Читать книгу Seewölfe Paket 33 - Fred McMason - Страница 26
2.
ОглавлениеDas gute Wetter und der handige Wind schienen tatsächlich anzuhalten, obwohl die dichte Wolkendecke eher eine Verschlechterung erwarten ließ. Wahrscheinlich regnete es über dem Festland.
Die Sonne stand inzwischen tief über dem westlichen Horizont. Zu sehen war sie nicht, wohl aber färbte sie die Wolken mit einem düsteren, bis in den Zenit reichenden Rot.
Die Schebecke segelte an Steuerbord der Schatzschiffe. Wie Hunde eine Schafherde, so hielt Philip Hasard Killigrew mit der „Wappen von Kolberg“ und der „Isabella“ die spanischen Galeonen zusammen. Besonders nach Einbruch der Dunkelheit galt es, die Augen offenzuhalten. Der Verlust der „Nobleza“ hatte diesbezüglich Zeichen gesetzt.
Mit prall geblähten Lateinersegeln glitt der schlanke Mittelmeerdreimaster majestätisch an den plumperen Schatzschiffen vorbei.
„Sollten uns wirklich einige Tage der Ruhe gegönnt sein?“ fragte Don Juan de Alcazar zögernd. Er stand neben Hasard auf dem Achterdeck und genoß den Anblick der Schiffe. Einst waren der Seewolf und er erbitterte Gegner gewesen, doch das lag lange zurück und mutete unwirklich an.
Die „Nuestra Señora de lagrimas“ lag querab. Als Folge ihres großen Tiefgangs gischtete die Bugsee bis zur Galionsfigur hoch. Bei stürmischerem Wetter schlugen die Brecher sogar auf die Back über.
„Ich habe mir auf diesem Törn abgewöhnt, den Tag vor Mitternacht zu loben“, erwiderte Hasard auf Don Juans Frage. Er dachte an die Zwischenfälle mit der „Nobleza“ und dem Sklavenschiff „Aguila“, an den Schwelbrand auf der „Respeto“ und die dadurch angelockte Kriegskaravelle „El León“.
„Alles hätte noch viel schlimmer ausfallen können“, sagte der Spanier. „Daran denkst du im Moment. Oder sollte ich mich irren?“
Stumm schüttelte der Seewolf den Kopf. Voraus segelten die „Honestidad“ und die „Respeto“ in exakter Kiellinie. Das Rot des Himmels schien selbst ihre Segel zu färben.
Zum erstenmal seit Stunden riß die Wolkendecke auf. Irrlichternd huschten Sonnenstrahlen über den Atlantik. Aber nur vorübergehend, denn gleich darauf lichtete sich der Dunst über der Kimm endgültig.
Das Tagesgestirn erschien als aufgeblähter Glutball, dessen unteres Drittel schon im Meer versunken war. Auf der Wasseroberfläche vermischten sich lila Farbtöne mit der bleiernen Schwärze der länger werdenden Schatten.
Die Schebecke segelte an der „Honestidad“ vorbei. Vierhundert Yards voraus stampfte die „Respeto“ durch die Wellen.
Hasard wollte sich gerade abwenden, als er ein flüchtiges Aufblitzen auf der Kampanje der Galeone bemerkte. Aber selbst ein Drehbassenschuß wäre deutlicher zu erkennen gewesen, davon abgesehen, daß sich bestimmt kein Spanier hinreißen ließ, auf die Schebecke zu feuern. Jedenfalls nicht auf die augenblickliche Distanz und nur mit einem einzigen Rohr.
Hasard zog sein Spektiv auseinander und blickte hindurch.
Neben der Hecklaterne der „Respeto“ stand eine einsame Gestalt, der Kleidung nach ein einfacher Decksmann. Mehr war auf die Entfernung nicht zu erkennen.
Im nächsten Moment blitzte es erneut auf. Zweimal kurz hintereinander.
„Was ist das?“ fragte Don Juan.
Der Mann auf der Galeone hielt ein poliertes Stück Metall oder etwas Ähnliches in Händen, mit dem er die Strahlen der sinkenden Sonne auffing und reflektierte.
„Signale“, sagte der Seewolf. Er zweifelte nicht daran, daß die Zeichen tatsächlich für die andere Galeone bestimmt waren.
