Читать книгу Harry hardcore II - Der junge Heine - Freudhold Riesenharf - Страница 1
26: Marion
ОглавлениеUnd der Sklave sprach: „Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Jemen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.“
Der Asra
Fasziniert ist er nicht minder von den exotischen Erotica seines Onkels Simon aus der Arche Noä. Madame! ich habe Sie belogen. Ich bin nicht der Graf vom Ganges. Niemals im Leben sah ich den heiligen Strom, niemals die Lotosblumen, sich in seinen frommen Wellen bespiegeln. Niemals lag ich träumend unter indischen Palmen, niemals lag ich betend vor dem Diamantengott zu Jagernaut, durch den mir doch leicht geholfen wäre.
Er sei ebensowenig jemals in Kalkutta gewesen wie der Kalkuttenbraten, den er gestern Mittag gegessen. Aber er stamme aus Hindostan, und daher fühle er sich so wohl in den breiten Sangeswäldern Valmikis, die Heldenleiden des göttlichen Ramo bewegen sein Herz wie ein bekanntes Weh, aus den Blumenliedern Kalidasas blühn ihm hervor die süßesten Erinnerungen, und als ihm einmal eine gütige Dame in Berlin die hübschen Bilder zeigt, die ihr Vater, der lange Zeit Gouverneur in Indien war, von dort mitgebracht, scheinen ihm die zartgemalten, heilig-stillen Gesichter so wohlbekannt, und es ist ihm, als beschaute er seine eigene Familiengalerie.
Franz Bopp – Madame, Sie haben gewiss seinen Nalus und sein Konjugationssystem des Sanskrit gelesen – gab mir manche Auskunft über meine Ahnherren, und ich weiß jetzt genau, dass ich aus dem Haupte Brahmas entsprossen bin, und nicht aus seinen Hühneraugen. Er vermute sogar, dass der ganze Mahabharata mit seinen 200.000 Versen bloß ein allegorischer Liebesbrief ist, den sein Urahnherr an seine Urältermutter geschrieben – Oh! sie liebten sich sehr, ihre Seelen küssten sich, sie küssten sich mit den Augen, sie waren beide nur ein einziger Kuss –
Alle Moral scheint ihm relativ: Ja, die Kunstwerke, die in dem einen Land moralisch, würden in einem anderen Land, wo eine andere Religion in die Sitten übergegangen, als unmoralisch betrachtet werden können, z. B. unsere bildenden Künste erregen den Abscheu eines strenggläubigen Moslem, dagegen sind manche Künste, die in den Haremen des Morgenlands für höchst unschuldig gelten, dem Christen ein Greuel. Da in Indien der Stand einer Bajadere durchaus nicht durch die Sitte fletriert ist, so gilt dort das Drama Vasantasena, dessen Heldin ein feiles Freudenmädchen, durchaus nicht für unmoralisch; wagte man es aber einmal im Theater Français aufzuführen, würde das ganze Parterre über Immoralität schreien, dasselbe Parterre, welches täglich mit Vergnügen die Intrigenstücke betrachtet, deren Heldinnen junge Witwen sind, die am Ende lustig heiraten, statt sich, wie die indische Moral es verlangt, mit ihren verstorbenen Gatten zu verbrennen.
Daher die indisch-subkontinentalen Elemente seiner Lyrik. Mein Geist schweift an den Ufern des Ganges und sucht die zartesten und lieblichsten Blumen, um sie damit zu vergleichen. Aber was sind gegen diese Holden alle Reize der Mallika, der Kuwalaya, der Oschadhi, der Nagakesarblüten, der heiligen Lotosblumen, und wie sie alle heißen mögen – Kamalata, Pedma, Kamala, Tamala, Sirischa usw.!
Da sieht man zum Beispiel, hingelagert auf einer breiten gepolsterten Unterlage, einen Maharadscha mit seiner Maharani, oder auch einer botmäßigen Bajadere in ihrem Serail, die gerade im Zentrum des Bildes ihre Yoni von seinen erlauchten Lingam durchpflügen lässt. Die mit Liebe gezeichnete Odaliske, der nur ein roter Schleier den Rücken herab wallt, sitzt rücklings gegen ein üppiges Poster gelehnt und hat die schönen Beine so weit auseinander, dass ihre Oberschenkel fast im rechten Winkel von ihren Hüften abstehen und ihre subtropische Scham sich dem Betrachter üppig entgegenwölbt.
