Читать книгу München. Eine Stadt in Biographien - Franziska Sperr - Страница 9
ОглавлениеLUDWIG I. VON BAYERN
1786–1868
Keiner hat München so geprägt wie dieser König: Er wollte eine unvergleichliche Stadt mit majestätischen Bauten errichten. Das ist ihm gelungen. Auch das Oktoberfest geht auf ihn zurück.
Der Vesuv bricht aus. Jahrelang schien der Vulkan erloschen, dann plötzlich das Feuer. Wenn ein Mann mit über 60 einem Vertrauten gegenüber so über sich spricht, weiß man, was gemeint ist, egal ob König, Bürger oder Bauer. Geschichten, die das Leben schreibt. Zu allen Zeiten dieselben. Dass der Vulkan – ganz im Gegensatz zu den späteren Darstellungen auf Gemälden oder dem Ludwig-I.-Denkmal am Odeonsplatz – nicht besonders attraktiv wirkt mit seinem linkischen Auftreten, der angeborenen Schwerhörigkeit und der vernarbten Gesichtshaut, zählt nicht, er hat etwas anderes zu bieten: Er ist von höchstem Stande, reich und mächtig.
Er gewährt einer Künstlerin, die in München aufzutreten wünscht, Audienz. Sie betritt sein Büro, ihm stockt der Atem, und auf seine zudringliche Frage, ob das denn alles echt sei, was sie da unter dem Mieder hätte, greift sie nach der Papierschere auf seinem Schreibtisch, schneidet vom Hals abwärts ihr Kleid auf und führt, ritschratsch, den Beweis durch nackte Tatsachen.
Schon ahnt auch der Treuherzigste, woher der Wind weht. Die Dame brauchte Geld. Viel Geld. Für aufwendige Reisen, luxuriöse Hotels, kostspielige Garderobe, Zofen und Pferdeknechte, was eben eine, die sich für eine große Künstlerin hielt, so brauchte. Und da sie nicht nur sexy war, sondern auch berechnend und beharrlich, lief erst mal alles wie geschmiert. Mit Einladungen, Schecks und Überweisungen fing es an, als das nicht reichte, musste ein Palais her, schließlich die Änderung des Testaments zu ihren Gunsten und, weil sie immer noch nicht Ruhe gab, ein Adelstitel. Hätte der Vulkan nicht wissen können, dass es oft gerade die letzte Übertreibung ist, die den Anfang vom Ende einläutet?
König Ludwig I. stolperte und fiel über die Konkubine Lola Montez, eine heißblütige spanische Tänzerin, die im wahren Leben Elisabeth Gilbert hieß und aus Irland kam. Der König und die Schöne hatten es auf die Spitze getrieben, diesmal war der Monarch zu weit gegangen oder zu schwach gewesen, je nachdem. Am Hof, im Parlament und in der feinen Gesellschaft war man zwar, was Abenteuer und Affären anging, einiges von ihm gewöhnt, hatte über manch provokante Unschicklichkeit hinweggesehen, aber das war für die sittlich katholischen Bayern doch zu viel. Hinzu kamen horrende Teuerungen für Lebensmittel und Bierpreiserhöhungen. Wirtshäuser wurden demoliert, Tausende hungerten und hatten kein Dach über dem Kopf. Die Menschen wollten sich nicht mehr alles gefallen lassen, das Volk forderte mehr Rechte. Im März 1848 trat der König zurück.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Mit der angemessenen Sorgfalt eines Herrscherhauses wurde für den Kronprinzen eine passende Ehefrau gesucht, die Wahl fiel auf die schöne, liebenswürdige Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Anlässlich der Hochzeit im Oktober 1810 wurde ein Pferderennen auf der Festwiese vor der Stadt veranstaltet, im Stil der antiken Spiele in Olympia, Ludwig zuliebe, der ein besonderes Interesse für die Antike hatte. Die Wiese benannte man zu Ehren der Prinzessin Theresienwiese 34 ( ▶ A 7). Zur Freude der Stadtbevölkerung fand das Fest im nächsten Jahr zur gleichen Zeit wieder statt, im Jahr darauf ebenso und so fort. Bald kamen Kletterbäume hinzu und Kegelbahnen. Schaukeln wurden aufgestellt und 1818 das erste Karussell. Und ein spezielles Bier wurde gebraut, das Wiesn-Märzn, mit mehr Stammwürze und höherem Alkoholgehalt.
