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2.

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Hasard saß neben Don Juan auf dem Achterdeck der Schebecke und stemmte seine Sohlen gegen die Stufen des Steuerbordniederganges. Sein rechter Arm hing über dem Schanzkleid. Die vier Galeonen, die der „Salvador“ folgen und einen geringfügig veränderten Kurs laufen sollten, scherten gerade aus der Kiellinienformation aus und fielen um einen Strich nach Steuerbord ab.

Leise bemerkte der Seewolf zu seinem spanischen Freund: „Den Spaniern von der ‚Honestidad‘ oder den anderen wird es nicht schwerfallen, den Gouverneur zu überzeugen. Wir müssen versuchen, unsere Rolle richtig zu spielen.“

„Wenn Don Jaime über das Kaff herrscht“, meinte Don Juan, „wird es nicht schwer sein, ihn zu überzeugen. Er ist nicht der Klügste. Ich bin sicher, du willst unseren Aufenthalt so kurz wie möglich halten?“

Hasard nickte mit Bestimmtheit.

„Keine Minute länger als unbedingt nötig. Wir werden alle anpacken müssen. Meinst du, daß sie insgesamt ein Dutzend Schiffe versorgen können?“

„Wasser und Wein? Da sehe ich keinen Engpaß“, erwiderte Don Juan. „Wenn man den Bauern und Händlern mehr Zeit läßt und gut zahlt, kriegen wir alles.“

„Aber nicht innerhalb von ein paar Stunden.“

Al Conroy schob sich entlang des Schanzkleides auf die beiden Männer zu und blieb dicht vor ihnen stehen.

„Sir? Will sich das Flaggschiff von Don Julio de Vilches in schläfrigem Frieden oder mit dem Nachdruck der königlich spanischen Culverinen dem Hafen von Vigo nähern?“

Don Juan und der Seewolf lachten schallend.

„Wie lange fährst du schon auf unserem Schiff?“ fragte schließlich der Seewolf. „Wie immer, Mister Stückmeister. Wir sind auch am Kai von Vigo auf jeden denkbaren Zwischenfall vorbereitet.“

Al Conroy hatte keine andere Antwort erwartet. Er grinste zufrieden und zeigte zu seinen Culverinen.

„In Ordnung, Sir. So halten wir’s. Meine kleinen Lieblinge werden bereit sein.“

Die Schebecke schob sich an die „Wappen von Kolberg“ heran. Arne von Manteuffel und seine Mannen erfuhren in fast allen Einzelheiten, was Hasard mit den fünf anderen Schiffen vorhatte. Brüllendes Gelächter begleitete die Schebecke, als das Schiff weit nach Backbord überlegte und auf jenen Punkt zusegelte, an dem es mit der „Isabella“ Ribaults zusammentreffen würde. Zwei Stunden danach waren die Seewölfe wieder zur Spitze des Konvois unterwegs und segelten am frühen Nachmittag querab der „Salvador“ von Don Ricardo.

„Lange werden wir die Ruhe, die wir jetzt noch haben, nicht mehr genießen können, Sir“, sagte Dan O’Flynn warnend. Auch seine Unruhe wuchs mit jeder Seemeile, die sie sich Vigo und der Küste näherten.

„Du hast sicher recht, Dan“, erwiderte der Seewolf. „Ich bin ganz fest entschlossen, Vigo zur letzten Station zu ernennen.“

„Bist du sicher?“ fragte Ferris Tucker, der immer wieder unruhig nach Osten peilte und erwartete, bald die Küstenlinie zu sehen.

„Nein.“ Hasard schüttelte heftig den Kopf.

Mittlerweile wirkten die Schebecke und die Crew der Seewölfe auf jeden, der einen Blick an Deck werfen mochte, wie ein Schiff voller Spanier. Die Kleiderlast war nahezu geplündert worden. Aber die Gesichter unter den spanischen Helmen und Hüten, über den auffallenden Kragen, sie sahen keineswegs aus, als stammten sie alle aus der Mancha oder aus Kastilien. Und blauäugige Spanier gab es auch nicht gerade häufig.

