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Signal und Aufbruch Der Erwerb des Thomas Mann House durch die deutsche Bundesregierung

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Eben ist die Sonne hinter dem Münchner Olympiaturm untergegangen. Der zurückbleibende gelbe Lichtsaum am Horizont hebt sich deutlich vom abendlich verblassenden Blau des Himmels ab. Meine Blicke werden festgehalten von dem das Ende dieses Tages ankündigenden, verwobenen Farbenspiel über den Hochhäusern. Irgendwann schweifen sie ab zu den mit buntem Hochsommergewächs bepflanzten Hängeblumenkästen am Geländer meiner hoch gelegenen Terrasse, auf der ich sitze. Da kommt mir plötzlich die sich ebenfalls an einem Abend abspielende komische Szene im Garten meines ehemaligen Großelternhauses im kalifornischen Pacific Palisades vor einem Jahr in den Sinn. Es war am Abend der festlichen Wiedereröffnung des von der deutschen Bundesregierung erworbenen und zu einer deutsch-amerikanischen Begegnungsstätte umgewidmeten Thomas Mann House am 18. Juni 2018 durch den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.

In dieser Szene stehen der Bundespräsident, seine Frau und ich kurz vor Anbruch der Dämmerung fröhlich lachend und in spielerischer Haltung mit je einer kleinen vergoldeten Schaufel in der Hand unter dem einstigen Arbeitszimmer meines Großvaters neben einem frisch ausgehobenen kleinen Beet, in welches wir soeben ein Zitronenbäumchen von der Art gepflanzt haben, wie sie früher in großer Zahl im Garten gestanden hatten.

Während ich jetzt am Tagesende den von der untergegangenen Sonne zurückgelassenen gelben Lichtsaum am blassblau vergehenden Himmel unwillkürlich mit der Unsicherheit unserer gegenwärtigen, weltweit bedrohten Situation in Zusammenhang bringe, erinnere ich mich, dass sich mir auch schon beim damaligen Akt des Zitronenbaumpflanzens das Bild vom Apfelbäumchen aufdrängte, von dem Martin Luther gesagt haben soll, dass er, sollte die Welt morgen untergehen, heute erst recht ein solches pflanzen würde. Dann schweifen meine Erinnerungen um weitere zwei Jahre zurück, in den Spätsommer 2016, in der heißen Phase des US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs und als hier in Europa die Flüchtlingskrise auf ihrem Höhepunkt war. Da drangen zum ersten Mal Informationen über Kaufverhandlungen zwischen der deutschen Bundesregierung und dem derzeitigen Eigentümer um den Kauf des betreffenden Hauses an die Öffentlichkeit. Fast gleichzeitig wurde ich zusammen mit zwei anderen Gästen zu einem Fernsehinterview zu diesem großen Vorhaben eingeladen.

Es gab für mich einige Gründe dafür, meine Mitwirkung an dieser Debatte abzusagen. Denn nachdem bereits 25 Jahre zuvor mein ehemaliges Großelternhaus zum Verkauf gestanden war und seitens der damaligen Bundesregierung unter Kanzler Kohl kein Kauf zustande kam, erachtete ich den jetzigen Versuch als so chancenlos, dass ich mich dazu nicht öffentlich äußern wollte. Außerdem war ich zu der Zeit in völlig andere Themen und Zeitfragen involviert und arbeitete an einem wissenschaftlichen Buchprojekt. Aber es gab auch noch tiefere Gründe. Nach dem endgültigen Abschied von meiner Kindheit in Amerika nach dem Verkauf meines Großelternhauses 1953 durch meine wieder nach Europa zurückgekehrte Familie, wollte ich nach so langer Zeit keine alten Wunden aufreißen. In dieser Entscheidung bestärkt sah ich mich durch in den Medien kursierende Fotos vom jetzigen ziemlich traurig verfallenden Zustand des sich in einer Art Dornröschenschlaf befindenden, von Efeu und Buschwerk schon halb zugewachsenen Hauses mit von Patina bedeckten, rissigen Mauern. Mit diesem Geisterschloss wollte ich möglichst nichts zu tun haben, und ich konnte mir bei den vagen Ankündigungen dessen, was nach einem Kauf des Hauses durch die Bundesregierung damit geschehen sollte, noch nichts Attraktives vorstellen. Dazu kam meine große innere Distanz von meiner ursprünglichen amerikanischen Kinderheimat vor allem aufgrund der im Lauf der Jahrzehnte zunehmenden Enttäuschungen von Amerika. Die jähe Ermordung meines mich damals immer irgendwie an Roosevelt erinnernden jungen Hoffnungsträgers, Präsident John F. Kennedy Ende 1963. Dann nur Monate später der schreckliche, elf Jahre dauernde Vietnamkrieg mit mehreren Millionen Toten, von dem die USA sich nie mehr richtig erholen sollten. 1974 das Impeachment von Präsident Nixon. In den frühen Achtzigerjahren die deutlich einsetzende, kaum mehr aufzuhaltende Talfahrt der legendären amerikanischen Demokratie unter Ronald Reagan, ganz zu schweigen von der Präsidentschaft von George W. Bush.

