Читать книгу Eisernes Verderben - Franziska Franz - Страница 7
3
ОглавлениеEs war einer dieser herrlichen Sommerabende. Nach der unerträglichen Hitze des Tages waren die Abende angenehm kühl. Nachdem die letzte Patientin gegangen war, hatte ich eine Rennradstrecke über Sachsenhausen bis nach Neu Isenburg zurückgelegt, war anschließend in meine Wohnung zurückgekehrt, um mich frisch zu machen und mich umzuziehen, und hatte beschlossen, den schönen Abend irgendwo ausklingen zu lassen.
Da saß ich nun im bekannten Café Größenwahn bei einem Glas Wein und gutem Essen. Ich hatte einen der beliebten Plätze draußen auf der Straße ergattert und genoss es, das Treiben um mich herum zu beobachten. Die bewundernden Blicke zweier Damen am Nebentisch registrierte ich zwar, sie interessierten mich aber nicht, hatte ich mir doch mein Leben recht gut ohne Partnerin eingerichtet.
Ich war dem Café Größenwahn schon seit etlichen Jahren treu, man kannte und schätzte mich hier. Das Café war bekannt für Toleranz und ein illustres Publikum. So fühlten sich hier seinerzeit die ersten schwulen und lesbischen Paare anerkannt und wohl. Auch Künstler und Literaten schätzten das liberale Café, in dem man, wenn man es wollte, fast immer auf jemanden traf, mit dem man sich intellektuell und vielseitig austauschen konnte.
Mit meinem Rad brauchte ich keine zehn Minuten von der Cronstettenstraße bis hierher. Das machte das Lokal für mich zur perfekten Location: erst Sport, dann ein Abendessen zur Belohnung.
„Darf ich Ihnen noch einen Wein bringen, Herr Falkenberg?“, fragte mich die Bedienung gerade in dem Moment, als ein Mann etwa in meinem Alter an mir vorüberging, mir neugierig ins Gesicht sah, weiterging, um schließlich stehen zu bleiben und sich erneut nach mir umzudrehen. Wieder jemand, der mich mit dem Schauspieler verwechselte?
Der Mann sah mich verdutzt an, kam ein paar Schritte auf meinen Tisch zu und sprach mich schließlich an. „Kennen wir uns nicht? Ich meine, Sie kommen mir so bekannt vor, und als ich eben Ihren Namen hörte …“
Neugierig blickte ich zu ihm auf. „Ich kann mich nicht erinnern, aber vielleicht helfen Sie mir ja auf die Sprünge.“ Der Typ wirkte sportlich, hatte dichtes, rötlich-blondes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar und trug einen Dreitagebart. Das erhitzte Gesicht, die Trainingshose und die Sportschuhe wiesen darauf hin, dass er gerade eine Joggingrunde beendet hatte. Auch er kam mir irgendwie bekannt vor.
„Diese Stimme …“ Er lächelte mich an. „Habe ich richtig verstanden – Falkenberg? Wenn du mir nun noch sagst, dass dein Vorname Harald ist, dann falle ich auf der Stelle um.“ Sein Lächeln wurde breiter.
Jetzt war ich es, der verdutzt reagierte. Woher kannte er mich?
„Siehst verdammt gut aus, jetzt, wo deine Haare langsam grau werden, Harald. Ist doch so, ich habe mich nicht getäuscht, oder?“
„Ich bin wahrscheinlich nicht mehr der Jüngste, aber ich brauche noch einen Moment, um mich zu erinnern.“
„Also habe ich tatsächlich recht?“
Jetzt klopfte mir der Typ auf die Schulter. „Mensch, Harald, ich kann es kaum fassen, aber habe ich mich denn tatsächlich so verändert? Ich bin’s, Jan – Jan Hohmeister.“
Ich fiel aus allen Wolken. „Moment mal – Jan? Etwa der Jan, mit dem ich studiert habe?“ Ich hatte ihn tatsächlich nicht mehr erkannt.
Hohmeister schickte sich an, Platz zu nehmen. „Na ja, Hohmeister heißen schließlich nicht allzu viele Jans. Darf ich mich setzen?“ Er nahm Platz, bevor ich reagieren konnte.
