Читать книгу Seewölfe Paket 33 - Fred McMason - Страница 44
2.
Оглавление„Die ‚Salvador‘ gibt Signal!“ rief Gary Andrews vom Vorschiff. „Der Generalkapitän wünscht dich zu sprechen, Sir.“
„Don Ricardo?“ fragte der Profos überrascht. „Was kann der schon wollen?“
„Was wohl?“ Der Seewolf deutete mit einer umfassenden Handbewegung nach Steuerbord, wo viele, viele Meilen entfernt Land lag – genauer gesagt die Südwestküste der Bretagne. Nach flüchtigem Überlegen wandte er sich an Gary Andrews: „Gib zur ‚Salvador‘ zurück, daß ich mit dem Generalkapitän reden werde, sobald die See sich beruhigt hat.“
Kurze Zeit später wurde offenbar, daß Don Ricardo de Mauro y Avila nicht mehr gewillt war, sich hinhalten zu lassen. Erneute Zeichen vom Flaggschiff bedeuteten, daß er umgehend mit Don de Vilches sprechen wolle. Anderenfalls sähe er sich gezwungen, auf eigene Faust zu handeln.
„Der bläst sich nur auf“, meinte Nils Larsen.
„Das ist nicht mehr als ein Warnschuß vor den Bug“, sagte Mac Pellew.
„Und wenn der doch Lunte gerochen hat?“ grollte der Profos.
„Das hat er längst.“ Hasard winkte lässig ab. „Er weiß es nur noch nicht. Und ich werde dafür sorgen, daß das weiterhin so bleibt. Wenigstens bis wir bei den Scilly-Inseln auf Ostkurs abdrehen.“
„Du willst also zur ‚Salvador‘ übersetzen?“ Der Profos rieb sich erwartungsvoll die Pranken. Es knirschte dabei, als sei die Schebecke soeben auf ein Riff gelaufen. „Wen nimmst du mit? Du brauchst Begleiter mit Überzeugungskraft.“
„An Bord des Flaggschiffs wird nicht geprügelt.“
„Habe ich das behauptet?“
„Dein Grinsen verrät genug.“
„Also, dieser Don Ricardo hat eine Visage, da juckt es mich jedesmal gehörig in den Fingern …“
„Ed!“ sagte Hasard scharf.
„Schon gut.“ Der Profos schnaubte wie ein untertauchendes Walroß. „Ich beschränke mich darauf, nur im äußersten Notfall einige behutsame Kläpschen auszuteilen. Obwohl das diese quergekanteten hohlen Donschädel bestimmt nicht ins Lot rückt. Anwesende natürlich ausgenommen“, sagte er mit einem flüchtigen Seitenblick zu Don Juan de Alcazar, der eben erst zu ihnen getreten war.
Hasard ließ die kleine Jolle zum Aussetzen klarmachen. Don Juan, der Profos, Ferris Tucker und Mac O’Higgins sollten ihn begleiten.
Wenig später pullten sie, in spitzem Winkel zur herrschenden Strömung, der „Salvador“ entgegen. Natürlich hätte Hasard den Generalkapitän auf die Schebecke befehlen können, doch wäre Don Ricardo kaum erschienen. Im momentanen Stadium war es besser, den Spanier nicht schon solcher Kleinigkeiten wegen herauszufordern. Noch hätte eine Auseinandersetzung den Verlust des Konvois oder wenigstens der Mehrzahl der Schiffe bedeutet, weil zu viele Fluchtwege offenstanden.
Die Jolle wurde arg gebeutelt, bis sie endlich an Steuerbord der Galeone längsseits lag. Das Wasser stand im Boot mehr als knöchelhoch, doch die nassen Füße spürte keiner, da der Regen nach wie vor wie aus Kübeln niederprasselte.
Mit einer unwilligen Bewegung strich sich Hasard die triefenden Haare aus der Stirn, bevor er zur Kuhl der „Salvador“ aufenterte. Seine Begleiter und er wurden lediglich von den beiden Offizieren empfangen und zu den Achterdeckskammern geleitet.
Es war zuviel erwartet, Don Ricardo höchstpersönlich an Deck zu sehen. Er zog die behagliche Geborgenheit im Trockenen der klammen Nässe auf der Haut vor. Zu seiner mürrischen, rechthaberischen Art gehörte demnach auch eine Portion Stutzertum.
„Bei dem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür“, raunte Carberry gerade so laut, daß nur Hasard und Don Juan ihn verstehen konnten.
