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Kapitel 5: Der Decurio
ОглавлениеDer korrekte, grauhaarige Sklave, der uns öffnete, hätte der Sekretär eines Senators sein können. Er stand auf dem Mosaikbild eines knurrenden Molossers mit der begleitenden Inschrift Achtung vor dem Hund.
»Seid ihr die beiden Gäste aus Mogontiacum?«, fragte er in einem ungläubigen Tonfall, verzog aber keine Miene. Ihn konnte allenfalls unsere Jugend verwirren, denn wir waren manierlich gekleidet. Ich hatte mir zur Feier des Tages meine Toga umgelegt und Lucius trug seine militärische Aufmachung.
Freudig bejahte mein Bruder. Ich hingegen hatte tief in meinem Inneren gehofft, der Decurio könnte die Nachricht des Lagerkommandanten nicht erhalten haben.
»Dann kommt doch bitte herein!«, forderte uns der Diener mit einer tiefen Verbeugung auf und wir betraten die mit schwarzen Steinplatten geflieste Empfangshalle.
Eine Zimmertür öffnete sich und Marcella Petronia schritt uns entgegen. Der Gesichtsausdruck der kleinen, fülligen Frau, die eine altmodische Frisur mit Knoten und Nackenzopf trug, war genauso trist wie der schummrige Eingangsbereich ihres Hauses. Das Maiglöckchenparfüm und die in Pastelltönen gehaltenen Gewänder der Hausherrin standen in extremen Kontrast zur grellen Aufmachung der Bankierswitwe.
»Ich hoffe, ihr hattet eine gute Reise?«, fragte sie und musterte uns dabei mit scharfen Augen. Ihr Blick blieb an meinen schmutzigen Sandalen haften
»Ja, es hat alles gut geklappt«, entgegnete ich höflichkeitshalber, hätte aber lieber wenn ihr uns abgeholt hättet, sähen wir jetzt präsentabler aus geantwortet.
»Es freut mich, das zu hören. Ihr kommt gerade richtig zur Cena«, erklärte Marcella Petronia tapfer, obwohl bekanntlich das Abendessen vor Sonnenuntergang beendet sein sollte, damit die Gäste nicht in der Dunkelheit nach Hause gehen mussten.
Auf einen Wink unserer Gastgeberin trug ein schlaksiger, dunkelhäutiger Diener einen Schemel und eine Wasserschale herbei. Der Hausdiener zog uns die Schuhe aus und wusch unsere schmutzigen Füße. Die Hausherrin hingegen zog sich mit einer gemurmelten Entschuldigung zurück.
Als wir einigermaßen präsentabel waren, geleitete der Diener uns ins Triclinium, das sich zum Atrium öffnete, eine Bauweise, die wenig geeignet für nördliche Gefilde war. Im trüben Zwielicht der Dämmerung stand inmitten von Kübelpflanzen ein randvolles Marmorbecken. Es hatte heftig zu regnen begonnen und aus den Mündern der Tonfiguren am Dachrand strömte das Wasser in das Becken. Von dort füllte das Regenwasser sicherlich eine unterirdische Zisterne.
Der Hausherr lagerte behäbig auf einer mit weichen Kissen bedeckten Kline. Junius Petronius war ein jovialer Mann um die vierzig, dem die Leutseligkeit ins Gesicht geschrieben war. Sah so ein heimtückischer Mörder aus, der die heilige Gastfreundschaft verletzte? Doch ich durfte mich vom Auftreten des Decurio nicht täuschen lassen. Schließlich war er Politiker und gab wahrscheinlich nur vor, ein phlegmatischer Biedermann zu sein. Auch war mir seine Gemahlin nicht geheuer, die ebenfalls hinreichend Gelegenheit gehabt hatte, den Bankier zu vergiften.
