Читать книгу Siebenhundertfünfundachtzig - Frans Diether - Страница 7
4. Kapitel
ОглавлениеDer Frühling des Jahres 783 war ausgesprochen mild. Falko und Rango sammelten Holz im Wald. Ihre bloßen Füße raschelten im abgestorbenen Laub. Die Sonne schickte warme Strahlen. Bald wurde es den Jungen zu heiß, ließen sie ihre Kittel am Sammelplatz, arbeiteten mit freien, von Schweiß glänzenden Oberkörpern.
"Ein Pferd", Falkos Ruf ließ Rango innehalten. Die beiden verband inzwischen eine innige Freundschaft. Jeder verfügte über Fähigkeiten, die dem anderen zu lernen begehrenswert erschienen. Und Falko verstand sich auf Pferde. Es durfte keiner merken. Leibeigene sollten nicht reiten. Doch manchmal, wenn sie mit einem Arbeitspferd in den Wald zogen, wenn sie sich absolut unbeobachtet fühlten, dann genossen sie es, eins zu werden mit dem Tier, zu verschmelzen mit seinem Fell, mit seinen Muskeln, mit seinen Gedanken. Wie oft dachte Falko dabei an Gis. Und doch, er brach seinen Schwur nicht. Wodan und Saxnot, die größten und mächtigsten unter den Göttern würden das niemals verzeihen. Doch sie würden ihm eines Tages den Weg weisen, würden ihn zu seinem Vater und zu Gis führen. Bis dahin musste er Johannes, musste er das Leben bei den Franken ertragen. Und beides war erträglich, wohl vor allem deshalb, weil es Rango gab, der ihm wie ein Bruder wurde.
"Lass uns lieber Deckung suchen." Rango glitt in ein Gebüsch, Falko hinterher.
"Ihr müsst euch nicht verstecken. Ihr arbeitet doch für meinen Vater. Macht ruhig weiter." Die Sprecherin, ein Mädchen auf dem Weg zur Frau, ihr Haar fiel in langen rotblonden Locken über ihre schlanken Schultern, saß auf einem edlen braunen Pferd. Sattel und Zaumzeug kündeten vom Reichtum des Besitzers. Mit gesenktem Haupt krochen die beiden Jungen aus ihrem Versteck. Das musste Herzog Normans Tochter sein, deren Schönheit sprichwörtlich und der sich zu nähern strengstens verboten war. Gleich reitet sie los, berichtet alles ihrem Vater, und dann werden wir bestraft, dachte Falko. Doch die Augen des Mädchens blickten freundlich, fast verlangend. Sie glitten über Rangos wilde Mähne, über seine nasse dreckbeschmierte Brust bis zu seinen braunen sehnigen Füßen. Die Herzogstochter errötete leicht, lockerte die Zügel und galoppierte davon.
"Einen schönen Tag noch", rief sie dabei. Rango stand wie angewurzelt. Was für eine wundervolle Frau, dachte er und spürte sein Herz heftig schlagen. Normans Tochter, sie war so unerreichbar wie die Sonne. Genau das steigerte Rangos Verlangen ins Grenzenlose. Er arbeitete für zwei. Weit vor der Zeit war das Werk getan, kamen die Jungen zurück zur Burg. Johannes deckte sie allerdings mit weiteren Aufgaben ein. Für Gedanken an die verbotene Liebe blieb keine Zeit. Und doch ließ dieses Gefühl Rango nicht wieder los.
"Hast du Erfahrung mit Frauen?", löcherte er Falko, als sie endlich auf ihrer Schlafstelle lagen. Falko war müde, wollte auch nicht über Evelina sprechen. Doch bis zum Morgen hatte er alles erzählt.
"… du weißt doch, wo sich Johannes am liebsten anfassen lässt, wenn du ihm beim Bade hilfst. Frauen empfinden wie Männer. Und sie wollen geachtet und geliebt werden", schloss er und gab Rango eine Weisheit mit auf den Weg, welche den meisten seiner Zeitgenossen absolut unbekannt war.
Von diesem Tage an vernachlässigte Rango seine Pflichten, wurde oft gemaßregelt und geschlagen. Allein wenn es darum ging, Holz im Wald zu sammeln, überkam ihn ein Eifer, den Johannes nicht zu deuten vermochte. Will der Hund abhauen, fragte er sich. Doch Rango kam immer wieder, brachte die dicksten Äste angeschleppt, so als fürchte er die Rückkehr der Kälte. Die Arbeit in der Hütte, die Hilfe beim Gottesdienst, die Begleitung des Predigers zu den umliegenden Dörfern, all diese Arbeiten blieben mehr oder weniger an Falko hängen. Und er murrte nicht, verschaffte dem Freund und Bruder die Chance, sich unbemerkt vom Burghof zu stehlen, ein Mädchen zu treffen, welches ihr adliges Herz an den schwarzhaarigen Bauernjungen verlor und ihre Unschuld noch dazu. Erzählte Rango im Stall oder an anderen Orten, an denen es keine Mithörer gab, von seinen Abenteuern, überkam Falko unbändiges Verlangen, unstillbare Sehnsucht nach der Frau, welche ihm in seinen Träumen noch vor Mutter und Schwester erschien, nach seiner Frau, nach Evelina. Eines Tages sind wir zusammen, du und ich und Gis, daran glaube ich fest, sagte Falko dann zu sich selbst. Eines Tages würden ihn die Götter von seinem Schwur entbinden. Bis dahin klammerte er sich an Rango, lernte von ihm alles über häusliche Arbeit, lernte von ihm Fechten und Bogenschießen. In Letzterem zeigte er solches Geschick, dass selbst Herzog Norman aufmerksam wurde. Allein Johannes Macht und Einfluss hinderten den Herzog daran, Falko in seinen eigenen Dienst zu nehmen.
"Das Pferd", laut schreiend lief Falko zum Versteck seines Freundes. Doch dieser schwebte in anderen Sphären, genoss die jugendliche Liebe, die zarte Haut, die weichen Lippen Framgards, Normans Tochter. Keiner ahnte etwas von den verbotenen Spielen. Falko schwieg wie ein Grab und Framgard war die geborene Schauspielerin. Doch mit der Zeit wuchs auch die Unvorsichtigkeit. Framgards Brauner hatte die Festigkeit des Strickes getestet, der ihn an eine starke Birke band. Und er hatte gesiegt. Erst mit langsamen Schritten, dann jedoch im Galopp genoss er die neu gewonnene Freiheit. Falko rannte hinter ihm her, rief die Namen der Freunde, die endlich auch mitbekamen, was geschah. Zwei Jungen und ein Mädchen stürmten über vertrocknete Blätter, über junges Gras, über Zapfen und Äste. Sie bemerkten nicht die Dornen in ihren Sohlen, das Blut an ihren Waden, die Striemen auf ihren Wangen, sie kannten nur ein Ziel, das Pferd einholen, bevor es die Burg erreichte.
"Es weicht nach links aus, schneide du ihm den Weg ab", schrie Rango. Falko schlug einen Haken nach links. Wenn der Braune weiter im Bogen lief, würde er ihm den weg abschneiden. Ich schaffe es, jubelte Falko bereits, da stoppte das Tier plötzlich. Reiter tauchten auf, des Herzogs Männer. Falko ließ sich flach auf den Boden fallen. Das bewahrte ihn vor der Entdeckung. Anders erging es Rango und Framgard.
