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8.

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Es war gegen sechs Uhr abends an diesem selben Tag. Capitán de Freitas lärmte in seiner Kammer herum. Er war inzwischen volltrunken. Genau genommen hatte er zu tief ins Glas geschaut, weil er sich über zweierlei ärgerte: über diesen Capitán de Vilches, der ihn heruntergeputzt hatte, und über seine drei Offiziere, die auf der verdammten Order herumgeritten waren – um die er allerdings selbst auch nicht herumkam.

Wenn diese Feiglinge mitgezogen hätten, wäre er der „El Tigre“ nachgesegelt, um de Vilches zur Rede zu stellen. Mit dem, seiner Mannschaft und dem Schiff war etwas faul. Aber er, de Freitas, fühlte sich berufen, der Sache auf den Grund zu gehen. Der Fehler, den er begangen hatte, war der gewesen, sich seiner Offiziere vergewissern zu wollen.

Eins war klar, das war das einzige und letzte Mal gewesen, diese Schlappschwänze an einer Entscheidung teilhaben zu lassen oder sich ihre Meinungen anzuhören. Das führte zu nichts. Hier hatte es sich gezeigt. Der Erste hatte sogar gewagt, das Kriegsgericht ins Spiel zu bringen. Und prompt waren die anderen beiden Idioten umgefallen.

„Scheißkerle!“ brüllte der Capitán und taumelte durch die Kammer zu seiner Koje.

Es klopfte. Er hörte es nicht.

Da wurde gegen das Schott gehämmert.

„Was’n los?“ lallte er und stand schwankend in der Kammer, eine Rotweinflasche in der rechten Hand.

Das Schott wurde aufgestoßen, der Erste erschien. Er preßte die Lippen zusammen, als er den Zustand seines Kapitäns bemerkte.

„Was wollnse?“ De Freitas sah seinen Ersten doppelt, und der Erste sah, daß sein Kapitän schielte.

Der Erste straffte sich. „Von achtern aus Westen segelt ein Schiff auf. Ein Dreimaster. Es könnte sich um die ‚El Tigre‘ handeln, aber das vordere Segel spricht dagegen. Ich habe ein solches Segel noch nie gesehen.“

De Freitas rülpste, schwankte hin und her, ruckte mit dem Kopf, der ständig nach vorn kippte, schielte weiter – und grinste dümmlich.

„Schei-Scheißschiff – hmmps! – so-soll sich summ T-Teufel sch-scheren“, brabbelte er.

„Haben Sie mich verstanden?“ fragte der Erste scharf. „Es kann sich um die ‚El Tigre‘ handeln!“

„Leckense michamarsch – Sie Sch-Scheißer!“

Der Erste Offizier knirschte mit den Zähnen.

„W-wiederholnse, was se sind – dasn Befehl“, lallte de Freitas.

„Sie sind ja betrunken“, sagte er Erste eisig. „Ich werde jetzt den Zweiten Offizier holen, um einen Zeugen über Ihren Zustand zu haben. Dann werde ich Sie auffordern, auf dem Achterdeck zu erscheinen, wo Ihr Platz als Kommandant eines spanischen Kriegsschiffes ist. Wenn Sie das nicht können, werde ich das Kommando über die ‚El León‘ übernehmen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“

Plötzlich schien de Freitas nüchterner zu werden. Er kniff die Augen zusammen und duckte sich etwas.

„Wollnse meutern?“ zischte er.

„Nein, nur an Ihre Pflichten als Kommandant erinnern“, erwiderte der Erste. „Dazu gehört, daß Sie bei Annäherung eines fremden Schiffes auf dem Achterdeck zu stehen haben, es sei denn, Sie haben das Kommando einem Ihrer Offiziere übergeben, was bis jetzt aber nicht der Fall ist. Offenbar sind Sie in Ihrem betrunkenen Zustand nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu treffen, und die müssen jetzt getroffen werden – das andere Schiff segelt sehr schnell auf.“

„Quatsch! Es gibt kein schnelleres Schiff als die ‚El León‘!“ Jetzt funkelte Wut in den Augen des Capitáns.

Auch in dem Ersten kochte die Wut. Er hatte sich lange geduckt, zu lange. Das war vorbei – seit er am Nachmittag dem Capitán mit seiner Meinung entgegengetreten war. Plötzlich hatte er Stärke gefühlt und gespürt, daß dieser Kommandant ein Blender war, der sich mit seiner „Lagebesprechung“ nur hatte versichern wollen. Denn wenn er gegen die Order handelte, mußte er die Offiziere auf seiner Seite haben – um sie in die Pfanne hauen zu können, wenn etwas schiefging. Seine Offiziere hätten seine Entscheidung bestätigt, würde er vor dem Kriegsgericht sagen.