Der Hausherr erhob sich nicht, um uns zu begrüßen, aber wenigstens war bereits für vier Personen gedeckt. In der Mitte des Tisches standen Schalen mit eingelegten Oliven und Nüssen. Passenderweise bedeckte ein Mosaik, das Essensabfälle zum Motiv hatte, den Boden unter der Tafel. Derartige Böden waren sehr praktisch, denn sie kaschierten die Speisereste, die während des Essens auf den Boden geworfen wurden. Aber die Ausführung des Mosaiks war zu grob, um diese Illusion tatsächlich entstehen zu lassen.
»Wie gefällt euch unsere Stadt? Agrippina ist doch etwas ganz anderes als Mogontiacum«, erklärte der Decurio, nachdem wir uns auf einer Kline niedergelassen hatten. »Agrippina ist schließlich die größte Stadt nördlich der Alpen«, fuhr er mit seiner Lobpreisung fort, ohne auf eine Reaktion unsererseits zu warten.
Die Tür wurde geöffnet und ein jäher Windstoß ließ mich frösteln. Leider konnte ich mich nicht beschweren, denn die Hausherrin, die sich inzwischen umgezogen hatte, kam hereingeschwebt. Sie trug ein naturweißes Gewand aus feinem Leinen mit passendem Umhang. In dieser Aufmachung versuchte sie vergeblich, wie eine feine Dame aus republikanischer Zeit auszusehen.
Ihr folgten der wohl aus Afrika stammende Diener, der uns die Füße gewaschen hatte, und ein zweiter etwas älterer Sklave. Sie zündeten die Kandelaber in den Ecken und die an der Wand hängenden Öllampen an.
Als die Diener sich anschickten, mit breiten, faltbaren Holztafeln den Wanddurchbruch zum Atrium zu verhüllen, fiel das Licht ihrer Lampen auf eine mit Bronzebeschlägen und Eisennägeln gesicherte, kniehohe Holzkiste. Es war eine weit verbreitete Sitte, den Geldschrank im Innersten des Hauses, dem Atrium, aufzustellen, wo er vom Türsteher bewacht wurde. Seltsamerweise hatte ich aber im Haus des Bankiers nirgends einen Tresor gesehen, obwohl sein Geldschrank alles andere als klein sein musste.
Endlich trug einer der Diener versilberte Platten mit gekochten Eiern, Käse und Salat herein. Der andere folgte mit einem Weinkrug. Marcella Petronia nahm auf einem Stuhl Platz, der neben der Kline ihres Gemahls stand, womit die Cena eröffnet war.
Als der Mundschenk uns eine Wein-Honig-Mischung eingoss, warf ich Lucius einen warnenden Blick zu, um ihn vor übermäßigem Weingenuss zu warnen. Aber mein Bruder lächelte nur freundlich zurück.
»Als Einwohner einer Kolonie sind wir den Bürgern Roms rechtlich gleichgestellt. Es gibt übrigens in Germanien nur zwei Veteranenkolonien.«
Der Decurio hörte sich an, als ob er sich um ein öffentliches Amt bewerben würde. Mit angehaltenem Atem wartete ich, bis er an seinem warmen Wein genippt hatte.
»Das gilt aber nur für die Veteranen. Den Einheimischen wird das römische Bürgerrecht verwehrt«, präzisierte ich, bevor ich meinen Becher an die Lippen führte.
In meiner Nervosität hätte ich nicht zu sagen vermocht, wie der Wein schmeckte. Lucius hatte, leichtsinnig wie immer, schon vorher getrunken.
Wieder ging Junius Petronius nicht auf meine Worte ein, sondern griff mit spitzen Fingern nach einem gekochten Ei und schob es sich genüsslich in den Mund. Er wurde mir zunehmend unsympathisch. Doch das machte ihn nicht gleich zum Mörder. Was ich benötigte, war ein Motiv für den Mord an Probus Marcellus. Wer außer den Erben profitierte vom Tod des Bankiers?
»Die Stadt ist immerhin ein Fünftel so groß wie Rom!«, stellte der Decurio etwas unmotiviert fest. Eine Behauptung, die ich bezweifelte.