Seither findet auf der Theresienwiese das Münchner Oktoberfest statt. Es ist heute das größte Volksfest der Welt, weswegen die Wiese irgendwann asphaltiert wurde. Inzwischen kommen jährlich gut sieben Millionen Gäste auf die Wiesn, von überall her, das Bier fließt hektoliterweise, in den riesigen Festzelten tanzen Tausende auf Tischen und Bänken. Das Oktoberfest findet seit 1810 in der zweiten Septemberhälfte und an den ersten Oktobertagen statt, meist unter einem bayerisch weiß-blauen Himmel, dem sprichwörtlichen Wiesnwetter. Wenn die Millionenschar der Gäste wieder weg ist, schlagen die Münchner drei Kreuze. Dann wird die Stadt wieder normal, die Touristen versammeln sich wie gewohnt am Marienplatz und bringen um 11 Uhr beim Glockenspiel die Videokameras in Stellung, um den Reigen der Schäfflerfiguren im Rathausturm mit nach Hause zu nehmen.
Schon als Kronprinz hatte Ludwig große Pläne zur architektonischen und stadtplanerischen Veränderung Münchens. Alles wollte er daran setzen, die Residenzstadt zu einem Ort zu machen, »der Teutschland zur Ehre gereichen soll, dass keiner Teutschland kennt, wenn er nicht München kennt«. Was er damit meinte, war, dass die Stadt zulegen müsse, an Ausdehnung in nördlicher und westlicher Richtung und vor allem an majestätischer Größe: in italienischer Bauweise oder griechisch, auf alle Fälle südlichen Regionen zugeneigt, großzügig und weiträumig. Sah er aus dem Fenster, drückte ihm, dem feinsinnigen Ästheten, das, was er sah, aufs Gemüt. Das Provinzielle störte ihn. Ein frischer Wind sollte wehen in der Stadt, die das Zeug hätte, innerhalb weniger Jahre die schönste Stadt Deutschlands zu werden, selbstverständlich nach seinen, Ludwigs, Vorstellungen. Um seinen Traum von einer griechisch-römisch-romanischen Kulisse zu realisieren, ließ er sich bereits 1812 die Leitung der Bauangelegenheiten des Königreichs übertragen und begann mit der Erweiterung.
MÜNCHEN WURDE ITALIENS NÖRDLICHSTE STADT
Er holte die Baumeister Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner, ließ das Schwabinger Tor (am heutigen Odeonsplatz) abreißen, die Gräben der Stadtbefestigung zuschütten und hatte so freie Bahn nach Norden, um den ersehnten Prachtboulevard realisieren zu können: die Ludwigstraße ( ▶ F 4–G 1). Und tatsächlich, blicken wir heute an einem sonnigen Vormittag von den oberen Stufen der Feldherrnhalle geradeaus nördlich in Richtung Siegestor, sind wir dem König und seinen Baumeistern immer noch dankbar für so viel italienische Grandezza diesseits der Alpen.
Dabei war es nicht immer einfach für den Regenten, hingen ihm doch bei der Vorbereitung seiner Projekte Stadtverwaltung und Magistrat gleichsam wie Bremsklötze an den Beinen. Es würden Paläste gebaut, warfen sie ihm vor, was man aber brauche, seien Wohnhäuser! Der aber wusste, wie ein Herrscher reagiert: »Ich leide keinen Widerspruch« trompetete er zurück, schon zogen die Herren vom Magistrat die Köpfe ein, und er konnte weiter bauen, etwa die Ludwigskirche, eine dreischiffige Basilika, damals noch weit vor der Stadt, »in den Wiesen, wo man nur den Schafen predigen könne«, wie seine kleingeistigen Gegner tuschelten. Für Engherzigkeit bei der Bewilligung von Mitteln, für Petitessen und Knauserigkeiten hatte er wenig Verständnis, vielmehr kümmerte er sich um die großen Perspektiven, überredete private Bauherren, sich Palais zu leisten, die in sein Stadtbild passten, und er sammelte Geld, auch sein beträchtliches Privatvermögen spielte keine geringe Rolle. Alles für die Verwirklichung eines Traums!
