Читать книгу Die Wende im Leben des jungen W. - Frederic Wianka - Страница 9

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Wieder im Atelier, wieder am leeren Tisch, wieder meine Hände darauf wie abgehackt. Wieder die Masse, der Block, das Nochnicht vor mir. Wieder die Angst vor Wiederholung, wie seit Tagen schon. Wieder werfe ich die Tür hinter mir zu und gehe ins Ex'n'Pop, ein letztes Mal, schwöre ich mir wieder.

Wieder sitze ich allein auf der Klappsesselreihe an der Wand und schaue Anderen beim Kickern zu. Und wenn niemand mehr spielt, schaue ich auf das unbenutzte Gestänge und trinke wieder. Ich trinke gegen die Bindung an das, was ich versuche, das meinen Händen nicht mehr zur Form gerät, das Stückwerk bleibt, dass sie es auf dem Boden zerschmettern wollen, so unwillkürlich wie sie es früher einmal geschaffen haben. Unerträglich die Erinnerung daran, unvermeidlich der Blick vom Arbeitstisch dorthin, unverständlich das Gesehene, das von fern wie ein fremder Schatten dunkel zu mir herüberwinkt und höhnisch lacht: Das warst Du einmal … während meine Hände wieder darüber streichen, jede Kante widerzeichnen, über jede Furche fahren wie wieder angekommen, über jede Erhebung, die sie einmal ausgearbeitet haben. Jeden Tag wieder, sobald ich beginnen will. Immer der gleiche Ablauf im Atelier, im Museum meiner selbst: Ich begreife es nicht, aber sie erinnern sich.

Jetzt krampfen sie wieder um das Glas. Sie führen es an den Mund, wenn wieder ein Tor fällt, später nur noch, wenn Seitenwechsel ist. Und irgendwann, wenn niemand mehr spielt, halten sie es gelöst. Und ich halte mich wieder aus.

Die Lüftung drückt kalt und schwer von oben. Der Kicker ist verwaist, der Tresen schwach besetzt, dunkel bläst der Blues. Ted nimmt seinen Baseballschläger. Er haut auf den Tresen, verlangt mehr Durst und Trinkgeld, droht mit sofortigem Rauswurf. Dem Schreck der längst Sedierten folgt ihr einsichtiges Resteschlucken, folgen die geforderten Bestellungen, während ein einsames Paar über die Tanzfläche schwankt … Die Nacht ist vorübergetanzt. Sie hat mich um ihre Stunden betrogen, hat mich wieder mit meiner Verzweiflung allein gelassen. Mit jedem Türschlag winkt ein neuer Tag herein, mit ihm die alte Angst. Wortlos bestellte Gläser dehnen die Stunden, bis es sich zu einer beliebigen ergibt, dass ich gehe.

Ein bürgerlicher Tag vor der Tür. Lärmende Autos, Busse, Transporter auf vier Spuren. Türkische Gemüsehändler halten dagegen. Lastwagen in zweiter Spur. Paletten kreuzen den Bürgersteig. Dönerverkauf auf beiden Seiten. Wo hatte Tarik noch gearbeitet? Bistrokellner räumen den Mittagstisch. Taxifahrer hupen sich die Straße frei. Sexshopleuchten im Vierundzwanzigstundenbetrieb. Ein Notarztwagen zerreißt den Lärm. Die Sonne brennt senkrecht, ohne Schatten auf fremdes Treiben. Der Tag hat mir die Straße unkenntlich gemacht.

Ich gehe auffällig langsam zu dieser Stunde. Ich schwanke im Zickzack. Ich kreuze fremdes Terrain wie unter Beschuss. Mütter lenken ihre Kinderwagen beiseite. Stricherinnen erkennen die Vergeblichkeit. Ein Penner schöpft kurz Hoffnung und verzichtet brüderlich auf das Almosen.

An einem dieser Tage habe ich mein Atelier verschlossen und den Schlüssel in die Gärten hinter dem Haus geworfen, soweit ich konnte. Danach hatte ich mich schlafen gelegt. Ich ruhte tief, des Nichts gewiss, dort irgendwo zwischen Rabatten, Schuppen, Zwergen. Ein rostender Schlüssel in liebevoll gehäuftem Mist, kleinere Träume nährend …

Gerade einmal anderthalb Jahre ist das jetzt her.


Die Wende im Leben des jungen W.

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