Erleichtert beobachtete ich, wie die Hausherrin vom Salat probierte und so konnte auch ich endlich meinen Hunger stillen.
»Dann gibt es hier doch bestimmt einen Circus?«, fragte Lucius und ich begriff schlagartig, warum er die Veteranenkolonie besuchen wollte.
»Was für eine Frage! Selbstverständlich!«, bestätigte der Hausherr mit verkniffenem Gesichtsausdruck. Zum Beweis für seine Worte deutete er auf seine tönerne Trinkschale, deren Dekor eine Quadriga im gestreckten Galopp zeigte. Meine hingegen war – wie es sich gehörte – mit bacchantischen Szenen illustriert. »Ihr müsst ihn doch unterwegs gesehen haben. Schließlich liegt er vor der Stadt.«
Mir war er nicht aufgefallen. Also konnte er nicht besonders groß sein oder ich war zu erschöpft, um ihn zu bemerken.
»Leider haben wir keine Zeit für den Circus!«, erklärte ich mit der gesamten Autorität eines römischen Familienoberhauptes und blickte streng in das vom Wein gerötete Gesicht meines Bruders.
»Vielleicht erfahren wir dort etwas Interessantes.«
Lucius hatte sich ziemlich vage ausgedrückt, dennoch war ich
alarmiert. Schließlich sollte der Hausherr unseren Auftrag – den Tod seines Gastes zu untersuchen – nicht erraten. Hätten wir an einem Tisch gesessen, so hätte ich meinem Bruder gegen das Schienbein getreten.
»Du denkst doch nur an dein Vergnügen. Vergiss nicht, dass wir noch etwas für den Lagerkommandanten in der Stadt erledigen müssen«, rügte ich Lucius nach einer Schrecksekunde.
Ich versuchte, meinem Gesicht einen schmerzlichen Ausdruck zu verleihen, und wandte mich Junius Petronius zu.
»Wir waren Freunde von Probus Marcellus!«, erklärte ich betrübt.
Auch die Miene des Hausherrn verdüsterte sich augenblicklich.
»Es ist schrecklich, so unerwartet einen Freund zu verlieren. Eines Morgens hatte er hohes Fieber. Wir haben sofort unseren Arzt konsultiert, aber er konnte nichts mehr für unseren Gast tun.«
»Vielleicht hätte man einen traditionellen Heiler heranziehen sollen.«
Diesen törichten Kommentar hätte ich der Hausherrin trotz ihres altmodischen Gebarens nicht zugetraut.
»Er kränkelte ja schon seit einer Weile«, sagte ich, meine Gastgeberin ignorierend.
»Keinesfalls! Er war das blühende Leben«, widersprach der Decurio sichtbar befremdet.
Diese Behauptung stand in krassem Gegensatz zur Aussage der Witwe.
»Ist sonst noch jemand im Haus krank?«, wollte ich schon des eigenen Wohlergehens zuliebe wissen.
»Nein, alle sind kerngesund.«
»Auch die Sklaven?«, hakte ich nach, nachdem ich einen faden Bissen heruntergeschluckt hatte.
Diese Frage brachte Junius Petronius für einen Moment aus der Fassung.
»Auch die Sklaven erfreuen sich bester Gesundheit!«
Erstmals war es die Hausherrin, die geantwortet hatte. Sie tat das mit einem Nachdruck, der mich eher vom Gegenteil überzeugte.
»Schön, wenn man einen guten Arzt hat«, erklärte ich leichthin. Doch im gleichen Moment kam mir ein finsterer Verdacht.
»Vor allem, wenn es einer der eigenen Sklaven ist«, stimmte der Decurio mir zu und bestätigte damit meine Vermutung. »Er hat mich aber auch ein Vermögen gekostet.«
Auf das Urteil eines vom Hausherrn abhängigen Arztes war nicht viel zu geben.