Mitgefangen – mitgehangen!

„Dann überzeugen Sie sich selbst davon, daß das andere Schiff schneller als die ‚El León‘ ist“, knurrte der Erste Offizier. „Und hören Sie auf zu saufen“, setzte er hinzu, als er sah, daß der Capitán wieder aus der Flasche trinken wollte.

Plötzlich reagierte de Freitas erstaunlich schnell. Er trank nicht, sondern schleuderte die Flasche nach seinem Ersten Offizier. Und sie traf, und zwar voll. Sie zerplatzte am Kopf des Ersten, und der sackte am Schott zusammen. Es war nicht festzustellen, ob das, was über sein Gesicht lief, Blut oder Rotwein war.

Den Capitán interessierte das auch gar nicht. Über den Ersten weg stürmte er aus der Kammer und aufs Achterdeck.

Was er sah, ernüchterte ihn.

„Spektiv!“ brüllte er, und das Teniente-Jüngelchen reichte ihm hastig eins.

Unaufhaltsam rauschte das fremde Schiff in Lee von Backbord achtern heran – gezogen von einem riesigen, ballonartigen Segel am Vormast, das sich prall wölbte.

Dem Capitán blieb der Mund offenstehen.

Er riß ihn noch weiter auf, als an der Besangaffelrute die spanische Flagge niedergeholt, eine andere angesteckt und vorgeheißt wurde. Sie entfaltete sich: eine schwarze Flagge mit zwei gekreuzten goldenen Säbeln darin.

Eine Piratenflagge?

Und jetzt entdeckte der Capitán auf dem Achterdeck des anderen Schiffes den Riesen mit den wildflatternden schwarzen Haaren.

Capitán Julio de Vilches!

Der grüßte lässig und rief einen Befehl.

Die Geschützpforten rasselten hoch, sechs Culverinen rumpelten auf ihren Lafetten vor, sechs Rohre bleckten ihre Mäuler gegen die Backbordseite der „El León“.

Gleich mußte es blitzen und krachen!

Mit einem entsetzten Laut duckte sich der Capitán hinter das Schanzkleid, ja, er warf sich hin und hielt die Hände über den Kopf. Das sehen und sich gleichfalls hinwerfen, war die sofortige Reaktion des Teniente-Jünglings, das den „Feind“ hatte stellen und vernichten wollen. Im Nu lag alles auf dem Achterdeck flach.

Auf der Schebecke „El Tigre“, ertönte ein brüllendes Gelächter.

Und kein Schuß fiel!

Majestätisch zog die schlanke Schebecke in Lee an der Kriegskaravelle vorbei. Nicht einmal Verwirbelungszone und Abdeckung durch die „El León“ verlangsamten ihre Geschwindigkeit. Den Kerlen auf der Kriegskaravelle Seiner Majestät, die sich nicht in Deckung geworfen hatten, gingen fast die Augen über.

Das fremde Schiff glitt an ihnen vorbei wie ein rassiges Pferd der Araber an einem müden Klepper, der einen schwerbeladenen Karren hinter sich herzieht. Das heißt, ihre Karavelle wurde zu einer Schnecke degradiert.

Einige schlugen das Zeichen des Kreuzes, weil sie glaubten, das ginge nicht mit rechten Dingen zu. Denn sie waren erfahrene Seeleute, und sie wußten auch, wie schnell die Schiffe der nordafrikanischen Piraten waren. Nur grenzte das hier an Teufelsspuk.

Und sie sahen das fremde Segel am Vormast, das sie nicht einzuordnen vermochten. Das war gleichfalls Teufelswerk.

Und der Capitán, der bis zur Halskrause voll mit Rotwein war?

Der glaubte, sich in einem Alptraum zu befinden!

Wann fiel die tödliche Breitseite? Jetzt? Ja, jetzt mußte sie krachen. Und sie krachte!

Nein, sie krachte nicht!

Was war das?

Gelächter! Oder wieherten Pferde? Schlachtrösser?

Der Capitán würgte. Und dann erbrach er sich. Der ehrenwerte Kommandant einer Kriegskaravelle der stolzen spanischen Majestät kotzte auf die Planken des erlauchten Achterdecks wie ein mieser Kutscher, der sich den Magen mit billigem Fusel vollgepumpt hat.

