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Verfolgt am Watch-River

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Ich war damals noch ein ziemliches Greenhorn, als ich Mac Leans Ranch hinter den Algak-Bergen im Westen der Rocky Mountains besuchte. Hinter seiner Ranch gab es nur noch Indianer, Sumpf und Wald. Gegen den Winter zu tauchte Pat Bownie auf. Einst war er Cowboy auf verschiedenen Ranches gewesen, aber als er im Pokerspiel auch noch sein Pferd verlor, entdeckte er, daß man sogar zu Fuß überallhin kommt. Mager wie ein Skelett stand der zwei Meter lange Alte nun vor uns.

„Dachte mir’s schon fast, daß du auf deiner Ranch keinen Cowboy brauchst“, lächelte er etwas traurig aus seinen wasserblauen Augen. „Du hast ja starke Söhne, ließ ich mir sagen.“

Mac Lean forderte ihn dennoch zum Sitzen auf. John und Fred, seine Söhne, reichten im Winter leicht für die Bewachung der achthundert Rinder aus. Da hatte Mac Lean einen Einfall. „Du wolltest doch vor Winterbeginn noch nach Fort Williams hinaus – jetzt hast du einen Begleiter!“ sagte er zu mir. Mac Leans Frau briet gerade zwei tellergroße Steaks.

Mir kam dieser Vorschlag sehr gelegen. Mac Lean lieh Pat Bownie eine zahme Stute als Reitpferd. Im Frühjahr wurde Mary, die Tochter der Leans, auf der Haushaltungsschule in Quesnel draußen fertig. Wenn der Vater sie heimholte, stand wenigstens schon für sie ein Pferd bereit. Die Ranchers am Batnuni-Fluß hatten gewiß nichts dagegen, ein Pferd mehr durch den Winter zu füttern.

Der Ritt nach Williams war auf vier Tage berechnet, wenn nicht etwa plötzlicher Schneefall einen Streich spielte. Wir packten Fleisch- und Teevorrat ein und vergaßen auch zwei Bündel Heu für die Pferde nicht. Der Abschied von der Rancherfamilie am letzten Rand der bewohnten Welt war herzlich und kurz. Auf der Anhöhe wandten wir uns noch einmal zurück und winkten. Die unübersehbare Weide schimmerte jetzt im Rauhreif; vor uns stiegen in weiten, sanften Wellen die verschneiten Algak-Berge an.

Allmählich fiel Wind in die Bäume. Vor der Höhe zog sich ein stellenweise versumpfter Talboden stundenlang zwischen den schwarzen, stillen Wäldern gegen Osten dahin.

Am ersten Tag erreichten wir den Watch-River nicht mehr. Am Abend stellten wir das Zelt mit dem doppelten Überzelt auf, deckten seine Wände gegen die Kälte auch noch mit flechtenzottigen Ästen dicht zu und kochten ein paar geräucherte Lendenstücke eines Rothirschen. Der Teeduft verbreitete Behagen, und zufrieden mit Gott und der Welt krochen wir bald in das Zelt. Die Pferde waren an langen Lassos angekoppelt, damit sie weiden konnten.

Am nächsten Morgen kam eine blasse Sonne durch die Wolken. Ich weckte den Gefährten, der noch laut schnarchte. „Heute trifft dich der Kochdienst, Pat. Wie wäre es mit einem saftigen Bratenstück?“

„Bist eben ein immer hungriges Greenhorn!“ brummte Pat, als er sich verschlafen aus den Decken schälte.

Ich tröstete ihn. „Laß dir Zeit. Will einen kurzen Rundritt machen. Vielleicht entdecke ich dort drüben den Watch-River!“

Plötzlich horchte ich auf. Von weither kam ein Laut, wie ich ihn noch nie gehört hatte. Er klang wie ein unwirklicher, unheimlicher Schrei, bald glockenhell, dann wieder wie eine jammervolle, versinkende Klage. Selbst die Pferde schnaubten jetzt unruhig.

„Hör einmal zu, Pat – du kennst das sicher!“ versuchte ich mein jäh aufsteigendes Unbehagen zu verbergen.

Während Pat Bownie weiter Dürrholz über den Knien brach, nickte er. „Ein Elchkalb, das die Mutter verloren hat! Manchmal wird viel zu spät im Jahr noch eines geboren, aber gerade einen solchen Spätling liebt die Elchmutter am meisten. Hoffentlich findet sie das verlaufene Kind bald wieder. Solange sie sucht, ist es nicht ratsam, der alten Dame zu begegnen.“

Ich ärgerte mich jetzt über meine Angst. „Na, hoffentlich besucht sie dich nicht im Lager, während ich fort bin!“ brummte ich und schwang mich in den Sattel. Pat schwieg. Als ich die Stelle erreichte, wo ein kleiner Waldbach in einem Sumpf versickerte, mußte ich eine kurze Strecke waldein reiten, bis der Talboden wieder fester wurde. Die bereiften Gräser streiften den Bauch meines Pferdes. Es war beißend kalt, aber der Ritt erwärmte mich bald.

