Читать книгу Seewölfe Paket 33 - Fred McMason - Страница 43
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ОглавлениеNachdenklich blickte Hasard den schnell treibenden Wolkenschleiern nach, die sich im Norden düster drohend zusammenballten. Unmittelbar über der Kimm lag seit Stunden kaum verändert ein schmaler Streif schweflig gelber Helligkeit.
Ben Brighton, Erster Offizier an Bord der Schebecke, des schlanken Mittelmeerdreimasters der Arwenacks, sog prüfend die Luft ein und stieß sie hörbar wieder aus.
„Es riecht nach Sturm und Gewitter“, sagte er. „Und wir segeln mitten hinein.“
„Die Winterstürme im Atlantik sind so sicher wie das Amen in der Kirche“, entgegnete der Seewolf. „Damit mußten wir rechnen.“
„Ist schon klar.“ Der Erste fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ich warte nur darauf, daß Don Ricardo den Wunsch äußert, dichter unter Land zu gehen.“
Don Ricardo de Mauro y Avila war der spanische Generalkapitän des Konvois – ein übellauniger, mürrischer Mann, hager, mit Hasenscharte und konstanten Bartschatten, die ihm einen düsteren Ausdruck verliehen. Sein Flaggschiff, die „Salvador“, segelte an der Spitze der Schatzgaleonen.
„Äußern kann Ricardo, was und soviel er will, solange er meine Befehle befolgt“, sagte Hasard grinsend.
Die Spanier wußten nicht, welchem Bluff sie aufgesessen waren und schon gar nicht, daß der berüchtigte Seewolf, el Lobo del mar, über ihr Schicksal bestimmte. Sie kannten Philip Hasard Killigrew nur als Don Julio de Vilches, einen Sonderbeauftragten Seiner Majestät Philipp III, dessen Auftrag es angeblich war, die enormen Reichtümer an Bord der Galeonen nicht in Spanien, sondern im befreundeten Irland anzulanden – aus nur schwer einsichtigen Gründen, über die de Vilches sich ohnehin weitgehend ausschwieg.
Die Schebecke, deutlich schneller als die anderen Schiffe, patrouillierte momentan in Lee, während die „Isabella“ unter Jean Ribault und die „Wappen von Kolberg“ die rückwärtige Sicherung übernommen hatten.
Schnell wechselnde Winde aus Nordwest bis West erschwerten einheitliche Segelmanöver und zwangen insbesondere die tiefgehenden Galeonen zu Kreuzschlägen. Die See war kabbelig, aber die durcheinanderlaufenden kurzen Wellen wuchsen schnell an und zeigten erste Schaumkronen.
Nicht einmal eine halbe Stunde verging, bis der Himmel sich mit bleierner Schwärze überzogen hatte. Der Stand der Sonne – es war ungefähr zwei Uhr nachmittags – ließ sich nur mehr ahnen, und der Schwefeldunst im Norden weitete sich aus.
Ein harter Wind bewegte die See. Die Wellen waren jetzt ausgeprägt lang, von weißen Schaumköpfen gekrönt, und vereinzelt wirbelte Gischt auf.
Mit schäumender Hecksee folgte die Schebecke den ersten Schiffen des Konvois. Die „Santos los Reyes Mayos“, und die „Salvador“ segelten nur wenige hundert Yards voneinander entfernt in Kiellinie.
Die Sicht wurde zunehmend schlechter. Über der Kimm wetterleuchtete es, aber noch war kein Donner zu vernehmen. Das Stampfen und Ächzen der Schiffsrümpfe, das gelegentliche Knallen der Segel und das lauter werdende Rauschen der Bugwellen übertönten alle anderen Laute.
Auf den Galeonen wurden die Hecklaternen angezündet. Ihr milchiger Schein vermischte sich mit dem diffusen Halbdunkel, das die Schiffe mehr und mehr zu Schemen werden ließ.
Innerhalb von Augenblicken zeigte sich die See ziemlich grob. Die Wellen begannen zu brechen und der weiße Schaum lag plötzlich in Streifen nahezu quer zum Kurs des Konvois.
Der steife Wind blähte die Segel bretthart. Nicht mehr lange, dann würde zumindest auf den schwergewichtigen Schatzschiffen das übliche Baumwolltuch eingeholt und durch die festeren Sturmsegel ersetzt werden müssen.