»Trotzdem ist es bedauerlich, dass wir das Begräbnis nicht besuchen konnten«, mischte Lucius sich ein. »Wenn man schon den Toten nicht nach Mogontiacum überführt, hätte man wenigstens Verwandte und Freunde einladen können.«
»Der Rhein hatte gerade Hochwasser und mein Haus drohte, überschwemmt zu werden«, behauptete der Hausherr. »Aber wir haben der Pietät genüge getan und seine Asche in einer Alabasterurne nach Mogontiacum überführen lassen.«
Für einige Sekunden herrschte angespannte Stille.
»Wenn nur der schreckliche Regen aufhören würde«, sagte die Frau des Decurio und schaute in Richtung Atrium. Doch das Wetter war momentan unser geringstes Problem.
»Das bisschen Nieselregen«, widersprach Junius Petronius. »Da solltest du das wechselhafte Wetter in den Alpen erleben.«
Die Hausherrin wirkte, als sei sie kurz davor, die Augen zu verdrehen.
»Der Legat hat gar nicht erwähnt, ob ihr Kinder habt«, fiel mir plötzlich ein und ich versuchte, die Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen. Nach dem fortgeschrittenen Alter des Paares zu schließen, kämen diese durchaus als Tatverdächtige infrage.
»Wir haben leider nur eine Tochter«, stellte der Hausherr bedauernd fest. »Sie ist verheiratet und lebt nicht mehr im Haus.«
Die Platten, auf denen man die Vorspeise serviert hatte, wurden abgetragen und wir wuschen uns die Hände. Als der Diener das Waschbecken entfernt hatte, betrachtete die Haus-
herrin prüfend die Nägel ihres Gemahls.
»Probus Marcellus hat mir nie verraten, welche Geschäfte ihn nach Agippina führten.«
Ich stellte absichtlich keine direkte Frage, da ich befürchtete, keine Antwort zu erhalten.
»Dann haben wir doch etwas gemeinsam«, brummte der Hausherr und auch seine Gemahlin zuckte mit den Schultern.
Der nächste Gang bestand aus gedünstetem Kranich, der so fettig aussah, dass sich reichliche Verwendung von Garum empfahl, und dazu wurden in Honig gekochte Birnen und verdünnter Wein gereicht. Die versilberten Schalen, auf denen die mundgerechten Happen serviert wurden, täuschten nicht darüber hinweg, dass im Haushalt des Decurio weit weniger Luxus herrschte als in der Villa des Bankiers. Leider hatte dessen Witwe es jedoch versäumt, uns zum Essen einzuladen. Aber vielleicht hatte ich nichts verpasst. Wer weiß, ob man dort nach Barbarenart Pferdefleisch aß? Allerdings sah der Kranich auch nicht viel appetitanregender aus.
Wieder wartete ich, bis einer der Gastgeber etwas von der Speise zu sich genommen hatte und auch Lucius hielt sich diesmal solange zurück. Als der Decurio sich ein Birnenstück in den Mund geschoben hatte, probierte ich den Kranich, der sich aber als noch zäher erwies als er aussah. Dann formulierte ich mit Bedacht meine nächste Frage.
»Ich gebe neidlos zu, dass es in Agrippina Dinge gibt, von denen man in Mogontiacum nicht einmal zu träumen wagt.« Das war eine ungeheuerliche Übertreibung. »Daher haben wir uns immer gewundert, dass Probus Marcellus meist ohne seine bessere Hälfte hierher gefahren ist.«
Als ich keine Antwort erhielt, trank ich einen Schluck Wein, bevor ich zum nächsten Schlag ausholte.
»Seine Frau war mit der Zeit ganz argwöhnisch geworden.«
»Das ist typisch für Julia Marcella«, war die lakonische Antwort des Hausherrn, während seine Gemahlin missbilligend die Augenbrauen zusammenzog. »Man wird doch wohl ab und zu einen Freund besuchen können.«
Junius Petronius kratze sich am Kopf, während sein Blick auf Lucius ruhte.
