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3. Kapitel

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Lydia war weiterhin nicht zu erreichen. Nach zwei Tagen vergeblicher Telefonate hatte sich Darius sogar in die Boutique in Cecina gewagt, in der ihre beste Freundin für gewöhnlich schwitzenden, übergewichtigen Touristinnen überteuerte Modefummel aufschwatzte, die die bedauernswerten Opfer unmöglicher aussehen ließen als zuvor. Aber selbst dort wusste niemand mehr, als dass Lydia ein paar Tage Urlaub genommen hatte.

Auch ihre Wohnung war versperrt; er klingelte Sturm, vergeblich.

»Lydia!« Er brüllte ihren Namen durch den stickigen Hausflur, schlug mit den flachen Händen gegen die Wohnungstür und wusste zugleich, dass er vergebens ausrastete, sie war nicht da, konnte ihn gar nicht hören.

Immerhin öffnete sich eine Tür nebenan, eine alte Frau lugte heraus, in blumiger Kittelschürze, das weiße Haar zurückgekämmt, hinten mit einem nicht zur Schürze passenden, neongrünen Samtband zusammengebunden.

»C’è un problema, signore

»Die signora Lydia, ist sie nicht da?« Überflüssige Frage, aber ihm fiel nichts Gescheiteres ein.

»No. È andata a Milano

Er wusste, dass sie keinen triftigen Grund hatte, ausgerechnet jetzt nach Mailand zu fahren, dass sie es lediglich tat, um es ihm heimzuzahlen; dass sie anschließend eine bühnenreife Szene aufführen und sich endlich versöhnen lassen würde; er kannte ihr Spiel seit langem. Dennoch konnte er seinen Ärger nicht verbergen, schmiss seine elf langstieligen Rosen der alten Frau vor die Pantoffeln und polterte grußlos die Treppe wieder hinab.

Zurück im Paradiso sah er vom Küchenfenster aus, wie Luciano, der Sohn des Gärtnereibesitzers, auf seinem grasgrünen Mofa in den Hof knatterte, vor die Bank, auf der Bettina saß, in Reitjeans und Schnürtop. Das Mädchen sagte etwas, mit finsterer Miene, Luciano brüllte zurück, wild mit den Händen gestikulierend, bis es ihm einfiel, den Motor abzustellen und abzusteigen.

Bettina war aufgesprungen, stemmte die Hände in die Hüften, und Darius grinste bei dem Gedanken, dass es mit Sicherheit keine Freundlichkeiten waren, die sie dem jungen Italiener an den Kopf warf.

Wenige Minuten später schien aus einem heftigen Streit eine noch heftigere Versöhnung zu werden. Jetzt hockte Luciano neben Bettina auf der Bank, legte besitzergreifend den Arm um ihre Schultern. Darius runzelte die Stirn. Sicher, seine Verantwortlichkeit beschränkte sich auf die jüngere Schwester, die vierzehnjährige Sabina. Bettina mit ihren achtzehn Jahren ließ sich nichts mehr verbieten und wenn sie sich mit dem Gemüsejungen amüsierte, um sich über die kaputten Familienverhältnisse daheim hinwegzutrösten, konnte er ihr eigentlich keinen Vorwurf machen. Er erinnerte sich an das, was ihr Vater am Telefon erzählt hatte, damals, als er fragte, ob die beiden reitbegeisterten Mädchen dieses Jahr früher kommen dürften, selbst wenn das Gästehaus nach dem Brand noch nicht völlig renoviert war: Die Mutter war Hals über Kopf verschwunden, mit ihrem Aerobic-Lehrer, hatte vor allem die kleine Sabina dadurch in tiefe Depression gestürzt, sodass der Vater auf Anraten des Arztes die Mädchen schon im Mai aus der Schule genommen und ins Paradiso verfrachtet hatte, wo die beiden seit Jahren die großen Ferien verbrachten. Eigentlich war es Bettina, die auf Sabina achten sollte, doch sie hatte sich, nach dem Intermezzo mit Pferdewirt Hannes im letzten Jahr, diesmal in den gut aussehenden Luciano mit seinem frechen Pferdeschwanz und seinem grünen Mofa verknallt. Kinobesuche, Disco-Abende, Strandbummel – wo sollte dem Mädel neben dem anstrengenden Terminplan der Verliebten Zeit bleiben, sich um eine minderjährige Schwester zu kümmern? So fühlte sich Darius verpflichtet, Sabina im Auge zu behalten, die hier auf der Ranch, bei ihren geliebten Pferden, schon viel fröhlicher wirkte als bei der Ankunft.

Bettina beugte sich zu Luciano; er konnte nicht erkennen, ob sie sich etwas zuflüsterten oder rumknutschten. Achselzuckend sagte er sich, dass es ihm egal sein dürfe. Sie war volljährig, aber jung; sie brauchte jemanden, zum Quatschen, zum Ausgehen, vielleicht fürs Bett.

Volljährig. Ken war vierzehn. Und nach seinem achtzehnten Geburtstag? Würde er den Rest seines Lebens in einem Heim verbringen müssen, ständig weggesperrt, wie die Löwen im Zoo, nicht geeignet für diese Standard-Welt? Darius seufzte.

Seine Stimmung sank vollends auf Minuswerte, als er den Stall betrat, um Peter Selmann zu begrüßen, dem er vor zwei Tagen Extrastunden zugesagt hatte. Natürlich hatte der Typ Welldones Sattelgurt viel zu locker geschnallt, immer in der Angst, dem ach-so-zartbesaiteten Tier in irgendeiner Weise weh zu tun. Der Nasenriemen schwang wie ein Artistentrapez frei und weit durch die Luft und der Schweif war nur mangelhaft verzogen, weil Selmann in der ständigen Angst lebte, das Pferd könne nach hinten austreten, wenn er gerade an ihm zugange war.

»Den Sattelgurt! Fester, um mindestens zwei Löcher«, knurrte Darius statt der Begrüßung, die er sich eigentlich vorgenommen hatte, aber es bereitete seiner Reiterseele Höllenqualen, ein dermaßen schlecht hergerichtetes Pferd zu sehen. »Und im Nasenriemen sollen zwei Finger Platz haben, nicht ein kompletter Etruskersarg.«

Pflichteifrig zog Selmann die Riemen enger, klopfte danach Welldones Hals, wie um das Pferd um Entschuldigung zu bitten, dass er es noch mal belästigte.

»Bringen Sie ihn raus!« Darius entschloss sich, das Stroh im Schweif für diesmal zu ignorieren und ging dem anderen voran in die Reitbahn.

»Von welcher Seite steigen wir auf?« Er hatte es satt, jedes Mal die gleiche Frage zu stellen, aber in manchen Dingen schien Selmann unbelehrbar.

»Ach ja, links.« Selmann wechselte die Seite. Zwar hatte er aufgrund seiner Körpergröße keine Probleme, in den Sattel zu gelangen, aber er verlor dabei seine Gerte, die Darius wortlos aufklaubte und zurückgab.

»Sie haben Ihre Steigbügel zu kurz eingestellt. Das soll schließlich keine Springstunde werden, oder?«

Als endlich alles gerichtet war, schlug Darius innerlich drei Kreuzzeichen und ließ Selmann anreiten. »Ganze Bahn.« Wenigstens das würde der Kerl wohl langsam können.