„Nein“, wiederholte Hasard einige Minuten später. „Ich bin nicht sicher. Zwischen Cabo Finisterre und unserem guten alten London warten Sturm und Gezeiten, Strömungen und viele Schiffe auf uns. Da allerdings bin ich ziemlich sicher. Aber die Spanier in Vigo werden wir mit wahrer Meisterschaft überrumpeln.“

„Und du versteckst deinen schwarzen Kopf unter Deck, Gambiamann!“ rief Big Old Shane. „Oder hat man jemals was von pechschwarzen Spaniern gehört?“

Batuti ging auf den Scherz ein und rief zurück: „Ich ziehe meine schlechtesten Lumpen an, Mistah! Dann ich sein dein Niggersklave, Yessir?“

„Wäre auch eine Lösung“, stimmte Big Old Shane zu.

Gegen Abend nahmen die richtigen und die falschen Spanier am östlichen Horizont die Wolken, dann einige Berggipfel und schließlich, im letzten Licht, die schroffe Küstenlinie wahr. Dan O’Flynn suchte die Strände, die bewaldeten grünen Hänge und die Einschnitte ab, zwischen denen sich die fjordartigen Rias abzeichneten. Die Inselchen, die im Fahrwasser jener tief ins Land reichenden Meeresbucht zu sehen sein sollten, fand er noch nicht. Sie galten als untrügliche Landmarken vor der Einfahrt nach Vigo.

„Morgen früh sind wir so dicht unter Land, daß du keine Schwierigkeit mehr haben wirst“, tröstete ihn Higgy.

„Morgen früh sind wir vielleicht viel zu nahe unter Land“, sagte Dan einschränkend. „Und das wollen wir doch vermeiden, nicht wahr, Señores?“

„Kein Legerwall, por favor“, stimmte Jung Philip zu.

„Aus diesem Grund bin ich auch besorgt“, erklärte Dan und suchte so lange weiter, bis die Dunkelheit über dem Wasser und an Land sämtliche Einzelheiten verwischte und auslöschte. Der Konvoi war kurz nach dem ersten Augenkontakt mit dem Land auf einen Kurs gegangen, den Hasard signalisiert hatte: ein Strich östlicher als Nord.

Schon im ersten, feuchten Morgengrauen stand die Gruppe der fröstelnden Seewölfe zwischen Bugspriet und Fockmast und hielt sich an Fallen und Stagen fest.

„Ich erkenne sie wieder“, sagte Don Juan gerade. „Das ist die Einfahrt nach Vigo.“

Die Ria de Vigo, nördlich der unsichtbaren Grenze von Portugal zu Nordspanien, bot den Blicken der Männer ihre dunkelgrüne Front, die nach Westen zeigte. Die kleinen Inseln vor der Einfahrt tauchten, im zunehmenden Licht der Morgendämmerung, eine nach der anderen aus dem Dunst der Küste auf.

„Alles klar“, sagte Dan und bestätigte die Beobachtungen des Spaniers. „Meinst du, daß wir einen Lotsen brauchen?“

„Nicht, wenn du dich mit deinen scharfen Augen auf die Back stellst. Du kannst ja den Sardinhas-Fischern zusehen.“

Dan verzog das Gesicht.

„Landratten-Ratschläge“, kommentierte er. „Immerhin folgen uns die anderen Schiffe.“

Vor der Küste, wie erwartet, waren die winzigen Segel kleiner Fischerboote aufgetaucht. Über dem Wasser bis zur halben Höhe der Hänge und Felsen schwebte eine Schicht aus grauem Nebel. Die Sonne versteckte sich noch hinter den Gebirgsgipfeln, die irgendwo unsichtbar im Landesinneren aufragten. Die kleinen Kaps von Tuy und Sangenjo, im Norden, schoben sich deutlicher aus dem Nebel in den Atlantik hinaus.

„Wir sind auf dem richtigen Kurs“, sagte Dan O’Flynn nach einer Weile. „Dahinter liegt Vigo. An Steuerbord.“

„Wir werden sie gebührend aufwecken“, meinte der Seewolf, gab seine Befehle und ließ als Signal für die folgenden fünf Galeonen die Drehbasse Steuerbord achtern abfeuern.

Längst hatten sich die Seewölfe auf das Kommando vorbereitet. Die Schebecke steuerte das Fahrwasser zwischen den größten mittleren Inseln an, die als natürliche Barriere und Wellenbrecher vor der Ria aus der Brandung wuchsen.

