Читать книгу Der Tod des Jucundus - Franziska Franke - Страница 7
3. Die Schankwirtschaft
ОглавлениеÜber dem Eingang der Taverne hing ein Holzschild, auf dem große rote Buchstaben verkündeten: »Um meinen Wein betrogen, gebe ich niemandem mehr Kredit«. Dieser freundliche Hinweis war mir am Vortag in der Dunkelheit entgangen. Man konnte dem Wirt seine Prinzipien kaum verdenken angesichts der Gäste, die bei ihm verkehrten!
Meine Sympathie mit dem Besitzer der Spelunke verflog schlagartig wieder, als ich seine heruntergekommene Wirtschaft betreten und mein Anliegen geäußert hatte.
»Willst du mir unterstellen, dass ich stehle?«, fragte der Wirt grimmig und baute sich vor mir auf. Er war breitschultrig, muskulös und hatte das brutale Gesicht eines Metzgers. Wahrscheinlich trainierte er jeden Abend, indem er betrunkene Soldaten aus seiner Schenke warf.
Neben ihm stand seine Tochter, das blasse, etwas einfältige Mädchen, das uns am Vorabend bedient hatte. Sie trug noch immer dasselbe dünne, geblümte Kleid und die modischen, wenn auch unpraktischen Sandalen. Momentan war sie damit beschäftigt, die Trinkgefäße in einem Bottich zu spülen, der mit trübem Wasser gefüllt war, das den Endruck erweckte, als hätte sie zuvor die Pfannen darin gereinigt. Kein Wunder, dass der Wein in dieser Taverne so abgestanden und fade schmeckte!
»Das hast du gesagt«, erwiderte ich grimmig. »Ich habe nur festgestellt, dass ich meinen Ring vermisse. Also frage ich überall nach, wo ich gestern gewesen bin. Du erinnerst dich doch sicherlich noch an mich? Ich habe am gleichen Tisch gesessen wie der Viehhirte Jucundus.«
»Jucundus?«
Es war der angestrengten Miene des Wirts anzusehen, dass ihm das Nachdenken schwer fiel. Außerdem war er ein schlechter Schauspieler, denn selbstverständlich kannte er den Viehhirten, der sich regelmäßig in seiner Absteige zu betrinken pflegte.
»Er hat gesagt, dass er hier Stammgast ist«, half ich daher nach.
Ein Aufleuchten ging über das Gesicht des Wirtes, aber ich war mir sicher, dass er schon vorher gewusst hatte, von wem die Rede war.
»Auf solche Gäste kann ich gut verzichten. Er hat gestern zuviel getrunken und ist dann ausfallend geworden. Ich habe ihn mit Gewalt vor die Tür setzen müssen«, brummte er verdrießlich. »Ihn und einen gewissen Lucius. Der war noch viel schlimmer. Dann konnte ich endlich die Schenke schließen. Irgendwann muss schließlich auch ich schlafen.«
Eigentlich hätte ich es mir denken können! Wusste der Wirt, dass er von meinem Bruder sprach?
»Jucundus und Lucius waren also die letzten Gäste, die deine Wirtschaft verlassen haben?«, fragte ich vorsichtig nach, da ich wegen meines Kopfschmerzes nicht ganz sicher war, ob ich richtig verstanden hatte.
»Ja«, fuhr der Wirt mich unwirsch an, »aber was hat das mit deinem Ring zu tun?«
»Ich dachte nur, vielleicht wurde hier geputzt, nachdem die Gäste gegangen sind.« Ich ließ meinen Blick durch den Schankraum schweifen, der am hellerlichten Tag noch viel schmuddeliger aussah als unter dem gnädigen Schleier des nächtlichen Dämmerlichtes. Flusen und Staubmäuse lagen in den Ecken herum, die Tische schimmerten stumpf und der Tresen war mit Weinflecken besudelt »Und dabei könnte vielleicht mein Ring gefunden worden sein.«
»Nein, ich habe beim Putzen nichts gefunden«, entgegnete die Tochter des Wirtes schüchtern. Sie sah mich mit großen, unschuldigen Augen an und ich suchte nach einer Gelegenheit, um ungestört mit ihr zu sprechen. Sie schien mir recht zugänglich.