Der Decksmann zeigte sich hartnäckig. Je näher die Schebecke aufschloß, desto deutlicher wurde, daß er eine Metallscheibe benutzte.
Endlich wurde ein auf der Back der „Honestidad“ hantierender Kerl aufmerksam. Die Blinde hatte ihn zeitweise in seiner Sicht behindert. Er schwenkte ein Tuch zur Antwort.
Der Decksmann auf der „Respeto“ bückte sich und hob ein seltsames Bändel auf den Handlauf der Balustrade. Wegen des schwindenden Tageslichts mußte Hasard zweimal hinblicken, ehe er erkannte, daß es sich um eine große Tauschlinge handelte, an der ein weiß gestrichenes Holzstück und offenbar eine Flasche befestigt waren.
Das Bündel flog mit Schwung außenbords.
Hasard richtete das Spektiv auf die Heckwelle der „Respeto“. Tatsächlich schwamm das Holz schnell auf. Inmitten der schäumenden Welle war es nur schwer zu erkennen.
Der Seemann auf der „Honestidad“ griff sich einen Bootshaken und kroch auf den Bugspriet. Währendessen warf der Decksmann auf der voraussegelnden „Respeto“ ein zweites Bündel über Bord. Auch dieses trieb genau der nachfolgenden Galeone entgegen.
„Ich möchte wissen, was die Burschen für Nachrichten austauschen“, sagte Don Juan. „Möglicherweise kriegen wir darin unser Fett ab.“
„Du siehst zu schwarz“, antwortete Hasard.
Der Spanier zog die Brauen hoch. „Harmlos ist das wohl nicht“, sagte er.
Sie beschränkten sich wieder aufs Beobachten. Der Mann auf der „Honestidad“ beugte sich so weit über, daß schon die kleinste Unregelmäßigkeit im monotonen Stampfen des Schiffes genügt hätte, ihn über Bord gehen zu lassen. Geschickt hantierte er mit dem Bootshaken, aber doch nicht geschickt genug, denn er verfehlte die treibende Tauschlinge, weil der Bug der Galeone just in dem Moment in die Höhe stieg.
Durchs Spektiv konnte Hasard die Enttäuschung des Mannes sehen, als das treibende Bündel von der Bugwelle gepackt und zur Seite geschleudert wurde. Im Nu wurde die Entfernung zu groß, als daß ein Nachfassen mit dem Peekhaken möglich gewesen wäre.
Der Kerl spuckte aus, fuhr sich mit dem Handrücken durch das bärtige Gesicht und blickte scharf voraus, wo das zweite Bündel auf den Wellen schaukelte. Das Schiff hielt genau darauf zu, und wenn er Pech hatte, würde die Tauschlinge mit den Anhängseln unter den Kiel gezogen werden.
„Er schafft es“, meinte Don Juan.
„Du brennst darauf, zu erfahren, welche Nachricht auf diese Weise übermittelt wird“, sagte Hasard, ohne den Kieker abzusetzen.
Der Spanier lachte leise. „Klar will ich wissen, was bei meinen Landsleuten vorgeht.“
„Dann geht es dir nicht anders als mir“, gestand Hasard. „Ich könnte zwar wenden lassen und versuchen, das verlorene Treibgut aufzufischen, doch würden wir damit nur verraten, daß wir die Sache bemerkt haben. Und wenn wir warten, bis die Galeonen vorbei sind, finden wir das Ding bestimmt nicht mehr. Die Nacht bricht schnell herein.“
Er hatte sich kurz ablenken lassen. Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf die „Honestidad“ konzentrierte, war der Bärtige schon im Begriff, das Bündel hochzuziehen. Die Tauschlinge hing sicher an dem eisernen Haken.
Tau und Holzstück flogen in hohem Bogen in die See zurück, Augenblicke später folgte die entkorkte, um ihres Inhalts beraubte leere Rumflasche. Der Kerl auf der Galion entfaltete einen Zettel, drehte und wendete ihn mehrmals unschlüssig und schob ihn schließlich unter sein Hemd. Anscheinend war er des Lesens nicht oder nur sehr unvollkommen mächtig.
