Читать книгу Seewölfe Paket 33 - Fred McMason - Страница 47
5.
ОглавлениеDie „Nuestra Señora de lagrimas“ lief mit gutem Wind südwärts. Nach und nach verschwanden die Lichter des Konvois achteraus in der Nacht.
Je mehr Zeit verstrich, desto ruhiger wurde Capitán Chinchilla. Don Julio de Vilches und seine Mannschaften waren auch nur Menschen mit allen Fehlern und Schwächen. Wahrscheinlich würde sich der Sonderbeauftragte in den Hintern beißen, wenn er bei den ersten Sonnenstrahlen feststellte, daß eine der Schatzgaleonen fehlte.
Alvaro Chinchilla bedauerte nur, daß er nicht dabeisein konnte, um diesen Anblick zu genießen. Wenn sich nun noch herausstellte, daß de Vilches auf eigene Faust handelte und ein Schwindler und Betrüger war …
Der Capitán stutzte. Irgend etwas hatte seine Aufmerksamkeit geweckt, nur wußte er nicht zu sagen, was.
Ein Geräusch.
Er lauschte aufmerksam, aber vergeblich. Da waren nur das Singen des Windes in Stagen, Wanten und Pardunen, das leise Knistern der Segel und das Ächzen und Stöhnen des Schiffsrumpfs, sobald er sich in ein Wellental senkte und dabei noch weiter überholte. Die „Nuestra Señora de lagrimas“ war ein gutes Schiff, das schon manchen Sturm schadlos überstanden hatte, selbst wenn andere, leichter beladene Galeonen dabei zu den Fischen gingen.
Zufrieden klopfte Chinchilla mit der flachen Hand auf die Brüstung der Achterdecksverschanzung. Die „Señora“ war treuer und anspruchsloser als alle Frauen, die er an Land kennengelernt hatte.
Sie teilte alles mit ihm, Freude und Trauer ebenso wie Hunger und Überfluß, sie gab ihm ein Zuhause, in dem er sich wohlfühlte, und er sorgte dafür, daß ihre Plankennähte stets dicht waren und der Rumpf frei von Muscheln und anderem Bewuchs.
Unwillkürlich kniff Chinchilla die Brauen zusammen. Sein Blick wanderte über die schäumende Hecksee, glitt tiefer in die Dunkelheit und weiter nach Backbord. Die gischtende Woge, die dort scheinbar mit der „Señora“ mitlief, hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Diese Woge schien sich zu teilen, als würde sie gegen ein verborgenes Riff gedrückt.
Nur gab es eben keine Felsen, die achterlich einem Schiff folgten.
Im selben Moment wußte der Kapitän, daß seine Hoffnungen trogen. Julio de Vilches segelte keine halbe Kabellänge hinter ihm.
Die Folgen konnte er sich an den Fingern einer Hand abzählen.
„Nicht mit mir!“ stieß er gepreßt zwischen den Zähnen hervor. „Das Gold der ‚Señora‘ wurde noch nie nach Irland verfrachtet, und das wird es auch diesmal nicht.“
Er peilte nochmals an der Hecklaterne vorbei in die Nacht. Die gischtende Woge, die er für die Bugwelle der Schebecke hielt, war noch da. Sie schien sich sogar ein Stück genähert zu haben.
Alvaro Chinchilla hastete nach vorn zur Kuhl.
„Bereit zum Anluven!“ befahl er mit halblauter Stimme. „De Vilches segelt auf kurze Distanz hinter uns.“
Die Männer reagierten unterschiedlich. Einige stöhnten unterdrückt, andere murrten oder ergingen sich in Verwünschungen. Jemand rief, daß es sinnlos und verrückt sei, sich gegen de Vilches aufzulehnen. Chinchilla erkannte die Stimme nicht.
Aber gerade deshalb sagte er: „Wem meine Entscheidung nicht paßt, der kann über Bord springen. Laßt euch von der Schebecke auffischen.“
Zufrieden registrierte er, daß Brassen und Schoten klargelegt wurden. Die „Nuestra Señora de lagrimas“ mußte hoch an den Wind gehen und wieder blitzschnell abfallen, sobald die Schebecke folgte. Ihm war klar, daß nur die Hecksee die Position der Galeone verraten haben konnte, so wie er den Verfolger wegen seiner Bugwelle entdeckt hatte.
Die einzige Chance bestand darin, kurzfristig die Distanz zu vergrößern und backzubrassen, bis die Fahrt gänzlich aufgezehrt war. Mit aufgetuchten Segeln würde die „Señora“ lediglich mit der Strömung treiben und keine verräterische Spur nach sich ziehen. Der nahende Morgen mußte dann zeigen, ob die Entscheidung richtig gewesen war.