Die Legende vom „Eisenfresser“ sackte in sich zusammen wie eine zerstochene Schweinsblase.

Da war ein zernarbter und mehrfach gezüchtigter Decksmann auf der „El León“, einer, der fast schon zuviel Pulverdampf gerochen, das Pfeifen der Kugeln gehört und das Blitzen von Klingen gesehen und überstanden hatte.

Und der spuckte verächtlich über Bord.

Dabei dachte er an die Peitschennarben auf seinem Rücken, an die Neunschwänzige, die über seinen Rücken getanzt war – auf Befehl eben dieses Kommandanten, der sich jetzt die Seele aus dem verdammten Leib kotzte.

„Damit du weißt, was Disziplin bedeutet!“ hatte dieser Kommandant gebrüllt. Gebrüllt? Nein, gegeifert hatte er das!

Disziplin? Was war das?

War dieser kotzende Kommandant diszipliniert?

O nein! Der warf sich beim Anblick einer drohenden Breitseite schon auf die Planken – bevor der erste Schuß gefallen war. Und dann erbrach er sich. Und vermutlich schiß er sich auch noch in die Kürbishosen.

Da hob der narbige Decksmann den Kopf und lachte den Himmel an. Er zerbarst vor Lachen. Und es schallte über die See und klang wie Teufelsgelächter.

Die Männer auf der „El León“ erschauerten.

Sie erschauerten noch mehr. Denn der Decksmann brüllte: „Ist das Ihre Disziplin, Señor Capitán? Oder was ist das? Haben Sie etwa Angst? Der Feind hat doch noch gar nicht geschossen! Er hat Ihnen nur seine Breitseite gezeigt! Ein Pirat! Na und? Und wann machen Sie gefechtsklar? Oder wollen Sie kneifen? Das konnte ich auch nicht, als Sie mir Ihre sogenannte Disziplin mit der neunschwänzigen Katze einbleuen ließen und grinsend zuschauten!“ Der Decksmann keuchte, und es schüttelte ihn vor erbitterter Wut. Und er reckte die Faust hoch und brüllte: „Verrecken sollen Sie, Sie dreckiger Schinder!“

Es war der Profos auf der „El León“, der den Decksmann erschoß. Er schoß ihm aus nächster Nähe den Kopf mit der Ladung eines Tromblons ab.

Der Decksmann war nur der erste Tote.

Der Erste Offizier taumelte aufs Achterdeck, und es war doch Blut, das ihm aus einer gräßlichen Kopfwunde über das Gesicht lief. Er sah den Gegner und das schwarze Tuch an der Besangaffel.

Und er rief mit gellender Stimme: „Alle Mann auf Gefechtsstation. Klarschiff zum Gefecht! Beeilung, Männer!“

Erst da erwachte die Besatzung der „El León“ wieder zum Leben. Wie erstarrt war sie gewesen. Und dann der vom Schuß geköpfte Decksmann!

Das war nicht der Beginn zu einem siegreichen Gefecht. O nein, das war das Präludium zu Untergang und Tod.

Der nächste Tote war der Erste Offizier.

Taumelnd richtete sich der Kommandant auf, und das Erbrochene hing ihm zum Teil noch in der Halskrause. Er begriff vor allem nicht, daß ihn der Gegner geschont hatte, daß er sich in ritterlicher Form als Feind zu erkennen gegeben hatte: mit dem Niederholen der spanischen und mit dem Vorheißen der schwarzen Flagge, mit dem Ausrennen der Stücke und mit dem Zurückhalten der Feuereröffnung, weil der Gegner noch nicht gefechtsbereit war.

Nein, das drang alles nicht bis in den versoffenen Kopf des Capitáns vor. Er registrierte nur, daß der Erste Offizier das Kommando an sich gerissen hatte, daß von ihm der Befehl zum Klarschiff zum Gefecht gegeben worden war.

Aber diesen Befehl hatte er, der Kommandant, zu geben, nicht dieser billige Erste, der noch nicht mal von Adel war und seine Ernennung zum Offizier nur der Fürsprache irgendwelcher Narren zu verdanken hatte. Allenfalls zum Bootsmann war dieser Kerl geeignet. Zu mehr nicht. Und jetzt maßte er sich den Befehl über die „El León“ an – dieser Emporkömmling!