Die Reitstunde nahm den für Peter Selmann typischen Verlauf. Die erste Viertelstunde, in der Pferd – und Reiter – im Schritt gelockert werden sollten, verlief einigermaßen ordentlich, aber sowie es ans Traben ging …

»Treiben, Selmann! Reiten ist Arbeit!« Welldone war das willigste Großpferd im Stall, ein sanfter Brauner mit der friedlichen Gelassenheit eines Buddhas; niemand außer Selmann hatte je Schwierigkeiten mit ihm.

»Zügel nachfassen, die hängen Ihnen durch wie Lakritze!«

»Absätze tiefer!«

»Reiten Sie die Ecken aus! Und, wo ist in Ihren Augen eigentlich der erste Hufschlag?!« Mit jeder Korrektur wurde Darius innerlich gereizter und durfte es sich nicht anmerken lassen.

»Ruhiger mit den Händen! Wollen Sie eine Volte reiten oder einen Martini schütteln?!«

»Wenn Sie lange maulen, nehm ich den Martini!«, rief Selmann zurück, schwitzend unter dem schwarzen Helm, und plötzlich musste Darius über die klägliche Verzweiflung im Gesicht des Mannes lachen und das Lachen befreite ihn, trug den Ärger davon wie die verbrauchte Luft aus seinen Lungen.

Warum regte er sich überhaupt auf? Selmann war ein Reitanfänger, zugegebenermaßen einer der ungeschicktesten, die Darius je unterrichtet hatte – aber was spielte es für eine Rolle?

»Parieren Sie zum Schritt durch und konzentrieren Sie sich auf Sitz und Zügel!«

Eine ganze Weile beobachtete er den Mann, ausnahmsweise ohne zu korrigieren.

Peter Selmann war groß und linkisch und bewegte sich langsam. Sein braunes, gewelltes Haar, die tiefblauen Augen hinter der silbernen Metallbrille, der breite Mund und das eckige Gesicht ließen ihn weniger italienisch aussehen als Hannes oder Darius und doch war er gebürtiger Italiener, allerdings mit einem Südtiroler Vater.

Trotz seiner offensichtlich nicht vorhandenen reiterischen Begabung – man konnte ihm hundertmal erklären, dass er von links aufsteigen sollte, und er putzte seine Brille, nickte gehorsam und stand beim hundertersten Mal dennoch wieder auf der rechten Seite – konnte er keinesfalls dumm sein; er war studierter Archäologe, eine Kapazität für etruskische Ausgrabungen und vermochte mittels eines winzigen, dreckverklebten Stückchens Tonscherbe jahrhundertealte Geschichte zum Leben zu erwecken. Neben Deutsch und Italienisch sprach er fließend Englisch und Französisch, las Griechisch und Latein und Darius hegte immer den Verdacht, dass die vielen Vokabeln und Geschichtszahlen in seinem dreiundvierzigjährigen Hirn keinen Platz ließen für so alltägliche, geistlose Beschäftigungen wie Reiten. Warum der Mann es trotzdem lernen wollte, war ihm lange Zeit ein Rätsel geblieben.

Mittlerweile wusste er mehr. Peters Team war in der Nähe von Populonia auf eine etruskische Siedlung mit Töpferwerkstätten gestoßen. Die Grabungen waren zum Stillstand gekommen, als der Bauer, dem das Grabungsgelände gehörte, die Felder verkaufen wollte, um den Hausbau seiner Tochter zu finanzieren. Staat und Bauer rangelten um den Preis und bis die Sache entschieden war – was sich über Monate hinziehen konnte – durfte Peter nicht weitergraben. Das wäre an sich nicht so schlimm gewesen, da er ohnehin vorgehabt hatte, Urlaub zu nehmen, um ihn mit seinem Sohn, der bei seiner Ex-Frau in Sizilien lebte, zu verbringen. Aber die wenig kooperative Ex-Gattin hatte den Jungen auf einen Schüleraustausch nach England geschickt und nun verfügte Peter auf einmal über viel zuviel freie Zeit. Seine holprigen Versuche auf dem Pferdehof waren somit vermutlich eine Art halbherziger Beschäftigungstherapie für einen arbeitslosen und emotional geschädigten Archäologen.

Arbeitslos. Zuviel Zeit. Darius hatte da plötzlich eine Idee …

»Zügel nachfassen und wieder antraben! Und nicht so zaghaft! Reiten Sie vorwärts, Mann, sonst pennt Ihnen der Gaul unterm Hintern ein!«

Er ließ Peter eine Runde Zeit, ehe er ihm zurief: »Ach übrigens, hätten Sie nicht Lust, sich ein paar Reitstunden zusätzlich zu verdienen? Nötig hätten Sie sie jedenfalls! Sie hängen im Sattel wie meine nassen Waschlappen im Bad!«

»Das fehlte mir gerade noch! Was hätten Sie mir denn für eine Arbeit zugedacht? Mist schaufeln, damit sich Ihr Pferdewirt den schwarzäugigen Schönheiten der Umgebung widmen kann?«

»Keine schlechte Idee! Aber für mich wäre es nützlicher, wenn Sie meinem Jungen Italienisch beibringen. Und zerren Sie verdammt noch mal nicht so am Zügel, sonst braucht das arme Vieh hinterher einen Psychiater, weil es überhaupt nicht mehr weiß, was es soll!«

Dem Jungen Italienisch beibringen? Natürlich hatte Peter Selmann, wie jeder andere in der Gegend, von dem merkwürdigen ragazzo gehört, den il tedesco, der Deutsche, auf den Reiterhof geholt hatte. Die einen sagten, es handle sich um seinen Neffen, andere Stimmen munkelten, es sei sein unehelicher Sohn. Aber hieß es nicht, der Junge sei stumm? Und überhaupt, er, Peter, war Archäologe, kein Lehrer, und hatte keinesfalls vor, seine Freizeit zu ruinieren, indem er anderer Leute Kinder hütete, nicht, während sein eigener Emilio …!

»Ich hab’s ernst gemeint, Selmann, verdammt ernst!« Thanner verfolgte ihn in den Stall, half ihm sogar, Welldone das Zaumzeug abzunehmen und das blaue Stallhalfter überzustreifen. »Der Junge spricht zwar nicht, aber mir wäre sehr geholfen, wenn er wenigstens ein bisschen Italienisch verstünde. Lernintensive Gratis-Einzelstunden für Sie, im Austausch gegen Italienischstunden für den Jungen. Also, wie ist’s?«

Nein, danke, wollte Peter eigentlich sagen, während er Welldones Hals klopfte, doch stattdessen kam es ihm wie von selbst über die Lippen: »Kann ich den Jungen kennen lernen, bevor ich mich entscheide?«

Thanner führte ihn ins Haus, durch ein geräumiges, lichtdurchflutetes Wohnzimmer, dessen geschmackvolle Einrichtung mit Möbeln aus hellem Pinienholz und bodenlangen Vorhängen aus naturfarbenem, ungebleichtem Leinen Peter zugleich angenehm überraschte, als auch wehmütig an seine glücklichen Tage mit Marisa denken ließ, weiter in einen offenen, blumenüberwucherten Innenhof, in dem Bougainvillea und Wandelröschen zwischen grünen Palmen blühten, ein steinerner Springbrunnen mit einem Bronzedelfin als Wasserspeier sacht plätscherte.