»Du möchtest sicherlich gern zum Pferderennen gehen?«, fragte er in einem väterlichen Tonfall.
Wollte er meinen Bruder endgültig auf die schiefe Bahn bringen? Hatte der Decurio den Geldverleih seines Mordopfers übernommen? Jedenfalls bewies sein Ablenkungsmanöver, dass ich mit meiner letzten Frage einen wunden Punkt berührt hatte.
»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte!«, entfuhr es meinem Bruder begeistert.
»Nimm dir ein Beispiel an Probus Marcellus. Ihm wäre niemals in den Sinn gekommen, den Circus zu besuchen«, behauptete ich, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
Das Gesicht des Decurio verzog sich zu einem ungläubigen Lächeln.
»Da hast du ihn aber schlecht gekannt. Er war Stammgast im Circus.« Er senkte seine Stimme wie ein Verschwörer, der ein Staatsgeheimnis verrät. »Ganz im Vertrauen gesagt, hatte ich manchmal den Eindruck, dass er mich nur wegen der Pferderennen besuchte. Ich habe das vorhin verschwiegen, weil man über Tote nichts Schlechtes sagen soll.«
»Aber nicht zum Vergnügen«, erklärte ich. »Er hat zugesehen, wie sich die Wettsüchtigen ruiniert haben und ihnen dann Kredite angedreht.«
Bald würden mir die Argumente ausgehen.
»Ich kann nur wiederholen, dass du ihn schlecht gekannt hast! Er hat leidenschaftlich gern auf die Pferde gewettet«, verkündete der Hausherr aufgeräumt. »Doch er war in guter Gesellschaft! Unser vergöttlichter Kaiser Augustus war so versessen auf das Würfelspiel, dass er seinen Gästen Geld zum Spielen zur Verfügung gestellt hat.«
»Schade, dass er schon seit Jahrzehnten tot ist«, entfuhr es Lucius.
»Unsereins hätte er sowieso nicht eingeladen«, wies ich ihn zurecht, aber niemand achtete auf mich.
»Ihr habt Glück! Morgen findet ein Rennen statt.« Die bloße Vorstellung schien den Decurio in Euphorie zu versetzen. War sein Haushalt so wenig standesgemäß, weil er sein Geld verspielte?
»Da ihr nur zwei Tage in Agrippina bleibt, solltet ihr lieber den Marstempel besuchen. Dort wird das Schwert Caesars aufbewahrt«, wandte die Hausherrin ein.
Junius Petronius ging nicht auf diesen Vorschlag ein, sondern vereinbarte über meinen Kopf hinweg mit Lucius einen Besuch der Arena.
Verblüffend schnell trugen die Diener die noch reichlich gefüllten Platten ab und bestreuten den Boden mit Sägemehl. Die Speisen mussten wohl noch für die Dienerschaft reichen. Hätte ich das geahnt, so hätte ich kräftiger zugelangt. Wie es dem Brauch entsprach, opferte der Decurio nach dem Ende des Hauptgangs den Laren Wein und mit Safran gefärbten Kuchen, der köstlicher roch als das Backwerk, das man uns danach als Dessert auftischte.
Die Hausherrin, deren sehnsüchtige Blicke auf die Wasseruhr keinen Zweifel daran ließen, wie lästig wir ihr waren, stand auf, kaum dass die Nachspeise vertilgt war.
»Zu Ehren der Gäste werde ich ein Trinkgelage veranstalten!«, gab unser Gastgeber bekannt.
Seine Gattin, die schon in der Tür stand, drehte sich nochmals um und warf ihm einen giftigen Blick zu.
Auch ich war alles andere als begeistert. Normalerweise musste man mich nicht zweimal zu einem Becher Wein einladen. Doch an diesem Abend hatte ich vorgehabt, möglichst unauffällig mit den Dienstboten zu sprechen. Hatte der Hausherr vor, mich davon abzuhalten? Wollte er uns betrunken machen, damit wir wehrlos waren? Oder wollte er uns aushorchen?