Die Kapitänskammer war zwar nicht übermäßig geräumig, doch sie bot den insgesamt acht Personen ausreichend Platz und hatte zudem einigen Komfort, wie er auf den anderen Galeonen nicht zu finden war, angefangen von den gepolsterten Stühlen über die schweren Brokatvorhänge vor den teilweise sogar bunten, bleiverglasten Scheiben bis hin zu der mit einem Baldachin verhängten Koje.
„Ein Lotterbett“, stellte Carberry sachlich und anerkennend zugleich fest. Natürlich befleißigte er sich einer derart flüsternden Aussprache, daß keiner, der nicht auf Tuchfühlung neben ihm stand, etwas hörte, geschweige denn sah, daß er die Lippen bewegte. Für den Profos, sonst das Donnerwetter in Person, bedeutete das eine beachtliche Leistung an Selbstbeherrschung.
Ferris Tucker stieß ihm den Ellenbogen in die Seite.
„Du kennst dich aus mit Lotterbetten?“
„Ich weiß, daß das eins ist, und das genügt.“
„Bitte, Señores, setzen Sie sich“, sagte Don Ricardo de Mauro y Avila in dem Moment.
Leider waren Stühle nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Aber das tat der sichtlich besser werdenden Laune des Profosen keinen Abbruch. Bevor ihn jemand hindern konnte, trat er die paar Schritte zur Seite, die ihn von Don Ricardos anheimelnder Schlafstatt trennten, und ließ sich wohlig grunzend auf die ausgebreiteten Decken sinken.
Die Laute, die er produzierte, vermischten sich mit dem gequälten Ächzen und Knarren der hölzernen Unterkonstruktion und dem nicht minder eindrucksvollen Rascheln der Matratze. Bis zur Hüfte versank der Profos in einer Kuhle. Das Knarzen verstärkte sich aber nicht mehr, als er probeweise wippte.
Tucker warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, woraufhin der Profos sich über die Lippen leckte und bestätigend nickte.
In dem Moment sprach Hasard bereits und zog damit die Aufmerksamkeit des Generalkapitäns auf sich.
„Sie wollten eine Besprechung, Don Ricardo. Was ist von derartiger Wichtigkeit, daß es nicht noch einige Stunden Aufschub vertragen hätte?“
Der Generalkapitän lehnte sich in seinem Sessel zurück, stützte die Ellenbogen seitlich auf und legte das Kinn auf die ineinanderverschränkten Hände. Ausgerechnet er, der aggressiv wurde, sobald ihn jemand länger anblickte, starrte den Seewolf aus dieser Haltung heraus durchdringend an.
„Unser Kurs“, sagte er hart.
Grelle, zuckende Helligkeit durchflutete die Kammer und zeichnete grotesk verzerrte Schatten. Der Donner, ungewöhnlich lang anhaltend und so dumpf rumorend, als würde das Meer sich jeden Moment auftun und eine Horde monströser Kreaturen ausspeien, folgte auf dem Fuß. Alle starrten durch die verzerrenden Glasscheiben auf die glitzernden Wellen hinaus. Selbst die Mittagssonne strahlte nicht in einem derart kräftigen Weiß, wie es jetzt zu sehen war. Das Gewitter hatte sich längst nicht ausgetobt, sondern schien nach einer kurzen Phase der Beruhigung noch einmal alle zerstörerische Gewalt zu entfalten.
„Wintergewitter sind zum Glück selten“, sagte Don Juan. „Aber wenn sie losbrechen …“
„Wir sind nicht hier, um über das Wetter zu reden, Don Juan“, unterbrach der Generalkapitän schroff.
„Unser Kurs weicht nicht einen Strich von der vorgesehenen Route ab“, sagte Hasard. „So sehr ich die zusätzlichen Strapazen bedauere, die unsere Leute auf sich nehmen müssen, ich sehe keine Möglichkeit, schneller ans Ziel zu gelangen.“
„Im Sturm ohnehin gefährliche Gewässer durchkreuzen und bis fast vor die Haustür unseres Erzfeindes England segeln, wollen Sie das wirklich, Don Julio? Wir gefährden damit unnötig Schiffe, Mannschaften und vor allem unsere Fracht.“
„Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.“
„O doch“, begehrte der Generalkapitän auf. „Ich bin der Meinung, daß wir gerade darüber nicht ausführlich genug geredet haben. Die ‚Nobleza‘ ist spurlos verschwunden, die ‚Respeto‘ explodiert – sollen wir weitere Schiffe verlieren? Gold und Silber werden in Spanien dringender benötigt als je zuvor. Warum kehren wir nicht um, solange noch Zeit dazu ist, und laufen Santander, Gijón oder La Coruña an?“
Hasards Augen verengten sich. Um seine Mundwinkel lag plötzlich ein ungewöhnlicher scharfer Zug.