"Was tut ihr da, gnädiges Fräulein", hörte Falko einen der Berittenen fragen. Framgard stand nur im Unterkleid. Schmutz und Blut bedeckten ihre Haut. Auch Rango trug nichts außer seinem Schurz. Den aufkommenden Verdacht konnten die beiden offensichtlich nicht zerstreuen. Jedenfalls beobachtete Falko, wie einer der Männer Framgard aufs Pferd half, sich dann jedoch die Zügel griff, während die beiden anderen Rango gepackt hielten. Bald setzte sich der Trupp in Bewegung. Rango stolperte nebenher. Ein Seil zog von seinen Händen zu einem der Sättel. Falko wagte kaum zu atmen. Erst als der Horizont die Reiterschar verschluckte, kroch er aus seiner Deckung. Nichts wie heim, schoss es ihm durch den Kopf, und er begann zu laufen, nahm den schmalen Pfad, auf dem er ungesehen zur Burg zu kommen hoffte. Bald würde er den Rand des Waldes erreichen. Dann konnte er nur hoffen, dass ihm niemand begegnete. Zu leicht könnte man ihn mit dem Geschehenen in Verbindung bringen. Da traf es den Jungen wie der Blitz aus heiterem Himmel, unsere Sachen, das gesammelte Holz. All dies würde sie verraten. Er musste zurück, die Spuren beseitigen. Es dämmerte bereits.
Beladen mit einem großen Bündel trockener Äste, ein möglichst unverfängliches Gesicht aufsetzend und Framgards Kleid und Schuhe unter seinem Kittel versteckend, kehrte Falko zu Johannes Hütte zurück, warf das Holz auf seinen Platz, verstecke das Bündel darunter, stieß die Tür auf und blieb erstarrt stehen. Vor dem schwarzen, an der Wand hängenden Kreuz, Falko fürchtete stets, es würde ihn eines Tages erschlagen, knieten Johannes und Normans Frau, die Burgherrin im Gebet dicht nebeneinander. Er wollte sich sogleich zurückziehen, ahnte er doch den Grund des ungewöhnlichen Besuchs.
"Bleib hier", zerschnitt Johannes scharfe Stimme die knisternde, zwischen den verrußten Balken der Hütte eingefangene Ruhe, ließ die wenigen Einrichtungsgegenstände, die Schalen und Eimer und auch Falkos vor Dreck starrenden und den geschwärzten Balken der Wände nicht unähnlichen Körper, erzittern, ihn die ängstlich blickenden Augen noch weiter aufreißen, und ihn mit kleinen zögernden Schritten neben die Feuerstelle treten, die er bisher mit wohlschmeckender Speise, jetzt jedoch mit den von Johannes so oft beschworenen Qualen der Hölle assoziierte.
"Ich weiß alles", polterte Johannes weiter. "Aber das ist egal. Es zählt nur, was Norman weiß. Und deshalb hörst du jetzt genau zu, wenn dir dein Leben und das Leben deines Bruders auch nur eine Winzigkeit bedeuten."
"Junge", hob nun die Burgherrin an zu sprechen, "was dein Bruder tat, ist durch keine Strafe zu sühnen. Er wird die schlimmsten aller Qualen leiden. Und meine Tochter auch. Willst du ihr Schicksal teilen?"
Falko schüttelte nur den Kopf und schwieg.
"Es gibt Mittel, deine Zunge zu lösen. Doch ich möchte nicht, dass sie zur Anwendung kommen." Die Stimme der Burgherrin klang ruhig aber bestimmt. "Rango, dein Bruder, wird seine Rolle spielen. Und du wirst das auch tun. Als Erstes führst du uns zu den Kleidern meiner Tochter."
Falko senkte seinen Blick und blieb stumm. Johannes, der den Jungen besser kannte, versuchte ihm einen Weg zu weisen, der ihn nicht zu sehr kompromittierte. "Es wäre nicht gut, wenn man Framgards Kleider im Wald fände. Wird man etwas finden?"
Erneut schüttelte Falko den Kopf.
"Dacht' ich’s mir doch. Schlaues Bürschchen", lobte der Mönch seinen Diener. "Aber jetzt musst du uns erzählen, was du weißt."
Falko kämpfte mit sich. Was, wenn er etwas anderes sagte als Rango? Er wollte weder die Lage des Freundes noch seine eigene weiter verschlimmern. Und wieder war es Johannes, der ihm die Antwort in den Mund legte, der bereits minutiös geplant hatte, wie sich die Sache abgespielt haben musste. "Kannst du überhaupt etwas sagen zu Framgard und Rango?"
Es folgte das bekannte Kopfschütteln. Und Falko griff den Ball auf, den ihm Johannes zuspielte. "Wir sammelten Holz wie immer. Plötzlich war Rango verschwunden. Über das junge Fräulein weiß ich nur, dass sie des Herzogs Tochter ist."
"Braver Junge, es geht doch nichts über die Wahrheit. Wir können jetzt nur warten, bis Herzog Norman zurückkehrt. Inzwischen werde ich versuchen, aus Rango die Wahrheit herauszuholen. Schließlich ist er mein Diener und ich damit für seine Fehler verantwortlich. Euch, Frau Herzogin, sollte es möglich sein, mir Zutritt zu seinem Kerker zu verschaffen." Johannes sah der Burgherrin tief in die Augen. Die beiden schienen sich näher zu stehen, als es einer Edelfrau und ihrem Priester zustand. Falko wusste um Johannes Wirkung auf Frauen und war über diese Erkenntnis kaum überrascht.
"Ich vertraue auf Gott, und ich vertraue auf dich, seinen auserwählten Diener", schloss die Herzogin das Gespräch und huschte leichtfüßig, den dunkelgrauen Mantel über den Kopf gezogen, aus der Hütte.
"Verflucht sei der Tag, an dem ich diesen Bastard aufnahm." Johannes Worte sollten vor allem einschüchternd wirken. Im Grunde seines Herzens verstand er den Jungen. Framgard war sehr schön. Selbst wenn sie nur die Hälfte von dem beherrschte, was ihre Mutter einem Mann bieten konnte, wäre das absolut genug, einen richtigen Kerl um den Verstand zu bringen. Doch warum mussten sich die beiden erwischen lassen? Im Verborgenen durfte man alles tun. Gott in seiner Gnade verzieh den Menschen. Doch sobald eine Sache vor die Menschen kam, fand sich von Verzeihen keine Spur.
"Ich weiß nicht, ob wir etwas für deinen Bruder tun können. Du bleibe bei der Wahrheit, so wie du sie eben berichtet hast." Johannes ordnete seine Kutte. Bäche von Schweiß hatten sich in den dicken Stoff ergossen. "Richte mein Bad!"
Einen solchen Eifer legte Falko selten an den Tag. Bald loderte ein mächtiges Feuer unter dem Wasserkessel. Komisch war nur der Geruch nach verbranntem Leder. Als er den Badetrog füllte, stand fest, man würde nichts finden, kein Kleid und keine Schuhe, weder im Wald noch unter dem Holzstapel.
