Читать книгу Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer - Страница 6
2
ОглавлениеKarell lauschte auf die Schritte über seinem Kopf.
Agneta, dachte er beiläufig, irgendetwas beunruhigt sie. Sein Blick konzentrierte sich wieder auf das Tableau vor ihm auf dem Tisch.
Schon das dritte unheilverkündende Deck. »Sieht wirklich nicht gut aus«, murmelte er. »Schwierigkeiten stehen ins Haus. Und diesmal nicht für mich.«
Karell, der sich, seit er in diesem Carré wohnte, Barbanina nannte, seufzte. »Der Tod! Kein angenehmer Besucher«, ächzte er, als er die letzte Karte umdrehte.
Als er hier einzog, war ihm sofort aufgefallen, wie viele Frauen in den Häusern im Rund lebten. Einsame, die nie einen Partner gefunden hatten, Witwen, denen das Alleinsein nicht gut bekam, überforderte Mütter, deren Männer kein Verständnis dafür hatten, dass sie Erziehung und die Erledigung des Haushalts als Arbeit empfinden konnten und über Müdigkeit klagten, wenn der Gatte nach Hause kam. Karell hatte das Potenzial sofort erkannt. Frauen hatten stets unglaublich viele Fragen zu klären: Wird mein Sohn das Abitur schaffen? Wird meine Tochter mit diesem Mann wirklich glücklich? Geht mein Mann schon wieder fremd? Werde ich bis ins hohe Alter gesund bleiben? Warum kann ich nicht schwanger werden?
Mit diesen Problemen würden sie wohl lieber zu einer Seherin gehen als zu einem Wahrsager. Gedacht, getan. Er genoss es, seine transvestitische Seite ausleben zu dürfen, erschuf für die Kundinnen Barbanina und blieb für die Hausverwaltung Karell. Bisher hatte das Rollenspiel komplikationslos geklappt. Die Kundinnen wollten an Barbanina glauben, das schummrige Licht im Wohnzimmer ließ die bläuliche Verfärbung des Bartwuchses an Kinn und Wangen verschwinden, seidenglänzende Handschuhe bis zum Oberarm verbargen die männlich kräftigen Finger.
Barbanina, die vorgeblich mit ihm verwandte Mitbewohnerin Karells, verließ das Haus praktisch nie. Der junge Mann, der ihr so unglaublich ähnelte, erledigte alle Einkäufe und Behördenbesuche, übernahm selbst Botengänge für sie.
Er selbst hatte schnell bemerkt, wie sehr sie sein eigenes Leben zu dominieren begann, spürte, wie ihm der private Karell mehr und mehr entglitt.
Die meisten älteren Damen beneideten Barbanina um diesen liebevollen Jungen, seufzten wehmütig, wenn sie an ihre eigene Brut dachten, die, einmal großgezogen, weit fortgezogen war und sich in der Regel nur dann meldete, wenn ihr das Wasser bis zum Hals stand und Rettung durch die Mutter vonnöten war.
Nur Ingmar, der Hauswart, schien etwas bemerkt zu haben.
Vor ein paar Tagen hatte Karell ihn »Transe!« zischen hören, als er an ihm vorüberging. Auf so etwas reagierte er natürlich überhaupt nicht, tat so, als sei ihm die Bedeutung des Wortes nicht geläufig oder er habe es schlicht nicht gehört. Ingmar konnte unmöglich mehr als einen Verdacht haben – von irgendeiner Form der Gewissheit war er bestimmt weit entfernt.
»Was nun? Die Karten sprechen eine deutliche Sprache. Soll ich Agneta wissen lassen, welche Botschaft sie haben?«
Wieder wanderten seine Augen zur Decke. Noch immer lief sie hin und her.
»Wahrscheinlich sollte ich mich besser nicht einmischen«, überlegte Karell vernünftig.
Doch Barbanina war eitel.
Sie wollte ein wenig mit ihren besonderen Fähigkeiten angeben.
So griff sie zum Telefon und brachte Karells mahnende Stimme mit einer harschen Bewegung zum Verstummen.
Er fügte sich widerstandslos.
In ihren vier Wänden gab sie den Ton an, hatte er nicht zu mucken.