Als dann an jenem denkwürdigen Wahltag in den USA im November 2016 das von kaum jemandem Erwartete geschah und sich zeigte, dass sich nach dem bisherigen Tiefpunkt George W. Bush mit der Schreckensfigur des Fake President ein noch viel tieferer, mindestens vier Jahre dauernder Abgrund vor der Welt auftun sollte, folgte auf dem Fuß die nächste Überraschung, diesmal in die erfreuliche Gegenrichtung. Es war der verblüffend gelungene Erwerb des Thomas Mann House in Pacific Palisades in Kalifornien durch die deutsche Bundesregierung.

Was mich verwirrte, war, dass sofort nach Bekanntwerden des Hauskaufs vonseiten von Freunden Glückwünsche an mich ergingen. Dachte man, dass dieses von mir schon so sehr lange verlassene Haus in Amerika ausgerechnet jetzt eine besondere Bedeutung für mein Leben bekommen würde? Oder ging man fälschlicherweise davon aus, dass ich am Zustandekommen dieses Kaufs mitgewirkt hatte?

Trotzdem erschien mir diese Wendung auch wie ein Trost nach dem Wahldebakel Anfang November 2016, und ich überlegte mir, ob vor allem die Schlussphase dieses Kaufs vielleicht auch eine Art Absichtsbekundung der deutschen Bundesregierung gewesen war, in der zu erwartenden Fake-Präsidentschaft des Neugewählten eine kulturelle und humanistische Oase in die Naturidylle von Thomas Manns einstigem Refugium zu pflanzen oder eine Art Trojanisches Pferd aufzufahren gegen die politische Ellbogen-Rüpelei und das skrupellose Diktatorengehabe der neuen Machthaber in Washington. Denn der Anfang der Kaufverhandlungen lag noch in einer Zeit, in der niemand nur auch im Entferntesten auf die Idee kommen konnte, dass die Weltmacht Nummer eins mit großer demokratischer Tradition eines Tages in die Hände eines in politischen Angelegenheiten blutigen Laien und dazu sich wie ein Elefant im Porzellanladen aufführenden pathologischen Lügners und Menschenverächters geraten würde. War das Haus ursprünglich mehr als Gedenkstätte und Residenz für deutsche Thomas-Mann-Forscher gedacht gewesen, so mögen schon die provozierenden Monate vor der Präsidentenwahl zu einem langsamen Umdenken bezüglich der Nutzung des Hauses geführt haben. Die wahrscheinliche neue Absicht könnte der Name nahelegen, den der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier diesem Haus selber gab: „Das Weiße Haus des Exils“.

Ich gestehe, dass mich diese Entscheidung der Bundesregierung und vor allem die dahinterstehenden Beweggründe und Pläne mit dem Anwesen nur sehr langsam zu interessieren, ja zu fesseln begannen. Die anfangs für mich noch nicht recht ersichtlichen, aber offenbar weit in die Zukunft gerichteten Absichten des neuen Eigentümers mit diesem halb verfallenen Anwesen erschienen mir als sehr viel wichtiger als nostalgische Gedanken an mein einstiges Kinderzuhause. Jede Vorstellung von einer auch nur virtuellen Rückkehr dorthin hatte für mich sogar etwas Abschreckendes.