Hinter dem Brunnen, halb verborgen hinter den glatten, langen Blättern einer niedrigen Bananenstaude saß oder vielmehr kauerte der Junge auf einer steinernen Bank, den Kopf mit den dunklen Locken über einen Notizblock gebeugt, den Stummel eines Bleistifts in der Hand.

»Ken!« Thanners Stimme klang scharf, viel härter, als er je mit den Pferden zu sprechen pflegte; der Junge riss den Kopf hoch und Peter blickte in ein erschrockenes, geisterhaft weißes Gesicht, in tiefliegende, düster graue Augen.

»Ken, das ist Peter Selmann, der dir Italienisch beibringen wird.«

»No! Aspetti! Ich hab noch nicht zugesagt«, protestierte Peter, doch Thanner fegte den Einwand lässig beiseite wie die Fliegen im Stall. »Mir fehlen sowohl Zeit als auch Geduld, es selber zu tun. Also bleiben nur Sie!«

Arrogantes Arschloch!, dachte Peter. Ich sollte dich glatt stehen lassen und verschwinden. Doch zugleich sah er den verlorenen Blick der grauen Augen des Jungen, so verloren, wie er selbst sich fühlte, seit er die Nachricht erhalten hatte, dass sein Sohn Emilio nicht kommen würde, die langen, heißen Sommertage mit ihm zu teilen …

Zwanzig Minuten später saß der Archäologe neben Kens Schreibtisch. Thanner hatte ihn vorsichtshalber vor Kens unberechenbaren Wutanfällen gewarnt, aber der Unterricht verlief völlig ruhig, angenehm leise für jemanden, der die Stille antiker Stätten gewohnt war und sich deshalb nicht am Schweigen seines Schülers störte.

»Sono tedesco. Ich bin Deutscher.« Kens Schrift war extrem krakelig, die Buchstaben ungleich groß. Mal nach rechts, mal nach links gekippt, die ordnungsheischenden Linien der Zeilen mit erstaunlicher Konsequenz missachtend, erinnerten ihre Formen Peter an die unregelmäßigen Scherben antiker Vasen, die er in einer großen Obstkiste von Populonia mitgenommen hatte, um sie bei sich zu Hause zusammenzusetzen.

»Sei tedesco. Du bist Deutscher. È tedesco …«

Spiegelten die wirren, ungleichmäßigen Lettern in irgendeiner geheimnisvollen Weise den Seelenzustand des Jungen wider?

Während der Junge schrieb, den Kopf so dicht über das Blatt gesenkt, als befürchte er, die Buchstaben würden davonlaufen, sobald er aufhörte, sie mit seinen finsteren Blicken zu fixieren, versuchte Peter zu verarbeiten, was Darius Thanner ihm erzählt hatte:

Ein sechsjähriger Junge, schon im Kindergartenalter auffällig, der einen Spielgefährten krankenhausreif schlug, von seiner vermutlich überforderten Mutter in ein privates Heim für schwer erziehbare und geistig behinderte Kinder abgeschoben wurde. Ein Junge, der zwei Jahre später aufhörte zu sprechen, als sich ein Pfleger namens Randolf, der sich wohl intensiv mit Ken beschäftigt hatte, das Leben nahm. Ein Junge, der seit seinem achten Lebensjahr konsequent jegliche sprachliche Äußerung verweigerte. Die Vorstellung, dass ein Kind, das physisch zum Reden imstande war, sechs Jahre lang kein Wort von sich gab, schien Peter unfassbar – sein Emilio konnte keine halbe Stunde den vorlauten Mund halten – und weckte zugleich seine wissenschaftliche Neugier.

Ken hielt den Kopf gesenkt, sah diesen neuerlichen Fremden nicht an, während er sich verdrossen mühte aufzuschreiben, was der Mann diktierte und vorsprach. »Uno, due, tre …«

Im Prinzip hatte Ken nichts dagegen, Italienisch zu lernen. Wenn er abhauen wollte – und das blieb trotz des Fiaskos beim ersten Versuch sein dringlichstes Ziel –, würde ihm die Kenntnis der Sprache nützen. Blieb abzuwarten, wie dieser Peter Selmann sich entpuppte. Anfangs waren die meisten Lehrer scheißfreundlich oder taten wenigstens so. Bis ihm zum ersten Mal die Sicherung flog …

»Quattro, cinque, sei …« Was kam danach noch mal gleich? Er spürte die vertraute Panik, wie jedes Mal, wenn er in der Schule versagte, wartete resigniert auf die unvermeidlichen Worte, die ihn zum Blödmann Europas abstempeln würden …

»Ich glaube, für’s Erste reicht’s dir, nicht? Lass uns eine Pause machen.«

Ken legte den Stift sorgfältig neben das Heft, starrte weiter auf das Papier. Was würde jetzt kommen?

»Spielst du Tischtennis, Ken?«

Nun sah er doch auf, misstrauisch wie immer.

»Beim Gästehaus steht eine Platte. Wir könnten spielen und die Punkte auf Italienisch zählen. Hast du Lust?«

Ken fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Beim Gästehaus lungerte nachmittags meist dieser Luciano herum, der Sohn des Gärtnereibesitzers, der es auf die beiden Mädchen – beziehungsweise zumindest auf Bettina – abgesehen hatte und leider ausreichend deutsch sprach, um sich erbarmungslos über ihn lustig zu machen. Einer mehr zum Hassen! Unwillkürlich krampften sich seine Hände zu harten Fäusten.

»Komm! Lass es uns versuchen!«

Er wollte nicht, gehorchte trotzdem und stellte mit ungeheurer Erleichterung fest, dass der Platz um die Platte diesmal leer war.

Abends stand Ken am Fenster, wie er im Heim immer am Fenster gestanden war. Ohne das verfluchte Gitter würde er vielleicht auch Randolfs Lösung vorziehen. Er dachte zurück an den grotesk verzerrten Körper auf dem Asphalt, schauderte. Niemand wusste, dass er zugesehen hatte, und er würde es nie jemandem erzählen können, genauso wenig wie die seltsamen, widerstreitenden Gefühle, die ihn damals quälten, jene Mischung aus Trauer und Hass, Erleichterung und Sehnsucht. Wenn Randolf ihn in den Armen hielt, hatte er sich manchmal geborgen gefühlt, trotz allem …

Erfreut sah er, dass die Nacht wieder hell sein würde, weißgolden hing ein dicker Mond über den Pinien. Ken kniete sich auf den Tisch unter dem Fenster, öffnete es leise, ganz, ganz langsam, um Thanner nicht zu wecken, der im Raum nebenan hoffentlich tief in die grässlichsten Albträume versunken schlief, und um die Hunde nicht zum Bellen zu bringen. Die Wunde an seinem Bein pochte und seine Augen verdunkelten sich vor Zorn und Hass, während über ihm die Sterne verzweifelt funkelten, unfähig, ihm zu helfen, denn Thanner hatte ihn eingesperrt, weggesperrt, wie sie es im Heim immer getan hatten …