Unruhig wälzte sich Falko auf seinem Lager. Was würden sie Rango antun? Könnte er ihn doch retten. Voller Inbrunst flehte er Saxnot, den größten aller Kämpfer, an, Rango zu befreien. Auch Johannes fand keine Ruhe. Wäre es nicht besser zu fliehen, bevor man ihn für die Verfehlung seines Dieners verantwortlich machte. Doch wo sollte er hin? Normans Arm reichte weit. Und konnte er den Jungen, er war ihm weit mehr als nur ein Diener, allein lassen? Nein, sein Platz war hier. Ihm musste etwas einfallen. Ein Klopfen an der Tür beendete die kurze Nacht und sein Grübeln.
"Der Gefangene soll priesterlichen Beistand erhalten, damit er morgen, bei Rückkehr des Herzogs, seine Sünden gesteht." Ein Diener der Herzogin überbrachte die Nachricht. Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da standen Johannes und Falko bereits fertig gekleidet in der Tür.
"Für die Zeremonie benötige ich meinen Diener", erstickte Johannes jeden Widerspruch im Keim. Falko sollte die Geschichte aus Rangos Mund vernehmen, damit er nichts Gegenteiliges sagte. Und er sollte das Elend sehen, das auch ihn noch bedrohen konnte. Im schwachen Kerzenschein, das Licht des Tages hatte noch nicht gesiegt, eilten sie zum Burgturm, in dessen Keller sich das Verlies befand. Sie mussten durch eine schmale Luke und über eine Leiter in ein muffiges kaltes Loch hinabsteigen, in dem Rango, mit dem Rücken an der Wand lehnend, saß. Schwere Ketten hielten ihn gefangen. Blutige Striemen überzogen seinen Oberkörper.
"Lass uns allein", wies Johannes den Diener der Herzogin an. Dann kauerte er sich neben seinen geschundenen Diener, während Falko voll Schauder und voll Wut an der gegenüberliegenden Wand stehen blieb.
"Komm her und pflege seine Wunden", befahl Johannes und zog die Branntweinflasche aus seinem Gürtel. Während Falko der Aufforderung folgte und mit Stofffetzen, die er mit dem scharfen Getränk benetzte, Rangos Wunden wusch, flüsterte Johannes in dessen Ohr. "Ich kann es dir nur einmal sagen. Höre genau zu. Du begegnetest Framgard zufällig und zum ersten Mal. Du konntest nicht an dich halten und nahmst sie mit Gewalt. Dafür wird man dich bestrafen. Die Gräfin sorgt jedoch dafür, dass du nicht den schändlichsten aller Tode stirbst."
"Ist doch egal, wie ich sterbe", entgegnete Rango mit schwacher Stimme. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Beißender Schmerz zog durch seine Hände, während die Ketten bei der kleinsten Bewegung klirrten, ihn als Verbrecher brandmarkten, gefangen und bald verurteilt.
"So denkst du jetzt. Doch es ist ein Unterschied, ob man sein Leben unter dem Schwert verliert oder das Rad einem alle Knochen bricht und man auf die Speichen geflochten, sehnsüchtig auf seine Erlösung wartet, den Tod herbeifleht, der doch so langsam eintritt. Oder ob man gar bei lebendigem Leibe vom reinigenden Feuer verzehrt wird, nicht von einer großen Flamme. Nein, zunächst sind es nur kleine heiße Zungen, die nach den gebundenen Füßen lecken. Erst später fressen sie sich durch die Kleidung. Und während die Beine bereits verkohlen, muss der Kopf noch immer die fürchterlichsten Qualen wahrnehmen. Und dabei steht die geliebte Frau neben einem und leidet mit einem, stirbt mit einem. Willst du das?"
Johannes fasste Rangos Schultern und schüttelte ihn, dass seine Ketten gegen die Wand schepperten. "Willst du, dass auch Framgard stirbt?"
"Nein", keuchte der Junge, dem das verfilzte Haar wie ein Schleier vors Gesicht hing, die Qual verbergend, welche dieses in tausend Schattierungen ausdrückte.
"Also?", bohrte Johannes nach.
"Ich sah Framgard das erste Mal. Sie wusch sich im Bach. Ich konnte nicht an mich halten, riss ihr das Kleid herunter und warf es ins Wasser." Rango schüttelte die schwarzen Strähnen aus den Augen und blickte Falko fest ins Gesicht. "Und wir waren allein. Falko suchte Holz und konnte uns nicht sehen."
Danke mein Freund. Ich werde alles für dich tun. Saxnot rettet dich. Halte aus. Falko sprach die Worte nicht, umklammerte nur die Hand des Bruders. Kalt drückte die eiserne Schelle gegen seine eigene Haut. Wie die Kralle des Teufels fühlte sie sich an. Sollte er auch den Christengott anrufen? Nein, dann verriete er Saxnot und Wodan, verlöre er ihren Beistand. Sie begleiteten ihn seit der Geburt, halfen ihm aus mancher Not. Sie würden auch jetzt helfen. Man darf dem Christengott keine Macht geben, sonst stürzt die ganze Weltordnung.
"Komm", beendete Johannes das stumme Gebet seines Dieners, des Einzigen, der ihm verbleiben würde. Nur langsam stieg dieser die Leiter hinauf. Immer wieder drehte er seinen Kopf, versuchte im Dunkel des Kerkers den gefangenen Bruder zu entdecken. Doch kein Lichtstrahl erreichte ihn. Lediglich das schreckliche Klirren zeugte von seiner Anwesenheit. Falkos Herz blutete und sein Magen rebellierte. Unter Würgen kroch er aus dem Loch. Gleich darauf zog die Wache die Leiter nach oben und schloss die vergitterte Abdeckung. Wer darunter steckte, kam nicht von allein heraus. Nur eine List konnte Rango befreien. Wortlos gingen Johannes und Falko zu ihrer Hütte, der eine stumm Maria, die so tief mit menschlichem Leid vertraute Muttergottes, anrufend, der andere den wilden Saxnot anflehend. Und so verschieden ihre Gebete auch waren, drückten sie doch beide Leid und Kummer und Hilflosigkeit ihrer Absender aus. Rango war Johannes mehr als ein Diener, war ihm der Sohn, den er nie besaß. Er legte seine kräftige Hand auf Falkos Schulter, der mit seinen Bruder litt.
"Der Glaube versetzt Berge. Gott wird ihn erretten." Tränen standen in seinen Augen. Nie hätte Falko gedacht, dass der strenge Verkünder christlicher Lehren, der Anhänger kannibalischer Riten, das willige Werkzeug der fränkischen Eroberer, solche Gefühle für einen Diener, für einen gekauften Jungen, für einen Sklaven entwickeln würde.
"Er ist mir wie ein Sohn", sprach Johannes weiter. "Auch du sollst mir nicht Diener, sondern Sohn sein. Gemeinsam werden wir Rango befreien und von hier fortziehen. Dann löse ich dein Gelübde und du darfst gehen, wohin du willst."
Falko sollte ob dieser Worte in lauten Jubel ausbrechen. Doch es huschte lediglich ein schwaches Lächeln über seine Lippen. Das Bild des geschundenen Rango stand ihm zu deutlich vor Augen. Es musste ein Wunder geschehen, ihn aus dem Kerker zu holen. In der Hütte angekommen, widmeten sich beide ihren Alltagstätigkeiten, versuchten zu verdrängen und schmiedeten doch die wagemutigsten Pläne, um schließlich immer wieder die Mächte anzurufen, denen sie allein zutrauten, Hilfe bringen zu können. Und mit jeder Stunde, die verging, steigerte sich Johannes Unruhe. Was wird Norman tun? Ist auch Falko in Gefahr? Wird sich der Zorn des Herzogs gar gegen dessen Seelsorger wenden?