Eine Kabellänge, bevor die Schebecke die kleinen Felsbrocken in Sichtweite hatte, sagte der Seewolf in unüberhörbarer Schärfe: „Ab jetzt wird’s ernst, klar?“

Etwa zwanzig Seewölfe, die sich zwischen der Back und dem Grätingsdeck aufhielten und zur nahen Küste hinüberstarrten, riefen laut, deutlich und aus morgendlich rauhen Kehlen: „Si, si, Señor Capitán!“

Dan O’Flynn, um die Schultern einen zerschlissenen spanischen Mantel gegen die klamme Kälte, stand auf der Back und beobachtete das Fahrwasser. Bisher hatte er keine Untiefen entdecken können. Die Fischer schienen über die sechs Schiffe nicht gerade erstaunt zu sein. Sie hatten ihre Boote hinter die Inseln an den Rändern der Ria verholt und warfen die Netze aus.

„Gut so. Geradeaus weiter.“

Dan schaute sich um. Vigo breitete sich in einem unregelmäßigen Halbrund um das Ende der Bucht an Steuerbord aus. Im Hafen lagen kleine und größere Fischerboote und zwei Galeonen, deren Masten entfernt waren und vielleicht an Land oder in der Werft überholt oder neu gezimmert wurden.

Das Focksegel der Schebecke wurde eingeholt, die Rahrute hing waagerecht zum Heck. Von den Culverinen und den Drehbassen, die noch nicht ausgerannt worden waren, hatte Al Conroy längst die Persennige abgeschlagen und verstaut.

„Fahrwasser ist frei!“ rief Dan und turnte entlang des Schanzkleides nach achtern.

Die kleine Stadt erweckte einen friedlichen, fast schläfrigen Eindruck. Auf einem Burgberg thronte ein Castillo, aus dessen Mauerscharten fünf Geschützrohre hervorstarrten.

In Kiellinie passierten die fünf Galeonen, angeführt von der „Salvador“ die Inseln vor der Einfahrt. Aus den Kaminen vieler Häuser ringelten sich Rauchsäulen in die Höhe. Der Wind verwirbelte sie langsam landeinwärts. Enge und verwinkelte Gassen führten vom Hafen zwischen alten Häusern hangaufwärts.

„Wir legen uns achtern an den Steg voraus“, ordnete Hasard an. „Die Galeonen, wenn sie es schaffen sollten dort hinüber.“

Er deutete zu den beiden entmasteten Rümpfen, die an einem steinernen Kai vertäut waren. Ein paar Fischer blieben auf dem schmalen Streifen zwischen dem Wasser und den Hausfronten stehen, schauten verblüfft die kleine Armada an und beruhigten sich, als sie die spanischen Flaggen erkannten. Im ruhigen Hafenwasser beschrieb der Bug der Schebecke einen Halbkreis. Die Segel wurden eingeholt, knappe spanische Kommandos hallten durch den Hafen. Es roch nach kaltem Rauch und nach Fisch.

„Sieht nicht nach Schwierigkeiten aus“, meinte Ben Brighton leise zu Hasard. „Fünfhundert oder sechshundert Einwohner?“

„Möglicherweise etwas mehr“, erwiderte der Seewolf.

Die Belegtaue flogen auf den Steg, die Zwillinge sprangen hinterher und winkten zu den Fischern hinüber.

„Buenos Dias, Freunde! Wir wollen euch reich werden lassen!“ rief Philip junior.

Hasard dirigierte die „Salvador“ und die „Santa Helena“ zum Kai hinüber. Inzwischen liefen mehr Leute zusammen, Türen und Fenster öffneten sich. Im Abfall zwischen den Fischerbooten flatterten die Möwen auf.

„Wollt ihr Fisch kaufen?“ fragten die Fischer lachend.

Die Schebecke wurde belegt, und zwei breite Planken, die auf dem Steg lagen, krachten auf das Schanzkleid.

„Wir wollen den Statthalter sprechen“, erklärte Hasard junior. „Ist es noch immer Don Jaime?“

„Drüben, an der Plaza Mayor“, lautete die Antwort.

Nacheinander glitten die Galeonen an den Kai und wurden an rissigen, uralten Pollern aus gebündelten Holzstämmen belegt. Die spanischen Seeleute lachten und schrien wild durcheinander. Knarrend rieben die Bordwände der Schatzgaleonen gegeneinander, die Belegtaue ächzten und rissen morsche Splitter aus den Pollern.