»Ich habe meine Zeit nicht gestohlen. Ich muss auf den Markt. Bald kommen die ersten Gäste«, brummte der Wirt, als ob er meine Gedanken gelesen hätte und verschwand augenblicklich. Wahrscheinlich erwartete er, dass seine Tochter mir Geld für die gewünschte Auskunft abknöpfte.
Als ich mich so unvermittelt mit der Wirtstochter allein sah, bedauerte ich, Lucius nicht mitgenommen zu haben, denn am Vorabend hatte ihm das Schankmädchen schmachtende Blicke zugeworfen.
»Du erinnerst dich doch an mich?«, fragte ich das Mädchen. »Schließlich hast du uns gestern Abend bedient.«
In ihren Händen hielt sie einen frisch gespülten Becher, um ihn abzutrocknen. Selbstvergessen hielt sie in der Bewegung inne.
»Oh, ja«, erwiderte sie lebhaft und ein Lächeln huschte über ihr rundes Gesicht. »Du warst in Begleitung dieses gut aussehenden jungen Mannes …«
»Das war mein Bruder«, unterbrach ich unwirsch und fühlte wider meine Absicht Eifersucht in mir aufsteigen.
Ich blickte das Mädchen forschend an und versuchte es mit einem Frontalangriff.
»Was für einen Wein hast du uns gestern ausgeschenkt?«
Die Wirtstochter sah einen Augenblick lang nachdenklich in die trübe Brühe des Bottichs, der vor ihr stand.
»Den üblichen, warum?«
Das Mädchen hob ihren Blick und schaute mich mit großen Augen an. Vermutlich wusste sie nicht, mit was für einem Fusel ihr Vater seine Gäste vergiftete.
Ich beschloss es mit Schmeichelei zu versuchen.
»Das muss ich aber unbedingt wissen. Ich verstehe nämlich zufällig etwas davon, denn ich bin Weinhändler.« Sie blickte mich verängstigt an, als ob sie befürchtete, dass ich den Lagerkommandanten bitten könnte, ihren Vater aus der Vorstadt zu vertreiben. »Und ich muss zugeben, der Rotwein von gestern Abend war … außergewöhnlich.« Ich brachte es nicht über mich, den grässlichen Hauswein zu loben, aber diese Formulierung traf den Nagel auf den Kopf. »Ich würde gern vorher noch die Meinung meines Teilhabers einholen, …«
Mir fiel nichts mehr ein: Was würde ich dann machen? Als Weinhändler meine Ware nicht beim Winzer, sondern in der Taverne kaufen? Welch ein Unsinn! Nur gut, dass das Mädchen nicht besonders helle wirkte.
»Könntest du mir bitte den Krug zeigen, aus dem du uns gestern eingeschenkt hast?«, fuhr ich mit der größten Selbstverständlichkeit fort.
Das Schankmädchen starrte mich einen Moment lang fassungslos an. Dann legte sie den Becher, den sie noch immer in der Hand gehalten hatte auf den Tresen und zerrte mit vor Anstrengung rotem Kopf eine kleine Amphora aus einer Vertiefung im Boden.
»Vater hat mir aufgetragen, euch diesen Wein zu geben, weil Jucundus ein so guter Kunde ist.«
»Das erklärt alles«, sagte ich, obwohl dies eigentlich gar nichts erklärte.
Ich schnappte mir die Amphora. Sie war fast leer, daher konnte ich sie einigermaßen tragen.
»Danke, ich werde sie meinem Teilhaber bringen«, murmelte ich so beiläufig wie möglich und wandte mich zum Gehen.
»Aber ...«
Das Erstaunen stand der Wirtstochter ins runde Gesicht geschrieben. Sie wich vor Schreck einige Schritte zurück und stieß dabei den abgetrockneten Becher von der Tresenkante, der zu Boden fiel und in Tausend Stücke zersprang. Mit einem leisen Seufzer bückte sie sich, um die Scherben aufzusammeln und ich hoffte, dass sie meinetwegen keine Schwierigkeiten bekam.