Gut gelaunt näherte sich Norman seiner Burg. Es war eine erfolgreiche Jagd und er, wie so oft, der Erfolgreichste unter den Jägern. Nicht nur Rot- und Schwarzwild brachten sie nach Hause, auch eine schöne Strecke von Kurzschwertern lag auf ihrem Wagen, Überbleibsel einer Horde marodierender Sachsenkrieger, von deren Fleisch sich nun die Raben ernährten. Es gab sie immer noch, diese Verblendeten, Anhänger des überholten Glaubens und überkommener Lebensweise, die Wortbrüchigen, welche das Treuversprechen ihrer Herren gegenüber König Karl nicht hielten. Doch sie wurden weniger. Eines Tages käme auch ihr Anführer Widukind zu Fall. Dann hätten Aberglaube, Aufruhr und Anspruchsdenken der niederen Stände ein Ende, und die gottgewollte Ordnung herrschte auch zwischen Elbe und Ijsselmeer. Norman gehörte zu den Gewinnern der neuen Zeit, musste sich nicht wie noch sein Vater in ewigen Thingsitzungen vor den Männern seines Stammes verantworten, sich gar von Bauern anklagen lassen. Er herrschte mit fast unbeschränkter Gewalt. Und jeder, der seine Macht bedrohte, wurde ausgelöscht. So war es von Gott gewollt, der doch sagte, wer nicht mit mir ist, ist wider mich. Voller Stolz ritt er durch das mächtige Tor seiner Burg. Es würde jedem Feind widerstehen, dachte er dabei.
Die Tür zum Frauengemach sprang fast aus den Angeln, so heftig stieß sie Norman auf.
"Stimmt es, was Sindolf mir berichtete?", schrie er die beiden, seine Herzogin und sein einziges Kind, an. Zitternd klammerten sich diese aneinander.
"Es ist nicht so, wie du denkst", entgegnete Erika, seine Frau.
"Was weiß schon ein Weib, was ein Mann denkt? Hat man das Kind untersucht? Ist sie noch Jungfrau?"
Erika schüttelte verzweifelt den Kopf, nicht erkennen lassend, welche der beiden Fragen sie verneinte. Doch Norman wollte seine Zeit nicht mit Reden vergeuden. Er fasste Framgard grob am Arm, drückte sie auf den Boden, schob ihr Kleid nach oben und untersuchte sie selbst. Seine schlimmste Befürchtung erwies sich als wahr.
"Sindolf", rief er den vor der Tür wartenden Verwalter. "Sperr die Hure ein. Ich werde später über sie entscheiden. Und bring mir diesen Bastard. Bereite die Tortur vor. Ich will die Wahrheit aus seinem Munde hören, mich nicht mit dem Gewäsch der Weiber abgeben."
Sindolfs Knechte zogen Rango an einem Seil, dessen Ende sie zuvor um seine Handgelenke geschlungen hatten, aus dem Verlies. Oben angekommen schlug ihm bereits der beißende Rauch des kräftig lodernden Feuers entgegen. Er wand sich, spuckte und biss, doch es half nichts. Sie zogen seine Arme Richtung Decke, bis er noch eben auf den Füßen stehen konnte.
"Sprich, du Ausgeburt der Hölle, was tatest du meiner Tochter an?" Norman schlug ihm bei seiner Frage heftig ins Gesicht. Am liebsten hätte er ihn erschlagen. Doch das wäre zu gnädig gewesen. Rango schwieg. Seine fast schwarzen Augen funkelten böse unter den anschwellenden Lidern hervor.
"Lass ihn mein Wappen spüren", wies Norman seinen Verwalter an, worauf dieser ein glühendes Eisen aus dem Feuer hob und mit festem Druck auf Rangos Brust presste. Dessen Schrei hallte über das ganze Burgareal, ließ Johannes und Falko erschrocken zum Turm eilen. Die ganze Nacht verbrachten sie vor dem vergitterten Fenster, die schrecklichen Szenen, die sich dahinter abspielten, nur ahnend. Als der Morgen graute, wiederholte Rango mit schwacher Stimme zum siebten Mal die gleichen Worte. "Ich sah Framgard das erste Mal. Sie wusch sich im Bach. Ich konnte nicht an mich halten, riss ihr das Kleid herunter und warf es ins Wasser."
"Und wer war dabei?", wiederholte Norman seine Frage zum siebten Mal.
"Niemand, ich war allein", kam die Antwort zum siebten Mal aus dem blutenden Mund des Jungen.
"Legt ihn in Ketten. Er soll uns zu der Stelle führen, wo das Verbrechen geschah. Und falls er nicht die Wahrheit sprach, schneiden wir ihm die Zunge heraus." Norman hatte genug gehört. Der Hund würde bei seiner Antwort bleiben. Und es war die beste Antwort, die er geben konnte. So behielt Framgard zumindest einen Teil ihrer Ehre und es gab einen Schuldigen, mit dessen Bestrafung volle Genugtuung zu erlangen war.
Rango erinnerte sich kaum, wie der den Weg zurück in den Wald fand. Was Norman dort sah, entsprach der Aussage des Jungen. Ein Bündel Reisig, für einen Mann weder zu groß noch zu klein, fand sich da. Auch Rangos Kittel lag noch auf dem Boden. Dass der neu gewaschen und ungetragen wirkte, interessierte nicht. Der Herzog erwartete etwas und er bekam es. Warum sollte er weiter nachforschen? Zumal Framgards Kleid fehlte, nicht etwa einträchtig bei Rangos Lumpen lag. Die Beweise genügten. Norman konnte gut mit dem Gesehenen leben. Rangos Aussage war bestätigt. Die Folter hatte, wie schon so oft, die Wahrheit ans Licht gebracht. Die Knechte trieben den geständigen Gefangenen zurück in seinen Kerker. Und sie verstanden ihr Handwerk, ließen ihn trotz der schweren Eisen flink wie ein Reh in Richtung der Burg springen, seiner gerechten Strafe entgegen. Und vor lauter Eifer übersahen sie das Paar grasgrüner Augen, welches sie aus dem Gebüsch beobachtete. Lange wartete Falko, der alles so gerichtet hatte, wie es nach Rangos Worten aussehen musste. Erst im Schutze der Nacht schlich er auf dem geheimen Weg zu Johannes zurück.
"Bringt meine Tochter", befahl Norman. Als sein Kind vor ihm stand, zitternd und bleich, überkam ihn ein Anflug von Mitleid. Doch kurze Zeit später hatte er sich wieder im Griff. "Es ist der Teufel im Weibe, welcher Männer Dinge tun lässt, die verboten sind. Du kannst diese Schuld nicht ablegen. Doch du kannst Buße tun. Du wirst für alles sühnen. Konrad, der Bucklige, ist bereits auf dem Wege. Voller Freude erfuhr er, dass du sein Werben erhörtest."
"Niemals, lieber sterbe ich." Framgard antwortete trotzig und ohne Zögern.