»Wo hast du ihn gefunden?«

Darius wandte den Blick nicht von dem reglosen Hundekörper. Joost Amber sah, dass irgendjemand – vermutlich Darius selbst – das Tier in möglichst bequemer Lage auf das Stroh des Stalls gebettet hatte, die Pfoten ausgestreckt. »Nicht ich. Hannes. Bei der Weide.«

Sacht berührte Joost den Arm des Freundes. »Darius, ich versteh, dass du traurig bist. Aber – er war bloß ein Hund!«

»Das hier verstehst du nicht.« Als Darius aufblickte, lag in seinen Augen eine Trauer, wie Joost sie an ihm nur bei Raffaelas viel zu plötzlichem Tod erlebt hatte, damals, als Darius’ Frau mit ihrem feuerroten Cabrio gegen den Baum gerast war, die Geschwindigkeitsbeschränkungen wie immer den langsameren Fahrzeugen überlassend. »Ich weiß, dass er keine Schönheit ist – war, aber er war mein Freund.«

»Dir bleibt immer noch Julia.«

Darius schüttelte den Kopf. »Sie ist alt und sie ist anders! Kein Wachhund. Ihr Charakter ist völlig anders – zurückhaltend. Du weißt es doch.«

»Woran ist er denn, ich meine …?«

»Keine Ahnung. Gift, vielleicht.«

»Wer sollte hier einen Hund vergiften? – Hast du den Tierarzt geholt?«

»Wozu?« Darius’ Stimme klang bitter. »Romeo war längst tot, als Hannes ihn gefunden hat.«

»Wenn er bei der Weide lag, könnte es sein, dass jemand versuchen wollte, ein Pferd zu stehlen.«

»Die Pferde sind alle da.«

Joost wusste nichts weiter zu sagen, fand Darius’ tiefe Trauer um den hässlichen Boxer halb rührend, halb lächerlich.

»Und jetzt?«, fragte er nach einer langen Weile, des Stehens neben dem wenig ästhetischen Kadaver allmählich überdrüssig.

Darius schien aus einem tranceähnlichen Zustand zu erwachen. »Ich muss ihn begraben.«

Für den Moment sah sich Joost vor seinem inneren Auge einen aus Pinienholz geschnitzten, blumengeschmückten Sarg feierlich den Weg zur Wiese hinabtragen, fragte dann vorsichtig und in der Hoffnung, nicht beim Wort genommen zu werden: »Kann ich helfen?«

Darius kauerte sich nieder. »Nein. Das hier will ich allein erledigen, okay?«

Peter Selmann registrierte die gedrückte Stimmung sofort. Thanner war nicht bei der Sache, richtete Welldones Sattel und Zaumzeug wortlos und wie abwesend, ohne die üblichen ätzenden Kommentare.

»Was hat er?«, fragte Peter nach der Reitstunde Hannes und der Pferdewirt zuckte die Achseln. »Der Hund ist draufgegangen.« Er erzählte, wie er Romeo entdeckt hatte, wie Darius nicht zugelassen hatte, dass ihm irgendjemand half, den Kadaver zu vergraben. Als Darius hereinkam, brach er ab, legte warnend den Finger auf den Mund.

»Ist Ken auf seinem Zimmer?«, erkundigte sich Peter.

Darius schien ihn nicht zu hören. »Wo ist das Gift, Hannes? Das Rattengift, das du wegräumen solltest?«

Hannes zog die Packung Zigaretten aus der Tasche. »Der Junge hat’s weggeräumt. Ich hab ihm gesagt, er soll’s in die Futterkammer tun, ganz oben aufs Regal, da wo keiner zufällig hinkommt.«

Mit langen Schritten durchquerte Darius Stall und Sattelkammer; Peter schloss sich ihm an. Die Schachtel mit dem Rattengift war da. Darius nahm sie herunter, ging zu Hannes zurück. »Wie viel war noch drin?«

Hannes spähte in die Schachtel, erschrak offensichtlich. »Du meinst …?«

»Verdammt, so was legt man nicht einfach auf ein Regal! So was sperrt man ein, du Idiot!«, brüllte Darius ihn plötzlich an. Aber Hannes fauchte augenblicklich zurück: »Und wo, zum Teufel, soll ich’s einsperren?! Wir haben keinen einzigen verschließbaren Schrank im Stall!«

»Dann fahr nach Livorno und besorg einen! Jetzt!«, brüllte Darius.

Wütend steckte Hannes die Zigaretten wieder ein und stapfte hinaus. Das wird ein toller Sommer!, dachte er grimmig. Dieser Gemüsefuzzi Luciano spannt mir Bettina aus, der Boss ist kontinuierlich schlechter Laune und zudem hab ich den gemeingefährlichen Idiotenjungen am Hals!

»Non pensa che – Sie glauben nicht etwa, dass Ken …?« Peter Selmann sprach nicht weiter, Darius schnitt mit einer wütenden Handbewegung jede Frage ab, lehnte sich an Vionellas Box.

»Haben Sie Welldone abgesattelt?«

». Ja, natürlich.« Peter verschwieg, dass er es nicht geschafft hatte, dem Pferd das Stallhalfter anzulegen und wartete geduldig.

Der Araber-Haflinger-Mischling streckte seinen Kopf mit dem blonden Schopf heraus, stieß Darius an, der ihm gedankenverloren die braune Nase kraulte.

»Jedenfalls hat der Junge gewusst, wo die Schachtel lag – und dass Gift drin war.«

Peter verspürte einen Anflug von Übelkeit. »Sie können nicht im Ernst glauben, dass er – absichtlich …?« Er brachte auch diesen Satz nicht zu Ende; der Gedanke, wie dieser stille Vierzehnjährige kaltblütig und gewissenlos dem armen Hund Gift zu fressen gab, schien zu ungeheuerlich für Worte.

Als der Archäologe zu seinem Wagen zurückging, sah er für einen flüchtigen Augenblick Kens blasses, finster blickendes Gesicht am Fenster, doch es verschwand sofort. Zumindest sehr viel schneller als das merkwürdige Unbehagen, das Peter befiel, als sich ihre Blicke für den Bruchteil einer Sekunde kreuzten …

»Bring ihn zurück ins Heim!« Lydias Stimme, hoch und schrill und befehlend, war mit Sicherheit noch in der Nachbarwohnung zu hören, da, wo Darius’ Blumen bei der alten Frau gottergeben vor sich hinwelkten. »Bring ihn weg, bevor Schlimmeres passiert!«

»Niemand weiß sicher, ob er’s überhaupt getan hat! Hannes hat das Gift rumliegen lassen, völlig offen!« Nackt, wie er war, stand Darius auf und trat ans Fenster, blickte auf die abendliche Straße, dort, wo Pärchen flanierten, aneinander geschmiegt, so sorglos glücklich, wie er es bis vor wenigen Tagen gewesen war.