„Selbst als Generalkapitän stehen Ihnen solche Äußerungen nicht zu. Soll ich Ihre Rede als Meuterei auffassen?“
„Als Vorschlag, Verluste zu begrenzen.“ Während Hasard ruhig und gelassen blieb, kauerte Don Ricardo sprungbereit im Sessel. Seine Finger verkrampften sich um die Armlehnen, daß die Knöchel weiß unter der Haut hervortraten. „Hätten wir Cádiz angelaufen, könnten auch die Schätze der ‚Respeto‘ noch zur Verfügung stehen.“
„Die Unfähigkeit Ihrer Kapitäne sollten Sie denen anlasten, die sie zu verantworten haben.“
Natürlich nahm Don Ricardo den Vorwurf, wie er gemeint war, nämlich gegen seine Person gemünzt. Er verfärbte sich, seine Wangenmuskeln begannen unkontrolliert zu zucken. Im nächsten Moment sprang er auf und stierte Hasard unverhohlen feindselig an.
„Sie werden unverschämt und obendrein ausfällig, Capitán de Vilches“, schnaubte er. „Ich brauche mir ein solches Verhalten nicht bieten zu lassen, schon gar nicht auf meinem eigenen Schiff.“
„… das letztlich wie alle anderen meiner Befehlsgewalt unterstellt wurde“, sagte Hasard. „Ich will Sie in keiner Weise übergehen, Don Ricardo, ich würde mich sogar über eine Zusammenarbeit mit Ihnen freuen.“
Der Generalkapitän vollführte eine energische, geringschätzige Handbewegung.
„Nicht, solange die Schiffe weiterhin mit Kurs auf Irland segeln. Ich bin nicht länger gewillt, diesen Irrsinn zu dulden, geschweige denn zu unterstützen.“
Hasard seufzte tief, ließ sich zurücksinken und verschränkte die Arme.
Kopfschüttelnd sagte er: „Dieser Irrsinn, wie Sie sich ausdrücken, wurde von unserem Allergnädigsten König, Seiner Majestät persönlich, angeordnet. Ich darf Sie demnach dringendst bitten, sich weniger abfällig zu äußern.“
„Warum wurde uns die Order nicht mit versiegeltem Schriftstück übergeben?“ fragte Miguel Salcho, der Erste Offizier der „Salvador“, den Hasard schon bei ihrer ersten Begegnung als pedantischen Klugscheißer kennengelernt hatte.
„Das wäre auch das Mindeste gewesen, was Seine Majestät uns schuldig ist“, bemerkte Bernardo de Murcia hämisch. Er war der Zweite, ein verknöcherter, kleiner, geiernasiger Kerl mit scharfer Zunge und stechendem Blick. Seine Pergamenthaut hatte eine ungesunde Färbung, die ihn häufig genug greisenhaft erscheinen ließ.
Hasard stellte fest, daß die Offiziere und der Generalkapitän zueinander paßten wie die Faust aufs Auge.
„In Spanien herrschen Aufruhr und Unruhe.“ Don Juan wiederholte an Stelle des Seewolfs die schon benutzten Ausflüchte. „Ihnen dürfte klar sein, Señores, daß jedes Schriftstück die Gefahr birgt, in falsche Hände zu geraten. Zum Beispiel in die der Engländer. Die Folgen wären unausdenkbar.“
„Das ist geradezu lachhaft“, schnaubte der Generalkapitän. „Kein Spanier würde einen solchen Verrat üben. Eher“, er musterte den vermeintlichen Sonderbeauftragten und seine Begleiter der Reihe nach, „eher versuchen Schnapphähne und übelstes Lumpenpack, unsere Schätze zu erbeuten. Was halten Sie davon?“
„Wenig“, sagte Hasard geringschätzig. „Soll das Gesindel ruhig angreifen, die Breitseiten unserer Schiffe werden jedem das Fürchten lehren.“
Don Ricardo drehte auf dem Absatz um und blickte scheinbar gedankenverloren durch die Scheiben auf das nach wie vor wildbewegte Meer hinaus. Nur noch vereinzelt geisterten Blitze über den Himmel. Im Süden fiel ein Schimmer fahler Helligkeit durch die aufreißende Wolkendecke.
