Читать книгу Schwarz vor Augen - Fredrik Skagen - Страница 5

Sie lächelte gespannt,

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als sie die Tür des Black Lion öffnete. Der neue blaue Seidenschal lag in der Einkaufstasche von Past Times ganz oben. Er würde sicher seine Freude an ihm haben, auch wenn er erfuhr, dass er teurer war, als sie vermutet hatte. Sie hatten an einem Tisch hinter der Theke, in der Nähe des Fernsehers gesessen.

Er war nicht mehr da. Nur sein schwarzer Borsalino hing noch am Garderobenständer in der schummrigen Ecke. Vermutlich war er auf der Toilette. Sie nahm an ihrem Tisch Platz und knöpfte sich den Mantel auf. Warf einen Blick in die Tasche, packte den Schal aus und legte ihn sich um den Hals. Es fühlte sich an wie eine weiche Wolke. Sie angelte nach der Zigarettenschachtel in ihrer Handtasche. Der Barkeeper, ein untersetzter, älterer Mann mit stachelbeerfarbenen Augen, eilte geschäftig herbei und gab ihr Feuer.

»Can I help you, Madam?«

»I’m waiting for my husband.«

»Your husband? He left.«

Sie schaute ihn verwundert an.

»Walked away, five minutes ago.«

Zwei junge Frauen am Nebentisch, die vorhin nicht da gewesen waren, schauten zu ihr herüber. Sie legte die Zigarette im Aschenbecher ab und knöpfte ihren Mantel wieder zu. Stand auf, obwohl sie am liebsten sitzen geblieben wäre.

»Did he ... did he say anything?«

»A message? No, Madam.«

Sie nickte verdutzt, vergaß die Zigarette und strebte dem Ausgang zu. Auf dem Bürgersteig blieb sie stehen, warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass sie sich nur unwesentlich verspätet hatte. Wahrscheinlich war er ungeduldig geworden und zu Past Times zurückgegangen, um sie zu suchen. Doch er musste einen anderen Weg genommen haben, denn sie waren sich nicht begegnet. Sie begann zu laufen und hastete über die Straße in Richtung Kensington Street. Erreichte diese nach fünf Minuten und steckte keuchend den Kopf zur Tür des nach Textilien und Gewürzen duftenden Geschäfts hinein.

»My ... my husband ...«, stotterte sie. »Has he been here and asked for me?«

Die junge Verkäuferin, die ihr den Schal verkauft hatte, verneinte erstaunt.

Sie beeilte sich, zum Pub zurückzukehren, gleichermaßen über sich selbst und ihren Mann den Kopf schüttelnd. Die außerplanmäßige Reise, zwei Wochen London, war ihre Idee gewesen. Nach vier Tagen in der Großstadt hatten sie zum ersten Mal – er bei einem Bier und sie bei einem Cappuccino – über das geredet, was hinter ihnen lag. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie beide bemüht gewesen, alles Belastende und Unangenehme zu verdrängen. Hatten versucht, nach vorne zu blicken, sich zu entspannen und nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Der Aufenthalt sollte ihm neue Kraft geben. Auch ihr. Doch die Vergangenheit lauerte wie ein latenter, gefährlicher Virus. Versehentlich hatte einer von ihnen das Tabuthema berührt. Sie glaubte, dass er es gewesen war, gegen seinen Willen. Eine scheinbar belanglose Assoziation hatte ausgereicht. Das Gespräch kreiste, wie üblich, um sein Schuldgefühl, obwohl er unschuldig war. Einmal mehr hatte sie ihn zu beruhigen versucht und ihm versichert, die Zeit heile alle Wunden. Sie wusste, wie banal sich das anhörte, doch am Ende hatte er sie betreten angelächelt und sich für seine Gereiztheit entschuldigt. Lächelnd entgegnete sie, er könne es wieder gutmachen, indem er zum Beispiel ein paar Pfund für den wundervollen, handbemalten Schal springen lasse, den sie vor einer Weile schon in den Händen gehalten, sich aus finanziellen Gründen aber verkniffen habe. Da hatte auch er gelächelt und ihr sein Portemonnaie in die Hand gedrückt. Ich spendiere. Lauf einfach los und kauf ihn dir, ich trinke inzwischen mein Bier. Es macht mir nichts aus, hier zu warten.

Der Barkeeper mit den gelbgrünen Augen nickte ihr zu, als sie wiederkam.

»You didn’t catch him?«

»No. But if he turns up, please tell him that I walked back to the hotel.«

»Shall do, Madam.«

Sie dachte an seinen Hut. Er hing immer noch am Garderobenständer. Sie nahm ihn herunter, legte ihn zuoberst in die Einkaufstasche und ging durch verwinkelte Gassen zur Cromwell Road zurück.

Als sie die großzügige, gelb gestrichene Lobby des Forum Hotel betrat, mit müden Füßen nach all dem Hin und Her, schaute sie sich sorgfältig um, bevor sie zu den Aufzügen ging. Sie wohnten in schwindelnder Höhe, im 24. Stock, und genossen beide die phantastische Aussicht. Oben angekommen, öffnete sie ihre Handtasche und suchte nach dem Kartenschlüssel. Wenn sie das Zimmer aufschloss, würde ihr gut aussehender Mann – der zehn Jahre älter war als sie – in einem der Sessel vor dem Fenster sitzen, in einer Zeitschrift blättern und sie nachsichtig anlächeln. Oder er wäre zerknirscht, reserviert, stumm, mürrisch, unglücklich, deprimiert. Wer konnte das wissen. Dann entdeckte sie sein Portemonnaie in ihrer Handtasche und erinnerte sich daran, dass der Kartenschlüssel darin war. Also konnte er nicht auf dem Zimmer sein.

Das erwies sich als richtig. Sie seufzte und bewunderte den blauen Schal im großen Spiegel, bevor sie mit den Füßen ihre Schuhe abstreifte und die Tür des Einbauschranks öffnete, den sie sich teilten. Den eingepackten Pullover, den sie bei Past Times von ihrem eigenen Geld gekauft hatte, legte sie auf der linken Seite unter das Tuch, während sie seinen Hut ganz oben auf der rechten Seite platzierte. Wenn er sich irgendwann hierher bequemte, wollte sie sich ihren Unmut nicht anmerken lassen. Vielleicht hatten sie sich bloß missverstanden. Es kam vor, dass sie seine Äußerungen nicht richtig auffasste. Vor allem in letzter Zeit, nach dem Freispruch.

Sie fröstelte, warf einen Blick auf die Armbanduhr und versuchte, an etwas anderes zu denken.

Schwarz vor Augen

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