das Leben nehmen, wie es ist.

Currys für Connaisseure

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