Wegen des feuchten Bodens hielt ich nahe an den Büschen. Unerwartet machte das Pferd einen Satz zur Seite, daß ich fast aus dem Sattel rutschte. Ich fuhr herum – da stockte mir das Herz! Zwischen dem gelben Laub der Weidenbüsche tappte ein Rudel Elchkühe heraus, die klobigen, langen Köpfe hoch erhoben und die großen, schwarzen Augen starr auf mich gerichtet.

Reiten – reiten – nicht zur Kenntnis nehmen! befahl ich mir wortlos und trieb das Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Jenseits der Krümmung erhob sich ein dicht bewachsener, flacher Hügel aus dem hohen Weidegras. Ich hatte die Büsche fast erreicht, als ein junges, fleckiges Elchkalb unbeholfen heraustorkelte. Es geriet fast unter die Beine meines Pferdes und schrie von neuem ängstlich.

In diesem Augenblick schoben sich zwei mächtige Elchkühe aus dem Gebüsch. Sie schnauften böse mit tiefem Gurgeln.

Ich hatte mit einem heftigen Ruck das Pferd herumgerissen und galoppierte jetzt auf die offene, versumpfte Weide hinaus. Am liebsten wäre ich umgekehrt, doch das Elchrudel verstellte mir den Weg zum Lager. Auf dem feuchten Boden klirrte unter den Hufen dünnes Eis.

Ein dumpfes Dröhnen des gefrorenen Bodens ließ mich umblicken. „All devils!“ entfuhr mir ein Ausruf. Die Elche trappten hinter mir her; ihre hohen Rücken schwankten auf und ab. Auch mein Pferd schnellte mit einem Satz nach vom, als die schwerfälligen schwarzen Riesen auf uns zukamen.

Ich tätschelte beruhigend die Flanke des Braunen. „Wir werden uns doch vor diesen Trampeltieren nicht fürchten! Ein kurzer, scharfer Galopp, und wir haben sie abgehängt!“

Erst jetzt kam mir zum Bewußtsein, daß ich das Jagdgewehr im Lager gelassen hatte. Der Reitwind pfiff um meine Ohren. Bald spritzte das Wasser unter den Hufen, bald dröhnte der gefrorene Boden. Und hinter uns das harte, dumpfe Gepolter der Elche!

„Wohin soll ich reiten?“ knirschte ich zornig. Ich mußte auf einem Umweg das Lager wieder erreichen! Ohne meinen Galopp zu verringern, blickte ich über die Schulter zurück. Was ich sah, trieb mir von neuem das Blut zum Herzen. Der Abstand zwischen den Elchen und mir war geringer geworden! Ich drückte meinem Pferd die Sporen heftiger in die Seite. Die stur hinterher stampfenden Elche hatten den Vorteil der inneren Linie. Auch sie bogen mit mir in die Kurve. Die schweren Tiere sanken anscheinend weniger tief ein als das Pferd.

„Herrgott!“ Jetzt war mir endgültig das Fluchen vergangen. Ich lag fast auf dem Rücken des Pferdes, damit auch die Hinterhufe nicht mehr so tief in den Boden sinken sollten. Ich spürte, wie ich immer mehr an den Buschrand jenseits des Talbodens abgedrängt wurde. Wenn ich dorthin geriet, verfing sich mein Pferd viel eher in dem Gestrüpp als das urweltliche Wild. Dann – dann war ich verloren! Einmal hatte mir Mac Lean, der Rancher, erzählt, daß ein wütender Elch mit seinen mächtigen Hufen Roß und Reiter zu Brei zerstampfen kann.

Jetzt begann mein Pferd von dem jagenden Galopp zu dampfen. Die Atemluft schnob wie weißer Rauch aus seinen Nüstern. Aus der läppischen Begegnung war ein Wettlauf mit dem Tod geworden! Schlamm spritzte unter den Hufen. In langgezogenem Trab dröhnten die Elche mit dumpfem Brüllen und böse funkelnden Augen näher und näher heran.

