Читать книгу München. Eine Stadt in Biographien - Franziska Sperr - Страница 8
ОглавлениеBENJAMIN THOMPSON, GRAF VON RUMFORD
1753–1814
Ein cleverer Amerikaner kommt nach München, verwirklicht viele Reformideen, »erfindet« eine Suppe und wird geadelt. Dass er dann noch den Englischen Garten plant, macht ihn unsterblich.
Ein Bauernbub aus einem Dorf im heutigen Staat Massachusetts/USA sitzt in der Ecke und bastelt. Das macht er am liebsten. Er will wissen, wie die Dinge funktionieren, er konzentriert sich, probiert etwas aus, während die anderen draußen spielen. Es ist ein einsamer Bub, der Vater starb früh, den Stiefvater, auch die Halbgeschwister lehnt er ab, weil sie der Mutter Aufmerksamkeit entziehen. Der Junge sondert sich ab. Aus seinem Interesse für Mathematik, Naturwissenschaft und Technik wird eine Leidenschaft für das Konstruieren mechanischer Apparate. Seinen Wissensdurst beschreibt er als »unstillbar«, und nach einer gescheiterten Medizinerausbildung arbeitet er als Lehrer in der kleinen Stadt Rumford (heute Concord, New Hampshire).
Nur ein paar Jahre später stehen dem genialen Erfinder in Europa Tür und Tor offen. Er steht auf Du und Du mit Kaiser, König, Kurfürst, bekommt hohe Staatsämter angetragen. Geldsorgen wird er keine mehr haben – noch keine 30, und er ist mit einer Pension bis zum Ende seiner Tage ausgestattet.
Nur gemocht, heißt es, wird er nicht. Angefeindet und geschnitten, hinter vorgehaltener Hand oder ganz offen. Viel Feind – viel Ehr. Einer, der aus seinem Holz geschnitzt ist, hat keine Zeit, sich darum zu sorgen, ob er gemocht wird. Einer wie er konzentriert sich auf eines: seine Ziele im Auge zu behalten. Die Ziele werden im Lauf seines Lebens andere, und er wird immer alles daran setzen, sie selbst zu bestimmen. Ein bewegtes Leben, eine schillernde Persönlichkeit, eine amerikanische Karriere: vom Tellerwäscher zum Millionär.
Keiner ahnt, dass, kaum 200 Jahre später, sein Denkmal 26 ( ▶ H 3) im Park einer bayerischen Residenzstadt am Alpenrand von Joggern, Bikern und Skatern umrundet würde. Noch zu seinen Lebzeiten stellte man es dort auf, geschaffen nach Entwürfen des Bildhauers Franz Schwanthaler, dessen Sohn später die gewichtige Bavaria an der Theresienwiese entwerfen sollte. Kaum zu glauben, dass die nahezu naturbelassene Parklandschaft mitten in München – der Englische Garten – einem geadelten Münchner und Amerikaner aus Massachusetts zu verdanken ist.
Benjamin Thompson wusste schon in jungen Jahren, was er tat. Er heiratete mit 19 eine ältere, wohlhabende, gesellschaftlich vielversprechende Witwe, die alsbald ein Kind von ihm erwartete. Ein beliebter Weg zum Glück, wenn man etwas werden will. Seine Entscheidung, sich im nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf die Seite der englischen Kolonialherren zu schlagen und nicht auf die der Rebellen, ließ ihn schnell Tuchfühlung mit den höchsten militärischen Kreisen aufnehmen. Sein Ehrgeiz machte auch nicht davor halt, sich als eine Art Spion zu beweisen und verräterische Berichte zu schreiben. Als ihm der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, verabschiedete er sich von Weib und Kind, versilberte sein Vermögen und reiste an Bord eines britischen Kriegsschiffes in Richtung Großbritannien.
Wieder gehörte er schnell zur »upper class«, denn er hatte ein paar wertvolle, strategisch wichtige Depeschen in der Tasche, die er geschickt an die richtigen Stellen brachte. Der britische Kolonialminister bedankte sich mit einer Anstellung in seinem Amt. Thompson konnte sich auf sein taktisches Gespür verlassen. Dazu war er der Liebling der adeligen Damen, die sich an seinem rücksichtslosen, wachen Geist, vielleicht sogar am großspurigen Gehabe, seiner intellektuellen Arroganz und Egozentrik erfreuten.