»Dein Vater wird von mir hören!«, rief ich ihr zu und amüsierte mich innerlich darüber, dass sie bestimmt nicht die Drohung erfasste, die in meiner Bemerkung lag.
Wie gut, dass Respectus mir vorgeschlagen hatte, nach Hause zu gehen! Ich tat wie er mir geheißen hatte. So schnell es die Amphora zuließ, schritt ich aus und mit jedem Häuserblock, den ich passierte, wuchs mein Misstrauen gegen diesen Wein aus der Spezialamphora. Vor ohnmächtiger Wut innerlich kochend trat ich einen Kieselstein, der auf der Straße lag, doch die merkwürdigen Blicke der Menschen, die mir entgegenkamen, brachten mich dazu, mein Verhalten zu ändern. Schließlich konnte mir jederzeit einer meiner Kunden begegnen. Also setzte ich den restlichen Weg gemessenen Schrittes und mit wichtiger Miene fort, um den Eindruck zu erwecken, ich würde einen besonders edlen Tropfen persönlich ausliefern.
Endlich erreichte ich unser schönes, erst vor wenigen Monaten fertig gestelltes Haus, das mit roten Schindeln gedeckt war, wie man sie in Italien verwendet. Ansonsten war das Viertel kaum an Monotonie zu überbieten: Da der Platz in der Stadt ziemlich knapp war, grenzten fast alle Häuser an die Straße. Linear aneinandergereiht standen ihre Schmalseiten eine neben der anderen. Unmöglich zu sagen, was sich hinter der Straßenfront abspielte, aber an diesem Tag empfand ich den abweisenden Charakter der Bauten als Vorteil, denn ich konnte beim besten Willen keine Zeugen gebrauchen.
Obwohl ich mittlerweile ziemlich wütend auf Lucius war – schließlich konnte ich mein Geschäft schließen, wenn man ihn des Mordes beschuldigen sollte – widerstand ich der Versuchung, den Wein an ihm zu testen. Bis zu diesem Tag hatte ich geglaubt, dass Geschichten von Gastwirten, die ihre Gäste vergifteten, um sie anschließend auszurauben, in das Reich der Legenden gehörten. Aber es gab keine andere Erklärung für meinen hartnäckigen Kopfschmerz und dafür, dass Lucius sich nicht an den weiteren Verlauf des gestrigen Abends erinnern konnte.
Als ich die Haustür öffnete, fragte ich mich, wo meine Dienstboten steckten, die nicht zu meiner Begrüßung herbeigeeilt waren. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass sie mich um diese Uhrzeit nicht erwartet hatten. Meinen Bruder hingegen fand ich als Häuflein Elend zusammengekauert mit einem halbleeren Becher Rotwein in der Küche sitzen.
»Schön, das du Nachschub mitbringst«, begrüßte er mich und der Anblick der Amphora entlockte ihm ein mattes Lächeln.
»Hände weg!«, fuhr ich ihn an. »Wenn du nur einen einzigen Schluck trinkst, erzähle ich Marcus Terentius, dass du Jucundus erstochen hast.«
Der entsetzte Blick meines Bruders zeigte, dass er meinte, dies sei mein Ernst.
»Der Wein wird dich noch zugrunde richten«, fügte ich etwas umgänglicher hinzu, denn ich bereute meine Worte.
Dann füllte ich den Wein in eine Trinkschale und schnupperte vorsichtig daran. In dem sauberen Gefäß roch er nicht mehr ganz so streng, wie am Vorabend in der Taverne.
Im gleichen Augenblick drang durch das offene Fenster ein ängstliches Tschilpen an mein Ohr.
»Catullus«, durchfuhr es mich.
So hieß unser zahmer Spatz, dessen hölzerner Käfig im Atrium hing, wenn immer das kalte Klima in Germanien dies zuließ.
Ich eilte in den Innenhof. Dort sah ich meine schlimmste Befürchtung bestätigt: Eine der streunenden Katzen unseres kinderreichen Nachbarn hatte sich ins Atrium geschlichen. Angespannt saß sie da und beobachtete konzentriert unseren Vogel, der aufgeregt zwischen den Gittern seines Gefängnisses herumflatterte. Ihr glänzendes Fell hatte die Farbe von Ebenholz. Ohne sich von mir stören zu lassen, sprang die Katze ganz plötzlich anmutig und geschmeidig auf den Vogelkäfig und versuchte dann ihre krallenbewehrte Pfote durch das Gitter zu schieben.