Pete Ballie, Gefechtsrudergänger der Arwenacks, stand an der Pinne der Schebecke. Ihm fiel als erstem auf, daß die „Salvador“ aus dem Kurs lief.
„Sir!“ Pete brüllte gegen das Heulen und Pfeifen des stürmischen Windes an. „Das Flaggschiff fällt ab!“
Sah Don Ricardo eine Chance, zur französischen Küste zu segeln? Immerhin lag die Bretagne nicht sehr weit entfernt, und mit ihren vielen Buchten und Einschnitten bot sie sicher auch vor einem stärker werdenden Unwetter Schutz.
„Ruder etwas Steuerbord!“ befahl Hasard. „Wir schließen auf.“
Pete Ballie hatte nichts anderes erwartet.
Die Schebecke segelte unter vollem Preß. Im Vergleich zu den schwerfälligen Galeonen flog sie fast übers Wasser, zumal der Seewolf den erst vor kurzem entwickelten „Spitzbusen“ vorheißen ließ. Das nahezu ballonförmige Beisegel bewährte sich bei Kursen mit raumem oder achterlichem Wind. Das Seltsame an diesem Segel war, daß es nicht an einer Rah, sondern lediglich an seinen drei Ecken gefahren wurde. Um überhaupt auf eine solche Idee zu verfallen, mußte man entweder verrückt oder ein Genie sein. Wahrscheinlich traf letzteres zu. Die Crew der Arwenacks zählte schließlich einige kluge Köpfe.
„Kollisionskurs!“
Pete Ballie verzog zwar die Mundwinkel, schluckte seinen Widerspruch aber ungesagt hinunter. Keine hundertfünfzig Yards trennten die Schebecke noch von der „Salvador“. Sie würde der Galeone unweigerlich in die Flanke donnern. Welches Schiff eine solche Ramming bei stürmischer See besser überstand, blieb dahingestellt – der flachgehende Dreimaster der Seewölfe mit dem kräftigen Vorsteven und der scharfgehöhlten Wasserlinie oder die plumpe Galeone, die so tief im Wasser lag, daß sich die Verschanzungen nahezu auf gleicher Höhe befanden.
Mit einer Spiere war der Spitzbusen nach Lee ausgebaumt. Das Segel behinderte ein wenig die Sicht, ließ aber zugleich die Dons herzlich wenig von dem erkennen, was an Deck der Schebecke geschah.
Noch achtzig Yards.
„Die vermaledeiten Olivenfresser müssen auf beiden Augen blind sein“, behauptete der Profos. „Sie beachten uns überhaupt nicht.“
„Vielleicht will dieser Mistkerl Don Ricardo endlich eine Entscheidung erzwingen“, sagte Ben Brighton. „Ich traue ihm zu, daß er dabei sogar sein Schiff aufs Spiel setzt.“
„Nicht jetzt im Sturm und auch nicht, bevor erkennbar wird, daß wir Irland links liegen lassen.“ Hasard schüttelte den Kopf. Er kaute auf seiner Unterlippe. „Den Busen weg!“ befahl er.
Die Männer hatten wegen des stürmischen Windes sichtlich Mühe mit dem neuen Segel. Bis es endlich niedergeholt war, betrug die Distanz zur „Salvador“ kaum mehr dreißig Yards.
Hasard blickte starr voraus. Wenn er seine Crew nicht gefährden wollte, mußte er den Befehl zum Abfallen geben. Don Ricardo hatte diesmal die besseren Nerven – oder er ahnte ganz einfach, daß der vermeintliche de Vilches einen entscheidenden Schwachpunkt hatte, daß er nämlich Unschuldige nicht willentlich in Gefahr brachte.
„Pete!“ rief Hasard.
In dem Moment wurde auf der Galeone Ruder gelegt. Sie drehte endlich nach Backbord ab.
Hasards Hände verkrampften sich um den Handlauf der Achterdecksverschanzung. Beide Schiffe glitten fast auf Tuchfühlung aneinander vorbei. Um die Rüsten der „Salvador“ zu berühren, hätte er nur die Arme auszustrecken brauchen.
Vorübergehend starrten die Kapitäne einander an: Hasard ruhig lächelnd und sich seines Status’ als Sonderbeauftragter des Königs durchaus bewußt, Don Ricardo hingegen wütend, die Mundwinkel ob seiner neuerlichen Niederlage verzerrt und die Hände zu Fäusten geballt.