SOZIALREFORM DURCH EINEN AMERIKANER
Drei Jahre später ist er Mitglied der Royal Society, der Königlich Britischen Akademie der Wissenschaften. Die Ergebnisse seiner Versuche verblüffen die interessierte Welt: Mit einem aufwendigen Experiment widerlegt er die Ansicht, dass feuchtes Schießpulver im Gewehr wirksamer sei als trockenes, »new Experiments upon Gunpowder«. Er entwickelt ein Kommunikationssystem für Schiffe, einen Code für Marinesignale. Der Amerikaner gehört mit 27 Jahren zur wissenschaftlichen und politischen Elite Englands. Jetzt kann er sich einiges davon versprechen, seine Fähigkeiten in den Dienst des Kaisers in Wien zu stellen. Er reist auf den Kontinent.
Schon am Tag seiner Ankunft erregt er Aufmerksamkeit: In Straßburg fällt er dem Garnisonskommandanten Maximilian I. Joseph auf, der – Glück für Thompson – im Jahr 1799 Herzog von Bayern wird. Auf dem Weg nach Wien macht er halt in München. Hier empfängt ihn der Kurfürst Karl Theodor und bietet ihm sofort eine gut bezahlte Stellung an. Der Amerikaner ist geschmeichelt, behält jedoch sein eigentliches Ziel im Auge: Wien. Wieder steht eine Entscheidung an, und Thompson tut das Richtige. Er beschließt, dem »kriegerischen Wahnsinn« gegen die Türken den Rücken zu kehren und in Zukunft nicht mehr der Vernichtung von Menschen zu dienen. Mit neuen Plänen kehrt er in ein durch Kriege ausgezehrtes Bayern zurück.
In den folgenden vier Jahren in München hatte er Zeit und Muße, sich umzusehen. Er wohnte in der Schwabinger Landstraße, der heutigen Theatinerstraße ( ▶ F 4/5), lernte Deutsch und machte sich Gedanken, wie man aus dem heruntergekommenen Kurfürstentum einen modernen Staat machen könne. Zuerst musste man die Armee reformieren oder das, was von ihr übrig geblieben war. Wenn es gelänge, die vielen entlassenen Soldaten, die als Bettler und Vagabunden Städte und Dörfer terrorisierten, zu halbwegs gebildeten und gut genährten Menschen zu machen und man das Reformprogramm dann auf die unteren Schichten der zivilen Bevölkerung ausweiten könnte, käme das marode Land aus seiner Misere. Thompson verfasste ein umfangreiches Memorandum mit unkonventionellen Lösungsvorschlägen.
Für die Soldaten wurden Militärgärten angelegt, aus denen sie sich mit frischer, gesunder Nahrung selbst versorgen konnten. Der Schlüssel zum Erfolg war die Kartoffel, die bislang in Bayern als nicht essbar galt. Man war noch misstrauisch, aber bald war sie Hauptbestandteil der Suppe, reich an Kohlehydraten und Vitaminen und sättigend. Mit dieser Rumfordschen Suppe, wie sie später hieß, wurden die Bettler und Obdachlosen kostengünstig verpflegt. Überall in Europa kam die Wundersuppe für die Armen zum Einsatz, man brauchte gesunde Arbeitskräfte, und mit der Erkenntnis, dass nur arbeitsfähig ist, der sich gut ernährt, war der erste Schritt für die Reformen getan.
Es heißt, der Erfinder Thompson sei vor allem wegen dieser Suppe und des von ihm konstruierten, energiesparenden Herdes zum Grafen von Rumford geadelt worden. Das Rezept diktiert getrocknete Erbsen, Perlgraupen, Kartoffeln und Sauerbier. Heute fügt man eine rote Zwiebel, Salz, Butterschmalz, Brühe, eine Stange Lauch (nur das Weiße!), eine Karotte und Streifen von Wacholderschinken hinzu. Wenn man sich in München auf die Suche macht, findet man garantiert ein Restaurant der gehobenen Klasse, das ein »Rumfordschaumsüppchen an Parmesancroûtons« auf der Speisekarte hat, möglicherweise sogar in der Rumfordstraße.