Chinchilla hoffte, daß der Sonnenaufgang nicht schon in drei Stunden erfolgte, sondern daß die Dämmerung wegen der undurchdringlichen Wolkendecke länger auf sich warten ließ.
Er erteilte den Befehl zum Anluven, als auf der kaum noch fünfzig Schritte entfernten Schebecke eine starke Blendlaterne aufflammte. Ihr Schein reichte aus, das Achterschiff der „Señora“ der Dunkelheit zu entreißen.
„Schneller, Männer!“ zischte der Kapitän. „Zwanzig Peitschenhiebe für jeden, der nicht spurt!“
Sie gaben ihr Bestes, die Galeone luvte hart an, aber der zitternde Lichtkegel ruhte unverrückbar auf dem Heck.
Als die Schebecke noch höher an den Wind ging und weiter aufschloß, ließ Chinchilla abfallen.
Mit schlagenden, sich rasch wieder blähenden Segeln glitt die Galeone so dicht an der Schebecke vorbei, daß Einzelheiten sichtbar wurden. Vorübergehend nahm die „Nuestra Señora de lagrimas“ dem Dreimaster sogar den Wind aus den Segeln.
„Geben Sie auf, Capitán!“ rief Julio de Vilches vom Achterdeck herüber. „Sie werden sich den Unmut des Königs zuziehen!“
Chinchilla lachte schrill.
„Kein Ire wird unser Gold und Silber je zwischen die Finger kriegen“, brüllte er zurück. „Ich traue Ihnen nicht mehr, de Vilches! Wer sagt mir, daß Sie nicht selbst versessen auf die Schätze sind?“
„Ich!“ erklang es laut und ohne jede Regung. Der Schein der Blendlaterne huschte über die Galeone und verharrte auf dem Capitán.
„Wenn Sie mich daran hindern wollen, nach Spanien zurückzusegeln, müssen Sie mein Schiff versenken.“
De Vilches erwiderte nichts mehr. Beide Schiffe waren aneinander vorbei, und die Galeone schickte sich an, in der Dunkelheit unterzutauchen. Geräuschvoll füllte der Wind wieder die Lateinersegel der Schebecke.
Auf drei- bis vierhundert Yards schätzte Chinchilla die Distanz, bis die Verfolger ebenfalls auf dem neuen Kurs lagen. Das war herzlich wenig, doch es mußte genügen.
Die Laterne war gelöscht worden. Wo er auch hinblickte, der Kapitän glaubte dennoch ihren hellen Schein zu sehen. Selbst wenn er die Lider schloß, wich die Blendwirkung nur zögernd. Er stieß eine ellenlange Verwünschung aus, die seine aufkeimende Unsicherheit überspielen sollte.
„Halten Sie es wirklich für angebracht, den Sonderbeauftragten herauszufordern, Capitán?“ Der Erste Offizier stand plötzlich neben ihm. Die Daumen hatte er herausfordernd hinter den Waffengurt gehakt. „Die Schebecke ist schneller als unsere Galeone und schwerer bestückt.“
„Wollen Sie mir Vorschriften erteilen, Serrador?“ fragte der Kapitän gereizt.
„Ich versuche nur zu erinnern, daß nicht die gesamte Mannschaft Ihr Vorgehen billigt.“
„Vergessen Sie’s!“ Mit einer flüchtigen Handbewegung wischte Chinchilla sämtliche Bedenken beiseite. „Ich weiß, was ich tue.“ Das klang lauernd und aggressiv.
„Selbstverständlich, Capitán“, beeilte sich José Serrador zu versichern. „Daran habe ich nie gezweifelt.“
Chinchilla wandte ihm demonstrativ den Rücken zu. „Lassen Sie die achteren Geschütze klarmachen!“
„Capitán …“
„Haben Sie mich verstanden?“
„Jawohl“, stieß der Erste knirschend zwischen den Zähnen hervor. „Es ist Ihre Entscheidung.“
Um Alvaro Chinchillas Mundwinkel zuckte es verhalten, als er wieder allein an der brusthohen Verschanzung lehnte und in die Nacht starrte. Er würde sich bald nach einem anderen Ersten umsehen. Das Gefühl, daß Serrador nach der Kapitänswürde strebte, ließ sich nicht mehr ignorieren.
Die Gedanken des Spaniers wurden schnell in andere Bahnen gelenkt, als er achteraus, in der Hecksee der Galeone, einen Schatten entdeckte. Offenbar schloß die Schebecke erneut auf. Die Entfernung betrug höchstens noch zweihundert Schritte.