"Zusammen mit meinem Kind, deinem Enkel", setzte sie deutlich lauter hinzu. Norman verlor für einen Moment die Fassung, stand mit offenem Mund, nahm die Hand, welche ihm Erika reichte, die neben den Gatten getreten war.
"Lass mich nur machen", sagte sie mit ruhiger Stimme.
"Liebes Kind", sie sah Framgard fest in die Augen. "Wir Frauen müssen unser Schicksal tragen, so wie Gott es uns vorbestimmte. Du wirst Konrads Frau. Das stand seit Langem fest. Nur so sicherst du den Fortbestand all dessen, was dein Vater erbaute. Oder willst du sämtliche Familien ins Unglück stürzen, die von uns abhängen?"
Framgard schüttelte den Kopf, nur ein wenig, aber doch eindeutig. Sie wollte nicht weiteres Unglück über die ihren bringen.
"Ich wusste, du bist ein schlaues Kind. Und damit du siehst, dass wir dich lieben, dein Vater und ich, wird dein Vater Rangos Leben verschonen." Erika drückte die Hand ihres Mannes fest zusammen. Ich dulde keinen Widerspruch, gab sie eindeutig zu erkennen.
"Am Tage deiner Hochzeit werde ich den Gefangenen begnadigen. Er soll sein Leben behalten." Norman fiel es schwer, Rango vor dem Tode zu bewahren. Es würde seine Autorität untergraben. Keiner durfte erfahren, dass es Frauen waren, die diese Entscheidung erzwangen. Doch er wusste, er hatte nur dies eine Kind. Ein Weiteres würde Gott ihm nicht schenken. Nach Framgards Geburt wohnte er nicht nur Erika bei. Vater wurde er nie wieder. Allein durch Heirat der Tochter konnte er sein Lebenswerk bewahren. Sollte ihrer unheilvollen Verbindung mit dem Diener des Pfaffen ein Sohn entspringen, wäre das Konrads Erstgeborener und Erbe.
"Du bleibst auf deinem Zimmer, bis Konrad mit dir vor den Priester tritt." Normans Gesichtsausdruck ließ keine Widerrede zu.
"Ich tue, wie ihr mich heißt, Vater", antwortete Framgard, "so ihr ihn verschont."
In diesem Moment erkannte es auch der raubeinige Kämpfer. Rango traf nicht die alleinige Schuld. Framgard ging freiwillig diese Liaison ein. Zum Glück endete das Gespräch an diesem Punkt. Die Wahrheit zu wissen, war bestimmt nicht gut.
Seit Rangos Schreie die Nacht zerschnitten, sich wie Schwerter in Falkos Herz bohrten, sprach der Sachsenjunge kein Wort. Doch sein stilles Flehen, die stummen Rufe seiner Augen, der innbrünstige Glaube an die Götter seines Stammes erfüllten den Raum um ihn. Kein Baum, kein Pferd, dem er seinen Seelenschmerz nicht entgegenschleuderte. Wo blieb Saxnot? Waren es nicht die hohen Bäume, waren es nicht die edlen Pferde, in denen er wohnte, aus deren Blättern, mit deren Augen er das heftige Schreien eines Kindes erkennen sollte?
"Geh in den Wald und sammle Holz." Johannes musste Falko aus seiner Lethargie befreien. Es half Rango nicht, sich aufzugeben, denn Helfen konnte Gott auch durch den wachen Geist seines Dieners. Und dieser sagte, Norman braucht Framgard. Sie würde sein einziges Kind bleiben. Der Herzog war unfruchtbar und Erika zu fromm, sich nochmals einem anderen Mann hinzugeben. Sie tat es einmal, Framgard entsprang dieser Nacht. Das Geheimnis bewahrten der Mönch und die gläubige Seele, die sich nur dies eine Mal nicht gegen ihre tiefste Sehnsucht versperrte, tief im Herzen.
Nachdem Falko loszog, kniete sich Johannes vor das mächtige Kreuz, versank in stillem Gebet, drehte seinen Kopf nicht, als die Tür der Hütte aufging, drehte ihn nicht, als sich ein Mann neben ihm niederließ.
"Dein Diener wird leben."
Johannes kannte die Stimme. Norman war zu ihm gekommen.
"Noch heute trifft Konrad hier ein. Morgen wirst du Framgard und ihn trauen. Dann solltest du die beiden Jungen nehmen und voller Eifer deinem Missionswerk nachgehen. Diese Burg bleibt euch zukünftig verschlossen." Norman stand auf und verschwand so unauffällig, wie er kam.
Es tat Falko so gut, inmitten des Waldes, in der Natur, fern den Menschen mit ihrer Grausamkeit zu sein, den weichen Laubboden unter seinen Füßen zu spüren, die warme Sonne auf der Haut zu fühlen. Längst lagen sein Kittel neben dem gesammelten Holz und er selbst auf dem raschelnden Bett aus Blättern, sog seine Nase den würzigen Geruch der Erde ein, träumte sich sein Hirn hinweg aus dieser bösen Zeit. Mit seinen Geschwistern flog er über frühlingsgrüne Wiesen, jeder auf seinem Pferd, er auf Gis. Die Vögel sangen. Das Leben erfand sich neu, so wie jedes Jahr nach der Kälte des Winters, so wie jedes Mal die Geburt dem Tod folgte.
"Bist du sicher, dass uns niemand hört?"
"Absolut sicher. Hier können wir unseren Plan ungestört besprechen."
Auf einen Schlag war Falko hellwach, wagte kaum zu atmen und lag starr und still wie die abgestorbenen Stämme um ihn herum. Er kannte die Stimmen. Sie gehörten Wido, dem Sohn des Verwalters, dem Sohn des Mannes, der Rango quälte und Sindolf, dem Verhassten, selbst. Schritte näherten sich. Ein heftiger Wind fegte durch die Bäume. Diesen Moment, in dem der Wald von Rascheln und Heulen erfüllt war, nutze Falko, griff seinen Kittel und kroch in ein nahes Gestrüpp. Er achtete nicht auf die Dornen, welche seine Haut aufrissen. Es ging um sein Leben. Sindolf und Wido würden keinen Mitwisser dulden.
"Da liegt ja immer noch das Bündel, welches Rango sammelte, bevor er Framgard, die kleine Hure, bestieg." Widos dreckige Lache fuhr Falko durch Mark und Bein.
"Du solltest darüber nicht lachen. Es wäre an dir gewesen, die Tochter des Herzogs zu entjungfern. Fast hatte ich ihn soweit. Er muss ja an sein Erbe denken. Doch jetzt ist alles anders. Der bucklige Konrad gewinnt dieses Spiel um die Macht." Sindolf drehte sich nochmals in alle Richtungen. Knackte da nicht ein Zweig? Alles ruhig, stellte er erleichtert fest.
"Konrad wird die Burg nicht lebend erreichen. Er muss den Weg neben den Blausteinen nehmen, will er nicht durch die Sümpfe reiten. Dort kann ihn mein Pfeil nicht verfehlen." Wido legte seine Hände auf den Boden und rief mit feierlicher Stimme: "Du Satanus steh mir bei. Meine Seele gehört dir."