»Erst vergiftet er einen unschuldigen Hund, und dann? Dich? Deinen geliebten Hannes oder einen deiner Gäste, den Professor oder die Mädchen? Mich jedenfalls gewiss nicht, denn ich setze keinen Fuß ins Paradiso, nicht, ehe der Irre wieder weg ist!«

Darius wandte sich von den Lichtern der Straße fort, betrachtete ihren Fuß, einen schlanken, sonnengebräunten Fuß, die Zehen, rot lackiert wie Blutflecke … »Lydia, bitte!«

Sie ließ sich nicht bitten, schmiss seine Klamotten vom Stuhl auf den Boden. »Verschwinde! Und komm nicht wieder, eh du ihn nicht irgendwie losgeworden bist! Von mir aus mit Rattengift!« Wie eine zürnende Rachegöttin verschwand sie im Bad. Er hörte, wie sie die Dusche aufdrehte, konnte sich ihren glatten, geschmeidigen Körper vorstellen, wie er sich unter dem glitzernden Wassernebel drehte und wendete, jeden begehrenswerten Muskel voll ausspielend, Tänzerin, die sie war. Doch er ging ihr nicht nach, wie sie es wohl, ihrer Macht über ihn gewiss, erwartete, suchte stattdessen eine Zigarette aus der Hosentasche, Marlboro, der einsame Cowboy, nackt auf dem Bett, merkte kaum, wie die Asche auf ihren Teppich rieselte.

Hatte Lydia Recht? Hatte Joost ihm nicht ebenso geraten, den Jungen zurückzubringen, wenn auch in wesentlich sachlicherem, seinem Berufsstand angemessenen Ton? Hatten sie alle Recht, der schleimige Heimleiter Reimer, Göttin Lydia, Professor Joost? Mit Grauen erinnerte er sich an den toten Hundekörper in seinen Armen, kalt, starr und verschmutzt – und trotz der Wärme im Zimmer begann er zu frösteln.

Er suchte seine Klamotten zusammen, fluchte, weil er sein Hemd nicht fand, und hatte trotzdem keinen Nerv weiterzusuchen oder Lydia zu fragen, schlüpfte in Jeans und Jodhpur-Stiefel, vergaß das Hemd, die Nacht war sowieso lau, fand eine gewisse Befriedigung darin, die Asche in sein leeres Weinglas zu schnippen, was Lydia hasste, und verließ die Wohnung, die Tür ins Schloss feuernd.

Stunden später saß er auf der Weide, noch immer ohne Hemd, da, wo er den Hund begraben hatte, rauchte schweigend eine Zigarette nach der anderen, Julia zu seinen Füßen, versuchte, Klarheit in seine Gedanken zu bringen. Warum hatte er Ken wirklich hierher geholt? Nur aus Trotz gegen Reimer, weil er es von jeher abgelehnt hatte, sich irgendwelchen hochnäsigen Autoritäten zu beugen? Oder wegen Regine, wegen der Erinnerung an die Zeiten, wo sie sich gegenseitig ihre ersten Liebesabenteuer schilderten, heftig ausgeschmückt, um Bruder beziehungsweise Schwester zu beeindrucken? Sie waren einander sehr nahe gestanden damals, Regine und er, zusammengeschmiedet durch die Distanziertheit eines allzu strengen Vaters und einer schwachen Mutter. Oder vielleicht, weil es in seiner kurzen, stürmischen Ehe mit Raffaela nicht zu einem Kind gekommen war? Wenn sie damals nicht gegen den Baum geknallt wäre, hätten sie jetzt vielleicht … Er musste an Joost denken, der die Briefe oder Mails seines Sohns Axel beim Abendessen vorlas, stolz auf einen Jungen, der ihn nie besuchte, mit dem er sich nie verstanden hatte und den doch der Glanz des begabten Medizinstudenten verklärte … Und er selbst? Onkel eines minderbemittelten Neffen, der hemmungslos Tiere vergiftete und sich in die Hosen schiss, wenn ihn ein Pferd anzwinkerte? Geliebter einer drittklassigen italo-amerikanischen Nachtclubtänzerin, die einen dressierten Affen aus ihm machte, stets bereit, vor aller Leute Augen nach unsichtbarer Flötenmusik zu springen?

Julia legte ihre Schnauze auf sein Knie und er schüttelte den Kopf. »Du verstehst nichts, gib dir keine Mühe! Hast du nicht gehört, was Joost gesagt hat: Romeo war nur ein Hund und du bist auch nicht mehr.« Er drückte die Zigarette aus und ging zurück ins Haus, wo er zweimal kontrollierte, ob Ken sicher in seinem Zimmer eingeschlossen war. Wenn er denn dabei war, weitere Katastrophen heraufzubeschwören, sollten sie wenigstens bis morgen warten!

»Das ist ein Pferd, du Idiot, kein Tiger!« Hannes grinste in sich hinein, als Pepe erneut versuchte, Ken an die Stallwand zu drücken. Das gesprenkelte Pony hatte sofort begriffen, dass dieser Mensch sich vor ihm fürchtete, nutzte die Situation weidlich aus, tänzelte angeberisch, warf den Kopf herum, deutete mit dem Hinterhuf leichte Schläge nur an, genau wissend, dass es bei einem echten Schlag sofort selbst Probleme bekommen würde. So wie Hannes wusste, dass Darius Einkaufen gefahren war, vermutlich bei Miss Erotica Lydia hängen bleiben würde, so dass er selbst bei dem Idiotenjungen freies Spiel hatte.

Ken, schwitzend und voller Angst, traute sich nicht, das Tier anzufassen, hielt den Striegel, mit dem er Pepe putzen sollte, auf Armeslänge entfernt, stolperte zurück, fiel über den Putzeimer.

»Na los, willst du den ganzen Tag mit einem einzigen kleinen Pony rumwursteln?! Ran mit dem Striegel, er tut nichts, spielt sich bloß auf!« Hannes sagte damit sogar die Wahrheit; Pepe liebte diese Machtkämpfe, ohne dass er jemals wirklich etwas Schlimmes tun würde, aber Hannes wusste ebenso, dass dem völlig in Panik geratenen Jungen dieses Wissen nicht half. Er müsste ihm raten, das Pony kürzer anzubinden, vergaß es absichtlich.

»Sogar zu blöd, ein Pony zu putzen, wie?!« Zufrieden mit der Entwicklung der Geschichte suchte Hannes das Werkzeug zusammen, um das defekte Scharnier an Conchos Tor auszuwechseln, und hoffte, dass Darius wirklich lange genug wegblieb, damit er das gemeine Spiel genießen konnte.

»Hör nicht auf ihn, blöd ist er selbst!« Ken schrak noch mehr zusammen, als er die Stimme des Mädchens hörte. Bettina trug ihr Haar, wie fast immer, offen. Die dichten, dunklen Locken rieselten frei auf ihre Schultern, lediglich von einem schmalen, blauen Reif aus dem Gesicht zurückgehalten. Sie setzte sich auf einen der Strohballen, sah Ken durch die offene Boxentür zu. »Weißt du, dass ich mit ihm gegangen bin, letzten Sommer? Heut kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen, mir wird bei dem bloßen Gedanken schlecht! Was hab ich damals an dem großkotzigen Typen gefunden? Und schau ihn dir an, wie er aussieht! Wie eine Werbung für Lungenkrebs, mit seinem Skelettgesicht und einem Körper, den man zum Abdecker bringen würde, wenn er zu einem Pferd gehörte!«

Es fiel Ken schwer, nach außen hin ruhig zu bleiben, wenn auf der einen Seite Pepe mit dem Kopf nach ihm schlug, auf der anderen Seite das Mädchen saß, die braungebrannten, in hellen Shorts steckenden Beine übereinandergeschlagen, während sie ihre Locken zurechtschüttelte, mit ihm plauderte, wie nie zuvor ein Mädchen mit ihm gesprochen hatte. Und Hannes’ ohnehin dünne Lippen wurden schmaler und schmaler, die Falte zwischen seinen Augen steiler und bedrohlicher. Auf einmal hatte Ken Angst. Hannes würde irgendjemanden zahlen lassen für die Art, wie das Mädchen ihn heruntermachte, vor einem Zeugen, selbst, wenn dieser stumm und in seinen Augen ein Idiot war!

