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Zweites Kapitel

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Die Familie meines Herrn bestand aus zwei Söhnen, Andrew und Richard, einer Tochter, Lucretia, und deren Mann, Captain Thomas Auld.6 Sie lebten gemeinsam in einem Haus auf der Hauptplantage von Colonel Edward Lloyd.7 Mein Herr war Colonel Lloyds Angestellter und Oberaufseher. Er war so etwas wie der Aufseher der Aufseher. Zwei Jahre meiner Kindheit verbrachte ich in der Familie meines ersten Herrn auf dieser Plantage. Hier wurde ich Zeuge des blutigen Vorgangs, den ich im ersten Kapitel geschildert habe; und da ich meine ersten Eindrücke der Sklaverei auf dieser Plantage erhielt, will ich sie und die Sklaverei, wie sie dort existierte, näher beschreiben. Die Plantage liegt etwa zwölf Meilen nördlich von Easton in Talbot County am Ufer des Miles River. Die wichtigsten Erzeugnisse, die dort angebaut wurden, waren Tabak, Mais und Weizen. Sie wurden in großen Mengen angebaut, so dass Colonel Lloyd mit den Erzeugnissen dieser und der anderen Farmen, die ihm gehörten, fast ständig eine große Schaluppe beladen konnte, um sie zum Markt in Baltimore zu schaffen. Die Schaluppe war Sally Lloyd getauft worden, zu Ehren einer der Töchter des Colonels. Der Schwiegersohn meines Herrn, Captain Auld, war Kapitän des Schiffes; ansonsten war es mit den Sklaven des Colonels bemannt. Sie hießen Peter, Isaac, Rich und Jake und standen bei den anderen Sklaven in hohem Ansehen, da sie als die Privilegierten der Plantage galten; denn in den Augen der Sklaven war es keine Kleinigkeit, Baltimore sehen zu dürfen.

Auf seiner Hauptplantage hielt Colonel Lloyd drei- bis vierhundert Sklaven, und auf den benachbarten Farmen, die ihm gehörten, besaß er eine große Anzahl weiterer Sklaven. Die Farmen, die der Hauptplantage am nächsten lagen, hießen Wye Town und New Design. Wye Town stand unter der Aufsicht eines Mannes namens Noah Willis, New Design unter der eines gewissen Mr Townsend. Die Aufseher dieser und aller übrigen Farmen, insgesamt über zwanzig, nahmen Ratschläge und Anweisungen von den Leitern der Hauptplantage entgegen. Diese war der große Geschäftssitz, Sitz der Verwaltung aller zwanzig Farmen. Sämtliche Streitigkeiten unter den Aufsehern wurden hier geschlichtet. Wurde ein Sklave wegen eines schweren Vergehens verurteilt, zeigte er sich widerspenstig oder ließ er die Absicht erkennen, zu entlaufen, wurde er zur Warnung für die übrigen Sklaven unverzüglich hierhergeschafft, schwer gezüchtigt, auf die Schaluppe gesetzt, nach Baltimore gebracht und an Austin Woolfolk8 oder einen anderen Sklavenhändler verkauft.

Hier erhielten die Sklaven all der anderen Farmen auch ihre monatliche Essenszuteilung und ihre jährliche Kleidung. Als monatliche Essenszuteilung bekamen männliche und weibliche Sklaven acht Pfund Schweinefleisch oder das Gegengewicht an Fisch und einen Scheffel Maismehl. Ihre jährliche Kleiderzuteilung bestand aus zwei groben Leinenhemden, einer Leinenhose, einer Jacke, einer Winterhose aus grobem ›Negerstoff‹, einem Paar Strümpfe und einem Paar Schuhe; das Ganze konnte nicht mehr als sieben Dollar gekostet haben. Die Zuteilung für die Sklavenkinder wurde deren Müttern oder den alten Frauen, in deren Obhut sie waren, ausgehändigt. Die Kinder, die nicht auf dem Feld arbeiten konnten, bekamen weder Schuhe noch Strümpfe, weder Jacken noch Hosen; ihre Kleidung bestand aus zwei groben Leinenhemden pro Jahr. Wenn sie ihnen zu klein wurden, liefen sie bis zum Tag der nächsten Zuteilung nackt umher. Halbnackte Kinder beiderlei Geschlechts zwischen sieben und zehn Jahren konnte man zu jeder Jahreszeit sehen.