Der Decurio klatschte in die Hände und ein Diener trug einen schweren Weinkrug herein, aus dem er unsere Becher bis zum Rand füllte. Dann tranken wir auf den Kaiser, auf sämtliche Götter und die Lokalgrößen von Agrippina. Der restliche Abend verging mit oberflächlicher Konversation, dem Leeren zahlreicher Weinschalen und immer absurderen Trinksprüchen. Vielleicht hätte ich mich zurückhalten sollen, aber ich hatte schließlich, was den Weinkonsum betraf, einen gewissen Ruf zu verteidigen. Dann kam endlich der langersehnte Augenblick, an dem die Tafel aufgehoben wurde.
»Mein Kammerdiener wird euch die Gästezimmer zeigen«, lallte der Hausherr, nachdem ich mich schwankend und vom Alkohol benebelt von meiner Liege erhoben hatte. Lucius hielt sich etwas aufrechter als ich. Das lag an seinem regelmäßigen Training. Noch immer beunruhigte mich die Aussicht, im Haus eines potentiellen Mörders zu übernachten. Wenn wir zusammenblieben, waren wir bestimmt sicherer.
»Wir möchten keine unnötige Mühe machen. Ein Zimmer für uns beide genügt«, erklärte ich daher.
»Das kommt gar nicht in Frage!«, widersprach der Decurio entschieden und wünschte uns dann etwas pompös eine gute Nacht.
»Wenn die Herrschaften mir folgen wollen!«
Der Sklave, der uns empfangen hatte, machte eine einladende Handbewegung. Ich schrak zusammen, denn ich hatte ihn nicht kommen sehen, was wohl am übermäßigen Weingenuss lag.
Die Füße des Dieners bewegten sich lautlos über den Boden, als er durch einen engen Korridor schritt und endlich vor zwei winzigen fensterlosen Kammern stehen blieb, deren Türen er aufriss. Die ockergelben Wände der Räume waren mit kleinen, schwarz umrahmten ländlichen Darstellungen geschmückt, die man aber im flackernden Schein des Öllämpchens kaum erkennen konnte. Die meisten Schlafzimmer besaßen keine Fenster, um die Schlummernden vor dem Straßenlärm zu schützen. Doch in diesem Augenblick kamen mir die Räume wie tödliche Fallen vor.
Mir blieb keine Zeit, den Diener nach den jüngsten Vorfällen im Haus zu fragen, denn er huschte sofort wieder davon. Während ich ihm noch nachschaute, hatte mein Bruder bereits den ersten Raum betreten.
»Das war ein jämmerliches Bankett!«, erklärte er und warf sein Bündel auf das Bett, das in einer Nische stand. Dann ließ er sich selbst auf das Lager fallen. »Keine Musikanten, keine Sängerinnen, noch nicht einmal eine Tänzerin.«
»Du kennst dich ja gut aus«, bemerkte ich und lehnte mich an den Türrahmen, da der Boden schwankte. »Auf künstlerische Darbietungen konnte ich gut verzichten, aber diesen zähen Vogel hätte ich keinem Gast vorzusetzen gewagt. Eigentlich war es auch kein richtiges Bankett, denn ein solches besteht aus mindestens sieben Gängen.«
»Dein Geschmack ist wohl doch nicht völlig romanisiert!«, entgegnete Lucius amüsiert. »Kranich und Pfau gelten bei den Männern vom Tiber als Delikatesse.«
»Und ich dachte, der Decurio hätte den Vogel am sumpfigen Rheinufer gefangen«, brummte ich. »Schade, dass wir keinen eigenen Sklaven mitgebracht haben. Wir hätten ihn vor der Tür schlafen lassen können.«
»Ich für meinen Teil besitze keinen Sklaven.«
Ich verbiss mir die Erwiderung, dass niemand Lucius geheißen hatte, zur Armee zu gehen, und begann, mein Bettgestell aus der zweiten Kammer in den Raum zu schleifen, den Lucius in Beschlag genommen hatte.