„Der Generalkapitän wird bald Rechenschaft fordern“, sagte Ben Brighton, während die Schebecke der „Salvador“ davonlief und zur Wende ansetzte. „Ein Mann wie er steckt nicht immer nur zurück.“
„Daß wir irgendwann auf Konfrontation gehen würden, war mir von Anfang an klar“, erwiderte Hasard. „Nur der Zeitpunkt ist ausschlaggebend.“
„Und der ist dir heute lieber als noch vor einigen Tagen“, meinte Ben Brighton.
„Jede Seemeile näher an London zählt.“
Der erste vielfach verästelte Blitz spaltete das ferne Firmament. Der Donner war als leises Grummeln zu vernehmen.
Hasard gab Befehl, das Großsegel aufzutuchen. Die Schebecke hielt danach ungefähr gleiche Höhe mit Don Ricardos Flaggschiff, das auf den alten Kurs eingeschwenkt war.
Irgend jemand auf der Kuhl lachte herzhaft und bezeichnete den Spanier als einen Hasen, der letztlich davonstob, sobald es brenzlig wurde. Der Seewolf hörte, solche vorschnellen Reden nicht gern, zumal er den Generalkapitän anders einschätzte. Don Ricardo de Mauro y Avila konnte durchaus zum ernstzunehmenden Gegner werden, und das schneller als ihm vielleicht lieb war.
„Glaubst du, es gibt Ärger, Sir?“ Al Conroy klopfte auf eine seiner Culverinen, von denen die Schebecke je sechs Stück an Back- und Steuerbord führte. Die Geschütze hatten eine beachtliche Rohrlänge von 3,70 Yards und das Geschoßgewicht betrug 17,3 Pfund, genug, um Masten zu kappen und ausgezackte Lecks in gegnerische Bordwände zu brechen.
„Ein Gefecht wird der Generalkapitän nicht riskieren“, sagte Hasard. „Zumindest nicht, bevor er unsere wahren Absichten durchschaut.“
Es begann zu regnen.
Aus einzelnen dicken Tropfen, die klatschend auf den Planken zersprangen, wurde eine wahre Sintflut. Als hätte der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet, ergoß sich das Wasser aus den tief hängenden Wolken.
Die Schiffe stampften und schlingerten, und von einem Moment zum anderen hingen die Segel schlaff und triefend von den Rahen. Nur ein leiser Zug wehte noch, zu gering, als daß er das nasse Tuch hätte füllen können.
Das Meer, einmal aufgewühlt, blieb jedoch so stürmisch bewegt wie zuvor.
Auf den meisten Schiffen hantierten Mannschaften mit Planen und leeren Fässern, um den Trinkwasservorrat aufzubessern.
Dumpfer Donnerhall rollte in nicht enden wollendem Stakkato über den Atlantik. Die Blitze zuckten nun rundum auf, als strebten mehrere Gewitter nach Vereinigung.
Irrlichternde, blendende Helligkeit raste plötzlich über die Flotte hinweg, gefolgt von dem schmetternden, ohrenbetäubenden Dröhnen eines nahen Einschlags. Wer zufällig nach Backbord querab blickte, glaubte zu sehen, daß das Meer aufloderte. Jedenfalls behaupteten nicht wenige Männer später, sie hätten Flammen von den Wellen aufsteigen und sich in Masthöhe vereinen sehen, gefolgt von aufstiebender, zerstäubender Gischt. Der Lärm war schlimmer, als wäre ein Dutzend Vierundzwanzigpfünder gleichzeitig in allernächster Nähe abgefeuert worden.
Das Gewitter verharrte über dem Konvoi. Blitze sorgten für eine gespenstische Szenerie und rissen die Schiffe immer wieder wie Schlaglichter für winzige Augenblicke aus der sie einhüllenden Düsternis.
Das unstete Flackern und die Geräuschkulisse erinnerten an ein nächtliches heftiges Gefecht. Nur der Pulverdampf fehlte, der in einem solchen Fall erstickend über dem Wasser hing.
Dem schmetternden Einschlag folgte eine neue gleißende Lichtflut, begleitet von einem scharfen, peitschenden Knall und dem splitternden Bersten von Holz.