„Wer sind Sie, Don Julio?“ fragte der Spanier, ohne sich umzuwenden. „Ein Pirat, der ein Schreiben des Königs abgefangen hat und auf leichte Beute hofft?“
Philip Hasard Killigrew lachte glockenhell, obwohl er innerlich zutiefst erschüttert reagierte. Er gab sich Mühe, seiner Stimme einen spöttischen Klang zu verleihen.
„Dann würde ich Ihnen dieses Schreiben zeigen.“
„Das hängt wohl von seinem Inhalt ab.“
Ruckartig wandte sich Don Ricardo wieder um. Sein Gesicht wirkte kantiger als noch kurz zuvor. Die dunklen Augen funkelten eisig, und scheinbar zufällig lag seine Rechte auf dem Griff des Degens.
„Ich verlange absolute Gewißheit“, sagte er.
„Schicken Sie einen Boten zum Hof. Das steht Ihnen selbstverständlich frei. Leider werden wir Irland erreicht haben, bevor Sie eine Antwort erhalten.“ Hasard spürte die sich aufbauende Spannung deutlich. Langsam richtete er sich aus seiner bequemen Sitzhaltung auf.
Auch seine Männer reagierten. Ferris Tucker schob sich unmerklich an de Murcia heran, der Profos wirkte sprungbereit, und Don Juan taxierte seine Landsleute, als wolle er für alle nur erdenkliche Fälle gewappnet sein. Lediglich Higgy war die Ruhe in Person.
Don Ricardo de Mauro y Avila hatte seinen Entschluß gefaßt.
„Wir segeln nicht nach Irland“, verkündete er. „Die Schätze sind in jedem Hafen des Mutterlands so sicher wie auf See, eher sogar noch sicherer.“
„Ich hätte Sie für klüger gehalten“, sagte Hasard. „Was Sie vorhaben, wird Sie den Kopf kosten.“
Dann ging alles sehr schnell. Don Ricardo riß den Degen aus der Scheide und wollte de Vilches festnehmen, aber Hasard parierte trotz seiner noch immer sitzenden Haltung mit unglaublicher Geschmeidigkeit. Erst das harte Aufeinanderklirren beider Klingen schreckte den Spanier aus seiner selbstherrlichen Überheblichkeit auf und ließ ihn erkennen, daß er durchaus mit Widerstand rechnen mußte.
„Sie sind ein Narr“, zischte der Seewolf.
Der Generalkapitän attackierte ihn härter.
Miguel Salcho und Bernardo de Murcia eiferten ihrem Capitán nach. Aber während de Murcia noch von Glück reden konnte, daß er „nur“ an Ferris Tucker geriet, erlebte Miguel Salcho innerhalb von Augenblicken alle Höhen und Tiefen menschlichen Daseins – die Höhen allerdings weit weniger, denn zwischen seinem Kopf und den Deckenbalken lagen kaum drei Handspannen Luft.
Als der Erste Offizier zum Degen griff, war Carberry aufgesprungen. Keinen Lidschlag eher. Er wollte nicht, daß es hinterher hieß, er hätte mit der Prügelei angefangen. Obwohl solches schlichtweg Unsinn war.
Blankwaffen waren gefährlich. Sofern sie geschickt gehandhabt wurden, hinterließen sie unschöne Hieb- und Stichwunden, die nicht selten das plötzliche Ableben des Getroffenen bewirkten. Leider hatte Edwin Carberry keine Ahnung, wie geschickt Salcho mit seiner Klinge umzugehen verstand. Deshalb beeilte er sich mit dem Zuschlagen und holte einfach mit der flachen Hand aus.
Seine Pranke, groß wie eine Bratpfanne und genauso hart, streifte den Ersten, als der den Degen schon fast aus der Scheide hatte. Salcho verlor den Boden unter den Füßen, aber nicht das Bewußtsein. Sein Magen wurde von einer unerfindlichen Kraft nach unten gedrückt, von derselben Kraft, die seinen Kopf gegen einen Deckenbalken schmetterte, und schon ging es wieder abwärts, knickten die Knie unter der unerwarteten Belastung ein und glitt der Degen dummerweise wie von selbst bis zum Handschutz in die Scheide zurück.