Was unter seiner Aufsicht fertiggestellt wurde, hatte antike oder klassische Vorbilder: die Glyptothek 14 ( ▶ C 3), die Feldherrnhalle, Universität und Staatsbibliothek 5 ( ▶ F 2), der Umbau der Residenz, das Ensemble am Königsplatz mit den Propyläen, die Alte Pinakothek, dazu kamen Denkmäler, Monumente und Standbilder, der Obelisk am Karolinenplatz, der Monopteros im Englischen Garten, die Bavaria an der Theresienwiese, deren Guss in der königlichen Erzgießerei eine technische Sensation war.
Die Bautätigkeit des Königs kurbelte die Wirtschaft an. Tausende von Arbeitern, Handwerkern und Künstlern hatten über Jahrzehnte ihr Auskommen. Die Kehrseite der Medaille war, dass König Ludwig I., der als liberaler Reformer begonnen hatte, sich zunehmend zum reaktionären Despoten entwickelte. Er veranlasste die Wiedereinführung der Zensur, die er anfangs abgeschafft hatte, und entließ jeden Minister, der ihm zu widersprechen wagte. Und, was das Fass zum Überlaufen brachte, er enthob Universitätsprofessoren, die er selbst berufen hatte, ihres Amtes.
DER KÖNIG DANKT AB – WEGEN EINER FRAU
Am 9. Februar 1848 ließ der König sogar die Universität schließen, was das Volk vollends gegen ihn aufbrachte. Die sogenannten Märzforderungen, die ein gerechteres Wahlrecht und die Einführung von Geschworengerichten einklagten, wurden von 10 000 Menschen unterschrieben. Züge bewaffneter Bürger stürmten in Richtung Residenz, die Truppen in München wurden verstärkt. Der Aufruhr der Bürger gegen die Obrigkeit war keine lokale Spezialität mehr, sondern lag überall in der Luft. Es gab Revolten, in Städten wie Berlin oder Wien sogar mit vielen Toten. Am 20. März trat der König zurück; es heißt, er hätte sonst auf seine Münchner schießen lassen müssen, und das wollte er nicht.
Vielleicht hatte sich Ludwig nur noch in der Welt seiner Ideen bewegt, vielleicht hatte er die politische Entwicklung in seinem Land nur noch durch einen Filter wahrgenommen. Er war anderweitig beschäftigt, nicht nur als Bauherr und Förderer der Künste, sondern zunehmend als Poet. Dass man hinter vorgehaltener Hand über seine Gedichte spottete, nahm er sicher nicht wahr, er besuchte den Kollegen Goethe in Weimar in dichterischer Mission. Zu Hause umgab er sich mit Schmeichlern, die Nähe der inzwischen zahlreich zugezogenen Künstler war ihm eine Wohltat.
In diese schöngeistig abgehobene Atmosphäre am Hof schlug dann die Ankunft der Sirene Lola Montez wie ein Blitz ein. Sie trafen sich in der Oper, »als der König, salonmachend, bei ihr stehen blieb und in italisierendem Spanisch mit ihr sich unterhielt, waren alle Augen auf sie und ihn gerichtet«. Die völlig ernst gemeinte Anweisung seiner Majestät, die Dame solle alles bekommen, was sie verlange, machte den liebestollen König vollends lächerlich. Auch wollte das Volk nicht mit ansehen, wie die beliebte Königin, die Mutter seiner neun Kinder, durch die Liebessklaverei ihres Gatten desavouiert wurde. Irgendwann, viel zu spät, tauchte er auf aus dem Nebel seiner Verblendung, doch ein Zurück gab es da schon nicht mehr.
Die Stadt München hat er geprägt wie kein anderer.
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