Selbst daran Schuld, dachte ich als ich den kleinen Übeltäter am Nacken packte. Die schwarze Katze ließ automatisch alle Viere hängen. Ich setzte sie auf den Boden und stellte die Schale mit dem Wein vor ihre Nase. Dabei fragte ich mich bang, ob Katzen überhaupt Wein tranken. Diese zumindest tat es.
Mit angehaltenem Atem schaute ich zu, wie die Nachbarskatze die Schale leer schlürfte und sich anschließend genüsslich die Pfoten ableckte. Das sah so possierlich aus, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, ihr den dubiosen Wein vorgesetzt zu haben.
Hinter mir hörte ich Schritte. Es war Lucius, der mir gefolgt war. Die Katze wollte verschwinden, aber ich packte sie rechtzeitig am Nacken und expedierte sie wieder ins Atrium. Sie legte die Ohren an, ihre Nackenhaare sträubten sich und sie machte einen Buckel. Ganz langsam fuhr sie ihre Krallen aus. Aber als sie versuchte, nach mir zu schlagen wurden ihre Bewegungen langsam und unkoordiniert. Ich sagte mir, dass wahrscheinlich jeder Wein diese Wirkung auf ein so kleines Tier gehabt hätte. Dann gähnte die Katze herzhaft.
»Was machst du da eigentlich?«, fragte mein Bruder schließlich. Er wirkte fast genauso träge wie die alkoholisierte Katze. »Das ist eine der Hauskatzen des Nachbarn. Sie hat dir schließlich nichts getan.«
»Ich habe ihr von dem Wein gegeben, den du gestern literweise in dich hineingeschüttet hast:«
»Woher …«
»Frag nicht soviel!«, unterbrach ich ihn, denn ich wollte mich auf die schwarze Katze konzentrieren. »Warte lieber ab, was passiert.«
»Was soll schon passieren, außer, dass die Katze betrunken wird?«, maulte Lucius. »Du hättest den Wein besser mir geben sollen als ihn so zu verschwenden.«
»Damit du jetzt durch das Atrium torkelst?«, konterte ich und zeigte auf die Katze.
Mein Bruder sagte nichts, sondern beobachtete die schwarze Katze, deren Bewegungen immer träger wurden, bis sie sich in eine Ecke zusammenrollte und sich nicht mehr rührte.
»Ist sie tot?«, fragte Lucius, der ganz bleich geworden war.
»Ich glaube nicht«, antwortete ich. »Wahrscheinlich schläft sie nur.«
Zur Bestätigung meiner Theorie berührte ich die Katze. Ihr seidiges Fell fühlte sich warm an und ich spürte, dass sie atmete, aber sie rührte sich nicht mehr.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte mein Bruder und ich verkniff mir mühsam den Kommentar, dass er wenigstens ab und zu seinen Verstand gebrauchen sollte.
»Kleiner Bruder«, erklärte ich salbungsvoll. »Das bedeutet, dass der saubere Wirt uns gestern ein Beruhigungsmittel in den Wein geschüttet hat. Wahrscheinlich hat er das erst am fortgeschrittenen Abend getan, denn offensichtlich habe ich nur einen Becher davon getrunken, aber Jucundus und dich hat er betäubt.«
»Warum?«, fragte Lucius entgeistert.
Wieder hätte ich am liebsten »Dumme Frage« geantwortet, aber in dieser schwierigen Lage war es wichtig, dass wir zusammenhielten.
»Um euch zu berauben«, antwortete ich. »Ist dir etwas abhanden gekommen?«
Mein Bruder schüttelte ohne nachzudenken den Kopf.
»Nein. Allerdings war meine Börse leer. Was hätte man mir schon stehlen sollen?«
»Verdammt!«, entfuhr es mir. »Du hättest die Tasche des Jucundus durchsuchen sollen!«
»Damit man mich für einen Raubmörder hält?«, protestierte mein Bruder und ich musste innerlich zugeben, dass mein Vorschlag ziemlich töricht war.