Betten wurden den Sklaven nicht zur Verfügung gestellt, es sei denn, man betrachtet eine grobe Decke als Bett, und selbst die hatten nur die Männer und die Frauen. Als große Entbehrung wird dies jedoch nicht angesehen. Probleme bereitet ihnen weniger der Mangel an Betten als vielmehr der Mangel an Zeit zum Schlafen; denn wenn ihr Tagwerk auf dem Feld verrichtet ist, müssen die meisten von ihnen waschen, flicken und kochen, und da sie keine oder nur wenige der üblichen Gerätschaften dafür haben, verwenden sie viele ihrer Schlafstunden darauf, sich für die Feldarbeit des kommenden Tages zu rüsten. Wenn das getan ist, lassen sich Alt und Jung, Männer und Frauen, Verheiratete und Ledige nebeneinander auf ein gemeinsames Bett – den kalten, feuchten Fußboden – fallen; jeder deckt sich mit seiner armseligen Decke zu; und hier schlafen sie, bis sie vom Horn des Sklaventreibers aufs Feld gerufen werden. Beim Ertönen des Horns müssen alle aufstehen und sich auf den Weg zum Feld machen. Es gibt kein Verweilen; jeder muss auf seinem Posten sein; und wehe denen, die den morgendlichen Weckruf nicht hören; denn wer nicht hören will, muss fühlen. Weder Alter noch Geschlecht finden Gnade. Bewaffnet mit einem großen Hickorystock und einer schweren Peitsche stand Mr Severe, der Aufseher, an der Tür des Quartiers bereit, um jeden auszupeitschen, der das Pech hatte, nichts gehört zu haben, oder aus irgendeinem anderen Grund davon abgehalten wurde, beim Ertönen des Horns startbereit zum Aufbruch ins Feld zu sein.

Mr Severe9 trug seinen Namen zu Recht: Er war ein grausamer Mann. Ich habe gesehen, wie er eine Frau so auspeitschte, dass das Blut eine halbe Stunde lang aus ihr herauslief; und das inmitten ihrer weinenden Kinder, die um die Verschonung ihrer Mutter flehten. Er schien sich ein Vergnügen daraus zu machen, seine teuflische Unmenschlichkeit unter Beweis zu stellen. Abgesehen von seiner Grausamkeit war er ein gottloser Flucher. Ihn reden zu hören genügte, dass einem gewöhnlichen Menschen das Blut in den Adern gefror und sich ihm die Haare sträubten. Es kam ihm kaum ein Satz über die Lippen, den er nicht mit einem grässlichen Fluch einleitete oder beschloss. Das Feld war der Ort, an dem man Zeuge seiner Grausamkeit und Gotteslästerlichkeit wurde. Seine Gegenwart machte es zu einem Feld des Blutes und der Blasphemie. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fluchte und tobte er auf schrecklichste Weise unter den Sklaven des Feldes, schnitt und schlitzte sie auf. Seine Karriere war kurz. Er starb sehr bald, nachdem ich zu Colonel Lloyd gekommen war; und er starb so, wie er gelebt hatte: indem er mit seinen letzten Seufzern bittere Verwünschungen und schauerliche Flüche ausstieß. Von den Sklaven wurde sein Tod als Folge einer gnädigen Vorsehung gedeutet.

Mr Severes Stelle wurde von einem gewissen Mr Hopkins eingenommen. Dieser war ein ganz anderer Mann. Er war weniger grausam, weniger gotteslästerlich und machte weniger Lärm als Mr Severe. Sein Vorgehen war durch keine außergewöhnliche Zurschaustellung von Grausamkeit gekennzeichnet. Er benutzte die Peitsche, schien aber kein Vergnügen daran zu finden. Von den Sklaven wurde er ein guter Aufseher genannt.

Colonel Lloyds Hauptplantage bot das Erscheinungsbild eines Dorfes. Hier wurden sämtliche Handwerksarbeiten für sämtliche Farmen ausgeführt. Mit Schuhherstellung und -reparaturen, Schmiedekunst, Stellmacherei, Böttcherei, Weberei und Müllerei waren die Sklaven der Hauptplantage betraut. Der ganze Ort hatte ein geschäftsmäßiges Aussehen, ganz im Gegensatz zu den benachbarten Farmen. Auch die Anzahl der Häuser verschaffte dem Anwesen einen Vorteil gegenüber den benachbarten Farmen. Die Sklaven nannten es die »Great House Farm«. Wenige Privilegien wurden von den Sklaven der Außenfarmen höher geschätzt als jenes, für Besorgungen auf der Great House Farm ausgewählt zu werden. Das assoziierten sie mit Größe. Ein Abgeordneter könnte auf seine Wahl für einen Sitz im amerikanischen Kongress nicht stolzer sein als ein Sklave einer der Außenfarmen auf seine Wahl für Besorgungen auf der Great House Farm. Sie werteten sie als Beweis für das große Vertrauen, das ihre Aufseher in sie setzten; und aus diesem Grund sowie aus dem ständigen Wunsch heraus, der Feldarbeit unter der Peitsche des Treibers zu entgehen, hielten sie sie für ein hohes Privileg, für das es sich sorgsam zu leben lohnte. Wem diese Ehre am häufigsten zuteilwurde, den nannte man den klügsten und zuverlässigsten Burschen. Die Konkurrenten um dieses Amt versuchten, ihre Aufseher ebenso eilfertig zufriedenzustellen, wie die Amtsanwärter der politischen Parteien versuchen, dem Volk zu gefallen und es zu täuschen. Bei Colonel Lloyds Sklaven lassen sich die nämlichen Charaktereigenschaften beobachten wie bei den Sklaven der politischen Parteien.