Kurz nach Neujahr 2017 war ich so weit, dem Außenminister und der Bundeskanzlerin brieflich konkret diese Frage nach der Zukunft zu stellen, und ich erhielt auch von beiden eine freundliche, wenn auch recht allgemein gehaltene Antwort – vom Außenminister mit dem wichtigen Hinweis, an welchen mit dem Hauskauf besonders befasst gewesenen Mitarbeiter im Auswärtigen Amt ich mich wenden könne.

Ende Januar besuchte ich dann jenen zuständigen Abteilungsleiter im Berliner Auswärtigen Amt und erfuhr von ihm die ersten wichtigen Details. Das Haus werde weder als Thomas-Mann-Museum dienen noch der literaturwissenschaftlichen Fußnotenforschung. „Wir sind keine Künstlerkolonie“, betonte mein Gesprächspartner, womit er vermutlich auf die Villa Aurora anspielte, die etwa eine Auto-Viertelstunde entfernte frühere Feuchtwanger-Villa. Mit derselben war offenbar eine Art organisatorische, aber nicht inhaltliche Fusion mit dem Thomas Mann House zu einem für die Verwaltung, Bewirtschaftung und Programmgestaltung in beiden Häusern zuständigen Verein „Villa Aurora Thomas Mann House“ (VATMH) vorgesehen. „Im Thomas Mann House werden wir mit deutschen Fellows und deren amerikanischen Dialogpartnern einen zukunftsorientierten transatlantischen Austausch vorantreiben“, erklärte er. „Und wer organisiert das? Wer wird für die Auswahl der Fellows zuständig sein?“, wollte ich wissen. „Wir befinden uns erst ganz in den Anfängen der Bildung der verschiedenen Entscheidungsgremien … und vor allem muss das Haus erst mal gründlich saniert und umgebaut werden … Und Sie wird man mindestens in eines der zentralen Entscheidungsgremien hineinwählen. Wenn Sie möchten, können Sie von uns auch die Schlüssel haben, falls Sie einmal zur Besichtigung dorthin fliegen möchten …“

Mich in Gremien hineinwählen? Ich erinnerte mich daran, dass mir eine Professorin in Münster einmal erzählt hatte, sie habe dem damaligen Leiter des Zürcher Thomas-Mann-Archivs von meinem Habilitationsvorhaben in der Münsteraner Medizinischen Fakultät erzählt. Aber der habe nur entsetzt geschaut und geäußert: „Was? Der? Nein, den lassen die niemals herein …“ Sie haben mich – nach einigen tatsächlichen Schwierigkeiten und Verzögerungen – dann schließlich doch hereingelassen. Die Universität Münster jedenfalls.

Das klang alles in allem nicht schlecht. Gerade die Zukunftsorientierung gefiel mir, besonders angesichts des alarmierenden Ergebnisses der nur zwei Monate zurückliegenden Präsidentschaftswahlen in den USA. Und auch Europa war mit dem verstärkten Aufkommen gefährlicher nationalistischpopulistischer Kräfte als Reaktion auf die Flüchtlingsbewegungen gegenwärtig alles andere als politisch auf Rosen gebettet. Mir war klar, dass der Aufbau des für dieses Haus vorgesehenen transatlantischen Programms viel Zeit erfordern würde. Aber ich begann langsam Feuer zu fangen. Der zwischenmenschliche Dialog an sich, ob politisch oder nicht, war ja eigentlich der rote Faden meiner eigenen beruflichen Laufbahn gewesen, als Psychologe und auch als Theologe. Und mein nicht sehr weit führender Versuch, zwischen Europa und dem brasilianischen Geburtsort und Elternhaus meiner Urgroßmutter Julia Mann-Bruhns-da Silva interkulturelle Beziehungen aufzubauen, lag nur rund zehn Jahre zurück.

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