Ganz plötzlich fiel mir ein, wie freigiebig der Viehhirte am Vortag gewesen war. Wahrscheinlich war auch bei ihm nichts mehr zu holen gewesen.
»Warum hat Jucundus uns eigentlich gestern Wein spendiert?«, fragte ich daher.
»Hast du ihm denn gar nicht zugehört?«, konterte Lucius erstaunlich heftig. »Jucundus hat uns gestern Abend lang und breit erzählt, dass er vorhatte, bald seine Verlobte Cornelia zu heiraten. Du kennst sie doch noch? Sie ist nämlich eine Sklavin unseres früheren Herrn. Er wollte sie freilassen.«
Schuldbewusst fiel mir ein, dass Jucundus tatsächlich von einer Frau berichtet hatte. Da es mich aber nicht weiter interessierte hatte, war mir völlig entgangen, dass von der schönen Cornelia die Rede gewesen war.
»Ich glaube, da hilft nur eins, wir müssen den Wirt zur Rede stellen«, bemerkte ich nach einer Weile.
»Glaubst du, dass er Jucundus erstochen hat?«, fragte mein Bruder und hörte sich ängstlich an.
»Eigentlich nicht«, beruhigte ich ihn. »Sonst würde ich nicht mit ihm reden.«
»Und ich?«
»Ich glaube, es ist besser, wenn du weiterhin den Kranken spielst.«
Mein Bruder unternahm keinen Versuch mich vom Gegenteil zu überzeugen, sondern starrte in seinen leeren Becher, den er ins Atrium mitgenommen hatte.
Ich vergewisserte mich nochmals, dass die Katze noch lebte. Dann marschierte ich wieder zurück zu dieser heruntergekommenen Taverne, obwohl ich mir noch am Vormittag geschworen hatte, niemals wieder einen Fuß auf ihre Schwelle zu setzen. Seit Mittag war das Wetter umgeschlagen und die Sonne schien, aber ich fühlte mich noch immer grauenhaft.
»In dem Wein, den du uns gestern ausgeschenkt hast, war ein Betäubungsmittel!«, beschuldigte ich den Wirt ohne weitere Umschweife. »Jedes Leugnen ist zwecklos, denn ich habe die Wirkung des Giftes an einer Katze ausprobiert.«
»Woher …?«
Der Wirt warf seiner Tochter einen mörderischen Blick zu. Diese errötete heftig und schaute dann zu Boden.
»Und wenn ich alles abstreite?«, fragte er mich mit einem verschlagenen Gesichtsausdruck. »Du könntest selbst etwas in den Wein geschüttet haben, um mich dann anschließend zu erpressen!«
»Ich habe nicht vor, dich anzuzeigen«, versprach ich, was auch der Wahrheit entsprach. Im Interesse meines Bruders wollte ich die Sache vertuschen. »Alles, was ich möchte, ist herausfinden, wer Jucundus umgebracht hat.«
Der Wirt gab sich nicht die Mühe, den Erstaunten zu mimen.
»Ich war es nicht«, sagte er etwas kleinlaut, »ich bin Jucundus und Lucius gefolgt …«
»Um sie zu berauben?«, fragte ich.
»Um mich von ihrem Wohlbefinden zu überzeugen«, erwiderte der Wirt unverfroren. »Als ich die beiden gefunden habe, war Jucundus bereits tot und ich habe mich schleunigst aus dem Staub gemacht.«
Meiner Meinung nach trug der Wirt zumindest eine Mitschuld am Tod des Viehhirten. Außerdem half mir seine Auskunft nicht weiter, denn noch immer wusste ich nicht, wer Jucundus erstochen hatte.