Zum Glück handelte es sich nicht um ein repräsentatives Bett mit drei Lehnen, sondern um ein niedriges, liegenartiges Möbel. Sonst hätte ich es weder wegzerren noch in der engen Kammer unterbringen können.
»Das Hauspersonal wird sich wundern«, bemerkte mein Bruder, der mich auf der Bettkante sitzend beobachtete und keine Anstalten machte, mir zu helfen.
Ohne seine lästerliche Bemerkung zu kommentieren, verrammelte ich nach vollbrachter Tat die Tür mit einer Truhe, was leider nicht ganz geräuschlos vonstatten ging. Trotz der kühlen Nachtluft geriet ich dabei ins Schwitzen. Mit dem Ärmel meiner Tunika wischte ich mir die feuchte Stirn ab. Dann sank ich erschöpft und noch immer vom Wein berauscht auf mein Bett.
»Eigentlich sollten wir heute Nacht abwechselnd Wache halten«, erklärte ich mit aller Entschlossenheit, die ich in meinem leicht angeschlagenen Zustand aufzubringen vermochte.
Mein Bruder war aber bereits eingenickt und reagierte nicht. Durch die Ritzen der Tür fiel das Licht einer Fackel. Im Gang hörte man Schritte, eine Tür fiel ins Schloss und Lucius fuhr aus seinem Schlummer hoch. Einen Moment lang starrte er mich mit einem Gesichtsausdruck an, als ob er mich noch niemals zuvor gesehen hätte.
»Langsam steckst du mich mit deinem Verfolgungswahn an«, bemerkte er dann belustigt. »Glaubst du wirklich, der Decurio hat vor, uns im Schlaf zu erschlagen? Schließlich hält er uns für Freunde des Legaten.« Er stockte. »Auch wenn der skeptische Blick des Türwächters zeigte, dass wir nicht so aussehen.«
»Wie sollen wir nur den Tod des Bankiers aufklären?«, sinnierte ich und starrte trübsinnig an die Decke. Je länger ich darüber nachdachte, desto aussichtsloser erschien mir unser Unterfangen. Ich zählte die Dinge auf, die mir Sorge bereiteten: »Wir sollen diskret vorgehen. Daher weiß unser Gastgeber nichts von unserem Auftrag. Trotzdem lässt er uns nicht frei in seinem Haus herumlaufen. Außerdem hat er sich nicht einmal anstandshalber nach dem Befinden des Lagerkommandanten erkundigt.«
»Weil du ständig über den Bankier geredet hast! Aber was soll’s! Hauptsache, ich bin endlich mal aus Mogontiacum herausgekommen!«, entgegnete Lucius, räkelte sich und gähnte dann herzhaft.
Leider hatte die Armee die Arbeitsmoral meines Bruders nicht gebessert, sondern er hatte sich nur noch ein paar neue Laster zugelegt.
»Wer übernimmt die erste Wache?«, fragte ich und bedauerte, keine Sanduhr zu haben, um die Schichten gerecht einteilen zu können.
»Niemand! Ich habe einen leichten Schlaf. Wenn die Tür gewaltsam geöffnet wird, wache ich sofort auf«, erwiderte Lucius und schaute mich kopfschüttelnd an. »Aber was machen wir dann?«
Mit triumphierender Miene zog ich einen Dolch aus meinem Gepäck und legte ihn unter meine Kopfrolle. Seit dem Überfall trug ich ihn stets bei mir, wenn ich das Haus verließ. Dann löschte ich die Öllämpchen und hörte kurze Zeit später den gleichmäßigen Atem meines schlafenden Bruders. Ich hingegen lag noch lang wach, denn meine Gedanken kehrten unwillkürlich zur Familie des Bankiers zurück.