"Wenn du erst Herr auf Burg Eisenstein bist, wird der König der Finsternis sein schreckliches Reich errichten, die Macht sowohl der alten Götter, die so kläglich versagten, wie auch die Macht des Christengottes, der uns unter fremde Herrschaft stellen will, niederringen." Auch Sindolf legte seine Hände auf den Boden. "Du, Satanus, führe den Arm meines Sohnes, leite seinen Pfeil, reiße des Buckligen Seele aus seinem entstellten Körper."
Die beiden Verschwörer standen auf. Falko konnte aus seinem Versteck heraus erkennen, wie Sindolf ein Bündel Pfeile unter dem Mantel hervorzog.
"Während du Konrad auflauerst, lasse ich Rango entkommen. Sein Pfeil im Herz des Buckligen bringt ihn aufs Rad und dich an Framgards Seite."
"Und was ist, wenn er entkommt?", wandte Wido ein.
"Das lass meine Sorge sein. Du konzentriere dich auf deinen Schuss. Du hast nur einen."
Sindolf und Wido gingen in verschiedenen Richtungen auseinander, der Verwalter zur Burg, sein Sohn zu den Blausteinen. Obwohl Falko so schnell wie möglich Johannes erreichen wollte, einen anderen Verbündeten konnte er sich nicht vorstellen, wartete er eine ganze Weile. Zu groß schien die Gefahr, von Sindolf entdeckt zu werden. Und trotz des zusätzlichen Zeitverlustes wählte er den geheimen, jedoch längeren Weg, der ihn nicht nur von Sindolf fernhielt, sondern ihn auch über den versteckten Zugang zur Burg, direkt durch den Graben, vorbei an den Wachen und der Zugbrücke, leitete.
Johannes atmete schwer, während er Falkos Bericht hörte. Es blieb keine Zeit. Sie mussten unmittelbar handeln.
"Beeil dich, noch kannst du ihn warnen", rief er und schickte Falko zu den Blausteinen. Er selbst wollte versuchen, Sindolf unter irgendeinem Vorwand davon abzuhalten, das Verlies zu betreten. So blieb Rango zwar in seinen Ketten, aber so blieb er auch am Leben. Entkäme er, bräuchte es keinen Tag, ihn wieder einzufangen. Zu gut bewacht war des Herzogs Gebiet. Johannes war schon aus der Tür, als Falko losstürmte. Er nahm den Bogen mit sich. Johannes hingegen schritt gemächlich in Richtung Burgturm. Er musste sich einen Grund für den Besuch des Verwalters ausdenken. Und dieser musste so stichhaltig sein, dass er ihn lang genug vom Verlies fernhielt.
"Wollt ihr euch dem Befehl des Herzogs widersetzen?" Johannes schob die Wachen beiseite und folgte Sindolf, der, den Mönch nicht bemerkend, bereits die Stufen zum Verlies hinunterstieg. Er bemerkte auch den Tumult am Eingang zum Turm nicht. Als Johannes in der Kammer des Schreckens eintraf, stand Sindolf bereits neben Rango. Johannes wusste sich nicht anders zu helfen, als die Leiter aus dem dunklen Loch zu ziehen und dabei zu hoffen, dass sich Rango eines möglichen Angriffs des Verwalters erwehren konnte. Es dauerte jedoch nur wenige Minuten, da umringten ihn die Wachen, während ihm Norman gegenübertrat.
"Sindolf wollte den Gefangenen befreien", sagte er nur. Und der Augenschein war eindeutig. Sindolf drückte sich ängstlich an die Wand des Kerkerlochs. Doch zwei starke Knechte zwangen ihn nach oben.
"Ich wollte ihn nur verhören", versuchte er, seine Haut zu retten. Man glaubte ihm nicht. Bald lag er selbst in Ketten.
Falko kannte den Weg zu den Blausteinen. Zwischen den Felsen war man kaum zu entdecken. Hier brachte ihm Rango das Bogenschießen bei. Vielleicht könnte er ihm heute seinen Dank beweisen. Vorsichtig folgte er den Spuren, die zu verwischen sich Wido keinerlei Mühe gegeben hatte. Bald sah er ihn, gegen den Talweg gut gedeckt, gegen die Felsen jedoch ungeschützt, mit schussbereitem Bogen stehen. Das Geräusch von Pferdehufen auf dem Kalkstein des Weges bedeutete, er kam keinen Augenblick zu spät. Für eine Warnung an Konrads Gefolge blieb keine Zeit. Fast synchron hoben sie ihre Bögen, Wido und Falko. Doch bevor Widos Pfeil sein Ziel anvisieren konnte, ließ Falko die Sehne enteilen. Ein kurzes Surren, ein leises Stöhnen, ein unkontrolliert zu Tal torkelnder Pfeil und ein auf den Weg stürzender lebloser Körper folgten Falkos Schuss, seinem ersten Schuss auf einen Menschen. Rasch entfernte er sich. Keiner sollte ihn mit der Tat in Verbindung bringen.
Konrads Pferd stieg auf. Nur mit viel Mühe gelang es dem missgestalteten Reiter, im Sattel zu bleiben. Trotz des körperlichen Handicaps verstand er sich auf die Tätigkeiten eines Mannes, auf das Führen des Schwertes, auf das Beherrschen eines Pferdes, auf den Umgang mit Pfeil und Bogen. Und bald wollte er auch die letzte Männlichkeitsprüfung bestehen, einer Frau beiwohnen, einen Sohn zeugen.
"Diesem hilft nur noch Gott", sagte Konrad laut zu dem Teil seiner Männer, der bei ihm wachte, während die anderen damit beschäftigt waren, die Umgebung nach weiteren Feinden abzusuchen. "Hebt ihn auf. Vielleicht kann uns Norman eine Erklärung liefern."
Als sein Gefolge wieder komplett war, man hatte nur ein Bündel Pfeile gefunden, setzte Konrad den Weg zur Burg Eisenstein fort. Er war froh, als sie der Schlucht entkamen und wieder freie Sicht auf das Gelände links und rechts des Wegs bestand.
Falko und Johannes gehörten zu den Ersten, welche bei Konrads Eintreffen neben am Burgtor standen.
"Satter Schuss", sagte der Mönch voller Lob, als Widos Leiche auf den Boden geworfen wurde. Die eiserne Spitze hatte seinen linken Oberkörper komplett durchschlagen. Konrad schmiss die gefundenen Pfeile neben den verhinderten Mörder. Er zweifelte keinen Augenblick, dass der Angriff ihm galt, er sein Leben nur einem mysteriösen Unbekannten verdankte.
"Das erklärt alles", rief Norman aus, noch bevor er seinen zukünftigen Schwiegersohn begrüßte. Die bunte Fiederung der Pfeile verriet ihren Besitzer. Später, als Konrad mit einem kräftigen Trunk den Schreck hinunterspülte, berichtete Norman vom rätselhaften Verhalten seines Verwalters. Doch es bedurfte aller Kunst der Folterknechte, Sindolf zur Preisgabe der Wahrheit zu bewegen. Als er schließlich den Plan zugab, seinen Sohn an Konrads statt mit Framgard zu vermählen und Rango den dazu nötigen Mord anzuhängen, waren seine Finger gebrochen und seine Füße verkohlt. In der Nacht schrie er, vom Fieberwahn geschüttelt, zu Satanus, verfluchte den Herrn der Finsternis, der ihn so schändlich verraten, einen willigen Diener verstoßen, die Chance zum Sieg über den Christengott vertan hatte. Am nächsten Morgen lag er tot in seinen Fesseln.
