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Kapitel 4

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Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Rest der Woche überstanden hatte. Mein Tag bestand in der Regel aus Aufstehen, Frühstücken und dann irgendwie die Zeit zwischen den Mahlzeiten totschlagen. Ich hatte wirklich versucht, aus meiner aktuellen Krise (eigentlich wollte ich meine Situation so nicht beschreiben) herauszukommen, indem ich spazieren ging und vielleicht beim Anblick eines Baumes, durch ein Geräusch oder sonst irgendeinen Input einen Geistesblitz zu bekommen. Aber da war nichts. Und ich hatte das Gefühl, je krampfhafter ich es versuchte, desto weniger Ideen hatte ich, welche ich doch so unbedingt brauchte. Ich hatte mich auch zwischendurch hin und wieder bei Guillaume ausgejammert, doch wir beide wussten, dass er mir auch nicht weiterhelfen konnte. Ça va aller, chérie, hatte er immer nur wieder geschrieben – es wird alles schon irgendwie gehen.

Jeden Tag das gleiche: Aufstehen, Frühstücken, nichts tun. Und am nächsten Tag wieder: Aufstehen, Frühstücken, nichts tun.


Darum war ich nahezu froh, als ich mich am Sonntagnachmittag ins Auto setzte und zu meinen Eltern fahren konnte, die etwas außerhalb von Hamburg wohnten.

„Da bist du ja endlich!“, rief meine Mutter aus, als sie mir die Tür öffnete. Endlich? Ich dachte schon, ich wäre zu früh.

„Hallo Mama“, begrüßte ich sie und beugte mich etwas runter, um sie auf beide Wangen zu küssen.

„Dein Vater ist im Wohnzimmer“, wies sie mich an, als ich über die Türschwelle getreten und an ihr vorbeigegangen war. Eigentlich wusste ich bereits, wo mein Vater zu finden war, denn er verbrachte ungefähr achtzig Prozent des Tages damit, in seinem Sessel zu sitzen und zu lesen.


„Hallo Papa“, begrüßte ich ihn. Er schaute von seinem Buch auf und über seine Brillengläser hinweg.

„Na, wer macht uns denn mal wieder die Ehre?“, fragte er rhetorisch. Ich schaute leicht schuldbewusst drein.

„Gibt halt viel zu tun“, meinte ich so zerknirscht wie möglich.

„Jaja, die Leute von heute immer. Die haben ja immer sooo viel zu tun“, sagte er und machte dabei eine leicht theatralisch-dramatische Handbewegung.

„Herbert, jetzt lass doch mal Maia in Ruhe“, beschwerte sich meine Mutter, die gerade ins Wohnzimmer getreten war.

„Ach, ich mach doch nur Spaß“, erwiderte er.

„Maia, Schatz, möchtest du etwas essen? Ich habe extra Kuchen gebacken.“

„Na ja, wohl eher der Bäcker“, warf mein Vater erneut ein.

„Herbert!“, zischte meine Mutter. Das hätte mich tatsächlich gewundert, wenn meine Mutter selbst erfolgreich einen Kuchen gebacken hätte.

„Nein, danke“, lehnte ich ab. „Vielleicht nur einen Kaffee.“

„Sollst du haben“, sagte meine Mutter und verschwand für einen kurzen Moment in der Küche. Derweil setzte ich mich auf einen freien Sessel. Stille. Bezüglich der Sprechquantität kam ich wohl eher nach meinem Vater. Wir beide redeten mehr oder weniger nur das Minimum und auch wenn wir beide alleine waren, brauchten wir nicht zu reden, um uns zu verstehen.


„So, hier ist er schon“, sagte meine Mutter, was ein wenig unnötig war und sie dies – wie ich wusste – nur tat, weil sie so eine Stille überhaupt nicht mochte, und stellte den Kaffee auf den Wohnzimmertisch.

„Jetzt erzähl mal: Wie geht es dir?“

„Gut“, war meine knappe Antwort. Was sollte ich sonst erzählen?

„Wie läuft die Arbeit?“, fragte sie weiter.