„Bestimmt gibt er den Wisch seinem Kapitän“, sagte Don Juan. Er konnte nicht wissen, daß genau das allen Beteiligten viele Unannehmlichkeiten erspart hätte.
Guillermo Corel hatte sich unbeobachtet geglaubt. Deshalb zuckte er wie ein ertappter Sünder zusammen, als er die Back verließ und unerwartet angesprochen wurde.
„He, Guillermo“, sagte Rufino Vaquero, der Fockmastgast der „Honestidad“, „was hast du aus dem Wasser gezogen? Das war bestimmt kein Fisch.“
„Fisch?“ Corel konnte bis zum Umfallen arbeiten, aber im Denken, wenn er den anderen Rede und Antwort stehen mußte, war er um einiges langsamer. „Wovon sprichst du?“
„Von deiner Liebschaft mit der Seejungfrau“, sagte Vaquero grinsend.
„Hä?“ Mehr brachte der Bärtige nicht heraus.
„Spiel nicht den Unschuldigen“, sagte der Fockmastgast. Mit einem raschen Rundblick stellte er fest, daß sich bereits mehrere Männer um sie scharten. Wenn es darum ging, Guillermo zum besten zu halten, waren alle da.
Spöttisch fügte er deshalb hinzu: „Eine Seejungfrau sieht ungefähr so aus: ein Riesenbusen“, mit den Händen demonstrierte er die üppige Wölbung, die er meinte, „Haare so grün wie Seegras bis zum Po und ein Unterleib – du glaubst es kaum – so anschmiegsam wie …“ Er suchte nach Worten. „Wie … na, eben wie der schuppige Schwanz eines Fisches.“
Das Gelächter der Männer war umwerfend. Verdattert stand Guillermo Corel zwischen ihnen und versuchte vergeblich zu begreifen, ob Rufino es ernst meinte oder nur einen seiner berüchtigten Späße vom Stapel ließ.
„Ich kenne keine Jungfrau“, sagte er vorsichtshalber. Daß er rasch hinzufügte „Keine Seejungfrau“, ging in dem noch lauter aufbrandenden Lachen unter.
Erst als der Kapitän und der Erste Offizier an der Balustrade des Achterdecks erschienen, winkte Vaquero ab. Die allgemeine Heiterkeit verstummte schlagartig.
„Genug der Belustigung!“ rief der Capitán. „Geht an eure Arbeit, Männer!“
Guillermo Corel wollte schnurstracks nach achtern laufen. Aber der Fockmastgast hielt ihn mit eiserner Faust zurück. „Nicht so schnell, mein Freund“, raunte er ihm zu. „Erst will ich wissen, was du aufgefischt hast.“
„Einen Brief“, antwortete Guillermo. „War in einer Flasche drin.“
„Zeig her!“
„Ist für den Capitán bestimmt.“
„Warum? Was steht drin?“
Guillermo wirkte irritiert. „’ne ganze Menge“, sagte er. „Ist mächtig viel geschrieben.“
Vaquero rieb sich das Kinn. „Ich dachte immer, du kannst nicht lesen“, sagte er nachdenklich. „Woher willst du wissen, daß der Brief für den Capitán geschrieben wurde?“
„Ich weiß es eben.“
„Der Brief ist für mich“, behauptete Vaquero. „Er wurde auf der ‚Respeto‘ ins Wasser geworfen, nicht wahr?“ Das war unschwer zu erraten.
Guillermo Corel sperrte Augen, Mund und Ohren auf. Erst nach einer Weile klappte er den Mund wieder zu und schüttelte bedächtig den Kopf. Die Folgerung, zu der er gelangte, war durchaus logisch.
„Wenn dem so wäre, hättest du das sofort gesagt.“
„Stell dich nicht so an!“ drängte der Fockmastgast. „Mein Name steht auf dem Wisch. Ganz oben sogar, wo er hingehört.“
„Hm“, brummelte Guillermo, noch immer mißtrauisch. Trotzdem zog er das Papier unter seinem Hemd hervor und faltete es auf.
„Da! Siehst du!“ Vaquero deutete auf die verschnörkelten Buchstaben.