Trotz aller Aufregung fand die Hochzeit am Folgetag statt. In der folgenden Nacht unterwies Framgard den in solchen Dingen völlig unerfahrenen Konrad in den Spielen der Liebe.
"Egal, was man dir erzählte, die Vereinigung mit einer Frau verschafft dem Mann dann die größte Befriedigung, wenn auch die Frau Befriedigung findet." So verbreitete sie Evelinas Weisheit, die diese in wahrer Liebe Falko anvertraut hatte, der wiederum den treuesten seiner Freunde in diese Erkenntnis einweihte, was Framgard schließlich die glücklichsten Momente ihres bisherigen Lebens schenkte.
"Ich will, dass du glücklich bist. Lehre mich. Ich folge dir. Außerhalb unseres Lagers bin ich der Herr, aber wenn wir zusammenliegen, werde ich zu deinem Sklaven. Du wirst es zu nutzen wissen", sagte Konrad, bevor er das zweite Mal in dieser Nacht den zarten Schoß seiner Angebeteten eroberte. Und Framgard leitete den Mann, der wegen seiner körperlichen Behinderung oftmals Spott erfuhr, es allein seiner edlen Geburt verdankte, dass er die ihm gegebene geistige Kraft sinnvoll nutzen konnte. Er war kein Rango, doch lernwillig und lernfähig. So schien es Framgard nicht das größte Opfer, zur Rettung des Mannes, den sie wahrhaft liebte, ihr weiteres Leben mit Konrad dem Buckligen zu verbringen. Rango hatte ihre Gefühlswelt betreten und gleichsam geöffnet für künftige Besucher. Er bliebe stets der Erste. Bereits am nächsten Morgen brach das frisch vermählte Paar auf.
Die Hochzeit seines einzigen Kindes brachte Norman ein wenig Ablenkung, übertünchte die angespannte Stimmung auf seiner Burg für kurze Zeit. Doch nach Framgards Auszug stellten sich die quälenden Fragen mit neuer Härte. Alles fing an mit einer unheilvollen Liaison. Der Schuldige saß noch immer im Kerker. Er musste ihn am Leben lassen, das versprach er Frau und Tochter. Doch der Junge konnte nicht ungestraft bleiben. Wäre doch der Plan des Verwalters aufgegangen, Konrad mit Rangos Pfeil getötet, Rango selbst aus dem Kerker befreit und auf der Flucht erschossen worden. Dann müsste Konrads Vater entsprechend des bestehenden Vertrages seinen Zweitgeborenen mit Framgard vermählen. Dieser war nicht missgestaltet wie sein Bruder. Einen solchen Nachfolger wünschte sich der Herzog für seine Burg Eisenstein. Es war so ein guter Plan, Sindolf und Wido willige Figuren eines von ihnen nicht durchschauten Spiels. Warum musste sich der Pfaffe einmischen, Sindolf im Kerker überraschen? Gewiss, der Gottesmann hatte seine Qualitäten, befriedete die Sachsendörfer weit anhaltender, als es mit Feuer und Schwert gelang. Doch sein Hang zu hübschen Jungen war eine Sünde und brachte Unglück. Und wer erschoss Wido? Norman kannte nur einen, der sowohl ein Motiv als auch die Fähigkeit zu einem solch satten Schuss hatte, Falko. Doch er konnte den Jungen nicht dafür bestrafen, dass er seine Pläne durchkreuzte. Er hätte den Kleinen zum Märtyrer aufgebaut und seine eigene Macht gefährdet. Norman sah nur einen Ausweg, alle drei mussten aus der Burg verschwinden. Doch ganz ungestraft sollten sie nicht davonkommen. Er würde sein Versprechen halten, Rango nicht töten. Und doch würde er sich an ihm rächen und dadurch auch an Johannes und an Falko. Und sollte den dreien auf dem Weg etwas zustoßen, so wäre dies nicht weiter verwunderlich. Es zogen genügend marodierende Sachsen durchs Land. Denen galten Priester des neuen Glaubens als Freiwild. Normans Hirn arbeitete bereits eifrig. Bald stand sein Plan.
Falkos Jubel kannte keine Grenzen. Er war es, der die Verschwörung vereitelte. Sein Pfeil rettete Konrads Leben. Seine Hand zitterte nicht einmal, als er auf Widos Rücken zielte. Er hatte die Prüfung bestanden. Er war zum Krieger geboren. Und Rango? Rango würde nicht sterben. Noch eine Nacht, dann wollte Norman über ihn Gericht halten und ihn begnadigen. So sagte es Erika, als sie Johannes heimlich treffend, von Falko belauscht wurde. Als Preis müssten sie Eisenstein verlassen. Aber das war keine Strafe, das war der Aufbruch in ein neues Leben. Versprach doch Johannes, wenn sie fortziehen, Falkos Eid zu lösen. Endlich konnte er den Vater suchen und Gis auch und natürlich Evelina. Er würde mit Widukind kämpfen, bis alle Schmach getilgt, Mutter, Bruder und Schwester gerächt und das Land von den verfluchten Franken und ihrem schrecklichen Gott befreit waren. Er zeigte keinerlei Überraschung, als Johannes ihn aufforderte, Reisevorbereitung zu treffen. Johannes registrierte dies mit Erstaunen. Er hatte den Kleinen wohl unterschätzt.
Es sollte ein klarer sonniger Tag werden. Falko, der die ganze Nacht kaum Schlaf fand, trat bereits in der Morgendämmerung aus Johannes Hütte. Das feuchte Gras streichelte seine Zehen, während er zum Bach trabte, sich zu reinigen und Wasser für Johannes Bad zu holen. An diesem Tag sollte Rango freikommen. An diesem Tag sollten sie die Burg hinter sich lassen und zu einem neuen Leben aufbrechen. Falko wollte rein sein. Heftig schrubbte er die von der Frühlingssonne gebräunte Haut. Sein blondes Haar tropfte. Es erreichte noch nicht die Länge der schwarzen Mähne seines Bruders, doch es war auf gutem Wege. Tausend Tropfen stiebten durch die Luft, als Falko es ausschüttelte. Sie vermischten sich mit dem aufsteigenden Nebel, schimmerten in den ersten Sonnenstrahlen wie ein Regenbogen. Es wird ein schöner Tag. Saxnot hatte ihn erhört und Wodan auch. Gut, dass er sich nicht auf den Christengott einließ. Mut und Standhaftigkeit zahlen sich am Ende aus. Schwer wogen die beiden Eimer in seinen Händen. Doch er setzte sie nicht ab. Johannes sollte keinen Grund zur Klage finden, sein geliebtes Bad gleich am Morgen nehmen und ohne Trauer der Burg den Rücken kehren. Rangos Wunden würden bald heilen. Bei allem Widerwillen, den der dicke Mönch in Falko erweckte, bewunderte der doch dessen Weisheit und Fähigkeiten. Dies bezog sich auch und besonders auf die Heilkunst. Wir machen dich gesund, mein Bruder. Bald sind wir frei. Falko strahlte über beide Wangen, als er die Hütte betrat.