„Bitte sehr.“
Hohmeister hatte mit mir zusammen Psychologie studiert und war einmal so etwas wie ein Freund gewesen. Allerdings hatte diese Freundschaft ein unglückliches Ende genommen. Ich kannte seine Lebensgeschichte und hatte sie bis heute nicht vergessen. Er hatte eine lieblose Kindheit gehabt, mit einer Mutter, die sich immer ein Mädchen gewünscht hatte und mit ihm nichts anfangen konnte. Als kleiner Junge musste er lange Haare tragen und in seinen ersten Lebensjahren steckte ihn seine Mutter in Mädchenkleider. Sein Vater wirkte dem entgegen, indem er ihn besonders hart anpackte. So wurde Hohmeister jahrelang gedemütigt und gezüchtigt. Liebe erfuhr er nie, und darunter litt er sehr. Als er älter wurde, verließ sein Vater die Familie und Hohmeister blieb mit seiner lieblosen Mutter allein zurück. Von Anfang an stand ich seiner Berufswahl skeptisch gegenüber, denn ich befürchtete, er wollte einige seiner Defizite im Berufsalltag aufarbeiten – so etwas kam manchmal sogar bei uns Psychologen vor. Hohmeister hatte damals eine Freundin gehabt, Lena. Einige Male wandte sie sich an mich, da sie Hohmeister oft nicht einzuschätzen vermochte. So nett er sein konnte, so jähzornig war er bisweilen. Außerdem engte er sie ein, war krankhaft eifersüchtig und ertrug es nicht einmal, wenn Männer sie freundlich ansahen – das behauptete sie zumindest. Ihre Verzweiflung darüber führte dazu, dass sie sich von ihm trennen wollte. Wie es geschah, vermochte ich heute nicht mehr zu sagen, jedenfalls verliebten wir uns irgendwann ineinander, und schließlich verließ sie ihn für mich. Sie war die erste Frau in meinem Leben, die mir etwas bedeutete, so, wie sie vorher Hohmeister etwas bedeutet hatte. Doch eines Tages verschwand sie spurlos. Hohmeister verdächtigte mich, ihr etwas angetan zu haben. Lange Zeit ermittelte die Polizei gegen mich, denn Lena und ich hatten ja bereits zusammengelebt. Eines Abends war sie nach einer Joggingrunde einfach nicht mehr nach Hause gekommen. Jedoch fand man nicht die geringste Spur, die auf ihren Verbleib hätte hinweisen können, leider bis heute nicht. Auch ich hatte damals alles Menschenmögliche versucht, um sie zu finden – vergebens.
Die Freundschaft mit Hohmeister jedenfalls ging daraufhin in die Brüche und wir brachen jeglichen Kontakt ab.
Seit der Zeit war ich keine Beziehung mehr eingegangen, zu tief saß der Schmerz. Noch heute plagten mich Albträume. Der Gedanke daran, dass Lena noch lebte, womöglich in Gefangenschaft, brachte mich fast um den Verstand.
Dass Hohmeister sich hier nun so vertraut zu mir setzte, löste gemischte Gefühle in mir aus und ließ alte Wunden aufbrechen. Er hatte mir damals übel mitgespielt.
„Da sagt man nun, Frankfurt sei ein Dorf, in dem man sich irgendwann unweigerlich begegnet, und trotzdem bist du mir in all den Jahren nicht über den Weg gelaufen. Oder hast du dich vor mir versteckt?“ Hohmeister lachte laut.
Mir fiel ein leichtes Nervenzucken über seinem rechten Auge auf. Er versuchte locker zu wirken, doch hinter der Fassade schien er angespannt zu sein, das spürte ich als Psychologe deutlich.
„Hast du eine Zeit lang in einer anderen Stadt gewohnt?“, fragte er.
„Nein, nein, ich habe hier sogar meine Praxis“, antwortete ich. „Im Holzhausenviertel.“
„Mensch, ich hätte ja auch mal ins Telefonbuch gucken können, schließlich habe ich oft an dich gedacht. Na ja, weißt du, bei mir ist inzwischen so viel passiert. Übrigens – ich wohne gleich hier nebenan, in der Lenaustraße.“ Er deutete auf das Nachbarhaus.