Der Decksmann runzelte die Stirn. „Schreibt man Vaquero mit ‚F‘?“
„Na klar.“
„Seltsam. Ich hätte Stein und Bein darauf geschworen, daß das erste Wort ‚Freunde‘ heißt.“
„Zeig schon her!“ Der Fockmastgast riß Guillermo das Papier aus der Hand. Blitzschnell überflog er die paar mit ungelenker Handschrift hingekritzelten Zeilen. Um seine Mundwinkel zuckte es verhalten.
„Wenn das der Capitán sieht, ist ein Donnerwetter besonderer Art fällig“, sagte er.
„Wieso?“ fragte der Decksmann. „Was ist mit dem Brief?“
Rufino Vaquero las vor.
„Freunde auf der ‚Honestidad‘, die ihr meine Nachricht aufgefischt habt“, stand da. „Ich weiß keinen anderen Weg als diesen. Helft uns! Wir sitzen verdammt auf dem trockenen, ohne einen einzigen Tropfen Rum ist das Leben beschissen …“
„Recht hat er“, murmelte Guillermo mit Inbrunst.
„Willst du den Rest noch hören?“ fragte Vaquero. „Dann unterbrich mich nicht dauernd.“
Der Decksmann zog eine beleidigte Miene. Aber er schwieg.
„Wenn die Nacht am schwärzesten ist, setzen wir zu euch über“, las Vaquero weiter. „Haltet einige Fäßchen und Flaschen Rum zur Übernahme bereit, aber achtet darauf, daß euer Capitán von der Sache keinen Wind kriegt. Pigatto und er sind Busenfreunde. – Mann“, sagte Vaquero, nachdem er geendet hatte, „kapierst du nun, was du beinahe angerichtet hättest? Wegen des Schwelbrands auf der ‚Respeto‘ wurden alle Rumvorräte von Bord geschafft. Die Glut ist inzwischen zwar gelöscht, aber Capitán Pigatto straft seine Leute auf besondere Weise: durch Entzug der Rumration.“
„Was haben wir damit zu tun?“
„Irgendwann könnte uns ähnliches widerfahren. Dann wären wir über jeden Freund froh, der uns aus der Patsche hilft.“ Rufino Vaquero schlug die Hand beiseite, die nach dem Papier grapschte, und steckte den Zettel selbst ein.
„So habe ich die Sache noch gar nicht gesehen“, sagte Guillermo betreten. „Was tun wir?“
Vaquero seufzte ergeben und verdrehte die Augen.
„Ist doch klar“, erwiderte er. „Wir erleichtern die Proviantlast.“
Jorge Zapata hatte es verstanden, sich für die Abendwache von 20.00 Uhr bis Mitternacht einteilen zu lassen.
Während er auf der Kuhl seinen Dienst versah, gingen Antonio Villasante und Téofilo Linares auf Back und Achterdeck Wache – beide waren Männer, auf die er sich verlassen konnte.
Antonio war einem guten Schluck ohnehin selten abgeneigt und das schale Wasser lief ihm, wie er sich ausdrückte, zu den Ohren raus. Und Téofilo schuldete Zapata einen Gefallen und mußte schon deshalb stillhalten.
Das Abendrot wich dem Dunkel der Nacht. Nur wenige Sterne standen am Himmel. Da die See weiterhin ruhig blieb und der Wind nicht weiter auffrischte, konnte Jorge Zapata mit den Bedingungen zufrieden sein.
Vor Wach antritt hatte er aus seiner langstieligen Tonpfeife einige heimliche Züge genommen. Der Tabaksaft biß auf der Zunge, und der inhalierte Rauch ließ seine Stimme belegt klingen. Doch das fiel niemandem auf.
Jorge Zapata war dem indianischen Tabak verfallen. Sobald er an einem Tag nicht rauchte, stellte sich prompt eine leichte Benommenheit ein, begleitet von Kopfschmerzen, die sich bis in den Nacken hinzogen. Zapata genoß, die Augenblicke, in denen er den Tabak ansteckte und die kleinen Rauchwölkchen aufstiegen.
Eines Tages, das hatte er sich längst geschworen, würde er seine in langen Jahren gesparten Reales für den Kauf einer Galeone ausgeben – für den Rest ließen sich bestimmt Geldgeber finden –, und dann würde er Schiffsladungen voll Tabak aus der Neuen Welt nach Spanien bringen. Manchmal träumte er sogar davon, daß alle Spanier mit Pfeifen in den Mundwinkeln herumliefen.