»Tina! Ecco! Sag bloß, du machst jetzt sogar für diesen Stalltrottel schöne Augen! Verschwende dein Lächeln nicht an ihn, bellissima, verschwende es an mich!« Luciano, der Macho-Sohn des Gärtnereibesitzers Pozzini, den grünen Mofahelm mit dem Totenkopfaufkleber in der Hand, die langen, heute geölten Haare zu dem üblichen Pferdeschwanz gebunden. Der hatte hier gerade noch gefehlt!

Ken durchzuckte glühender, nie gekannter Schmerz, als er Bettinas helles Lachen hörte. Über Hannes schimpfte sie, weil sie ihn selbst nicht ausstehen konnte, aber wenn ihr blöder Gemüseheini ihn verspottete, konnte sie lachen! Er spürte, wie einmal mehr die Wut in ihm hochkochte, die Angst verdrängte, rasende, rote Wut. Seine Hände krallten sich um den Putzstriegel, er schlug nach Pepe, der mit einem Mal erschrocken still hielt, hörte nebenbei, wie Hannes’ Handy klingelte, der Pferdewirt hinausging, nicht ohne die zornig gebellte Ermahnung, Ken solle endlich anständig arbeiten.

Luciano trat hinter Bettina; seine Hände fanden ihre Schultern, die rechte Hand glitt tiefer, strich über ihre runde, weiche Brust, die unter dem T-Shirt kein BH einzwängte. Bettina kicherte, schob seine Finger fort. »Nicht hier, Luciano!« Doch ihr Protest war schwach, reines Spiel, und Lucianos Hand kehrte sofort zurück.

»Wieso nicht, mia bella? Hier sieht uns keiner.« Er warf einen verächtlichen Blick auf Ken. »Nur der Vollidiot, aber der kapiert sowieso nicht – Aiuto! Hilfe!« Der junge Italiener sprang zur Seite, als Ken aus der Box herausschoss, auf ihn zu, die Mistgabel in beiden Händen, wie ein Bajonett nach vorn gerichtet.

Stalltrottel! Vollidiot! hallte es ins Kens Kopf und die Stimmen in seinem Gehirn kreischten: Gib’s ihm, mach ihn fertig, mach ihn alle!

Er hörte Luciano brüllen, Bettina schreien, und irgendwie war plötzlich Pepe in der Stallgasse und Ken hieb dem Pony die Mistgabel über das dreckige Fell, endlich frei von Angst. Pepe stieg und er hob die Mistgabel wieder, hielt sie in Brusthöhe wie einen Speer, um sie auf Luciano zu schleudern, dem der Schrei im Mund erstarb, dessen eben noch so selbstgefälliges Grinsen zu einer Grimasse der Angst gefror, und das Mädchen kreischte schrill und in Kens Kopf jubilierten Triumph, Stärke, Kraft.

Im gleichen Moment schoss das Pony los, Richtung Stalltor und Freiheit, warf ihn gegen die Wand, jetzt brüllte Luciano wieder und im nächsten Augenblick waren sie über ihm, Hannes und der Italiener, vereint gegen den gemeinsamen Feind. Luciano presste ihn auf den Boden und Hannes prügelte mit der Reitgerte auf ihn ein, wieder und wieder, mit aller Kraft. Doch Ken spürte kaum Schmerz in seiner rasenden, die ganze Welt umfassenden Wut, spürte nur mörderischen Zorn und fast unmenschliche Stärke, sodass es ihm gelang, erst Hannes abzuschütteln, dann Luciano. Erneut stürzte er sich auf die Mistgabel, riss sie hoch, zielte, noch auf den Knien, diesmal auf Hannes’ Gesicht, da traf ein dunkler Stiefel sein Handgelenk, dass es fast zu brechen schien.

Er brüllte selbst auf, als ihn schon eine kräftige Hand hochriss; ein Schlag im Magen nahm ihm die Luft, er knickte zusammen, landete im übelriechenden Stroh der Box, die Pepe fluchtartig verlassen hatte. Er sah, wie Thanner Hannes die Gerte aus der Hand riss, und nun bezog er die zweiten Prügel, schlimmer als die ersten, viel schlimmer, während Luciano im Hintergrund zeterte: »Madonna! Er wollte mich umbringen! Der Kerl wollte mich umbringen! Mit der Mistgabel wollte er mich umbringen, Bettina hat’s gesehen und Hannes auch!«

»Zitto!«, herrschte Darius ihn an, blickte von einem zum andern, so drohend, dass alle verstummten, niemand etwas zu sagen wagte, während sich Ken im Stroh zusammenrollte, stumm wie immer.

»Bettina! Was ist wirklich passiert?!« Es war keine Frage, sondern ein Befehl. Das Mädchen schluckte, aber sie war ehrlich. »Es stimmt, dass Ken Luciano angegriffen hat. Aber Luciano – hat ihn ein bisschen provoziert.«

»Ich zeig ihn an!«, begann Luciano wieder zu schreien. »Ich zeig den Kerl an, der gehört weggesperrt! In eine Anstalt gehört der! In eine Zwangsjacke mit Vorhängeschloss!«

»Schnauze!«, brüllte Darius ihn nieder. »Wissen dein Bruder und dein Vater überhaupt, dass du hier ständig die Zeit, in der du arbeiten solltest, mit deinen Liebschaften vertrödelst?! Zeig den Jungen an und ich geh zu deinem Bruder!«

Die Drohung schien den jungen Italiener deutlich zu ernüchtern, womit Darius, der den Ruf von Lucianos um mehr als zehn Jahre älteren Bruder Carlo kannte, gerechnet hatte. »Verschwinde!«, herrschte er ihn an, seinen Vorteil ausnutzend, und Luciano zog sich tatsächlich zurück, italienische Flüche vor sich hinmurmelnd. Kurz darauf zeigte das Knattern des Mofamotors an, dass er fürs Erste genug vom Paradiso hatte.

Bettina weinte, Pepe tobte verschreckt draußen über den Hof, Eimer und Sattelböcke umwerfend, die anderen Pferde wurden ebenfalls unruhig, Vionella donnerte rhythmisch mit den Hufen gegen die Boxenwand, und Hannes ließ rasch die Zigarettenkippe verschwinden, die glimmend in der Stallgasse zu Boden gefallen war.

