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Vorwort

Geschichte im Alltag

Liebe Leserin, lieber Leser,

haben wir uns früh am Morgen aus unserem Pyjama geschält und uns mehr oder weniger munter ins Badezimmer begeben, dann greifen wir als Erstes zur Zahnpastatube. Dann kommt der Rasierer an die Reihe, und nach der Dusche darf das Deodorant nicht fehlen. Wir schlüpfen in die Unterwäsche und ziehen – heutzutage auch als Dame ganz selbstverständlich – die Hosen an, die gewöhnlich mit einem Reißverschluss versehen sind. Typisch Mann ist bestenfalls noch der Griff zur Krawatte, während die Dame mit geübter Hand den Lippenstift appliziert und Nylonstrümpfe anlegt.

Je nach Geschmack überbrühen wir uns dann am Frühstückstisch eine Tasse Nescafé oder gießen einen Teebeutel auf, ehe wir uns der Tageszeitung widmen. Schließlich der Blick zum Himmel – drohen womöglich Niederschläge? Da ist dann der Regenschirm gefragt, oder auch der Trenchcoat.

Am Arbeitsplatz gehört der Tesafilm ebenso zur Standardausrüstung wie das Telefon nebst dazugehörigem Telefonbuch. Den kleinen Hunger zwischendurch bekämpfen wir mit Gummibärchen oder mit Schokolade, und vielleicht finden wir in einer Schublade noch einen Nürnberger Lebkuchen vom letzten Weihnachtsfest. Mittags muss heute ein Hamburger ausreichen, denn wir möchten eine Pauschalreise buchen; bezahlt wird sie natürlich mit Plastikgeld, ebenso wie der neue Reisekoffer, den wir dringend brauchen. So träumen wir vom Strandkorb, bis uns der Staubsauger des Reinigungsteams vom Arbeitsplatz vertreibt.

Im Kühlschrank ist die Glühbirne ausgefallen, aber wir erkennen auch so, dass die Vorratsbehälter von Tupperware nichts Appetitanregendes bieten. Also kommt der Dosenöffner zu Ehren, und zur Geschmacksverbesserung dient ein Schuss Maggi Würze. Wir trösten uns über das allzu frugale Mahl mit einer guten Flasche Wein – nur, wo ist der Korkenzieher? Vorm Fernseher gibt’s dann noch ein paar Kartoffelchips, bis auch dem Teddybären auf dem Sofa die Augen zufallen …

An jedem Alltag nutzen wir hunderterlei Dinge, an die wir bestenfalls dann Gedanken verschwenden, wenn sie uns ausgegangen sind. Dabei haben sie alle ihre Geschichte, gibt es eine Zeit »vor« und eine Zeit »danach« – vor der Erfindung, Entdeckung, Entwicklung, und danach die wachsende Selbstverständlichkeit. Diese Geschichte und das mehr oder weniger ausgeprägte »Aha-Erlebnis« können sehr weit zurückreichen. Zahnhygiene z. B. – wenn auch noch ohne erfrischend schmeckende Paste – betrieben schon unsere Steinzeitvorfahren, wie wir es bei den sogenannten »Naturvölkern« bis heute beobachten können. Den unangenehmen Körpergeruch suchten bereits die alten Ägypter mit raffinierter Kosmetik zu überdecken.

Andere Erfindungen und Entwicklungen, die uns heute selbstverständlich sind, waren nur unter bestimmten historischen Voraussetzungen denkbar und möglich. Dass auch Frauen »die Hosen anziehen«, das war, zumindest in unserem Kulturkreis, erst mit dem Aufbruch zur Emanzipation möglich, und eine Form der Emanzipation war dann auch die Verdrängung des Nachthemds durch den zweiteiligen Pyjama. Vom Zeitgeist geprägt ist auch die Entwicklung von »Convenience-Produkten«, wenn für lange gebräuchliche Substanzen plötzlich eine bequemere Darreichungsform gefunden wird – löslicher Kaffee etwa, der den Mahlvorgang erübrigt, oder der Teebeutel, der das Herausfischen der Blätter erspart.

Über den kulinarischen Gewinn solcher Erfindungen mag man trefflich streiten – im Gegensatz etwa zu dem genialen Schachzug, der das Getränk Schokolade in genussfreundliche Tafelform brachte. Sie belegen jedenfalls, dass der Einfallsreichtum des Menschen keine Grenzen kennt. Dass man jahrhundertlang etwas »so« gemacht hat, ist eben kein Grund, es nicht auch einmal »anders« zu tun, nach neuen Möglichkeiten und Anwendungsformen zu suchen. Häufig genug spielte dabei »Ingenieur Zufall« mit, und so ist eine Geschichte der Alltagsgegenstände auch eine Geschichte der menschlichen Fantasie.