Ein scharfer Anruf schreckte ihn aus seinen Überlegungen auf. Antonio Villasante schüttelte verweisend den Kopf.
„Bist du eingeschlafen, Jorge? Wir gehen Runde um Runde, während du bloß am Schanzkleid stehst und ins Wasser stierst.“
War tatsächlich schon soviel Zeit vergangen? Zapata war sich dessen nicht bewußt. Aber die Dunkelheit ringsum war mittlerweile vollkommen. Téofilo Linares schlug soeben die Schiffsglocke an. Fünf Glasen. Das bedeutete, daß bis Mitternacht nur mehr eineinhalb Stunden fehlten.
Zapata blickte in die Runde. Voraus segelte die „Reputación“. Der Schein ihrer Hecklaterne riß lediglich den unteren Bereich des Besansegels aus der Finsternis und reichte gerade bis zur Galerie. Die Hecksee ließ nur mehr einen fahlen Widerschein erahnen.
Der winzige Schimmer noch weiter voraus und leicht nach Backbord versetzt, mußte die „Santos los Reyes Mayos“ sein.
Die Schebecke war von der Nacht verschluckt worden. Zapata empfand Erleichterung, daß er sie nirgendwo entdeckte. Immerhin hatte das Schiff des Sonderbeauftragten seiner Majestät bei Sonnenuntergang lediglich zwei Kabellängen achterlich gestanden.
Jorge war sich keineswegs im klaren darüber, was er von diesem Julio de Vilches zu halten hatte, der die Schatzschiffe nach Irland führte, statt in einen sicheren spanischen Hafen. Die Nähe des hochgewachsenen breitschultrigen Mannes mit den eisblauen Augen erfüllte ihn mit einem gewissen Unbehagen.
Die eigenwillig konstruierte schlanke Galeone „Isabella“ segelte achterlich an Backbord. Von ihr, fand Zapata, drohte keine Gefahr. Und das dritte von Don Julio de Vilches’ Schiffen kreuzte zur Zeit vermutlich am Ende des Konvois.
Weder Capitán Pigatto noch sein Erster Offizier oder der Bootsmann d’Alvarez hatten sich während der letzten beiden Stunden an Deck blicken lassen. Zweifellos bedeutete dies, daß die Señores in ihren Kojen lagen und schnarchten. Ihr Schlaf mochte jetzt noch besonders tief sein, deshalb hatte Jorge die Zeit vor Mitternacht für sein Vorhaben ausgewählt.
„Was ist?“ rief Villasante leise von der Back. „Hast du es dir anders überlegt?“
„Nicht die Spur“, erwiderte Zapata verhalten.
„Dann ist es gut.“ Der Wachgänger zeigte sich zufrieden. Vermutlich hatte er befürchtet, auf die paar Flaschen Rum verzichten zu müssen, die ihm versprochen waren.
Endlich erschienen Tito Menéndez, José Canalejas und Alberto Braña auf der Kuhl. Zapata hatte die drei einweihen müssen, da es ihm unmöglich war, allein mit der Jolle zur „Honestidad“ überzusetzen. Die beiden Wachen durfte er aus verständlichen Gründen nicht abziehen, es genügte, wenn er seinen Posten unerlaubt verließ.
Folglich waren sie sieben Mann, die Bescheid wußten. Jeder weitere hätte das Risiko der Entdeckung unnötig vergrößert, abgesehen davon, daß der Anteil des einzelnen zunehmend geschrumpft wäre. Und wer verzichtete schon gern auf einen guten Schluck! Noch dazu nach Tagen der Abstinenz.
Die Jolle war zum Abfieren vorbereitet. Zur Ausrüstung gehörten ein kurzer, über den Duchten festgezurrter Mast, der gut eine Mannslänge über den Bug hinausragte, sowie ein einfaches, dunkel gefärbtes Segel. Weder Zapata noch die anderen wollten sich für den Rückweg zur „Respeto“ allein auf die Riemen und die Kraft ihrer Arme verlassen. Mit dem guten Wind im Rücken war die Distanz bedeutend leichter zu überwinden.
„Fiert ab!“ raunte Jorge Zapata seinen Helfern zu.