Die Sklaven, die ausgewählt wurden, um die Great House Farm aufzusuchen und die monatliche Zuteilung für sich und ihre Mitsklaven abzuholen, waren eigentümlich enthusiastisch. Mit ihren wilden Liedern, die höchste Freude und tiefste Traurigkeit zugleich offenbarten, brachten sie auf dem Weg dorthin die dichten alten Wälder im Umkreis von Meilen zum Klingen. Während sie dahinzogen, komponierten und sangen sie ohne Rücksicht auf Zeit oder Melodie. Ein jeder Gedanke, der aufkam, kam auch heraus – wenn nicht in Worten, so doch in Tönen, und ebenso häufig in beidem. Manchmal besangen sie die kläglichsten Gefühle in den schwärmerischsten Tönen und die schwärmerischsten Gefühle in den kläglichsten Tönen. Es gelang ihnen, in alle ihre Lieder etwas von der Great House Farm einzuweben. Das taten sie insbesondere, wenn sie ihre Hütten verließen. Dann sangen sie geradezu jubelnd die folgenden Worte:

»I am going away to the Great House Farm!

O, yea! O, yea! O!«

Sie sangen im Chor, zu Worten, die vielen wie nichtssagendes Gebrabbel vorkommen würden, die für sie selbst jedoch voller Bedeutung waren. Schon manches Mal habe ich gedacht, dass das bloße Hören dieser Lieder mehr dazu beitragen würde, die Menschen vom verabscheuungswürdigen Charakter der Sklaverei zu überzeugen, als es die Lektüre ganzer philosophischer Abhandlungen zu diesem Thema vermöchte.

Als ich noch ein Sklave war, erschloss sich mir die tiefe Bedeutung dieser rohen und scheinbar unzusammenhängenden Lieder nicht. Ich selbst befand mich innerhalb des Zirkels, so dass ich weder sah noch hörte, was jemand außerhalb des Zirkels sehen und hören mochte. Sie erzählten eine Leidensgeschichte, die mein schwaches Begriffsvermögen damals völlig überstieg; es waren laute, langgezogene und tiefe Töne; sie atmeten das Gebet und die Klage von Menschenseelen, die überkochten vor bitterster Qual. Jeder Ton war ein Zeugnis gegen die Sklaverei und ein Gebet zu Gott um Befreiung von den Ketten. Diese wilden Töne zu hören bedrückte mein Gemüt und erfüllte mich mit unaussprechlicher Trauer. Oft war ich in Tränen aufgelöst, wenn ich sie hörte. Die bloße Erinnerung an jene Lieder betrübt mich noch heute; und während ich diese Zeilen schreibe, hat der Ausfluss meiner Empfindungen bereits den Weg über meine Wangen gefunden. Auf jene Lieder führe ich meine erste aufglimmende Vorstellung von der entmenschlichenden Natur der Sklaverei zurück. Diese Vorstellung werde ich niemals abschütteln können. Jene Lieder verfolgen mich noch immer, vertiefen meinen Hass auf die Sklaverei und verstärken mein Mitgefühl für meine gefesselten Brüder. Wer sich von der seelentötenden Wirkung der Sklaverei überzeugen will, möge Colonel Lloyds Plantage aufsuchen, sich am Tag der Zuteilungen in die tiefen Kiefernwälder begeben und in der Stille dort die Klänge analysieren, die in die Kammern seines Herzens dringen – und sollte er sich nicht überzeugen lassen, dann nur deswegen nicht, weil »kein Fleisch in seinem verstockten Herzen ist«.10

Seit ich in den Norden kam, war ich immer wieder sehr erstaunt, Menschen anzutreffen, die den Gesang der Sklaven als Beweis ihrer Zufriedenheit und ihres Glücksempfindens anführen konnten. Es ist unmöglich, sich einen größeren Irrtum vorzustellen. Meist singen Sklaven, wenn sie am unglücklichsten sind. Die Lieder des Sklaven drücken den Kummer seines Herzens aus; und er verschafft sich durch sie nur so viel Linderung, wie sich ein schmerzendes Herz durch Tränen verschafft. Das wenigstens ist meine Erfahrung. Ich habe oft gesungen, um meinen Kummer zu ertränken, aber nur selten, um meine Freude auszudrücken. Solange ich in den Klauen der Sklaverei gefangen war, war es mir gleichermaßen fremd, vor Freude zu weinen und vor Freude zu singen. Der Gesang eines Mannes, den es auf eine einsame Insel verschlagen hat, könnte ebenso gut als Beweis seiner Zufriedenheit und seines Glücksempfindens angesehen werden wie der Gesang eines Sklaven; die Lieder des einen wie des anderen werden von der nämlichen Gefühlswallung ausgelöst.

Mein Leben als amerikanischer Sklave

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