Salcho wollte protestieren, doch da sauste die Bratpfanne wieder auf ihn zu. Von der anderen Seite diesmal. Vergeblich versuchte er auszuweichen. Der Aufprall wirbelte ihn einmal um die eigene Achse und ließ ihn unzählige Sterne sehen sowie ganz nahe vor sich einen abgrundtief häßlichen, von Narben übersäten Vollmond – mit Rammkinn.
Bis sein durcheinandergeschütteltes bißchen Verstand begriff, daß der Mond normalerweise nicht aus einem Grinsen bestand, war es erneut zu spät. Den Degen zu ziehen, war ihm wirklich nicht vergönnt, obwohl er sich alle Mühe gab. Aber was half das schon gegen zwei zusammenschlagende Becken, deren Klang seinen Körper bis in die letzte Muskelfaser durchdröhnte?
Das Dröhnen, Klirren und Scheppern zerfetzte seine Trommelfelle. Plötzlich war alles totenstill. Miguel Salcho sah, daß der häßliche Riese die Lippen bewegte, nur hörte er nichts mehr.
Was wollte der Kerl denn noch von ihm?
Santa Maria, flehte der Erste in Gedanken, beschütze mich vor diesem Monstrum. Laß mich meinetwegen taub bleiben, aber hilf mir!
Wie durch einen Schleier hindurch sah er den Profos an der Decke hantieren. Gleich darauf polterte die eiserne Lampe zu Boden.
Bis Salcho sich darüber klar wurde, daß er das Poltern wirklich gehört hatte, hing er bereits an dem nun freien Haken unter der Decke und durfte hilflos mit Armen und Beinen rudern.
„Schön, nicht?“ sagte der Profos. „Da oben tritt dir keiner versehentlich auf die Füße.“
Bernardo de Murcia kriegte von alledem wenigstens vorerst nichts mit. Tucker hatte ihm schlicht und einfach beide Fäuste unters Kinn gesetzt, und nun schlief der Bedauernswerte zusammengekrümmt in der Mulde in Don Ricardos Lotterbett, die Carberrys Achtersteven deutlich sichtbar hinterlassen hatte.
Aber nicht nur, daß die Arwenacks selbst wenig Spaß hatten, weil ihre Gegner so schnell alle viere von sich streckten, sie brachten sogar den Generalkapitän um das Vergnügen, de Vilches in den Bauch zu pieksen. Fechten konnte Don Ricardo, das mußte man neidlos zugestehen. Die Frage war nur, ob Hasard sich zurückhielt oder ob beide wirklich ebenbürtig waren.
„Ich wette auf Don Julio“, sagte Mac O’Higgins unvermittelt.
Carberrys Rammkinn klappte haltlos nach unten. Er starrte den Iren an, als hätte er eben ein neues Weltwunder entdeckt.
„Was ist?“ drängte Higgy. „Hältst du mit? Zehn Achterstücke!“
Der Profos schnappte nach Luft. Dann ließ er ein halb ersticktes Gurgeln vernehmen.
„Du willst, daß ich auf diesen hochnäsigen Schafsbock Ricardo setze?“
„Ungefähr so dachte ich mir“, bestätigte O’Higgins.
Das war letztlich doch zuviel. Sogar für einen Kerl wie Ed Carberry.
„Judas!“ zürnte er. „Verkaufst deinen Kapitän für lausige zehn Achterstücke …“
Higgy wollte schon auf zwanzig erhöhen, immerhin war er sich seiner Sache sicher, aber das Funkeln in Carberrys Augen verriet ihm, daß Schweigen momentan mehr einbrachte. Auf jeden Fall keine ausgeschlagenen Zähne.
Einiges vom Inventar der Kapitänskammer war bereits zu Bruch gegangen, der Rest würde unweigerlich folgen. Ein Degenhieb schlitzte den Baldachin über dem Lotterbett der Länge nach auf und verwandelte den schweren Stoff in einen jämmerlichen Fetzen, der gerade noch zum Ausstopfen von Spundlöchern taugte.
Hasard und der Generalkapitän lieferten sich ein erbittertes Duell. Während Don Ricardos Attacken aber zunehmend heftiger wurden, beschränkte sich der Seewolf mehr auf die Verteidigung. Irgendwann mußte selbst ein verbohrter Affenarsch wie Ricardo de Mauro y Avila das spitzkriegen und entsprechend reagieren. Nur schien er eben noch verbohrter zu sein, als die Arwenacks angenommen hatten.