Erstaunlich leise liefen die Taue durch die Taljen, die aus mehrscheibigen Blöcken bestanden. Zapata hatte sich dazu hinreißen lassen, mit Fett dem üblicherweise entstehenden Knarren abzuhelfen, wobei der bewußt die Gefahr in Kauf nahm, daß ein derart schmierig werdendes Tau im ungünstigsten Moment durch die Hände rutschen konnte.
Der Erfolg gab ihm recht. Selten war eine Jolle so leise ausgeschwenkt und mit Hilfe der Taljen zu Wasser gelassen worden.
„Gott segne den Schlaf des Capitáns“, murmelte jemand.
Zapata grinste flüchtig.
Ein leises Klatschen erklang. Die Jolle lag nun längsseits. Nacheinander und ohne Hast enterten die Männer ab. Jorge ging als letzter. Er benutzte einen mit Werg umwickelten Riemenschaft, um das kleine Boot von der Galeone abzustoßen, dann tauchten sie die Blätter ein und zogen langsam durch.
Sie brauchten sich nicht anzustrengen, sondern eigentlich nur abzuwarten, bis die „Honestidad“ vor ihnen aus der Nacht auftauchte. Nach wie vor segelte der Konvoi unter Vollzeug.
Flüchtig streifte der Schein der Hecklaterne die Jolle. Aber Capitán Pigatto stand weder draußen auf der Galerie noch hinter den bleiverglasten Scheiben seiner Kammer.
„Richtet den Mast auf!“ flüsterte Zapata.
Schweigend arbeiteten sie Hand in Hand, verankerten das solide Rundholz in der vorderen Ducht und reihten das Segel an. Zu dem Zeitpunkt tanzte nicht mehr sehr weit vor ihnen das Licht einer Laterne über der See, wurde aber größtenteils von Fock und Blinde verdeckt.
Bugspriet und Galionsfigur des Schiffes zielten auf die Jolle. Zapata, der nicht gedacht hatte, daß er so exakt auf Kurs lag, zog die Ruderpinne nach Backbord.
In der Dunkelheit gewaltig anmutend, wuchsen Bugspriet und Vorsteven über dem Boot auf. Doch da wurde es bereits von der Bugwelle erfaßt und zur Seite gedrückt.
Tito Menéndez schleuderte den Enterhaken, der sich leise knirschend in den Rüsten der Fockwanten verfing. Innerhalb weniger Augenblicke spulte sich das kurze, an einer vorderen Klampe belegte Seil ab, bevor es sich ruckartig straffte. Die Jolle legte sich über und tauchte bis ans Dollbord in die Wellen ein, aber Zapata hantierte so geschickt mit der Pinne, daß trotz der schnellen Drehung um 180 Grad kaum Wasser eindrang. Das wenige, was trotzdem am Boden zusammenfloß, östen die Männer sehr schnell wieder aus.
Ein kurzer, scharfer Zischlaut ertönte von der Kuhl her. Als Jorge hochsah, flog ihm ein Tau entgegen. Mit wenigen Schlägen befestigte er es an einer Klampe neben der Achterducht. Die Jolle lag nun höchstens zwei Ellen neben der „Honestidad“ und wurde von ihr mitgeschleppt.
Die Männer kletterten nach oben.
Grinsende Gesichter blickten ihnen über das Schanzkleid entgegen. Rufino Vaquero stand da, breitbeinig und die Arme in die Seiten gestützt. „Ihr sitzt ganz schön auf dem trockenen, wie?“ sagte er spöttisch. „So ein nächtlicher Ausflug kann euch einigen Ärger einbringen.“
„Der Capitán muß uns erst mal erwischen“, entgegnete Alberto Braña hochnäsig.
„Statt herumzumäkeln, solltest ihr uns lieber mit einem vernünftigen Begrüßungsschluck empfangen“, sagte José Canalejas.
„Ist alles vorbereitet.“
Vaquero bückte sich nach einer bereitstehenden Rumflasche, entkorkte sie mit den Zähnen und reichte sie Zapata, der einen kräftigen Schluck nahm und die Buddel an Braña weitergab. Als endlich die Männer der „Honestidad“ an der Reihe waren, schwappte der Rum gerade noch eine Fingerbreite hoch in der Flasche.