„Aha“, kommentierte ich das Gesagte und fuhr fort: „Was macht eigentlich deine Mutter?“
„Sie ist vor drei Jahren schwer erkrankt und leider verstorben.“
„Das tut mir leid.“
„Ach was, wir hatten auch in späteren Jahren kein besseres Verhältnis. Hinterlassen hat sie mir auch nichts, bloß ihren Schrebergarten.“ Er lachte. „Hab ihn immer noch. Der verwildert total, aber ich habe keine Zeit, mich darum zu kümmern. Bringe nur hin und wieder etwas Gerümpel in die Laube. Dafür ist es gut genug.“
„Ich kann mich noch gut daran erinnern“, sagte ich. „Der Garten ist am Rebstock, oder? Haben wir da nicht ein paarmal heimlich gekifft?“
Hohmeister lachte erneut und nickte. „Genau. Damals hat uns das Ehepaar von gegenüber verpfiffen. Hat das einen Ärger gegeben! Schon weil wir uns abends da rumtrieben. Da sind die Spießer ja fast ausgerastet.“
„Ja, ich erinnere mich“, antwortete ich, ohne in sein Lachen einzustimmen.
„Ich habe übrigens inzwischen geheiratet. Außerdem habe ich meinen Beruf nie wieder aufgenommen.“ Er sah mich an. „Du warst sowieso immer der Bessere von uns beiden. Am besten wäre es gewesen, ich hätte nie Psychologie studiert und dann, nach alldem … Ach, was soll’s, Schwamm drüber, alles Schnee von gestern.“
„Ja, das war eine schlimme Zeit damals“, pflichtete ich ihm bei.
„Ganz genau habe ich zwar bis heute nicht verstanden, was sich damals bei euch abgespielt hat, aber wie gesagt, Harald, lassen wir es gut sein. Es war ja nur die Erklärung für meinen Berufswechsel. Ich hätte dich doch nicht angesprochen, wenn ich dir noch immer böse wäre. Abgesehen davon kannst du nichts dafür, dass Lena verschollen ist, wie du immer behauptet hast. Vielleicht lebt sie ja irgendwo ein zufriedenes und glückliches Leben. Nein, statt weiter darüber zu grübeln, habe ich mich dem Sport verschrieben, verstehst du? Das ist unkomplizierter und stimmt mich zufrieden. Erinnerst du dich noch an unsere gemeinsamen Marathonläufe?“
Natürlich tat ich das. Wir waren beide sehr ehrgeizig gewesen und hatten uns gegenseitig angespornt. „Wie könnte ich die vergessen haben“, antwortete ich. „Und wie verdienst du nun deine Kohle?“
„Verena und ich haben keine großen Ansprüche, verstehst du? Wir arbeiten beide in einem Fitnessstudio in Bockenheim.“
Ich war verblüfft. „Ist ja nicht dein Ernst! Dann hättest du wohl besser Sportwissenschaften studieren sollen.“
„Ach was, doch nicht als Trainer. Und außerdem heißt das ja nicht, dass ich das ewig machen werde. Im Moment macht es mir Spaß und ich hab eine ganze Menge Freizeit, da kann ich gut für mich selbst trainieren. Ich will im nächsten Jahr beim Ironman dabei sein, verstehst du?“
Erstaunt antwortete ich: „Das gibt’s ja nicht! Ich habe mich ebenfalls dazu angemeldet, wenngleich ich mir deswegen noch völlig unschlüssig bin. Aber wegbleiben kann man schließlich immer.“
„Mensch, das ist ja irre, Harald!“ Hohmeister winkte die Bedienung heran und bestellte ein Pils.
Allmählich wurde das Gespräch interessant. Der Ironman fand seit 2002 jedes Jahr hier in Frankfurt statt. Ein Triathlon wäre allerdings eine echte Herausforderung für mich, denn Schwimmen lag mir nicht besonders.
„Du kennst den Langener Waldsee?“, fragte Hohmeister, als könnte er Gedanken lesen.
