Читать книгу Karma-Chaos auf der Alm - Franka Serino - Страница 5
Prolog
ОглавлениеDas schwarze Fell fühlte sich an wie feinste Seide, weicher als das Plüschfutter der Winterunterwäsche, die Mailin seit zwei oder drei Wochen nicht mehr tragen musste. Das kleine Mädchen fühlte das Herz des Tierchens unter seinen Fingern schlagen, schnell und aufgeregt.
„Es ist ein Mondkaninchen“, sagte die Oma. Und obwohl Mailin gedacht hatte, alle Mondkaninchen seien weiß, glaubte sie der Oma, wie sie ihr immer bedingungslos geglaubt hatte.
„Wenn du heute Abend zum Mond hinaufschaust, achte mal auf die dunklen Flecken“, fuhr die Oma geheimnisvoll fort, und die fünfjährige Enkelin sah für einen Moment auf.
„Wèishénme?“, fragte sie. Warum?
Alle Kaninchen, die auf den dunklen Stellen des Mondes zur Welt kamen, würden mit schwarzem Fell geboren, erzählte die Oma. Die weißen Kaninchen hingegen stammten aus den hellen Teilen.
Mailin leuchtete die Erklärung ein. Und falls das überhaupt noch möglich war, liebte sie ihr schwarzes Mondkaninchen nur umso mehr.
Dann verschwand die Oma im Haus, um den Nudelteig für das Mittagessen zu kneten. Die Enkelin blieb auf dem umgedrehten Eimer sitzen, das Mondkaninchen auf dem Schoß, und streichelte es liebevoll, bis aus dem Nachbarhaus Lien und Yini herausliefen.
„Spielst du mit uns?“ Lien war in Mailins Alter, Yini schon sieben. Die beiden dehnten ein langes Gummiband über ihren Köpfen, und rasch setzte Mailin ihr Kaninchen in den Stall zurück.
„Ich komme!“ Gummihüpfen war ihr absolutes Lieblingsspiel, auch wenn fast immer Yini gewann.
Die beiden anderen stellten sich auf, spannten den Gummi zwischen ihren Beinen, und Mailin sprang fröhlich in die Mitte.
Eine Stunde später, als ihre Freundinnen zum Essen gerufen wurden, spürte Mailin, dass auch sie hungrig war. Aber ehe sie zur Oma hineinging, wollte sie schnell nach dem Kaninchen schauen. Schließlich musste sie abends wieder in die Stadt zurück und würde das Tierchen erst eine unendlich lange Woche später wiedersehen.
Doch als sie den Stall erreichte, stand die Tür offen und das Mondkaninchen war fort. Mailin schrie und schrie, bis die Oma entsetzt herbeirannte, weil sie glaubte, die Enkelin habe sich verletzt. Zu zweit suchten sie die Straße ab, die ganze Umgebung, aber das schwarze Kaninchen war nirgends zu sehen. Und blieb für immer verschwunden.