Alle warteten sie auf dem Burghof, die Bauern und Handwerker, Mägde und Knechte und auch Falko und Johannes. Ihnen gegenüber stand der Stuhl für Herzog Norman, gefertigt aus dunklem, reich mit Schnitzereien verzierten Holz. Braunes Leder überzog die hohe Lehne und das dicke Polster der Sitzfläche. Neben des Herzogs Stuhl stand der neue Verwalter, hinter ihm ein Trupp Bewaffneter, auserwählte Kämpfer und unerschrockene Beschützer ihres Herrn. Zwei Knechte brachten einen weiteren, kleineren, weniger pompösen Stuhl. Dann traten Norman und seine Frau Erika aus der Burg, setzten sich auf die vorbereiteten Plätze und bedeuteten den Versammelten, welche sich beim Erscheinen der Herrschaft tief verbeugten, ihre Körper aufzurichten und ihre Blicke zum Burgturm zu wenden.
"Bringt den Angeklagten", befahl Norman mit kraftvoller Stimme. Die Tür des Burgturms wurde aufgestoßen. Begleiten von zwanzig Schwertträgern führten zwei Knechte den in Ketten gehenden Rango. Sein Körper zeigte die Spuren der brutalen Folter. Seine ehemals braune Haut war bleich, gleichsam grau. Seine ehemals glänzenden Augen lagen trüb und tief in schwarz geränderten Höhlen. Falko erschrak. Würde der Freund je wieder gesund werden? Wie sollte dieser entkräftete, sich nur mühselig dahinschleppende Körper die Anstrengung der Reise überstehen? Es wird alles gut, beruhigte er sich. Pferde und Wagen standen bereit. Sobald Norman den Bruder begnadigt hat, wollte er, Falko, ihn in die Arme nehmen, zum Wagen bringen, etwas von der lebensspendenden Stutenmilch einflößen, die er zum Glück noch besorgen konnte. Und dann würden sie losziehen, das Grauen hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen.
Während die Knechte Rango vor Norman, seinen Richter, stellen, postieren sich die Schwertträger vor den Zuschauern, bereit, jede Unbotmäßigkeit im Keim zu ersticken.
"Knie nieder", wies der Verwalter den Angeklagten an. Die beiden Knechte drückten den Gefangenen nach unten und hielten seine Schultern und Arme in eisernem Griff. Alle schwiegen und starrten gebannt auf Norman. Er wollte ihn begnadigen. Das Gerücht brauchte nur Minuten, bis es die ganze Burg kannte.
"Du bist angeklagt des schändlichsten Verbrechens, welches ein Mann einer Frau antun kann", hob der Verwalter an. "Du hast die Tat gestanden. Es kann nur eine Strafe geben, den Tod."
Ein lauter Aufschrei erfüllte die Burg. Die vorn Stehenden sahen, wie Erika die Hand ihres Mannes ergriff, während die Knechte Rangos Körper in eisernem Griff hielten. Kein Wort kam aus seinem Mund. Hatte er bereits mit dem Leben abgeschlossen?
"Hört mich an, ihr Männer und Frauen, meine treuen Untertanen." Norman erhob sich, schüttelte die Hand seiner Frau ab, ließ seine Augen die Runde absuchen und sah dann mit festem Blick auf Rango. "Dieser Mann, vom Stand her ein Sklave, wagte es, meiner Tochter Gewalt anzutun. Was kann es anderes für ihn geben als den Tod, langsames Sterben unter schlimmsten Schmerzen? Doch Gott in seiner großen Barmherzigkeit machte diesen Sünder zu seinem Werkzeug, entlarvte durch ihn eine schreckliche Verschwörung."
Norman hob seine Hand. Wieder ging die Tür des Burgturms auf. Zwei Männer, schwarze Kapuzen auf dem Kopf, schleppten einen eisernen Kessel herbei, aus dem grauer Rauch aufstieg.
"Rango, als Sklave verkauft in fremdem Lande, Diener des ehrwürdigen Johannes, ich begnadige dich vom Tode. Du wirst verbannt aus Burg Eisenstein. Und du wirst nie mehr lüsterne Blicke auf eine Frau oder sonst ein Geschöpf Gottes werfen." Während Norman sprach, zog einer der Männer, deren Gesichter unter den Kapuzen nicht erkennbar waren, einen glühenden Eisenstab aus dem Feuerkessel. Falko verstand nicht, welch schreckliches Schicksal seinen Bruder ereilen sollte. Johannes hingegen wusste sofort, was gleich geschehen würde. Er biss sich auf die Zunge, nicht schreien. Wenigstens wird der Junge leben, hämmerte es in seinem Hirn. Rango riss die Augen weit auf, starrte ungläubig auf das glühende Metall, dann auf Norman.
"Rango", so setzte Norman erneut an, "schuldig der Unzucht, schuldig des Todes unter grausamer Qual. Du wirst geblendet, alsdann deinem Herrn übergeben und von ihm außer Landes gebracht."
Normans Stimme donnerte. Johannes fiel auf die Knie. Falko schrie laut, konnte von den Umstehenden nur mit Mühe gehalten werden. Rango versuchte, sich den harten Griffen zu entwinden. Er war chancenlos. Ohne Zittern, auf geradem Wege, stieß einer der Henker die glühende Eisenspitze in das rechte Auge des Verurteilten und gleich darauf in das linke. Es war nicht nur der Schmerz, der Rango so heftig aufheulen ließ, dass selbst die Vögel im nahen Wald verstummten, es war das Wissen, nie wieder die Sonne, nie wieder einen Menschen, nie wieder ein Tier, nie wieder eine Pflanze sehen zu können, das Wissen, als Krüppel von fremder Hilfe abhängig und so völlig unbrauchbar zu sein. Er merkte nicht, wie die Ketten fielen, wie sie ihn auf den vorgefahrenen Wagen hoben, wie Johannes ein kaltes feuchtes Tuch auf die schwarzen Höhlen in seinem Gesicht legte, dorthin wo Augen sein sollten, wo jedoch nur Dunkelheit herrschte.
"Steig auf das Pferd, reite los, keine Widerrede", schlugen Johannes Worte wie Peitschenhiebe auf Falko ein. Der Mönch wusste, jedes falsche Wort konnte die Situation eskalieren, die Wachen zu den Waffen greifen und die Begnadigung des einen zum Todesurteil vieler werden lassen. Er trieb das Zugtier an. Laut polterte der Wagen über die Zugbrücke. Falko blieb dicht dahinter, drehte sich kein einziges Mal um, wollte den Ort des Schreckens nicht mehr sehen. Erst als das nächste Dorf hinter ihnen lag, sie den Erlenwald am Weißbach erreichten, stoppte der Mönch die rasende Fahrt.
"Binde das Pferd an den Wagen. Wir müssen deines Bruders Wunden versorgen. Du pflegst ihn. Sein Leben liegt in deiner Hand. Versagst du, stirbt er." Johannes wusste, er konnte Falko jetzt nicht in Trauer versinken, aus Mitleid und Selbstmitleid handlungsunfähig werden lassen. Rango lebte. Er besaß eine starke Natur. Er könnte es schaffen. Und Falko musste jetzt für zwei sehen. "Ihr zwei seid nicht mehr Brüder, ihr seid eins. Deine Augen sind jetzt auch Rangos Augen. Hol Wasser!"