Hasard schrie durch den Hafen: „Die Señores Kapitäne bitte zu mir an Land. Wir statten dem Gouverneur einen Höflichkeitsbesuch ab.“

Das Kommando der falschen Spanier, angeführt von Don Juan de Alcazar, hielt sich auf dem schwankenden Steg bereit. An Bord der Schebecke wurden schon jetzt die leeren Fässer aus den Laderäumen gewuchtet. Hasard balancierte über die Planke. Auf den Galeonen bereiteten sich die Kapitäne und ein paar Offiziere auf den Landgang vor.

Don Juan de Alcazar stand ein paar Schritte abseits, schaute sich schweigend um und richtete seine Blicke immer wieder zu dem Castillo auf dem Burgberg. Inzwischen tauchten aus dem Viertel der Fischerhäuser noch mehr Leute von Vigo auf und riefen den Spaniern auf den Decks Fragen zu.

Die Antworten zeigten den Fischern und Einwohnern von Vigo, daß die Schiffe lange Zeit unterwegs gewesen waren.

„Holt eure Würste aus dem Rauchfang!“

„Wir brauchen Wasser. Und Wein.“

„Rieche ich frisches Brot aus dem Bäckerofen, Hombre?“

„Habt ihr gutes Wasser in Vigo?“

Die Gruppe der Kapitäne war nicht größer als ein Dutzend Personen. Die weißen spanischen Kragen bildeten Farbtupfer vor der dunklen, wolkenverhangenen Kulisse des Hafenstädtchens. Von den Schiffen hörte man die Kommandos, nach denen die leeren Fässer aus den Laderäumen der Galeonen hochgehievt wurden.

Hasard wandte sich an einen erwachsenen Mann, der so aussah, als sei er zu den Hafenwachen zu zählen.

„Señor“, bat er, „zeigen Sie uns den Weg zum Amtssitz des Gouverneurs?“

„Gern. Folgt mir. Sind nur ein paar Schritte. Woher kommt ihr?“

Bevor noch ein anderer antworten konnte, drehte sich Hasard um, legte den Zeigefinger an die Lippen und erwiderte: „Der Hafen, aus dem wir ausliefen, und unser Ziel sind beide strengster Geheimhaltung unterworfen. Wir segeln für seine Allerkatholischste Majestät und dürfen nichts sagen. Wie heißt der Gouverneur? Ist es noch Don Jaime?“

„Ja, Don Jaime La Roda. Ein gerechter, guter Statthalter.“

Hasard winkte Don Ricardo zu. „Besuchen wir den Herrn über Hafen und Kastell, Señores.“

Etwas steifbeinig in ihren hohen Stiefeln, mit klirrenden Degen, folgten sie dem hochgewachsenen, schwarzhaarigen Mann mit den eisblau blitzenden Augen – einer seltsamen Augenfarbe für einen Spanier.

Der Mann aus Vigo zeigte zu den verwinkelten Gassen und vielen alten Häusern, die sich zusammendrängten und miteinander durch viele Erker, Bögen, Treppen und Stege verbunden waren.

„Unser uraltes Fischerviertel. Hier finden Ihre Seeleute die feinsten Schenken. El Berbés nennen wir den alten Stadtteil. Ihr seid fremd in Vigo, nicht wahr?“

„So ist es“, antwortete Miguel Salcho, der Erste der „Salvador“. „Und wir legen sofort wieder ab, wenn wir Essen und Wasser haben. Gibt es bei euch Schwierigkeiten?“

„Keine größeren, Señor.“

„Gut zu hören“, brummte Hasard.

Schon nach einigen hundert Schritten durch die Stadt, die langsam erwachte, befanden sie sich auf dem großen Platz, der Plaza Mayor. Sie war fast an allen Stellen von schwungvollen Arkaden gesäumt. Struppige Bäume, an denen nur noch wenige vertrocknete Blätter zitterten, umstanden den Platz.

Ein langgestrecktes, zweistöckiges Gebäude sprang in der Mitte der Fläche auf seinem Sockel aus Bruchstein einige Fuß weit vor. Ein prächtiges Portal, mehrere geschmiedete Balkongitter und Fahnen, die feucht und schlaff von den Masten hingen, ließen erkennen, daß es wohl der Sitz des Statthalters war.

