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Der Albtraum des Innenministers

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In einem Polsterstuhl sitzen, dezente Menschen, parfümierte Luft, ungestört ein paar Notizen notieren – manchmal möchte ich lieber über ein klassisches Konzert berichten. Besonders wenn es, wie in der vollgestopften Münchner Muffathalle, nur Probleme gibt.

Sie sind hier. Aber wer sind sie?

Neben mir die Vierzigjährige mit den langen Locken, ist die von der Polizei? Oder dieser besonders lockere Buddy mit der fröhlichen Rastamähne und den nicht billigen Jeans? Oder der da, der so normal aussieht wie ich? Viel schlimmer aber ist, dass ich auf keinen Fall meinen Notizblock ziehen darf. Das würde gar nicht gut aussehen.

Das ist keine Paranoia. Denn sie haben bei den Konzerten des Reichenhaller Songwriters Hans Söllner in den letzten Jahren viel mitgeschrieben; und sehr gern Besucher durchsucht: Hasch!

Söllner wurde eingedeckt mit Hausdurchsuchungen und Prozessen. Vom Vorwurf der Drogen-Propaganda wurde er freigesprochen, für 0,7 Gramm bekam er eine Geldstrafe. Hauptsächlich aber geht’s um Verbalattacken gegen den bayerischen Innenminister Beckstein und die Polizei: das seien »Beleidigungen«, sagt eine Anklageschrift, die »in ihrer Massivität ohne vergleichbares Beispiel sind.« (Wenn ich im Vergleichen so schlecht wäre wie sie, dann würde ich ihre Anklageschrift mit dem Wortlaut anderer Anklageschriften aus einer anderen Zeit vergleichen). So wurden reihenweise Konzerte untersagt. Eigentlich aber geht’s darum, dass Hans Söllner nicht weiter sein Maul aufreißt, gegen eine CSU, die immer wieder ausländerfeindliche Stimmung macht, gegen einen Beckstein, der Asylanten selbst in Krisengebiete zurückschickt.

Ist das möglich, der Albtraum des Innenministers, ein Sänger?! Weil er in fast allen Schichten und vor allem bei den Jüngeren so populär ist. Weil er komplizierte Sachen in für fast alle verständliche Worte übersetzen kann. Weil er bayrischer ist als alle Tölzer Bullen zusammen. Demnächst hat das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, ob er für seine »Beleidigungen« 120.000 (hundertzwanzigtausend) Mark Strafe zahlen muss.

Das Erzählen zwischen den Songs, genau das bringt ihn vor Gericht. Heute Abend aber werde er sich mäßigen, sagt er zur Begrüßung und wirft ein paar Handvoll Joint-ähnliche Gegenstände ins Publikum. Riesenjubel. Denn bekanntlich müsse er ja etwas Geld verdienen! Riesenjubel. Ja, er habe sich vorgenommen, der Polizei zu helfen! Am 21.12. um 18 Uhr werde er auf die Reichenhaller Polizei gehen und ein Gramm abliefern, und er wolle jetzt niemand zu irgendwas auffordern, aber man stelle sich jetzt bloß einmal vor ... Riesenjubel.

Es zerreißt einen fast vor Lachen, wenn er zu seinen umständlich-kunstvollen Beschreibungen ansetzt, aus denen ihm kein Strick gedreht werden können soll. Klar, später kommt auch ganz kurz das Märchen, wie der Beckstein auf die Welt kam: ein großer Vogel flog so dahin und dann musste er ausgerechnet über Bayern, und so geschah es ... Das allerbeste Entertainment aber sind immer wieder seine Ich-und-die-Polizei-Stories. Wer glaubt, das wäre nicht Kunst auf Karl Valentins Ebene, der muss eine Metallplatte vor dem Kopf haben. Das möchte ich mal in einem Theater sehen. Ohne Gitarre steht Söllner im Spot: »Wissts, wos ma neili bassiad is, dees glaabt’s ia need, baast’s auf...«

Den Entertainer Söllner gibt’s jedoch nicht für sich, er ist nur in Verbindung zu erleben: mit dem bekennenden Rasta, dem gewesenen unorthodoxen Frühachtziger-Punk, dem Protestsänger, dem Kraudn Sepp-Nachfolger und auch dem Moralapostel. Vielleicht wird er so geliebt, weil er seine Verse nicht schmiedet, sondern sie aus seinen Rippen zu schneiden scheint, und wohl deswegen sind auch einige Klischees immer dabei. Und er liebt sein Publikum; da ist ein schon fast unheimliches Wir-Gefuhl, an dessen Entstehen er arbeitet. Beckstein-Attacken werden bejubelt wie die Aufforderungen, sich um eine gerechtere Welt zu bemühen, seine Kiffer- und Anti-Staats-Hits tausendfach mitgesungen, den wütenden Klage- und den romantischen Liebesliedern wird andächtig gelauscht. Und wenn er dann mal betont, er spreche eigentlich doch nur für sich allein, dann wird das wahrscheinlich nicht so ernst genommen.

Vielleicht bin ich der Einzige, der diese spezielle, wenn auch vergleichsweise harmlose Peinlichkeit lieber nicht hören möchte. »Ihr seid’s doch aa ole fia an Friedn, oda?« Riesenjubel. Die Frage war schon vor der Erfindung der Lichterkette verboten.

Nach einer Pause kommt seine neu besetzte Band Bayaman Sissdem. Das ist endlich mal eine gute Söllner-Reggae-Band, und während sich die Stimmung von Kopf und Herz in die Hüften verlagert, dringt in meinen Kopf folgendes Gespräch ein, geführt von einem Paar so Mitte dreißig, vom Typ so Ich-wähle-trotzdem-noch-Grün. Sie reden über Konzerte, zuletzt AC/DC, das war toll, demnächst Rammstein, das wird laut, und die Böhsen Onkelz, die sollten endlich mal wieder kommen.

Ich sag’s nur kurz mit einem Söllner: gut, dass sie hier sind, dann sind sie von der Straße weg.

Aber wer sind sie?

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