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Amerikanisch-deutsche Doppelbürgerschaft
ОглавлениеDieses glückliche Projekt in Pacific Palisades hatte mich sogar im doppelten Sinn wieder nach Hause gebracht. Einmal in neuem Gewand in das Großelternhaus meiner amerikanischen Kindheit und zum anderen zu meinem lange Zeit liegen gelassenen politischen Engagement für die Belange der amerikanischen Politik. Ich begann mich jetzt erst recht als durch meine Familie demokratisch geprägter amerikanischer Staatsbürger zu begreifen. Gleichzeitig hat mich die großherzige Entscheidung der deutschen Bundesregierung, dieses Projekt ins Leben zu rufen, nachträglich in meinem Entschluss bestärkt, fast 60 Jahre nach Kriegsende auch die deutsche Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen. Insofern wirke ich jetzt auch als Deutscher an diesem transatlantischen Projekt nach Kräften mit.
Ich denke gerade an dem transatlantischen Paradox herum, dass Amerika nach dem Krieg Westdeutschland erfolgreich zum Aufbau einer haltbaren Demokratie verholfen hat, von der dann auch noch Ostdeutschland, fast ein halbes Jahrhundert später, profitieren konnte. Wobei der bewundernswerte und geradezu tollkühne Kraftakt, die kommunistische Diktatur zu stürzen, der ostdeutschen Bevölkerung kaum so leicht gelungen wäre, hätte sich diese nicht schon länger vorher durch ihre zunehmenden Westkontakte so Einiges von den westlichen Demokratien abschauen und im Geiste vorwegnehmen können.
Gleichzeitig hatten jedoch die Vereinigten Staaten von Amerika sukzessive über die Jahrzehnte eine Beschädigung ihres demokratischen Systems, das so lange als Lehrstück hatte gelten können, durchmachen müssen bis in den gegenwärtigen so beklagenswerten Zustand, dass sich der deutsche Bundespräsident während seiner Eröffnungsansprache auf der Terrasse des Hauses veranlasst sah, eigens zu betonen, dass er jetzt nur dieses Weiße Haus aufsuchen würde und kein anderes. Denn die Entwicklung beider Kontinente war gegenläufig und zwar tragischerweise moralisch und politisch eindeutig zum Nachteil für die USA.
Ein Tag nach der inaugurierenden Rede des Bundespräsidenten im Getty Center in Los Angeles trat die vollzählige deutsche Delegation den Rückflug nach Berlin an.
Kurz vor dem Beginn der Nachtruhe während des Flugs verabschiedete sich der Bundespräsident zusammen mit seiner Frau Elke Büdenbender der Reihe nach persönlich von allen Mitgliedern der ihn bei dieser Reise begleitenden Delegation. Als er bei mir anlangte, sagte ich ihm spontan, dass mir bei dem bewegenden Unternehmen der Haus-Wiedereröffnung klar geworden sei, mich während meiner mir noch zur Verfügung stehenden Lebenszeit für sein Anliegen einer Zukunft der Demokratie über den transatlantischen und auch sonstigen Dialog nach Kräften einsetzen zu wollen. Denn spätestens jetzt war mir deutlich geworden, dass die neue Einbindung meines ehemaligen Großelternhauses in die transatlantische Politik und überhaupt in den Dialog als Mittel zur Festigung unserer westlichen Demokratie meinem Leben eine entscheidende Wende gegeben hatte. Dieses großartige, gerade von Deutschland ins Leben gerufene Projekt auf seinem besonderen geschichtlichen Hintergrund ausgerechnet in dem Haus, das als Zentrum des politischen Kampfes deutscher Emigranten gegen das Hitler-Regime gedient hatte, warf mich einerseits bis in meine früheste eigene Vergangenheit zurück. Hatte ich doch in den Jahren meines ausgedehnten Zusammenlebens mit meinem Großvater besonders in seinem „Weißen Haus des Exils“ viel von dessen diszipliniert konsequenter Haltung in seinem Kampf gegen Faschismus und für Demokratie und Humanismus mitbekommen und mich dann auch später in Europa, immer noch als amerikanischen Staatsbürger, davon leiten lassen, gerade auch politisch. Andererseits wies mir das eben neu eröffnete Projekt in demselben Haus eine weitere neue Wegstrecke in meinem Leben nach vorne zu.
Sosehr auch die Bevölkerung Deutschlands und die auf jeden politischen Stillstand kritisch sensibel reagierende und viel Ermutigung benötigende junge Generation in Europa heute sicherlich jeden vertrauensbildenden Dialog gutheißt, zog ich es doch vor, mich als Erstes in den sich in einem sehr viel schwierigeren Zustand befindenden USA in Sachen Demokratie, Dialog und Frieden zu engagieren. Ein wesentlicher Grund bzw. Anlass dafür war, dass die Eröffnung des Hauses, welche in der deutschen Öffentlichkeit als spektakuläres Ereignis hoch gefeiert worden war, in den US-amerikanischen Medien kaum ein Echo gefunden hatte. Eine besondere Gelegenheit sah ich gerade im Sommer und Herbst 2019 darin, mich in das vom Auswärtigen Amt initiierte Deutschlandjahr 2018/19 „Wonderful zusammen“ einzuklinken und dort eine Lecture Tour quer durch die USA und Kanada vorzuschlagen, auf der ich den bisher mehr oder weniger uninformiert gebliebenen Menschen das von der deutschen Bundesregierung initiierte Projekt des transatlantischen Dialogs möglichst weit über das Thomas Mann House hinaus etwas näherbringen könnte.