So wichtig wie das Essen war die geistige Nahrung. Die Idee, in einer Militärakademie begabten Knaben aus allen Bevölkerungskreisen eine Ausbildung zu ermöglichen, fiel auf fruchtbaren Boden. Rumfords Reformideen gingen noch weiter: Eine Fabrik in der Au wurde mit Wohnungen für die Arbeiter ausgestattet. In dem Arbeiterhaus lebten bald 200 Bettler, die, jeder nach seinen Fähigkeiten und Kräften, beschäftigt wurden. Es wurden dort Uniformen und eine spezielle wärmedämmende Unterwäsche für Soldaten hergestellt. Das Prinzip war erfolgreich: Die Leute arbeiteten, erhielten Lohn, wurden verpflegt, hatten ein Dach über dem Kopf und waren weg von der Straße – und das Unternehmen warf auch noch Gewinne ab.
SO ENTSTAND DER ENGLISCHE GARTEN
Mit der Stadt ging es bergauf, der Kurfürst hatte eine glückliche Hand bei der Auswahl seiner Berater, die Grafen Rumford und Maximilian von Montgelas (1759–1838) konnten zum Wohl Münchens ihre Kompetenzen als Reformer ausweiten. 1789 wurde der Stadtmagistrat aufgefordert, nach einem geeigneten Areal für weitere Militärgärten zu suchen, die »nicht nur allein zum Vortheil und Ergötzung des Militaires, sondern auch zum allgemeinen Gebrauch als ein öffentlicher Spaziergang sowohl für das Civile als das Militaire dienen«.
Am Tag des Ausbruchs der Französischen Revolution fing man in München an, sumpfige Wiesen zwischen Eisbach und Königinstraße trockenzulegen: Der Englische Garten war geboren. Man beauftragte den bekannten Gartenarchitekten Friedrich Ludwig von Sckell damit, Brücken, Straßen und Wege anzulegen, Grotten und Tempel, Pflanzungen aller Art und sogar einen See. Einer der Glanzpunkte war der Chinesische Turm 7 ( ▶ J 1), mit seinem Biergarten heute immer noch einer der beliebtesten Plätze für Münchner und Touristen, um sich an einem lauen Sommerabend nach oder statt der Arbeit mit einer Maß Bier zu belohnen.
Auch jetzt nahm sich Rumford immer noch Zeit für Forschung und Experimente: Beim Bohren eines Kanonenrohres im Münchner Zeughaus, heute das Stadtmuseum 31 ( ▶ E 6), macht er eine bahnbrechende Entdeckung: Wärme sei keine Substanz, sondern entstehe durch Bewegung von Molekülen. Flugs wurde er Ehrenmitglied in der Akademie der kurbayerischen Wissenschaften.
Bei einem Angriff 1796 der Franzosen und der Österreicher bewies er ein letztes Mal militärisches Geschick. Der Kurfürst hatte ihm das Kommando übertragen und sich dann aus dem Staub gemacht. Rumford ließ die Stadttore schließen, verhandelte, und beide Armeen zogen ab. Eine Sternstunde. Er war der Retter Münchens, der Kurfürst konnte zurückkehren. Der Jubel der Münchner galt ihm allein, was von der Stadtregierung eifersüchtig beäugt wurde. Man fühlte sich zurückgesetzt und setzte alles daran, dass der erfolgreiche, ehrgeizige Graf von Rumford, der den Herren im Magistrat als unnahbar, selbstgefällig, scheinheilig, berechnend und arrogant galt, München schnellstens verließ. Man wollte wieder unter sich sein. Ohne den Amerikaner. Der zog nach Frankreich und starb einsam in Auteuil bei Paris.
BIERGARTEN AM CHINESISCHEN TURM 7 ▶ J 1
Englischer Garten 3, Schwabing
▶ U-Bahn: Giselastraße, Bus: Chinesischer Turm, Tram: Tivolistraße
St.-Jakobs-Platz 1, Altstadt
▶ U- und S-Bahn: Marienplatz
Hirschanger im Südteil des Englischen Gartens, Zugang über Prinzregenten-/Lerchenfeldstraße, Lehel
▶ Tram: Nationalmuseum/Haus der Kunst