Weitere Einblicke sind dem Betrachter verwehrt, denn vor ihr hält schon der grüngewandete, beturbante Maharadscha den Platz besetzt. Er sitzt, sein grünes Gewand vom Unterleib zurückgeschlagen, so vor ihr in der Hocke, dass seine Fersen sein Hinterteil stützen. Aus seinem Schritt aber ragt, über kräftig gebildeten Hoden, sein steifer Lingam vor, der zur Hälfte in ihre Yoni schlüpft und dem voyeuristischen Betrachter keinen Spalt Freiraum mehr lässt. Dabei liebkost er mit der einen Hand ihre wie kugelförmig aufgeklebt erscheinenden Brüste, während die andere lüstern nach ihrer Schulter grabscht. Sie hält derweil in der Rechten ein Flakon, mit der Linken kredenzt sie ihm ein Glas mit einem exotischen Drink. Die beiden schwelgen sozusagen in allen Dimensionen exotischer Sinnlichkeit. Dabei sehen sie sich, mit tête-à-tête einander zugewandten Gesichtern so zutraulich und verständnisinnig an, als wollten sie sich die Nuancen ihrer Lust von den Zügen ablesen. Harry erlebt einen Orgasmus à la indisches Serail.
Ein anderes Motiv zeigt den Fürsten samt Fürstin, reich mit Juwelen bestückt, auf einer nächtlichen Terrasse unter sternenübersätem indischen Himmel. Diesmal liegt die Bajadere, den Hinterkopf gegen ein Polster gelehnt, mit auseinandergespreizten Schenkeln auf dem Polster, und zwischen ihren, wieder bequem auf seinen Fersen wippend, der glückliche Magnat, mit gespanntem Glied und Eichel voran ihre Yoni enternd oder eben daraus zurückkehrend. Dabei hat die bekleidete Schöne ihren Sari nur vom Unterbauch an, kurz über dem Nabel, so auseinander geschlagen, dass Ali Baba sein Sesam-öffne-dich findet. Sogar ihre übertrieben aufgeplusterten Brüste sind zur oberen Hälfte noch mit farbiger Seide bedeckt, wie wenn sie so plötzlich bedrängt worden wäre, dass sie zum Ablegen keine Zeit mehr fand. Es sei denn, die Inder begatten sich vorzugsweise in Kleidern. Harry spielt die Open-air-Orgie mit und bekleckert eine südostasiatische Terrasse.
Er lernt die Erzählung der reizenden Sita kennen, die die Köpfe ihrer beiden Gatten Schridaman und Nanda vertauscht, aus der als Vet?lapañcavi?śatik? bekannten Sammlung von 25 Geschichten eines Leichengespenstes, die in der Sammlung Kath?sarits?gara „Ozean der Erzählströme“ überliefert ist. Abgebildet sind da die Skulpturen von den berühmten Tempelfriesen von Konarak und Khajuraho, welche die Gläubigen beim rituellen Koitus zeigen. Sie koitieren in allen möglichen Stellungen des Kamasutra, von Harry in Verse gebracht und nachgestellt:
SITA. … wo sich die Liebenden in rauen Scharen
an den Reliefs und Sandsteinfresken paaren
und sich, obschon aus hartem Stein getrieben,
aufs zärtlichste und anschmiegsamste lieben.
SCHRIDAMAN. Hast du von Tempelbildnissen dein Wissen,
bis du im Bilde nicht nur übers Küssen:
es fehlt nichts mehr, die Liebe zu verstehn,
hat man sie in der Tempelkunst gesehn –
wo es, da jeder tut, was ihm beliebt,
es kein Tabu mehr in der Liebe gibt.
SITA. Gepaart zu Paaren – wie gruppiert – allein –,
liebt es sich in erotisiertem Stein.
Körper verdrillen sich zu Arabesken
in Liebeslust an Indiens Tempelfresken:
wie wilde Schlangennester und Mäander
verknäueln sich die Leiber ineinander.
SCHRIDAMAN. Man sieht sie dort in allen Stellungen
wie in Vatsyayanas Erzählungen.
SITA. Das Weib sitzt manchmal auf des Mannes Knie,
reitet auf ihm, und sitzend nimmt er sie;
sie tun es stehend, bis an seine Brust
das Knie gewinkelt, büßt sie ihre Lust.
Die Bajaderen treiben es gar bunt,
nehmen die Lingams sogar in den Mund –
wie, umgekehrt, Gandharven an der Frauen
Geschlechter saugen, ist dort anzuschauen.
SCHRIDAMAN. In Khajuraho sah ich einst ein Bild
des Vishvanatha-Tempels – vogelwild:
Zwei Frauen halten eine dritte schwebend,
dieweil der Yogi, mittlings an ihr klebend,
die Stirn im Kopfstand auf den Grund erniedrigt,
die Karyatiden mit der Hand befriedigt.
