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Heilige Flüsse, Meere und Brunnen: Wasser in Religion und Mythen

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Im Wasser manifestieren sich Phantasien, wie im Film, aber auch Weltbilder des Glaubens. Noch bevor sich die Naturwissenschaft oder die Esoterik mit Wasser befassten, war es Thema der Religionen: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Noch war die Erde öde und ohne Leben. Wasser bedeckte das ganze Land. Und es war überall dunkel« – so beginnt die christliche Schöpfungsgeschichte. In Genesis 1,1 schuf Gott am ersten Tag das Licht, am zweiten Tag den Himmel und am dritten Tag versammelte er das Wasser an bestimmten Stellen, sodass das Land zum Vorschein kam.

Das Alte Testament spielt im Zweistromland, also in Vorderasien. Generell nimmt Wasser in nichtwestlichen Ursprungserzählungen einen zentralen Stellenwert ein. In der Schöpfungsgeschichte des Hinduismus, dem Bhavishyotara Purana, erscheint Wasser als Urquell der Existenz. In der babylonischen Mythologie ging die Erde aus dem Wasser hervor. Im Islam ist Wasser das Ursymbol des Lebens, und der Koran vergleicht Allah häufig mit dem Ozean. Im antiken Pantheismus galt Wasser als Chaos und Wildnis, aber trotzdem als Stoff des Lebens. In der griechischen Mythologie ist Ozeanos der älteste Sohn von Uranos, dem Himmel, und von Gaia, der Erde. Flüsse wie der Styx schieden die Lebenden und die Toten. Über diesen Strom mussten die Seelen von einer Welt in die andere übersetzen, wobei der Fährmann Charon für seinen Dienst einen Obolus erhielt. Die Geographie der germanischen Sagen wies eine Dreiteilung aus Asgard (Himmel), Midgard (Erde) und Utgard (Unterwelt) auf. Yggdrasil (die Weltesche) verband die Teile miteinander. Midgard war von einem Meer umgeben, in dem die Midgard-Schlange wohnte, die durch ihre Bewegungen den Wellengang auslöste.

Laut manchen Mythen stammt die Menschheit – oder bestimmte Völker – aus dem Wasser. Ein See an der Südküste Indonesiens heißt segara anakan, das ›Meer der Kinder‹. Das Volk der Karadja in Brasilien hat gemäß seiner Überlieferung einst im Wasser gelebt. In finnisch-ugrischen Kulturen wiederum gibt es die Figur der Wassermutter. Die Maoris schließlich leiten ihre Herkunft von ihrem Urahn Peikea ab, der auf einem Wal reitend an die neuseeländische Küste gekommen sei. Diese Sage bildete den Stoff für den preisgekrönten Film Whale Rider (2002). Das Oberhaupt des Maori-Stammes im Dorf Whangara trägt den Namen Paikea. Ein ausgewählter männlicher Erstgeborener tritt nach einer Mutprobe die Erbfolge an. Im Film stirbt er jedoch, und seine Zwillingsschwester Pais tritt in seine Fußstapfen.

Wasser war und ist zentraler Bestandteil religiöser Rituale. Im alten Rom gab es Kulte zu Ehren von Flussgöttern und Quellnymphen, die laut Überlieferung an Heilquellen lebten. Im Judentum erinnert das Wasserschöpffest (Sukkot) an den Auszug aus Ägypten, bei dem das Wasser Moses und seine Gefährten beschützte und begleitete. Das Rote Meer verschlang beispielsweise seine ägyptischen Verfolger, und der Brunnen Miriam spendete Wasser in der Wüste. Im Christentum taufen die Menschen neue Gemeindemitglieder mit geweihtem Wasser. Im Islam waschen sich die Gläubigen vor dem Gebet das Gesicht, die Hände, die Arme und die Füße. Das Wasser des Ganges, der im Himalaja entspringt, gilt wiederum den Buddhisten und Hindus als heilig. Pilger reinigen sich in ihm, um dem Nirwana näherzukommen.

Wasser. 100 Seiten

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