„Natürlich weiß ich, wo der ist, ich bin aber noch nie dort gewesen, obwohl der See und seine Umgebung sehr schön sein sollen. Aber ich weiß natürlich, dass dort der Ironman startet.“
„Ja, genau. Du schwimmst drei Komma acht Kilometer mit einem kurzen Landgang, also zwei Runden. Erst natürlich die Superstars, und dann, wenn die alle weg sind, der Rest der Teilnehmer.“
„Klar, so circa drei- bis viertausend Teilnehmer sind es allemal, ich weiß“, erwiderte ich.
„Ich sage dir, das ist eine ganz eigene Atmosphäre. Ich war letztes Jahr als Helfer dabei. Hat mich schwer beeindruckt, und ich möchte einmal im Leben diesen Nervenkitzel selber spüren.“
„Gibt’s da vorweg auch die legendäre Pasta-Party?“, warf ich ein.
„Du meinst wegen der Kohlenhydrate?“ Hohmeister nickte. „Klar! Die findet am Abend zuvor in der Eissporthalle statt.“ Er sah auf die Uhr. „Hör mal, was hältst du davon, uns einmal zu besuchen? Oder wir treffen uns einfach irgendwo, dann kann ich dir mehr vom Ironman erzählen und du lernst meine Frau kennen. Sie wird dir gefallen.“ Er zwinkerte mit den Augen. „Sie gefällt einfach jedem. Und ich weiß ja nun, dass ich dir vertrauen kann, nicht wahr?“ Jetzt grinste er. „Das kann ich doch, oder?“ Hohmeister nahm den letzten Schluck von seinem Pils, zückte sein Portemonnaie und winkte erneut nach der Bedienung. „So, ich muss nur jetzt erst mal nach Hause, Verena hat gekocht, verstehst du? Bist du eigentlich verheiratet?“
Ich lachte. „Nein, ich fürchte, ich bin überzeugter Single. Zu viele komplizierte Menschen auf der Welt, das brauch ich nicht auch noch zu Hause. Ich sorge lieber für das Seelenheil all jener Menschen, die ich nicht persönlich kenne.“
„Ja klar“, pflichtete Hohmeister mir bei. „Hast ja recht, wie immer.“ Er kramte in seiner Brusttasche und zog eine Visitenkarte daraus hervor. „Hier hast du meine Festnetz- und auch meine Handynummer.“
Ich nahm die Karte entgegen. „Danke, ich werde mich bei Gelegenheit melden.“
Hohmeister erhob sich von seinem Stuhl und reichte mir die Hand. „Würde mich wirklich sehr freuen – habe meiner Frau schon mehrfach von dir erzählt.“
„Ach, und dann will sie mich trotzdem noch kennenlernen?“ Ich ignorierte seine Hand und ließ stattdessen einen kurzen Lacher ertönen.
„Ich habe mehr von unseren sportlichen Events gesprochen. Natürlich weiß sie auch das andere. Aber was soll’s, Lena hatte sich nun mal für dich entschieden.“ Er beugte sich in einer vertraulichen Geste zu mir herunter. „Und es verschwinden schließlich mehr als genug Menschen auf dieser Welt, kann ja mal passieren.“
„Was soll das, Jan?“, fuhr ich ihn an. „Fängt die alte Scheiße etwa wieder von vorne an? Ich werde dir nie etwas anderes dazu sagen können als das, was du längst weißt. Lassen wir es doch endlich auf sich beruhen. Wir müssen unsere Freundschaft auch nicht wieder aufleben lassen.“
Ich vernahm ein kurzes Funkeln in Hohmeisters Augen, doch dann klärte sich sein Blick und er hob entschuldigend den Arm. „Ich weiß doch, Harald, ist ja schon gut. Wie dumm von mir. Komm, lassen wir die alten Geister ruhen! Ich würde mich freuen, wenn wir Frieden schließen könnten.“
„Das ist ein Wort.“ Ich nickte. „Mir geht es ebenso.“ Wir reichten einander die Hand. „Bis dann, alter Freund“, sagte ich zum Abschied.
Ich blickte ihm nach, bis er im Eingang seines Hauses verschwunden war.