Und gelegentlich eine Geschichte des Unglücks, wenn nicht gar der Niedertracht. Gerade bei Erfindungen, die den Alltag betreffen – und die daher ein besonders hohes Profitpotenzial besitzen – war es häufig nicht der Entdecker und Entwickler, der die Früchte seiner Arbeit genoss, sondern ein anderer, der die bessere wirtschaftliche Nase besaß – oder schlicht das Kapital, das dem klugen Hirn fehlte. Während eine geniale Erfindung die Lebensqualität großer Bevölkerungskreise deutlich zum Guten veränderte, endete so mancher Schöpfer in Not und Armut.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und das womöglich als Erster, das ist das Geheimnis erfolgreichen Marketings. Auch dafür bietet die Geschichte der Alltagsgegenstände etliche Beispiele, sodass man in einer Anthologie wie der unseren um einen gewissen Anteil von »Schleichwerbung« gar nicht herumkommt. Seit der Erfindung und nachfolgenden Protektion von Markennamen im 19. Jahrhundert haben es bestimmte Marken immer wieder geschafft, zum Synonym ihres Produktes zu werden – sei es durch die schiere Massenpräsenz des Artikels oder auch nur wegen der Griffigkeit des Namens. Papiertaschentücher sind eben nicht nur in der Werbung »Tempos«, sondern auch in der Umgangssprache, der Name »Nivea« wird für jede Art von Handcreme verwendet oder »Maggi« für jede Würzsoße. Ein interessanter Aspekt sind dabei die nationalen Unterschiede: Für die Briten ist »Scotch«, was uns der »Tesafilm« ist, und wenn Sie in einer französischen Apotheke »Hansaplast« verlangen, dann wird Sie der Verkäufer nur ratlos ansehen – jenseits des Rheins hat sich der Markenname »Sapadrap« für den »Selbstklebeverband« durchgesetzt.

Es gibt so kaum ein Gebiet der allgemeinen Historie, das von Produktgeschichte nicht berührt würde. Meist sind es die Wirtschafts- und die Sozialgeschichte, die Erfindungen und Entwicklungen auslösen und dann wieder umgekehrt von diesen geprägt werden. Der Kühlschrank revolutionierte so nicht nur die Vorratshaltung – er schuf eine ganz neue Ess- und Tischkultur. Als Thomas Alva Edison die erste Glühbirne zum Leuchten brachte, da hatte er schon das »Licht für alle« im Sinn – nicht zuletzt, um seine neu entwickelten Elektrizitätswerke auszulasten. Was würde er aber zu heutigen Diskussionen um Energiesparlampen und nächtliche »Lichtverschmutzung« sagen? Wollte er wirklich »die Nacht zum Tage« machen, mit allen Konsequenzen für Gesundheit und Sozialverhalten?

Aber auch das Drama der »großen Geschichte« tragen wir gelegentlich mit uns herum – wer denkt noch daran, dass der »Trench« im gleichnamigen »Coat« der Schützengraben des Ersten Weltkriegs gewesen ist? Oder dass Nylon seine Deutschlandpremiere nicht als glanzvolle Umhüllung weiblicher Beine feierte, sondern als Seidenersatz für die Fallschirme der Luftlandetruppen im Zweiten Weltkrieg? Und nichts hat wohl das Scheitern des kommunistischen Staats- und Wirtschaftskonzepts drastischer beleuchtet, als die »Trabi«-Kolonnen, die sich nach dem 9. November 1989 knatternd auf den Weg in Richtung Westen machten. Mobilität im Marxismus hatten sich Autobauer und Staatslenker anders vorgestellt.

Der Blick in die Vorratskammer oder in den Kleiderschrank, ins Schaufenster oder auf unsere Straßen, er ist auch ein Blick in die Geschichte. Wir erkennen dort die Menschen, die jene Ideen haben, die unser tägliches Leben verändern; wir sehen unsere Vorfahren, wie sie zum ersten Mal das »neumodische Zeug« betrachten und mal mit skeptischer Ablehnung, mal mit Begeisterung reagieren. Und sicher verbinden auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, Ihre eigenen Erinnerungen, Ihre persönliche Geschichte mit so manchem Alltagsgegenstand.

Der Alltag hat seine eigene Geschichte und seine spannenden Geschichten. Mit der vorliegenden Auswahl von Beiträgen aus der Monatszeitschrift »G/Geschichte« möchten wir Sie zu einem unterhaltsamen wie informativen Spaziergang durch die alltägliche Geschichte um uns herum einladen – viel Spaß dabei!

Franz Metzger

Zipp und zu!

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