Darius schlug mit der Reitgerte gegen Vionellas Box und der temperamentvolle Araber-Haflinger schnappte mit zurückgelegten Ohren nach seiner Hand. »Hannes, fang Pepe ein, bevor er alles kurz und klein schlägt! Bettina, hör auf zu flennen, dein Lover wird spätestens morgen wieder aufkreuzen, so schnell lässt sich ein Italiener bei der Liebe nicht dreinreden!« Er zerrte Ken hoch, der jetzt, nachdem der Wutanfall vorbei war, schlaff die Arme hängen ließ. »Und du wirst den Rest des Tages auf deinem Zimmer verbringen!«

»Italienisch fällt aus. Aber Sie können gleich Welldone reiten, wenn Sie wollen!« Darius war oft kurz angebunden, doch Peter Selmann begriff sofort, dass erneut etwas Schlimmes geschehen sein musste. »Warum fällt es aus?«

»Der verdammte Junge hat versucht, Luciano umzubringen!«

»Was?« Entsetzt starrte Peter den anderen an.

»Luciano hat sich wohl über ihn lustig gemacht! Vielleicht sollte er seine Deutschkenntnisse nicht unbedingt mit Schimpfwörtern aufbessern!« Darius’ Stimme klang metallisch hart. »Aber selbst, wenn mich jemand als Trottel beschimpft, hab ich nicht das Recht, ihn deswegen mit der Mistgabel abzustechen!«

»Wo ist Ken jetzt?«

»Ich hab ihn in seinem Zimmer eingeschlossen.« Darius sah grimmig drein wie nie. »Wir haben ihn mit der Gerte verprügelt, dass er sich ohnedies tagelang kaum rühren können wird.«

»Lassen Sie mich zu ihm.«

»Damit er auf Sie losgeht? Sie mit dem Kugelschreiber in Schaschlik verwandelt? Reimer hatte völlig Recht: Der Irre gehört weggeschlossen, in die Klapsmühle!«

»Hören Sie auf!« Peter brauchte üblicherweise lange, bis er in Wut geriet, aber nun war es soweit. »Und nennen Sie ihn verdammt noch mal bei seinem Namen! Er ist ein Mensch mit den Rechten eines Menschen! Wenn Sie wollen, dass es anders wird mit ihm, werden Sie von Ihrem hohen Ross runtersteigen und sich mit ihm abgeben müssen, anstatt ihn einfach in die Ställe abzuschieben! Und jetzt rücken Sie den Schlüssel raus, ich will nicht völlig umsonst mein teures Benzin verfahren haben!«

Ken lag auf dem Bett, das weiße Gesicht schmerzverzerrt. Sein graues T-Shirt und die Shorts waren dreckverschmiert, rochen unangenehm nach Stall. Auch über seine Wange zog sich ein breiter Schmutzstreifen. Peter schüttelte fassungslos den Kopf. Hatte Darius nicht wenigstens so viel Verstand, dem Jungen saubere Sachen zu geben und darauf zu achten, dass er sich wusch?

Ohne Hemmungen bediente sich Peter im Bad nebenan mit Waschlappen und Handtüchern, kehrte in Kens Zimmer zurück, durchstöberte den Schrank des Jungen nach sauberer Kleidung, nahm ein verwaschen, blaues T-Shirt heraus, verknitterte Billigmarke Großkaufhaus, erspähte plötzlich, im hintersten Eck des Fachs, halb unter ordentlich gestapelten novembergrauen Einheitssocken verborgen, die Ecke eines eng beschriebenen Blattes Papier.

Peter warf einen vorsichtigen Blick zum Bett. Ken hatte das Gesicht unter dem Arm vergraben, rührte sich nicht. Schnell nahm Peter das Blatt heraus, überflog die letzten Zeilen: Ich hasse sie. Ich hasse sie alle. Sie lachen, weil ich dumm bin, sie lachen, weil ich ihre beschissene Sprache nicht verstehe. Ich hasse sie und ich stelle mir vor, wie sie krepieren, wie ich jeden von ihnen krepieren sehe, ihre Schreie höre, ihre Gesichter sehe, rot von Blut. Ich hasse alle. Nur die Mädchen … Der Satz wurde nicht vollendet, aber die überraschend gut skizzierten Porträts unter dem Text ließen unschwer Bettina und Sabina erkennen.

Rasch legte Peter das Blatt zurück in sein Versteck, mit dem Gefühl, ein Unrecht begangen zu haben. Und zugleich fragte er sich, ob das Ich hasse alle ihn mit einschloss.

»Lydia?« Darius klemmte den Hörer zwischen Schläfe und Schulter, während er nach den Zigaretten auf dem Nachttisch angelte.

»Bist du ihn losgeworden?« Unfassbar, wie ihre Stimme klingen konnte, diamanten, strahlend schön und von unvergleichlicher Härte.

»Nein, ich, das heißt … Ich arbeite dran und …«

»Dann haben wir uns nichts zu sagen.«

Aufgelegt. Darius wollte sich eine Zigarette anstecken, doch die Packung war leer. Er feuerte sie quer durch den Raum gegen die Wand. Liebe! Nichts weiter als ein Scheiß-Spiel für Idioten?!

Er ging hinunter, um im Wohnzimmer nach seinen seelentröstenden Suchtstäbchen zu fahnden, fand welche – sämtlichen Mächten der Finsternis, die seine Lungen zerstören wollten, sei Dank! – und trat in die Nacht hinaus.

Julia schleppte sich von der Hundehütte herüber, ein lautloser, müder Schatten, unglückliche Gefährtin seines Unglücks. Eine Hunde-Julia ohne Romeo, neben einem qualmenden Möchtegern-Romeo mit einer Julia aus Stahl.

Sie hatten Recht, alle! Es konnte nur der Junge gewesen sein, der den Hund vergiftet hatte, und vielleicht würde morgen Luciano im Stall liegen, verkrampft unter der Wirkung von Rattengift, die Zunge geschwollen, die Augen verdreht. Oder Hannes. Oder Joost. Oder er selbst … Er musste den Jungen wieder ins Heim bringen, dann würde auch sein, Darius’, Leben wieder ins Gleis, seine Lydia, seine Göttin, zu ihm zurückkommen.

Mit dem Fuß drückte er den glimmenden Zigarettenstummel in den Sand, klopfte Julias Fell und kehrte ins Haus zurück, wo er sich an der Bar nach einer Flasche Schlaf fördernden Whisky umsah.

Er träumte wirr, Fetzen unausgegorener Gedanken, vermischt mit neurologischen Kurzschlüssen. Regine erschien in seinem Traum, wollte seine Trauzeugin werden, aber Lydia war verschwunden. Er suchte an Orten, von denen er nicht zu sagen vermochte, wie er dorthin gelangt war: unter Reimers Schreibtisch in einem klinisch-sterilen Büro, in der Wohnung ihrer alten Nachbarin, die ihm seine Blumen zum Essen servierte, und zuletzt entdeckte er Lydia: theatralisch hingestreckt, im altmodisch-weißen Brautkleid, auf Romeos Grab. Und ihre Brust war rot von Blut … Er schrie, fuhr auf, noch den Nachhall des eigenen Schreis im Ohr, doch er war in seinem Zimmer, allein.

Danach konnte er nicht mehr einschlafen. Reimers Worte von der Katastrophen-Garantie im Ohr und den Nebel des Whiskys im Kopf, warf er sich zwei Stunden im Bett herum, zunehmend genervt, das still duldende Kopfkissen malträtierend, als wäre es für alles Unheil der Welt verantwortlich.

Um fünf nach fünf gab er den Kampf auf, ging ins Freie, pfiff in der Dämmerung leise nach Julia, wollte eine Runde joggen, um den bleiernen Whisky-Dunst loszuwerden, doch sie kam nicht und war nicht in ihrer Hütte.