Selbst spürte ich an solchen Tempelgiebeln,
wo sie so offen miteinander liebeln,
im eignen Schritt ein unheiliges Kribbeln.
SITA. Ich wollte mich in den lasziven Nischen
schon selbst unter die nackten Steine mischen.
Vor allem Schivas Bild ist hocherregend,
das in Konarak, ganz getreu der Fabel
vier starke Glieder aus den Schultern reckend –
das fünfte senkrecht stehend bis zum Nabel.
Fehlte nicht viel, und ich ergab dem Gotte
mich selber gleich in seiner dunklen Grotte.
SCHRIDAMAN. Ich würde, kann ich mich an dir berauschen,
mein Liebesglück mit keinem Gotte tauschen!
So eine Frau müsste man haben!
Je größer aber seine Lust an den bloßen Kopien, desto größer ist seine Sehnsucht nach dem weiblichen Original. Was kann ein Erdensohn mehr verlangen von einem Weibe? Ist ein solches nicht ein wandelndes Paradies? Er aber muss sich, wie die Weiber im Koran, mit dem bloßen Anblick des Paradieses begnügen. So bleibt als bitterer Bodensatz seiner Lust die Verlustangst und Sehnsucht zurück: Ist schon die Befriedigung durch die Truggebilde der Phantasie so tief, – wie vollkommen wäre sie erst in den Armen eines lebendigen Weibes aus Fleisch und Blut! Bringt ihn bereits das Phantom eines Liebesobjekts in solche Verzückung, – welche Ekstasen hielte dann erst die reale Liebe für ihn bereit? Müsste es ihm da nicht in schier markverzehrender Ekstase das Elixir der Lust aus den Eingeweiden saugen?
Kann der fleischliche weibliche Schoß in der Phantasie doch gar nicht wirksam werden! Die Welt der Bilder ist ja bloß eine Phantasmagorie, eine Fatamorgana, nur das Ding als Erscheinung anstelle des Dings-an-sich, wobei man mit dem Weib in gar keine faktische Berührung kommt. Ist aber schon die Lust in effigie so tief und erschöpfend, laugt ihn schon die bloße Einbildung so aus, – wie unermesslich dann erst die reale Lust im Fleische!
Wie soll er ahnen, dass es in Wahrheit vielleicht gerade umgekehrt ist und er die Lust, die er aus bloßer Vorstellung kennt, im wirklichen Akt der Geschlechter womöglich nicht wiederfindet?
Je intensiver er sich den ipsistischen Orgien ergibt, desto größer ist seine Sehnsucht nach dem Eigentlichen: nach einer wirklichen Frau. Ich war immer der Meinung, dass man in der Liebe besitzen müsste, bekennt er; gemeint ist: körperlich besitzen. Indem diese Sehnsucht unerfüllt bleibt, wächst das Gefühl des Verlustes der Sinnenlust, die, wie er glaubt, ihm dadurch entgeht. Verfehlte Liebe, verfehltes Leben: Da der Sex mit zur Liebe gehört, verfehlt er mit der verfehlten Liebe den Sex, und mit dem verfehlten Sex das Leben. Und wie groß muss dieses Gefühl existenziellen Defizites bei einem wie dem jungen Heine sein, der ganz aus seiner überbordenden Sinnlichkeit heraus lebt! Wann wird er jemals diese Verlustangst los? So begleitet ihn Agostino Carraccis freizügiger Zyklus neben den anderen erotischen Motiven aus der Arche Noä, von denen er sich nicht trennen kann, viele Jahre. Wir vertagen aber die Beschreibung der Nummern elf bis zwanzig auf später.