Dann dachte ich an Lena. Die Wunde, die lange Zeit tief in mir verborgen gewesen war, brach wieder auf. Was mochte aus ihr geworden sein? War sie gestorben oder war sie gar einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Hatte sie leiden müssen oder lebte sie irgendwo ein glückliches Leben? Was hätte ich darum gegeben, eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten. Damals hatte Hohmeister versucht, meinen Ruf zu schädigen. In unserem gemeinsamen Umfeld stellte er mich als erbärmlichen Psychologen dar, der nur darauf aus war, Frauen kennenzulernen, vornehmlich die anderer Männer. Nachdem Lena und ich zusammengezogen waren, behauptete sie mehrfach, sich von ihm verfolgt zu fühlen. Ich fand nie heraus, ob sie paranoid oder ob er so schlau gewesen war, es mich nicht merken zu lassen. Natürlich machte ich mir heute noch die schlimmsten Vorwürfe, sie nicht ernst genommen zu haben, denn kein Mensch verschwand spurlos. Auch die Polizei, die ich am nächsten Tag einschaltete, konnte mir nicht weiterhelfen. Hohmeister hingegen äußerte der Polizei gegenüber den Verdacht, ich hätte etwas mit Lenas Verschwinden zu tun. Keine Ahnung, wie oft mich daraufhin die Polizei vernahm, zumal ich kein Alibi hatte. Ich hatte nämlich im Bett gelegen und geschlafen, als sie verschwand.
Wahrscheinlich wäre es für alle Beteiligten das Beste gewesen, wenn wir die Sache auf sich hätten beruhen lassen. Doch inzwischen interessierte mich die Antwort auf die Frage: Wollte Hohmeister unsere vermeintliche Freundschaft tatsächlich wieder aufleben lassen oder führte er etwas im Schilde? Ich musste zugeben, mein Interesse war geweckt, denn schließlich interessierte ich mich schon aus beruflichen Gründen dafür, was im Inneren eines Menschen vor sich ging. Hinzu kam mein reges Interesse am Ironman. Dass ich Hohmeisters Frau kennenlernen sollte, konnte ich mir nur damit erklären, dass er damit den Beweis antreten wollte, sich in einer stabilen Beziehung zu befinden, die nichts und niemand zerstören konnte. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als abzuwarten.
Wieder kam mir der Ironman in den Sinn. Ich wusste, dass es keine besonderen Auflagen gab, wie viel oder ob man überhaupt vorher trainiert haben musste, wobei Letzteres natürlich völliger Unfug und noch dazu nicht ungefährlich war. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass vor Jahren hier in Frankfurt ein Teilnehmer gestorben war, der während des Wettkampfes nur Leitungswasser zu sich genommen, seinem Körper also keine Elektrolyte zugeführt hatte. Dabei standen überall Helfer herum, die die Teilnehmer beispielsweise mit Bananen oder Getränken versorgten. Hohmeister hatte von der besonderen Atmosphäre gesprochen. Das war es, was mich am meisten an der Sache reizte. Der Kick, dabei zu sein und den eigenen Körper herauszufordern, gar seine Grenzen auszuloten – all das stellte ich mir großartig vor.
Ich bestellte mir noch ein letztes Glas Wein, schweifte in Gedanken immer wieder in die Vergangenheit und warf gelegentlich einen Blick auf die Fassade des Hauses, in dessen Eingang Hohmeister verschwunden war. Im ersten Stock war soeben ein Fenster geöffnet worden, und jemand, möglicherweise eine Frau, blickte in meine Richtung. Die Person hatte, wie es schien, kurze Haare. Aus dieser Entfernung ließ es sich nicht so recht sagen, ob es sich tatsächlich um eine Frau oder doch eher um einen Mann handelte. Und natürlich konnte ich nicht wissen, in welchem Stockwerk Hohmeister und seine Frau wohnten.
„Sie gefällt einfach jedem“, hatte Hohmeister gesagt. Hatte er mich damit prüfen wollen? Das wäre typisch für ihn, war er doch stets ein gerissener Hund gewesen. Ein Spiel ließ ich jedoch nicht mit mir spielen. Ich war froh, das Thema, das mich über so viele Jahre beschäftigt hatte, nun endlich begraben zu haben.