„Dort finden Sie Don Jaime, unseren verehrten Gouverneur“, sagte der Mann. „Vielleicht schläft er noch, unser guter Don.“

„Dann wird es uns nicht schwerfallen, ihn zu wecken“, erklärte der falsche Don Julio de Vilches. „Wohlan, Señores.“

Ein nächtlicher Regenguß hatte das dunkle Pflaster zu einer glänzenden Fläche werden lassen. Durch ein paar flache Pfützen stiefelten die Spanier auf das Portal zu. Vigo war, wenigstens stellte es sich jetzt so dar, ein verschlafenes Nest, in dem es überall nach Wein und noch mehr nach Fisch roch. Ein Hund bellte die Männer an, als sie an das rissige Holz der Türflügel klopften.

Fensterläden und Türen öffneten sich ringsum klappernd. Wassergüsse zischten auf das Pflaster. Irgendwo keifte eine Frau. Mit leisem Knarren wurde ein Türflügel geöffnet.

Hasard und Don Ricardo blickten in ein verschlafenes, unrasiertes Gesicht, das einem alten Mann gehörte, der einen zerknitterten Hut trug.

„Buenas dias“, sagte Hasard. „Die Señores Kapitäne und ich möchten mit Don Jaime sprechen.“

„Ich verstehe Sie nicht“, erwiderte der Alte.

„Gouverneur Don Jaime La Roda!“ schrie Don Ricardo mit fahlem Gesicht und roter Nase. „Schnell, Mann.“

„Jawohl, Señor Capitán“, murmelte der Alte zahnlos, drehte sich um und verschwand in einer düsteren Halle.

Langsam und zögernd traten die Spanier ein.

„Diese Stadt befindet sich nicht im Verteidigungs- oder Kriegszustand, soviel ist sicher“, sagte Hasard laut und versuchte einen Scherz.

Innerhalb des Gebäudes wurde es lebendig: Tritte, knallende Türen klirrende Becher und halblaute Befehle. Dann wurden ein paar Fensterflügel aufgerissen, und das trübe Tageslicht drang in die Halle. Große Bilder hingen an den Wänden, eine Treppe führte aufwärts, in den Ecken standen kleine Kanonen, kaum größer als die Drehbassen.

„Gleich bin ich für Sie bereit“, donnerte eine tiefe, tragende Stimme von oben. „Geduld, verehrte Señores.“

„Eine Löwenstimme“, meinte Ben Brighton zu Hasard. „Und eine gemütliche Residenz.“

Die Spanier betrachteten gelangweilt und hungrig die würdigen Señoras und Señores, die auf den Ölbildern in den schweren Rahmen dargestellt waren. Nicht eine Person davon war ihnen bekannt. Ein farbenprächtiger Teppich lag unter den Beinen eines riesigen Tisches und vieler hölzerner Sessel.

Endlich stieg ein unordentlich angezogener, kleiner Mann die Treppe hinunter, breitete die Arme aus und rief: „Willkommen, die Señores! Ich habe mir erlaubt, einen Imbiß bereiten zu lassen. Willkommen! Kommt bitte herauf.“

Die Löwenstimme gehörte zu einem Zwerg, nicht größer als fünf Fuß. Er verbeugte sich vor den Männern, deutete zur Treppe und war von überströmender Höflichkeit.

„Gestatten Sie, Gouverneur, daß wir uns vorstellen“, begann Don Ricardo. „Wir brauchen dringend für neun Schiffe Proviant und Wasser. Und vielleicht ein Fäßchen Wein dazu.“

Der Gouverneur schüttelte die Hände und rief begeistert: „Bestes, frisches Wasser von den Quellen der glücklichen Hügel – ihr werdet unser Vigo-Wasser mit Genuß trinken!“

Don Jaime führte die Gäste die Treppe hinauf und in seine Räume. Eine Tafel war schon gedeckt, Mägde und Diener hasteten herum. In Vigo schien jede Unterbrechung des täglichen Einerleis mit Begeisterung aufgenommen zu werden.