Ein verächtliches Lächeln umspielte Chinchillas Mundwinkel. Er wandte sich um und rief: „De Vilches segelt im Kielwasser hinter uns. Feuer frei für die Heckgeschütze! Ohne Befehl feuern!“
Wer die Anordnung weitergab, wußte er nicht, es war ihm auch ziemlich egal. Jedenfalls hörte er gleich darauf das Poltern der schweren Lafetten, das von der Galerie zu erklingen schien. Die beiden Achtzehnpfünder standen aber auf dem Deck darunter, zu beiden Seiten des Ruderblatts.
Die Kanonen wurden ausgerannt und auf ein Ziel ausgerichtet, das auf dem Batteriedeck niemand sehen konnte. Hauptsache, die Kerle hielten drauf und Don Julio de Vilches erkannte, daß seiner Macht Grenzen gesetzt waren.
Alvaro Chinchilla dachte an die leider nur spärlichen Informationen, die die Kapitäne erhalten hatten, während der Konvoi auf Reede vor Havanna zusammengestellt worden war. Auf Ost-Nord-Ost-Kurs nach Teneriffa zu segeln, war wirklich neu gewesen.
Im dortigen Haupthafen Santa Cruz, so hatte es geheißen, würde der Geleitzug vom Kommandanten de Vilches mit seiner riesigen Kriegsgaleone „Casco de la Cruz“ übernommen werden. Nun, Don Julio de Vilches war da, jedoch nicht mit einem Schiff, sondern gleich mit deren drei, und er ließ auch nicht Spanien anlaufen, sondern segelte geradewegs nach Irland.
Niemand, selbst der Generalkapitän nicht, kannte den Kommandanten persönlich.
Chinchilla hämmerte mit der Faust auf den Handlauf. Er ahnte, daß er der Antwort auf viele Fragen so nahe war wie nie zuvor – aber noch entzog sie sich seinem Zugriff.
Unter ihm brüllte das Backbordgeschütz auf. Zuckender Feuerschein erhellte für die Dauer eines Lidschlags die See ringsum, dann wölkte dichter Pulverdampf hoch.
Durchs Spektiv versuchte der Kapitän, den Einschlag des Geschosses zu erkennen. Leider sah er nicht einmal mehr den Schatten, den er für die Schebecke hielt. Vor seinen Augen tanzten grelle Lichterscheinungen einen verwirrenden Reigen. Er blinzelte und massierte mit den Fingerspitzen Augenwinkel und Nasenwurzel.
Nicht minder heftig zündete das zweite Rohr. In das Krachen der Pulverladung mischten sich andere Geräusche, ein Dröhnen, Splittern und Poltern, als würde das Schiffsheck bersten, und dazwischen die Flüche der Männer. Wahrscheinlich war eins der Brooktaue gebrochen, die den Rückstoß des Geschützes auffingen, und die Lafette hatte eine Innenwand durchschlagen.
Der Kapitän konnte nicht feststellen, ob ein Wirkungstreffer erzielt worden war. Achteraus blieb alles ruhig. Er biß sich auf die Unterlippe, bis er warmen Blutgeschmack im Mund verspürte. Angewidert spie er aus.
„Die Blinde setzen!“
Vergessen war die Absicht, ohne Fahrt über Grund abzuwarten. Die Schebecke lauerte in unmittelbarer Nähe, das spürte er beinahe körperlich. Ihr davonzulaufen, war das einzige, was noch blieb, nachdem die Schüsse den Standort der „Señora“ verraten hatten. Was spielte es da für eine Rolle, ob die Männer beim Vorheißen der Blinde Gefahr liefen, den Halt zu verlieren?
Keine hundert Schritte entfernt blitzte es auf. Der Kanonendonner rollte einen Augenblick später heran und klang wie Hohngelächter in Chinchillas Ohren.
Fünf Mannslängen hinter der Galeone stieg eine gigantische Wassersäule aus der See empor und fiel rauschend und schäumend wieder in sich zusammen.
Zwei weitere Mündungsblitze verrieten, daß de Vilches keineswegs davor zurückschreckte, seine Befehle mit Waffengewalt durchzusetzen. Beide Einschläge lagen so dicht neben dem Heck der „Señora“, daß Alvaro Chinchilla unwillkürlich den Atem anhielt, weil er jeden Augenblick das Splittern von Planken zu hören glaubte. Die Fontänen stiegen höher als das Achterdeck und überschütteten ihn mit einem Schwall eisigen Wassers.
Er lief nach vorn.
„Was ist los mit der Blinde?“ brüllte er. „Wie lange soll ich warten?“
Vor dem Niedergang zur Kuhl vertrat ihm der Erste den Weg. „Befehlen Sie beizudrehen, Capitán!“
„Noch haben wir nicht verloren.“
„De Vilches schießt uns in Grund und Boden.“
„Das wird er nicht wagen.“
„Er segelt auf.“
Die Hecklaterne und zwei kleinere Lichter mittschiffs erhellten jetzt die Decks der Schebecke. Sie rauschte mit einem Tempo heran, mit dem die Schatzgaleone niemals mithalten konnte. Chinchilla ballte die Hände zu Fäusten, sein Gesicht verzerrte sich in ohnmächtigem Zorn.