„Ist in Ordnung“, meine ich erneut kurz angebunden.

„Wie ist denn dieses neue Projekt, von dem du erzählt hast?“

Ich musste einen kurzen Moment überlegen, was meine Mutter meinte und dann viel mir wieder ein, dass ich ihr erzählt hatte, dass ich gerade an einem neuen großen Projekt arbeitete.

„Ganz gut.“

„Und was machst du da?“ Konnte meine Mutter diese Fragerei nicht einfach sein lassen?

„Das kann ich dir nicht sagen. Das ist noch alles geheim“, versuchte ich meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und hoffte, dass meine Mutter nicht merkte, dass ich mich zunehmend unwohl fühlte. Ich hasste es, meine Eltern anzulügen, weil ich nicht wollte, dass sie sich Sorgen um mich machten.

„Wie geht es euch denn? Habt ihr schon alles gepackt?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

„Ja, alles bereit“, bestätigte sie. „Ich habe dir übrigens noch einmal alles aufgeschrieben, auf was du achten musst. Vor allem frisst Schnorri gerade nicht so gut, aber er soll auch nicht zu viele Leckerchen bekommen.“

Das war typisch meine Mutter: Das war nicht das erste Mal, dass ich auf das Haus meiner Eltern aufpasste und trotzdem schien meine Mutter Angst zu haben, dass ich irgendetwas falsch machen – und im schlimmsten Fall das Haus in die Luft jagen – könnte.

Anscheinend hatte der Kater meiner Eltern das Wort Leckerchen gehört, denn auf einmal zwängte er sich durch den Spalt der angelehnten Tür und fing an, um meine Beine zu streichen. Ein wenig geistesabwesend kraulte ich ihm den Kopf.

„Och, mein alter Schnorri“, sagte meine Mutter mit säuselnder Stimme. „Du gibst gut auf ihn Acht, ja?“

„Natürlich, Mama. Er wird gar nicht merken, dass ihr weg seid“, versprach ich. Ich selbst hatte das Gefühl, Schnorri würde sich gar nicht so sehr dafür interessieren, dass meine Eltern nicht da waren, sondern eher dafür, dass es eine Hand gab, die ihn fütterte. Aber ich wusste auch, dass es meiner Mutter wichtig war, dass man ihr bestätigte, dass unser Kater sie brauchte. Ich hatte auch mal tatsächlich versucht, sie davon zu überzeugen, dass Menschen nicht über Katzen regierten, sondern die Katzen über Menschen, aber davon wollte sie nichts wissen. „Schnorri doch nicht…“, war dann immer ihre Standardantwort. Ich hatte es mittlerweile aufgegeben.

Es herrschte einen Moment Stille und ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee, mein Vater hatte sich wieder seinem Buch zugewandt.

„Herbert, leg doch mal das Buch weg“, nörgelte meine Mutter.

„Warum denn das? Es redet doch eh keiner.“ Wo er recht hatte…

„Herbert, Maia ist doch da“, wandte sie weiter ein.

„Ach, macht euch um mich keine Sorgen“, nuschelte ich.

„Maia, Schatz, brauchst du irgendetwas?“, fragte sie mich.

„Vielleicht nur ein bisschen Ruhe. Ich gehe mal kurz `ne Runde um den Block spazieren“, sagte ich und stand auf.

„Aber bleib nicht zu lange weg!“, rief mir meine Mutter hinterher. Manchmal behandelte mich meine Mutter echt wie ein kleines Kind.


***


Kaum war ich aus der Haustür hinaus, atmete ich auch schon die frische Luft ein. Das fehlte mir manchmal in Hamburg, denn dort hatte ich oft das Gefühl, dass die Luft einfach stand. Natürlich hatte das Großstadtleben auch seine Vorteile – sonst wäre ich ja nicht in die Stadt gezogen –, aber immer öfter hatte ich das Gefühl, dass ich mehr Freiraum brauchte.