„Und wie steht es mit Proviant? Wir haben noch etliche Tage einer langen Reise vor uns“, sagte Hasard. „Ich habe Order, die Schiffe möglichst schnell und natürlich sicher zum Zielhafen zu bringen. Dazu gehört, die Proviantlasten wieder zu füllen. Wenn der Gouverneur den Proviant nicht herbeischafft, dann kaufen wir, was wir brauchen, von den Bauern. Lerma und unser König Philipp haben genaue Anweisungen erteilt.“

Don Jaime wies ihnen Plätze zu und setzte sich an das Kopfende der Tafel. Die Spanier schnallten die hinderlichen Waffengurte ab und hängten sie über die Sessellehnen.

„Sie werden alles empfangen, was Sie brauchen“, beteuerte der Gouverneur. „Ich habe schon nach den Boten geschickt.“

Frisches Brot verbreitete seinen herrlichen Geruch. Die Diener brachten heiße, dünne Schokolade und gossen sie in die Becher. Butter und Käse wurden aufgefrischt, und aus der Küche ertönte das verheißungsvolle Klappern von Geschirr.

„Wir können nicht drei Tage in Vigo liegen, trotz eurer angepriesenen Schenken und Bodegas“, sagte Ben Brighton. „Danke für das reichhaltige Frühstück.“

Die Spanier fingen zu tafeln an, als hätten sie seit zwei Monaten nichts zwischen den Zähnen gehabt. Je mehr sie abbissen und kauten, desto wacher wurden sie. Die Unterhaltung wurde lauter und drehte sich natürlich nur um die Erlebnisse, Gefechte und Verhältnisse auf See.

„Ich spüre es in den Knochen“, dröhnte der kleine Gouverneur. „In den nächsten Tagen gibt’s schweres Wetter.“

„Wir werden den Sturm auf See ertragen“, entgegnete Hasard.

Nacheinander erschienen einige Boten. Der Gouverneur verlangte Papier und wollte wissen, welche Nahrungsmittel und wieviel davon die einzelnen Schiffe brauchten. Er schrieb die Zahlen untereinander und rechnete aus.

Dem Boten rief er zu: „Mit dem Wasser ist alles klar?“

„Die Fässer verladen sie auf Fuhrwerke und bringen sie zu den Schiffen zurück, wenn sie gereinigt und gefüllt sind.“

„Gut so. Helft ihnen! Sie haben es eilig.“

„Sehr wohl, Don Jaime.“

Der Bote rannte hinaus. Die Spanier nickten beifällig. Ihnen gefiel die Eile, die Don Jaime zeigte. Und die frischen und lecker zubereiteten Speisen, die aus der Küche herbeigeschleppt wurden, fanden reichlich Zuspruch.

Hasard hob seinen Becher, visierte Don Jaime an und sagte: „Es ist gut, als Spanier von einem Spanier auf solch angenehme Weise in Vigo willkommen geheißen zu werden. Ich werde nicht versäumen, bei Hofe zu schildern, wie aufmerksam Sie waren, Gouverneur.“

„Eine Selbstverständlichkeit, Señor“, erwiderte La Roda und führte eine großartige Geste aus. „Jedenfalls für Vigo.“

Der nächste Bote wurde abgefertigt. Ein paar Kannen Wein standen plötzlich zwischen den leeren Tellern und den Resten.

„Haben Sie Magazine und Vorräte, um Schiffe auszurüsten?“ fragte Ben den Gouverneur.

„Eine kleine Werft. Die Galeonen werden gerade repariert, späte Opfer der englischen Geschütze. Sonst haben wir da nur ein paar Fässer Mehl, Wein und Bier, aber nichts, mit dem man eure kleine Flotte ausstatten könnte.“

„Ich bin ermächtigt“, erklärte Hasard, „für den königlichen Seerechnungshof einzukaufen und vernünftige Preise zu zahlen.“

„Das war es“, antwortete Don Jaime, „was ich den Boten sagte. Es wird sich sehr schnell herumsprechen, daß Sie Proviant brauchen. Die Schiffe werden umlagert sein von Bauern und Händlern.“

„Das hoffen wir.“

Hasard und Ben Brighton wechselten einige unauffällige Signale. Sie beschlossen, noch zu warten und die Verproviantierung der Schebecke dem Kutscher zu überlassen. Überdies würde Don Juan alles unternehmen, was er für nötig hielt. Und bisher waren sie mit ihren geschickten Lügen sehr gut gefahren.

Seewölfe Paket 33

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