Darius spürte, wie die Unruhe der Nacht sich verstärkte, zusammen mit den Kater-Kopfschmerzen. Er sah zu Kens Fenster hinauf: Die Flügel standen offen, die Gardine wehte an die Fenstergitter, aber alles war dunkel. Und trotzdem ließ ihn die seltsame Furcht nicht los, erst recht nicht, als auch der zweite Pfiff erfolglos im morgendlichen Dunst verhallte.

Nicht auch noch Julia!, dachte er verzweifelt, lief zu den Ställen, auf die Weide, vor zum Briefkasten an der langen Auffahrt, und da sah er sie, am Straßenrand, unter den Zypressen. »Julia!«

Hatte sie ihn nicht gehört? War sie völlig taub geworden in diesen letzten Tagen, gab es das, dass ein Hund vor Kummer taub wurde? Sie wandte nicht den Kopf, auch nicht, als er erneut rief, lauter, und er musste an Reimer denken, an die Katastrophe, vor der er so oft gewarnt worden war. Aber es war doch nichts passiert, außer dass der Hund nicht hörte, also warum packte ihn diese unerklärliche Angst, schnürte seine Kehle und seinen Magen zusammen?! Warum begann er sogar zu rennen, verkatert wie er war, mit einem Kopf voller dröhnender Hämmer, die sein Gehirn wie Glas in Scherben schlugen?!

Und dann wusste er weshalb: Vor ihm im Straßengraben, unter den dunklen Zypressen, die wie Säulen eines Totentempels in den bleigrauen Morgenhimmel ragten, lag eine reglose Gestalt, das helle Muskelshirt zwischen den Schultern voll Blut.

»Der Hund hat ihn gewittert.« Er hatte es der Polizei erzählt, dem Koch Ignazio, der laut heulenden Bettina, jetzt erzählte er es Joost Amber und Peter Selmann, musste wieder und wieder davon anfangen.

»Hier.« Joost goss ihm einen Cognac ein. »Nimm einen Schluck, das beruhigt!«

»Ken war’s nicht.« Darius kannte sich selbst nicht mehr. Seine Hände zitterten und ihm war übel wie selten. Wie Luciano dagelegen hatte, als er ihn vorsichtig umdrehte, in der verzweifelten Hoffnung, wenigstens eine Spur Leben zu entdecken! Das Gesicht blass und fleckig – und diese Augen, anklagend in ihrer Starre, als ob sie ihn ansehen würden. Das grüne Mofa umgestürzt neben ihm im Graben; nie mehr würde es ihn zu Bettina tragen …

Luciano Pozzini, auf den Ken mit der Mistgabel losgegangen war. Luciano, der unter Bettinas Fenster laut und falsch von Liebe sang, doch zum Glück war sie ebenso unmusikalisch wie er … Luciano, ein verliebter Junge, mit all den Dummheiten Verliebter im Kopf, wie tausend andere … Luciano, zu jung um eine Zukunft gehabt zu haben, zu früh gestorben, um je eine haben zu können …

»Was sagt die Polizei?«, fragte Peter sachlich.

»Dass er erstochen worden ist. Von hinten erstochen. Mit so was wie einem Küchenmesser.« Darius rauchte nervös. »Um das zu erkennen, hätt ich keine Bullen gebraucht. Und natürlich wollten sie zuerst den Jungen verdächtigen!«

»Zuerst? Wie meinen Sie das?«

»Sie wissen es doch! Ich hatte den Jungen eingesperrt, wegen der Szene im Stall!« Darius drückte die Zigarette aus, sah sich nach einem Aschenbecher um, fand keinen und ließ den Stummel zu Boden fallen, wo Julia ihn hoffnungsvoll beschnupperte. »Ken kann’s nicht gewesen sein, seine Fenster sind vergittert, die Tür war abgeschlossen! Er hatte keine Möglichkeit, sein Zimmer zu verlassen!«

»Das bedeutet …« Peter zögerte und Darius führte seinen Gedankengang fort: »Das bedeutet, dass hier irgendwo ein verdammter, kaltschnäuziger Mörder rumrennt.«

»Der möglicherweise ausnutzen wollte, dass jeder Ken verdächtigen würde«, murmelte Peter, mehr für sich selbst.

»Und es bedeutet«, fuhr Darius fort, während er sich die nächste Zigarette anzündete, »dass ich Ken nicht ins Heim zurückschicken kann, weil die verdammte commissaria darauf besteht, dass wir alle vor Ort bleiben, bis diese Scheiß-Geschichte aufgeklärt ist.«

Peter sah auf seine Hände. »Weswegen – was wollte Luciano überhaupt nachts auf Ihrer Ranch? Das Landhaus seiner Familie liegt bei Cecina!«

»Sind Sie wirklich so naiv, Mann?! Was wird er gewollt haben? Sind Sie nie nachts liebeskrank unter dem Fenster eines Mädels gehockt, in der Hoffnung, dass sie Ihnen aufmacht oder wenigstens gestattet, demutsvoll den Mond anzuheulen?«

Sie schwiegen alle.

»Vielleicht war es die Mafia«, mutmaßte Joost und blickte sich unbehaglich um. Er trug noch immer seine Reitstiefel, denn er war auf Darius’ Bitte hin mit Sabina ausgeritten, um das Mädchen auf andere Gedanken zu bringen. Bettina hatte sich geweigert mitzukommen. Luciano war ihr Freund gewesen, und mehr als das …

»Und womit soll er sich den Zorn des organisierten Verbrechens zugezogen haben? Ausgerechnet er, ein stinkfauler Gärtnerjunge?«, fragte Darius sarkastisch. Weder Joost noch Peter wussten Antwort, hätten auch keine gegeben, denn in diesem Moment kam Ken in den Speisesaal.

Der Junge hatte den Vormittag auf seinem Zimmer verbracht, seit die Polizei vergeblich versucht hatte, ihn zu verhören – immerhin ging sein Fenster zum Hof und zur Straße hinaus und vielleicht hatte er etwas gesehen oder gehört, doch Ken hatte beharrlich geschwiegen, so, als habe er die Fragen nicht einmal verstanden, obwohl Darius sie in einfachstes Deutsch übersetzte.

Darius hob den Blick, sah Ken über die Zigarette hinweg an. Ausdruckslos starrte der Junge zurück. Unwillkürlich krampfte sich Darius’ Magen zusammen. Hatte Ken in irgendeiner Weise mit Lucianos Tod zu tun? Aber er hatte ihn am Vorabend eingesperrt, oder? Mit einem leisen Gefühl von Schuld dachte er daran, dass er den Jungen hergebracht hatte. Wenn Ken schuldig war, war er selbst es tausendmal mehr!

»Nach dem Essen hilfst du Hannes!«, befahl er schroff. »Und wenn heute auch nur die allerkleinste Kleinigkeit vorfällt, kriegst du’s mit mir zu tun, kapiert?!«

Ken senkte den Kopf. Doch Darius hatte eben noch den auffunkelnden Hass in seinen zuvor so teilnahmslosen Augen gesehen. Einen Hass, der ausreichte, Menschen zu töten?

Toskanisches Schattenspiel

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