Gedankenverloren wanderte ich die nahezu leere Dorfstraße rauf und runter, vorbei an den paar alten Bauernhöfen, die es noch immer gab und die Dorfgemeinschaft mit frischen Waren versorgten und mit deren Kindern ich in meiner Kindheit gespielt hatte – das waren noch Zeiten gewesen! Was aus denen wohl geworden war?

Zu der frischen Landluft mischte sich ein leichter Geruch von Mist und altem Stroh, wie es eben so üblich war. Richtige Stadtmenschen würden dies wohl als Gestank wahrnehmen, aber für mich war das ein Duft der Unbeschwertheit.


***


„Na, alles klar?“, fragte meine Mutter eine halbe Stunde später, nachdem ich meine Tour beendet hatte.

„Ja, alles super“, bestätigte ich.

„Du siehst trotzdem ein bisschen blass aus. Geht es dir wirklich gut?“, hakte sie weiter nach.

„Ja, Mama. Mir geht es gut. Es gibt momentan nur viel zu tun.“

„Na gut. Dann lasse ich dich mal in Ruhe. Es gibt aber bald Abendessen.“

„Ist gut.“ Mit diesen Worten verschwand ich in mein ehemaliges Zimmer.


Seitdem ich in meinen frühen Zwanzigern ausgezogen war – die erste Zeit meines Studiums hatte ich noch bei Eltern gewohnt und war immer gependelt –, hatte sich in meinem Zimmer nicht viel verändert. Hier und da hatte meine Mutter zwar ein bisschen mehr dekoriert – „es soll doch schön sein, wenn du uns besuchen kommst“ –, aber sonst war immer noch alles an Ort und Stelle. Und trotzdem war es für mich nie wieder der gleiche Ort. Ich brauchte nichts in diesem Zimmer zu suchen oder zu schauen, ob noch etwas da war, denn ich wusste, dass sich nichts verändert hatte. Sogar die Bücher waren immer noch die gleichen; die, die ich nicht mitgenommen hatte, weil ich sie als nicht reizvoll zum erneuten Lesen erachtet hatte.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte und setzte mich aufs Bett und holte mein Handy hervor – keine neuen Nachrichten. Dann lauschte ich einfach für einen Moment der absoluten Stille. Na ja, ganz so still war es dann doch nicht, denn ich hörte meine Mutter unten in der Küche rumoren und die Vorbereitungen für das Abendessen treffen.


***


Das Essen wenig später verlief relativ schweigsam. Ich hatte nicht das Bedürfnis zu reden und meine Mutter verstand, dass sie mich zu nichts zwingen konnte. Mein Vater stellte hin und wieder mal eine Frage, die ich mehr oder weniger kurz angebunden beantwortete und dann herrschte auch schon wieder einen Moment Stille und man hörte nur das Kratzen des Geschirrs über die Teller.

„Schmeckt es dir?“, fragte meine Mutter zweimal.

„Hmmh, sehr gut“, machte ich.

„Was isst du denn zu Hause immer?“, wollte sie wissen.

„Das Übliche“, war meine Antwort. Was sollte ich sonst auch sagen.

„Kochst du denn regelmäßig?“, hakte sie weiter nach.

„Mama…“, sagte ich mit ein wenig leidiger Stimme. „Das weißt du ganz genau…“

„Jetzt sei doch nicht immer so“, beschwerte sie sich.

„Hört doch auf zu streiten“, wandte mein Vater ein.

„Wir streiten doch gar nicht“, meinte meine Mutter, aber ihre Stimme war etwas harscher geworden.

„Mama, ich komm schon klar. Mach dir um mich mal keine Sorgen“, beruhigte ich sie und damit war das Thema auch schon vorbei.


„Brauchst du Hilfe beim Abwasch?“, fragte ich sie später.

„Nein, das geht schon. Das macht schon die Spülmaschine.“

„Gut, ich glaube, ich geh‘ dann mal schlafen. Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Maia.“

Ich wünschte auch meinem Vater eine gute Nacht und ging dann wieder zurück auf mein Zimmer. Warum fühlte ich mich bei meinen Eltern immer so, als wäre ich auf einmal wieder ein kleines Kind?


Ei Ole Kiire

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