„Geben Sie mir Ihre Pistole!“ zischte er den Dritten Offizier an, der sich gerade aufgerappelt hatte und ihn kindisch anglotzte.

„Jawohl“, hauchte das Jüngelchen erschreckt.

Es hatte überhaupt keinen Durchblick mehr. Und alles war so furchtbar. Zitternd überreichte es die Pistole, eine doppelläufige Schußwaffe, die Vater Generalkapitän dem Sohnemann vor einem Jahr mit ernster Miene gewissermaßen verliehen hatte – mit der Ermahnung, sie tapfer zu führen und der Feinde Schar zu eliminieren. Jawohl, eliminieren, hatte er gesagt.

Es war eine schöne Waffe und kostbar ziseliert.

Vom Verkaufserlös dieser Waffe hätte eine Tagelöhnerfamilie mit acht Kindern glücklich und satt ein Jahr lang leben können. Alles hat eben seinen Preis – das Leben von Wanzen genauso wie eine mit Silber ausgelegte Tötungsmaschine. Das hängt alles nur von den Maßstäben ab. Der Wert der Pistole war viel höher als der „Wert“ der Wanzen, sprich Tagelöhnerfamilie.

Der Capitán riß die Pistole brutal an sich, spannte den Hahn, und dann schoß er. Und gleich darauf noch einmal. Und dann warf er die Pistole schnell dem Jüngelchen wieder zu, das dämlich genug war, es aufzufangen und in den Gürtel zu schieben.

Im Rücken des Ersten Offiziers, der an der Balustrade am Abschluß des Achterdecks gestanden hatte, waren plötzlich zwei ausgefranste, verbrannte Löcher. Der Erste Offizier bäumte sich auf, verharrte sekundenlang auf den Zehenspitzen – und kippte dann nach vorn über die Balustrade auf die Kuhl hinunter. Dort schlug sein Körper dumpf auf.

An Bord der Kriegskaravelle „El León“ ging das Grauen um.

Das Jüngelchen – das hatte es immerhin inzwischen gelernt – stürzte ans Leeschanzkleid und erbrach sich.

Dann ermannte es sich, fuhr herum und kreischte: „Das war Mord!“

„Halt’s Maul, du Säugling!“ beschied der Kommandant. „Außerdem werde ich bezeugen, daß du geschossen hast, klar? Es ist deine Waffe. Sie steckt in deinem Gurt – ha-ha-ha-ha!“ Das Lachen klang noch schauriger als zuvor bei dem Decksmann.

Das Jüngelchen wurde weiß wie Quark.

Das war nicht das Leben, von dem es geträumt hatte, das wilde tolle Leben mit Sieg und Ruhm, mit schmetternden Fanfaren und knatternden Flaggen, mit Lorbeer und Orden, mit errötenden Frauen vor stolzen Helden! Das war Schlamm und Dreck, Erbrochenes und Blut, ein zerfetzter Kopf und ein durchschossener Rücken, Haß und Gemeinheit, List und Tücke!

Von einer Sekunde zur anderen wurde das Jüngelchen zum Mann. Und das Blut schoß zurück in das weiße Gesicht, das plötzlich hart erschien. Die Rechte fuhr zum Degengriff und riß die Blankwaffe heraus.

„Los! Wehren Sie sich, Sie Lump!“ zischte der Teniente. „Sie haben den Ersten Offizier hinterrücks erschossen – mit meiner Waffe! Aber ich habe noch eine! Diese hier!“ Und der Degen zuckte hoch, funkelnd in der Abendsonne – und blutig von ihr gefärbt.

Bei Capitán de Freitas wechselte die Gesichtsfarbe in schleimiges Grau, und er wich zurück.

In diesem Moment brüllte der Ausguck aus dem Vormars: „Gegner hat weit voraus gewendet und ist auf Gegenkurs gegangen! Steuert in Luv auf uns zu!“

Der Capitán schluckte. Dann fuhr er den Teniente an: „Gehen Sie auf Ihre Gefechtsstation bei den Batterien! Das ist ein Befehl! Wir sprechen uns später noch!“

Der Teniente zögerte einen Moment, stieß darauf den Degen in die Scheide zurück und verließ das Achterdeck mit versteinertem Gesicht.

Der Capitán atmete auf und befahl einem Läufer, ihm seine Waffen aus der Kammer zu bringen – Wehrgehänge und Pistolen. Der Läufer sauste ab.

Seewölfe Paket 33

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