Vorübergehend wußte niemand, was geschehen war. Doch dann loderte inmitten des Chaos aus Licht und Dunkelheit eine Fackel auf, neigte sich und taumelte in einer Wolke aufstiebender Funken der Kuhl der „Santos los Reyes Mayos“ entgegen. Glimmende Segelfetzen verfingen sich zwischen Tauen und Wanten, aber die Flammen fanden wegen der herrschenden Nässe keine neue Nahrung und erloschen von selbst.
Ein Blitz hatte in die Großstenge der Galeone eingeschlagen, sie bis zum Mars der Länge nach aufgespalten, hatte das Rack der Untermarsrah aus der Verankerung gebrochen und diese mit ungestümer Wucht zersplittert, wobei die Spiere als auch das Untermarssegel sofort Feuer fingen.
An Deck entstand vorübergehend Wuhling, als die Spanier wie aufgescheuchtes Federvieh durcheinanderstoben und sich bemühten, die ohnehin von selbst erlöschenden Glutnester auszuschlagen.
Einige Kerle kappten nicht nur die Untermarsbrasse und andere Taue, um die kokelnde, vom Blitz verkohlte Rah über Bord zu werfen, sie vergriffen sich in ihrem Übereifer auch an Pardunen und Stengestag und wurden erst schlauer, als die kläglichen Reste der Stenge als Splitterregen auf sie niedergingen.
Der Seewolf beobachtete das Geschehen auf der nahezu querab liegenden „Santos los Reyes Mayos“ durchs Spektiv. Der Blitz schien keine ernsteren Schäden verursacht zu haben. Offenbar war er in den am höchsten aufragenden Mast eingefahren wie der Teufel in die arme Seele eines Sünders und hatte ihn über die Rah wieder verlassen.
Sven Nyberg, Decksmann auf der Schebecke, reagierte völlig aufgelöst und war leichenblaß. Krampfhaft klammerte er sich an einem straffgespannten Manntau fest.
„Habt – habt ihr das gesehen? Es war für einen Moment, als hätte sich der Himmel aufgetan – nein, die Hölle, es muß die Hölle sein. Dieses lodernde Feuer, diese Helligkeit …“
Er redete schnell und beinahe unverständlich und vor allem, ohne dabei Atem zu holen. Zudem verfiel er mehrmals in seiner dänischen Muttersprache, die von den anderen Arwenacks weiß Gott nicht verstanden wurde. Nils Larsen, ebenfalls dänischer Abstammung, war hoffnungslos überfordert als er versuchte, alles zu übersetzen.
Erst der Profos bereitete dem unverständlichen Redefluß ein Ende, indem er Nyberg mit dem abgespreizten Zeigefinger vor die Brust stieß, daß ihm schier die Luft wegblieb, und ihn außerdem auf spanisch anbrüllte, er solle sich endlich einer gesitteten Sprache bedienen und nicht vom Smerebrød und anderem Kauderwelsch reden. Das Gebrüll erschreckte den guten Sven derart, daß er prompt wieder einatmete und nicht Gefahr lief, zu ersticken.
Edwin Carberry lächelte – er verzog sein Narbengesicht zu einer abstoßenden Grimasse.
„Siehst du, Jungchen“, sagte er, immer noch bedrohlich laut, „in Ruhe kann man besser über alles reden. Also noch mal von vorn, schieß los!“
„Der Blitz ist wie ein Höllenfeuer in die Galeone eingefahren“, erklärte Sven Nyberg kaum langsamer als zuvor. „Die Rahnock hatte plötzlich einen richtigen Heiligenschein, so einen Strahlenkranz ringsum, ihr wißt schon …“
„Gar nichts wissen wir“, sagte der Profos grollend.
Sven setzte ein unverschämtes Grinsen auf. „Genau deshalb erzähle ich euch, was ich gesehen habe.“
„Du hast vielleicht geträumt“, behauptete Big Old Shane, der Schiffsschmied. „Ich habe auch zu dem Kahn rübergeschaut, aber einen Heiligenschein habe ich bestimmt nicht mitgekriegt.“
„Den hätten die Dons auf keinen Fall verdient.“ Mit seiner Bemerkung zog Mac Pellew die Lacher eindeutig auf seine Seite, was seine zumeist sauertöpfische Miene aber keineswegs beeinträchtigte. Griesgrämig blickte er um sich, als wolle er fragen, was es da zu lachen gäbe.