„Den Schluck hättet ihr auch trinken können“, sagte ein pockennarbiger Kerl tadelnd.
„Wenn du meinst!“ Menéndez nahm ihm prompt die Buddel aus der Hand, gluckerte den schäbigen Rest und warf die leere Flasche hinter sich über die Verschanzung. „Alsdann“, sagte er unternehmungslustig, „fiert die Vorräte ab.“
Vaquero deutete auf die neben dem Großmast ausgebreitete Plane, unter der sich die Umrisse mehrerer Fässer abzeichneten. „Erwartet nicht zuviel. Das ist alles, was wir entbehren konnten.“
Zapata lüftete die Persenning an einer Ecke an, bevor er sie ruckartig zur Seite zog. Da standen vier Fässer, genauer gesagt Fäßchen, von denen keins mehr als zwei Gallonen, also knapp über neun Liter, faßte. Die paar Flaschen daneben, gerade ein halbes Dutzend, ließen das Kraut wahrlich nicht fett werden.
Natürlich bemerkte Rufino Vaquero die verblüfften Blicke der Männer von der „Respeto“.
„Mehr läßt sich nicht losschlagen, ohne daß die Offiziere Lunte riechen“, erklärte er.
Braña und Menéndez zogen Gesichter wie sieben Tage Regenwetter. Offensichtlich hatten sie eine weit größere Ausbeute erwartet.
„Das soll wirklich alles sein?“ fragte Braña.
„Nehmt es – oder haut ab! Wir sind nicht verpflichtet, euch überhaupt was abzugeben.“
„Und ob.“ Jorge Zapata trat mit zwei schnellen Schritten vor und unterzog die Fäßchen einer genauen Begutachtung. „Hier“, sagte er und deutete auf eingeritzte Zeichen, „die drei stammen ohnehin aus unserer Proviantlast. Der Generalkapitän und Capitán Pigatto haben sie ungerechtfertigt ausladen und auf die anderen Galeonen verteilen lassen.“
„Ungerechtfertigt?“ Um Vaqueros Mundwinkel zuckte es verhalten. „Wer mit dem Feuer spielt, muß damit rechnen, daß ihm eine brennbare Flüssigkeit abgenommen wird.“
„Höre ich aus deinen Worten wirklich Schadenfreude heraus?“ fragte Zapata.
„Das kannst du halten, wie du willst.“
Menéndez, der unmittelbar vor einer Nagelbank stand, griff spontan hinter sich. Seine Finger verkrampften sich um einen der Belegnägel.
Eine handfeste Auseinandersetzung war jedoch keineswegs das, was Jorge Zapata gebrauchen konnte, deshalb warf er Tito einen warnenden Blick zu und sagte grollend: „Steht nicht herum und haltet Maulaffen feil! Schafft den Rum in die Jolle!“
Bis jetzt hatte es keine Zwischenfälle gegeben. Doch das mußte nicht so bleiben. Zapata lag wenig daran, das Schicksal unnötig herauszufordern. Sieben Glasen hallten über das Deck der „Honestidad“. Damit blieb noch genau eine halbe Stunde Zeit bis zum Wachwechsel.
Das Umladen ging rasch und reibungslos vonstatten. Die Fäßchen wurden nacheinander abgefiert, während die Männer von der „Respeto“ die wenigen Flaschen in Händen hielten, als sie wieder über die Jakobsleiter abenterten.
„Ich hoffe doch, wir können jederzeit mit Gegendiensten rechnen!“ rief Vaquero ihnen hinterher.
„Das ist selbstverständlich“, erwiderte Zapata. „Einer hilft dem anderen aus der Klemme.“
Sie werfen die Leinen los, pullten die Jolle aus der unmittelbaren Nähe der Galeone und setzten schließlich das Segel. Immerhin waren sie da bereits einige Dutzend Schritte weit hinter die „Honestidad“ zurückgefallen.
Der Wind blähte das Tuch und ließ das kleine Boot, unterstützt von kräftigen Riemenschlägen, beachtliche Fahrt laufen. Wie ein Schatten glitt es an Steuerbord der Galeone vorbei und folgte der mit bloßem Auge gerade noch erkennbaren Silhouette der „Respeto“.