»Sind die beiden eigentlich allein aufgebrochen?«, fragte ich in einem letzten verzweifelten Versuch, dem Wirt eine brauchbare Information zu entlocken, »oder ist ihnen jemand gefolgt?«
»Nicht, dass ich es wüsste«, erwiderte der Wirt schulterzuckend. Er dachte einen Moment lang nach. »Dieser seltsame, schlecht gelaunte Sklave, der ihn begleitet hat, der ist ihnen natürlich nachgetrottet.«
Der Sklave! Dass ich den vergessen hatte! Dabei war ich früher selbst ein Sklave gewesen und ich wusste, wie verletzend es war, dass Herren sich in Anwesenheit ihres Personals unterhielten als handele es sich bei Dienstboten um Möbelstücke. Sklaven waren für die meisten Menschen schlicht unsichtbar.
»Den werde ich mir vorknöpfen!«, entfuhr es mir und der Wirt blickte mich erschrocken an. Befriedigt bemerkte ich, dass er Furcht hatte. Flackernde Unruhe lag in seinem Blick. »Er wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen!«
Grußlos stürzte ich aus der Taverne.
»Nichts für ungut!«, rief der Wirt mir nach. »Du wirst doch keine Geschichte über mich verbreiten?«
Ich tat ihm nicht den Gefallen, ihn zu beruhigen, sondern beschloss, der Hütte des Jucundus in Castellum Mattiacorum einen Besuch abzustatten. Daher eilte ich zu unserem Wohnhaus zurück, wobei ich diesmal den kürzesten Weg nahm. Einer der Gründe dafür, dass wir am Stadtrand lebten, lag darin, dass ich als Händler Wagen und Zugtiere brauchte. Das für den Stall benötigte Grundstück konnten wir uns aber nur in einem der ärmeren Viertel leisten. Aber ich hätte nicht erwartet, ständig zwischen meinem Haus und dem Hafen hin und herlaufen zu müssen.
Diesmal war der Empfang etwas besser: Kaum hatte ich die Haustür aufgerissen, eilte mir schon mein Diener Longus entgegen. Jedes Mal wenn ich ihn sah, fragte ich mich, ob sein früherer Herr sich über ihn hatte lustig machen wollen, indem er ihm diesen Namen verpasst hatte. Jedenfalls war Longus auffallend klein und gedrungen, was aber seiner Beweglichkeit keinen Abbruch tat.
Es hätte sich eigentlich gehört, dass meine Dienstboten mich beide begrüßten. Da die Haushälterin dem Diener nicht Gesellschaft leistete, nahm ich an, dass sie momentan Besorgungen machte, falls sie nicht gerade mit den Sklaven der Nachbarn tratschte.
»Bitte sattle sofort mein Pferd!«, befahl ich Longus. Der neugierige Ausdruck seines runden Gesichts mit der langen gebogenen Nase über breiten Lippen ließ erkennen, dass er sich fragte, was plötzlich in mich gefahren war. Denn normalerweise kehrte ich erst spät von der Arbeit zurück.
»Ich bin leider schrecklich in Eile, denn ich will nicht von der Dämmerung überrascht werden«, fügte ich hinzu, um zu signalisieren, dass ich keine Zeit für lange Erklärungen hatte.
Als Longus mit brummiger Miene verschwand, fragte ich mich, warum ich mich eigentlich meinen Dienstboten gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet fühlte.
Einen Augenblick lang erwog ich, nach meinem Bruder zu sehen, der sich nicht hatte blicken lassen, obwohl ihm meine Rückkehr unmöglich verborgen geblieben sein konnte, so laut wie ich mit Longus gesprochen hatte. Aber ich wollte lieber gar nicht wissen, was Lucius momentan trieb. Ich hatte auch so genügend Sorgen.
Während Longus mit meinem Braunen beschäftigt war, hetzte ich in mein Schlafgemach und streifte mir dort eine frisch gewaschene Tunika über. Falls der Besuch auf der anderen Rheinseite ergebnislos verlaufen sollte, hatte ich nämlich vor, das Landhaus des Marcus Terentius aufzusuchen und es wäre mir peinlich gewesen, nachlässig gekleidet bei meinem früheren Herrn vorzusprechen. Schließlich konnte er ruhig mitbekommen, dass ich es in der Zwischenzeit zu etwas gebracht hatte.
Dann schlang ich hastig einen kleinen Imbiss herunter und eilte zu meinem treuen Reitpferd, das schon – von meinem Diener an der Leine gehalten – nervös auf der Straße tänzelte.