Einmal betrifft ihn Ohm Simon bei der Betrachtung der Stiche. Ob ihm die schmuddeligen Sachen gefallen? will er wissen. Simon de Geldern, der Bruder der Mutter, ist ein Sonderling von unscheinbarem, gar närrischem Äußern. Nach weltlichen Begriffen ist sein Leben ein verfehltes. Von rastlosem Fleiße, frönt er all seinen gelehrten Liebhabereien und Schnurrpfeifereien, seiner Bibliomanie und besonders seiner Wut des Schriftstellerns, die er besonders in politischen Tagesblättern und obskuren Zeitschriften auslässt. Nebenbei gesagt, kostet ihn nicht bloß das Schreiben, sondern auch das Denken die größte Anstrengung. Simon schreibt einen alten steifen Kanzleistil, wie er in den Jesuitenschulen, wo Latein die Hauptsache, gelehrt wird, und kann sich nicht leicht befreunden mit der Ausdrucksweise des Neffen, die ihm zu leicht, zu spielend, zu irreverenziös vorkommt. Aber sein Eifer, womit er ihm die Hilfsmittel des geistigen Fortschritts zuweist, ist für jenen von größtem Nutzen. Er beschenkt den Knaben mit den schönsten, kostbarsten Werken; er stellt ihm seine eigene Bibliothek zur Verfügung, so reich an klassischen Büchern und wichtigen Tagesbroschüren, und er erlaubt ihm sogar, auf dem Söller der Arche Noä in den Kisten herumzukramen, worin sich die alten Bücher und Skripturen des seligen Großvaters befinden. – Harry verwahrt sich gegen das Wort ,schmuddelig'.
Seine Replik fällt ihm um so leichter, als er sich schon oft Gedanken darüber gemacht und sie sich sprachlich zurechtgelegt hat: Es gibt in der Kunst nichts ,Schmuddeliges'. Schon als Verkleinerungsform von ,schmutzig' – so dass das mit dem ,Schmutz' nicht recht ernst gemeint ist – beweise das niederländische Wort, dass es in der Kunst nichts ,Schmutziges' gibt. Er könne sich noch viel explizitere Darstellungen von Sex vorstellen, die man dennoch nicht als ,Schmutz' verunglimpfen dürfte. Alles Natürliche ist wertfrei. Es gibt nur gute und schlechte Kunst.
Soviel er sehe, sei unter den scheinbar anstößigen Bildern nicht eines, das man nicht auch einem Kind zeigen dürfe; sie seien ganz harmlos; wie er auch das Satirikon des Petron und Goethes römische Elegien den Schülern zeigen würde, wenn er diese Meisterwerke geschrieben hätte. Wie letztere, seien die angefochtenen Motive aber kein Futter für die rohe Menge. Nur vornehme Geister, denen die künstlerische Behandlung eines frevelhaften und allzu natürlichen Stoffes ein geistreiches Vergnügen gewährt, können an diesen Stichen Gefallen finden. Ein eigentliches Urteil könnten nur wenige Deutsche darüber aussprechen, da ihnen der Stoff selbst, die abnormen Amouren in einem Welttollhaus unbekannt sind. Nicht die Moralbedürfnisse irgend eines verheirateten Bürgers in einem Winkel Deutschlands, sondern die Autonomie der Kunst komme hier in Frage. Sein Wahlspruch bleibe: Kunst ist der Zweck der Kunst, wie Liebe der Zweck der Liebe sei, und gar das Leben selbst der einzige Zweck des Lebens; denn, wie Sie wissen, ich bin für die Autonomie der Kunst; weder der Religion noch der Politik soll sie als Magd dienen, sie ist sich selber letzter Zweck, wie die Welt selbst.
Apropos die eigentliche satirische Intention des Petronius: die sei bis heute von Rätseln umgeben. Von manchen wird das Satyricon für ein „vollkommen amoralisches Sittenbild“ gehalten. Andere könnten die für eine Satire typische Ermahnung nicht erkennen. Auch wurde das Satyricon aufgrund der teils recht eindeutigen Szenen und seiner sexualisierten Symbolik oft als Pornografie oder Päderastie missverstanden. Übergreifendes Thema sei aber tatsächlich das wiederkehrende sexuelle Scheitern der Hauptfigur Encolpius. Die Sexualität im Satyricon sei aber nur ein Bild für das generelle Scheitern der Protagonisten überhaupt. Was ist in der Kunst das Höchste? Das, was auch in allen andern Manifestationen des Lebens das Höchste ist: die selbstbewusste Freiheit des Geistes.
Vor soviel Beredsamkeit verstummt selbst das verwandtschaftliche Gewissen Simons, der in seinem dunklen Sinn übrigens so ähnlich denkt, und muss vor der wortgewandten Beschlagenheit des frühreifen Neffen kapitulieren.
Besucht Simon, um in seinem Junggesellenstand seiner männlichen Potenz versichert zu bleiben, doch ab und zu selbst die so genannten Freudenhäuser, an denen es in der Stadt nicht mangelt. Einmal, als er alt genug ist, darf Harry ihn dabei begleiten. Er folgt ihm mit einem Gefühl ruchlosen Abenteuers eine Weile durch die nächtliche Innenstadt, bevor sie vor einem scheinlosen ebenerdigen Haus anhalten. Im Vestibül paradieren auf fettigen Sofas ein paar dickliche Dirnen mit prallen Schenkeln und Waden, die von einer bejahrteren Puffmutter mit geschäftstüchtiger Miene beaufsichtigt und herumkommandiert werden. Sie mustern den jungen appetitlichen Harry, in dem sie einen neuen Kunden wittern, mit angelegentlicher Miene.