Diese äußeren Bedingungen waren der willkommene, wenngleich eher äußerliche Anlass für diesen Vorschlag. Der eigentliche Grund dafür lag tiefer. Er lag im Titel des Vortrags, einem Zitat der prägnanten Formulierung Thomas Manns in einem Interview während einer seiner letzten Atlantiküberquerungen im Februar 1938, kurz nachdem er seinen gegen Nazideutschland gerichteten Vortrag für die amerikanische Bevölkerung „The coming Victory of Democracy“ noch in der Schweiz verfasst hatte. Die Formulierung lautete: „Democracy will win“. Diese von ihm mit einem provokativen und unerbittlichen Unterton ausgesprochenen drei Zauberworte waren für mich weit über die besondere Situation der Dreißigerjahre hinaus in ihrer Bedeutung zeitlos. Sie passten trotz der völlig veränderten Zeit genauso auf die heutige, ebenfalls weltweit hochgefährliche politische Situation und zu unserem ähnlich verzweifelten Kampf gegen Undemokratie.
Ich wollte mit den Darlegungen in meinem Vortrag meine US-amerikanischen Mitbürger in ihrem todunglücklich zerfahrenen und zerrissenen Land an die verloren gehenden, von ihren Vorfahren leidenschaftlich verteidigten und 1787 in ihrer Verfassung verankerten Grundwerte Freiheit und Gleichheit erinnern und sie vor allem zu einem verstärkten dialogischen Wiederzusammenfinden ermutigen. Mein Konzept bestand darin, Thomas Manns in seiner Ansprache „The Coming Victory of Democracy“ geäußerten Grundgedanken der Menschenwürde als der tiefsten Grundessenz einer Demokratie aufzugreifen und zu ergänzen mit in meinem im Philosophie-, Theologie- und Psychologiestudium mit praktischer Psychotherapieausbildung erlernten Prinzip eines im sinn- und werteorientierten Miteinander gelebten Dialoges, in dem ich das Fundament einer jeden funktionierenden und weiter ausbaufähigen Demokratie sah und sehe. Dabei war es mir von Anfang an wichtig, diese Überzeugung besonders an die nachwachsende Generation von Schülern und Studenten in Universitäten, Colleges und Highschools weiterzugeben. Als Fellow des Thomas Mann House wurde mir für diese Vortragsreise die dankenswerte Unterstützung seitens des Vereins „Villa Aurora Thomas Mann House“, der Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, der Berthold-Leibinger-Stiftung und der Goethe-Institute zuteil.
Da ich inzwischen als „Honorary Fellow“ des Thomas Mann House eingeladen worden war und der Programmdirektor des Hauses, Dr. Nikolai Blaumer, die Organisation einer mehrwöchigen Lecture Tour durch mehrere US-amerikanische Städte übernahm, logierte ich, mehrere Monate vor Antritt dieser Reise, um Ostern herum etwa drei Wochen in jenem erinnerungsreichen Haus und nutzte diese Zeit, sowohl bei den Reisevorbereitungen durch die Administration des Hauses dabei zu sein als auch eine Probeversion meines vorgesehenen Vortrags in der Residenz des deutschen Generalkonsuls in Los Angeles zu halten.
Inzwischen hat sich am Horizont des Abendhimmels über mir das letzte Nachschimmern der untergegangenen Sonne in einen schwachen, rötlichgelben, sich jetzt über den ganzen Horizont verteilenden Streifen verwandelt. Im Kontrast zur Helle des Saums am westlichen Horizont verfällt auf der östlichen Gegenseite der Himmel in ein langsam in Nachtschwarz übergehendes Dunkelgrau – die letzte Phase vor dem endgültigen Eindunkeln. Durch das abendliche Abebben der Straßengeräusche unten kommen die aus dem gegenüberliegenden Wohngebäude zu mir herüberdringenden Stimmen sowie die akustischen Fetzen aus irgendwelchen aus den Häusern dringenden Fernsehprogrammen stärker zur Geltung. Da es jetzt auch kühler wird, ziehe ich mir meine dunkelblaue, mit beidseitigen roten Längsstreifen und weißen Reißverschlüssen an den Seitentaschen versehene Windjacke mit dem Beachhouse Look an, die ich mir im vergangenen Frühling während meines dreiwöchigen Aufenthalts im Thomas Mann House in Santa Monica gekauft habe und die ich sehr liebe.