Der Abstand hatte sich auf zehn Pferdelängen verringert. Die Flucht zielte jetzt geradewegs auf den Waldrand drüben zu. Die Wand der Büsche schwamm förmlich heran. Da und dort ragten Bäume darüber hinaus. Bäume – einer davon muß mir zum Retter werden! Ich muß aus dem Sattel kommen, solange es noch Zeit ist! Das Pferd allein wird von den Elchen nicht eingeholt! dachte ich verzweifelt.

In dem Gewirr aus Büschen und Gestrüpp wuchsen einige Ahornbäume. Wenn ich schnell genug vom Erdboden wegkam, war ich gerettet!

Die ersten lockeren Büsche rauschten auf. In diesem Augenblick fiel in der Ferne ein Schuß. Ich hatte schon die Beine aus den Steigbügeln gezogen und schnellte zur Seite. Ich schlug zwischen krachenden Zweigen auf den Boden hin. Dort – vor mir – der Ahornstamm! Ich sprang empor, hing baumelnd am unteren Ast und zog mich keuchend hoch.

Hinter mir brach berstend durch das Gestrüpp ein schwerer Koloß. Ein zweiter Ast über meinen Augen, ein Ruck – jetzt saß ich rittlings oben. Das Pferd war durch das Gebüsch weitergejagt.

Zwei Meter unter mir funkelten die bösen Augen der Elchkühe. Eine neigte ihren Kopf und stieß an den kaum drei Spannen dicken Stamm, daß der Baum bis an den Wipfel erzitterte.

Zwei bellende Schüsse aus der Ferne! Die Elchkuh stellte nur die Ohren hoch. Das blökende Kalb war weit zurückgeblieben. Ich sah, wie es draußen über eine Wasserrinne hopste.

Und weit drüben bemerkte ich jetzt einen Reiter: Pat Bownie.

Warum kam er nicht näher und schoß aus dieser Ferne? Auch die kurzsichtigen Elche horchten hinüber. Pat ritt nicht weiter; er wendete sein Pferd zum Lagerplatz zurück.

Warum hilft er mir nicht? fragte ich mich bitter. Das Elchrudel umstand den Ahorn. Endlich tappten die unheimlichen Verfolger durch das krachende Gebüsch davon.

Als die großen Tiere nicht mehr zu hören waren, ließ ich mich vom Ahornbaum gleiten. Ich mußte zu Fuß das Lager erreichen! Sehr mutig kam ich mir in dieser Lage nicht vor. Die Galle stieg mir hoch.

Ich schlich mich, durch das Gestrüpp gedeckt, nach Westen zurück. Später tauchte der Braune, mein treues Pferd, mit nachschleifenden Zügeln wieder auf. An seinen zerkratzten Flanken war das Blut schon eingetrocknet. Ich lobte den Braunen überschwenglich: „Du bist der einzige, auf den man sich verlassen kann!“ Dann wagte ich den Ritt über die offene Weide hinweg.

Als ich mich schweigend neben dem Feuer niederließ, stocherte Pat nachdenklich in der Asche herum. „Dein Frühstück ist inzwischen etwas eingetrocknet!“

Ich schnaubte zornig durch die Nase. „Es war ein reizender Ritt ohne einen Kameraden, der mich herausgehauen hätte!“

„Hab’ ich getan! Aber ahnte schon, daß du’s nicht erfaßt hast.“ Er hob den Kopf ein wenig. „Du kennst den Bach dort vorn – wäre bald vor Eile im Sumpf versunken. Hast du meine Schüsse nicht gehört?“

„Dann dachtest du, ich säße auf dem Ahornbaum gut genug!“

Pat, der alte Waldläufer, lächelte traurig über soviel Unverstand. „Genau das dachte ich! Denn hinüberreiten und die Elche ein zweites Mal reizen, wollte ich uns doch ersparen. Wer einen der schwarzen Riesen auf den ersten Schuß nicht erlegt, kann sich meistens den zweiten sparen. Außerdem warst du ja schon sicher auf dem Baum.“

Diese Logik war ernüchternd, aber sie stimmte. Pat trug schwer an meiner Enttäuschung. Aber wie sollte man einem Greenhorn aus dem Süden etwas beweisen, das es nicht verstand? –

Wir ritten drei Tage lang nach Nordosten. Als wir die Batnuni-Ranches erreichten, war mein Zorn längst verraucht. „Den Menschen erkennt man daran, wie er Niederlagen hinnimmt. Du mußt ein schlechtes Bild von mir bekommen haben, damals bei den Elchen, Pat!“

Der alte Cowboy fuhr mit der Hand durch die Luft. „Du hattest einen guten Schutzengel in den Algak-Bergen, das ist alles!“…

Der weiße Tiger - Abenteuer aus aller Welt

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