Kaum einer kümmerte sich noch um die Blinde. Alle starrten dem Dreimaster entgegen, der so hart auf die „Nuestra Señora de lagrimas“ zuhielt, als hätte die Mannschaft Befehl zum Entern. Gerade sechs Schritte Zwischenraum blieben schließlich zwischen den Bordwänden.
Don Julio de Vilches stand im vorderen Bereich des Achterdecks. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte unbeweglich wie eine Statue. Licht und Schatten wechselten auf seinem Gesicht und ließen es kantig erscheinen.
Neben ihm stand ein alter Mann mit weißem Haar, einer riesigen weißen Halskrause und überheblichem Grinsen im runzligen Gesicht. Er richtete die Blendlaterne erneut auf die Galeone.
„Desertieren!“ rief er schrill. „Gold und Silber selbst behalten, als wäret ihr lausige Piraten! Don Julio de Vilches sollte euch für diese Unverschämtheit zu den Haien schicken!“
„Wir haben uns entschlossen, die Schätze nur dem König zu übergeben und niemandem sonst!“ brüllte Alvaro Chinchilla zurück.
„Wer ist wir?“ fragte Hasard.
„Die Mannschaft und ich.“
„Dann werden alle Männer die Folgen ihrer Handlungsweise zu tragen haben. Segeln Sie jetzt zum Konvoi zurück!“
Chinchilla blieb unbeweglich am Schanzkleid stehen.
„Ich glaube, Sie haben mich nicht verstanden, Capitán“, sagte Hasard gereizt.
„Doch, Don Julio, sehr gut sogar“, erwiderte der Spanier. „Leider sehe ich mich außerstande, Ihren Befehl auszuführen. Er ist mit meinem Treueeid für den König unvereinbar.“
Hasard holte erst tief Luft. Doch der auf der Galeone offensichtlich erwartete Wutausbruch blieb aus.
Statt dessen sagte er mit eisig klirrender Stimme und gerade so laut, daß man ihn auf der „Nuestra Señora de lagrimas“ noch verstehen konnte: „Sie sind im Begriff, die Order König Philipp III. zu sabotieren, Capitán. Lassen Sie sich gesagt sein, daß ich über weitreichende Vollmachten verfüge. Ich scheue nicht davor zurück, Ihren gesamten Sauhaufen an die Rah zu knüpfen, wenn ich damit Spanien einen Dienst erweise.“
Capitán Chinchilla wurde blaß.
„Das wagen Sie nicht …“
„Eine Schlinge um Ihren Hals, Capitán, wird Sie vermutlich sehr schnell davon überzeugen, daß mir das Wohl unserer Heimat sehr am Herzen liegt. Ich gehe davon aus, daß ich auch Ihnen in Havanna avisiert wurde. Dann wissen Sie, daß ich das Kommando über den Geleitzug erhalten habe. Um so unverständlicher ist mir Ihr Verhalten.“
„Keineswegs die ganze Mannschaft will nach Spanien zurückkehren, Don Julio!“ rief ein hagerer Mann, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. „Etliche Männer würden selbst in die Hölle segeln, wenn Seine Majestät es befiehlt.“
„Wer sind Sie?“
„Verzeihung, Capitán, ich bin der Erste Offizier, José Serrador.“
Dem Seewolf entging keineswegs der unbeherrschte Griff Chinchillas zum Degen. Dabei beließ der Kapitän es aber, abgesehen von dem verbissenen Zug, der sich plötzlich um seine Mundwinkel abzeichnete. Niemand mußte Hellseher sein, um zu erkennen, daß er und sein Erster sich nicht sonderlich grün waren. Vermutlich hatte es schon öfter Streitigkeiten zwischen ihnen gegeben.
„Sie wären bereit, die ‚Nuestra Señora de lagrimas‘ nach Irland zu führen, Señor Serrador?“ fragte Hasard.
„Selbstverständlich“, bestätigte der Erste.
„Dann gibt es keine Probleme“, sagte der Seewolf. „Sie, Capitán, haben die Wahl zwischen der Schlinge und dem Gehorsam.“
Alvaro Chinchilla starrte ihn unbewegt an. Haß begann sich in seinem Gesicht abzuzeichnen. Hasard wußte, daß er diesen Mann schwer getroffen hatte, er würde ihm nie den Rücken zuwenden dürfen. Doch darüber konnte er nur lachen.
Ruckartig wandte sich der Kapitän um. Seine Befehle waren eindeutig.
Die „Nuestra Señora de lagrimas“ kehrte zum Konvoi zurück.