Don Juan bereitete dem Zweikampf ein Ende, indem er die Pistole hob, die er de Murcia abgenommen hatte, und auf den Generalkapitän zielte.
„Geben Sie auf, Don Ricardo!“ erklärte er. „Auf diese Distanz kann ich nicht danebenschießen.“
Wenigstens wußte der Capitán, wann er verloren hatte. Schwungvoll stieß er die Klinge vor sich in die Planken.
„Und was nun, de Vilches? Glauben Sie nur nicht, daß Sie und Ihre Schnapphähne mit heiler Haut von Bord gelangen.“
„Der ist verrückt“, stieß Ferris Tucker prustend hervor. „Oder besessen von der fixen Idee, es überall mit Halsabschneidern und sonstigem Lumpenpack zu tun zu haben. Wahrscheinlich bezichtigt er auch noch Philipp III. der Mittäterschaft.“
Hasard stieß den Generalkapitän mit der Degenspitze vor die Brust. „Ich nehme Sie hiermit fest, Don Ricardo de Mauro y Avila. Sie werden die weitere Überfahrt nach Irland als Gefangener unter Deck meiner Schebecke verbringen und sofort nach unserer Rückkehr nach Spanien vor ein Kriegsgericht gestellt. Sie unterstehen dem Kriegsrecht in voller Konsequenz. Was das bedeutet, brauche ich Ihnen wohl nicht zu erklären.“
„Nein“, sagte Don Ricardo tonlos.
Der Seewolf achtete nicht darauf.
„Die Anklage bezichtigt Sie der Meuterei, der Anstiftung zur Meuterei sowie der Befehlsverweigerung aus Eigennutz, ferner der Ehrabschneidung, begangen an einem Sonderbeauftragten Seiner Majestät. Selbstverständlich sind Sie ab sofort Ihres Amtes als Kapitän enthoben.“
„Sie verstehen mich falsch“, sagte Don Ricardo.
Hasard griff nach dem Degen des Spaniers und zog ihn ruckartig aus den Planken.
„Was war daran mißzuverstehen?“
„Nichts“, gestand der Generalkapitän. „Aber zu meiner Verteidigung werde ich ausführen, daß ich ausschließlich aus lauteren Motiven so handelte.“
„Sie werden Zeit genug haben, darüber nachzudenken“, sagte Hasard. „Aber vermutlich wird das Urteil auf Todesstrafe lauten. Zu vollziehen durch den Strick oder die Garotte.“
Es war erstaunlich, zu sehen, wie selbst ein aggressiver, rechthaberischer Mann wie Don Ricardo seine Fahne nach dem Wind hängte. Offenbar paßte endlich in seinen Dickschädel hinein, daß Don Julio wirklich derjenige war, als der er sich ausgab.
„Ich war übervorsichtig“, murmelte er.
„Ein Idiot, um es genau zu sagen“, bestätigte der Profos.
„Selbstverständlich führe ich den Konvoi nach Irland, wenn Seine Majestät es von mir verlangt.“
„Das klingt schon weitaus besser“, sagte Hasard. „Wir brauchen jeden, der zuzupacken versteht. Als Gefangener würden Sie mir eher zur Last fallen.“
„Heißt das, Sie verzichten auf eine Anklage?“
„Sagen wir, ich räume Ihnen die Gelegenheit ein, sich für Ihre Meuterei zu rehabilitieren, Don Ricardo. Fassen Sie das ruhig als großherzige Geste auf. Bei aller Meinungsverschiedenheit, mir ist nicht daran gelegen, Sie tot zu sehen, sondern ich will einzig und allein das Gold und Silber aus der Neuen Welt in sicherer Obhut wissen.“ Und das war es in London, in den Händen der königlichen Lissy allemal. Hasard drehte den Degen in der Hand und hielt ihn dem Generalkapitän hin. „Ihre Waffe“, sagte er. „Sie verstehen ausgezeichnet, damit umzugehen.“
„Ich hoffe, wir werden nie gezwungen sein, die Klingen miteinander zu kreuzen.“
Da klang dieses unterschwellige Mißtrauen wieder an. Don Ricardo hatte herzlich wenig dazugelernt, eher hatte er sich mit List aus einer für ihn unangenehmen Lage herausmanövriert.
Aber auch Hasard hatte gewonnen: Zeit, die für ihn so wichtig war. Zwei oder drei Tage, mehr wollte er gar nicht.