Ganz besonders scheint die Jüngste
Tiefbewegt. In ihrem Herzen
Fühlt sie schon ein sel'ges Jucken,
Ahndet sie die Macht Cupidos.
Er dagegen überfliegt die ausgestellte Ware und kommt zu dem Schluss, dass er mit keiner von ihnen etwas zu tun haben möchte.
Das kann den Dichter Ludwig Büchner nicht vorgeschwebt haben, als er in seinem Danton die Geschichte der mänadisch allesverschlingenden Dirne Marion erzählt: Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus; er war hübsch und sprach oft tolles Zeug; ich wusste nicht recht, was er wollte, aber ich musste lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebensogut zwischen zwei Betttüchern beieinander liegen, als auf zwei Stühlen nebeneinander sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnügen als bei seiner Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das Geringere gewähren und das Größere entziehen wollte. Wir taten's heimlich. Das ging so fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte. Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle Männer verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann da drüber hinaus? … die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es läuft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen; es ist das nämliche Gefühl; wer am meisten genießt, betet am meisten.
Aus der Literatur besinnt er sich wieder auf die Realität. Er tut, als sei er bloß in Begleitung Simons gekommen, der ihm freie Option lässt und nach kurzer Verhandlung mit einer unappetitlichen Dicken ins Hinterzimmer verschwindet. Vermutlich lässt er sich aus Angst vor Geschlechtskrankheiten gerade einen Schafsdarm überziehen. Harry fasst sich in Geduld und weicht mit gleichgültiger Miene den Blicken ein und der anderen Sylphide aus, die die Hoffnung auf das leckere Zubrot nicht aufgeben will. Er spürt aber nicht die Spur einer Lockung, will nicht seine Sinne schänden und seinen Samen für nichts und wieder nichts vergeuden. Für Hekuba!
Er gedenkt des strengen Urteils von Rousseaus Julie ou la nouvelle Héloïse: „Ich weiß nicht, ob Ihre bequeme Philosophie bereits die Grundsätze annimmt, die, wie man sagt, in großen Städten für die Duldung solcher Orte aufgestellt werden; aber wenigstens hoffe ich, dass Sie nicht zu denen gehören, die sich selbst genug verachten, um sich deren Gebrauch unter dem Vorwand irgendeiner – ich weiß nicht, welcher – eingebildeten Notwendigkeit, die nur die Menschen von schlechtem Lebenswandel kennen, zu erlauben. Als ob in diesem Punkte die beiden Geschlechter verschiedener Natur wären und der rechtschaffene Mann zur Zeit der Trennung oder im ehelosen Leben Hilfsquellen haben müsste, deren das rechtschaffene Weib nicht bedürfte! Führt Sie dieser Irrtum auch nicht zu öffentlichen Buhlerinnen, fürcht' ich doch sehr, dass er Sie noch ferner mit sich selbst verwirren werde. Ach! wollen Sie verächtlich sein, so seien Sie es wenigstens ohne Vorwand, seien Sie nicht noch Lügner bei Ihrem wüsten Leben! Alle diese vorgeblichen Bedürfnisse haben ihre Quelle keineswegs in der Natur, sondern in dem freiwilligen Verderbnis der Sinne. Selbst die Täuschungen der Liebe läutern sich in einem keuschen Herzen und verderben nur das schon verdorbene. Die Unschuld hingegen hält sich durch sich selbst aufrecht; die immer wieder zurückgedrängten Begierden gewöhnen sich daran, nicht wieder zu erwachen, und die Versuchungen vervielfältigen sich nur durch öfteres Unterliegen.“
Dein Wort in Gottes Ohr, rousseausche Julie! Simon ist, als er seinen Rotz los geworden, schneller zurück als erwartet, ordnet sein Hemd, entrichtet sein Scherflein und sagt auf baldiges Wiedersehen. Harry ist froh, als sie im Freien erneut in die keusche Tiefe der Nacht eintauchen. Später erinnert er sich an hier und andernorts: Ich habe Weiber gesehen, auf deren Wangen das rote Laster gemalt war, und in ihrem Herzen wohnte himmlische Reinheit. Ich habe Weiber gesehen – ich wollt, ich sähe sie wieder! –