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Transatlantischer Dialog

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Im darauffolgenden Sommer bekam ich, nach einigen weiter erhellenden Telefonaten aus der betreffenden Abteilung des Auswärtigen Amts, ein mehrseitig ausformuliertes schriftliches Konzept zugeschickt, auf dem schwarz auf weiß das transatlantische Residenzprogramm in Grundzügen entworfen stand. Als Hauptgegenstand des Austauschs wurden die gegenwärtig dringendsten Gegenwarts- und Zukunftsfragen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien und Wissenschaft auf beiden Seiten des Atlantiks genannt. Die zentrale Aufgabe sollte darin bestehen, unsere demokratischoffene, freiheitliche Gesellschaft gegen populistische, nationalistische und rassistische Strömungen zu verteidigen und zu festigen. Die wichtigsten Themen dieses Austauschs waren Sicherheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Frieden, Migration und Exil sowie der überfällige Umbau von Industrie und Wirtschaft für einen nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutz.

Wieder ein knappes Jahr später war es so weit: die bewegt-bewegende Einweihung des neuen Dialogzentrums mit der mit heiterem Stolz vollzogenen Zeremonie des symbolischen Bäumchenpflanzens. Das wie schon einmal beim Erstbezug 1942 blitzblank neu errichtete Haus wirkte in dem festlichen Gepränge der Eröffnungsfeier besonders auf mich als Kenner seiner frühen Vergangenheit ziemlich kahl, wenn nicht sogar steril. Umso mehr wartete auf den von der Bundesregierung bestellten, das Haus verantwortlich verwaltenden und bewirtschaftenden und in Berlin ansässigen „Villa-Aurora-Thomas-Mann-House“-Verein die große Aufgabe, Farbe und einen lebendigen Stil in das Haus zu bringen. Das Wichtigste war, mit der Auswahl kompetenter Fellows aus Deutschland und der Programmgestaltung eine kulturpolitisch zukunftsgerichtete und in die amerikanische Gesellschaft gut eingebundene transatlantische Dialogresidenz zu entwickeln. Trotz der etwas abgelegenen und von Luxusvillen umgebenen Lage mitten im Riviera-Viertel am Pazifikhang war dieses Haus ein außergewöhnlich schmuckes und schiffartig filigran, schlank und leicht im Bauhausstil errichtetes Domizil. Die Bundesregierung hatte bei der Instandsetzung und Erneuerung des Hauses dieses möglichst in seiner ursprünglichen Gestalt so wiedererstehen lassen, dass sich die zukünftigen Fellows dort bestimmt sehr wohl fühlen und sich gern frei darin bewegen würden.

Das am nachhaltigsten Bewegende nach dem Akzente setzenden Apfelbaumpflanzen während der Abenddämmerung an jenem 18. Juni war tags darauf die große Rede des nunmehrigen Bundespräsidenten „Struggle for Democracy“ im nahe gelegenen Getty Center, die nur einen Tag später vollständig in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ abgedruckt wurde. Der die Rede einführende Moderator, Founding Director des Thomas Mann House, Steven Levine, konnte sich bei seinen dankenden Worten am Ende der Rede des Bundespräsidenten vor Ergriffenheit und Dankbarkeit nicht mehr der Tränen erwehren. Die Rede bewegte sich, auf dem Hintergrund von Thomas Manns politischer Biographie, in einem umfassenden transatlantischen Kreis. Dieser umfing Deutschlands und Amerikas Geschichte und Gegenwart im ununterbrochen fortgesetzten Kampf um das kostbare, aber immer wieder angefochtene Gut der freiheitlichen Demokratie. Dadurch, dass Deutschland nach der Katastrophe des Nationalsozialismus vor allem den USA den erstmalig gelungenen Aufbau einer bisher stabil gebliebenen Demokratie zu verdanken hatte, seien, wie der deutsche Bundespräsident bekräftigte, heute beide Partner des zunehmend in Frage gestellten transatlantischen Bündnisses zu dessen Aufrechterhaltung verpflichtet. Dabei verschwieg der Bundespräsident nicht die sich heute zunehmend aufbauenden Hürden in den USA und die ebenfalls sich gefährlich breitmachenden nationalistischen Tendenzen in Ost- und Westeuropa. Wobei er diese politischen und sozialen Hürden auch in den Zusammenhang mit den schwindelerregend raschen und zu einem zunehmenden Risiko ausufernden technologischen Entwicklungen im Zeitalter der Algorithmen und der künstlichen Intelligenz zu stellen wusste.

Jetzt im Rückblick wird mir in dieser Rede noch ein weiteres, spezifisch europäisch-deutsches Motiv des früheren Außenministers für den Erwerb und die neue Nutzung dieses „Weißen Hauses des Exils“ klar. Dieses Projekt war auch eine richtungsweisende Reaktion auf die besorgniserregende Tendenz in vielen europäischen Ländern und insbesondere auch in Deutschland gewesen, sich zur Zeit des überwältigenden Flüchtlingszuzugs gegen allzu starke Migrationsbewegungen aus dem nahöstlichen Kriegsgebiet und aus Afrika abzuschotten und so den globalen solidarischen Zusammenhalt der Menschen untereinander als Kriterium für eine wirklich funktionierende Demokratie zu gefährden. Von einem transatlantischen Dialog gerade in dem Haus, in dem in und nach dem Krieg so leidenschaftlich für Demokratie gekämpft worden war, sollte eine symbolische Signalwirkung ausgehen. Dieser Vorstoß schien mir getragen zu sein von dem Wunsch, den jetzt zum ersten Mal nach dem Krieg und besonders nach dem großen Sieg der Demokratie durch den Mauerfall 1989 ins Wanken geratenden europäischen Demokratien den Rücken zu stärken gegen gefährliche Rückfälle in einen primitiven nationalistischen und sogar rassistischen Populismus. Schien dieser Ungeist doch nach der jahrzehntelangen Festigung eines demokratischen Bewusstseins und Handelns im Nachkriegs-Europa eigentlich überwunden zu sein. Das lange mit Mühe Erkaufte wollte man nicht wieder an ewig gestrig bleibende Kräfte verlieren.

Ich konnte diese Gedankengänge sehr gut nachfühlen. Hatte ich mich doch erst im Alter von knapp 25 langsam aus der Schweiz zu einem Universitätsstudium in München vorgewagt. Der dortige Anfang in dem politisch noch ganz christlich-liberal geprägten Deutschland war für mich noch nicht wirklich zufriedenstellend gewesen. Die Luft, wahrscheinlich besonders in Bayern, war voller Nachkriegs-Tabus, die Stadt wirkte grau und die Menschen in ihren grünen Lodenmänteln kamen mir oft auffallend verhalten vor. Der Bau des Münchner U-Bahnnetzes und des Olympia-Geländes für die Olympiade 1972 wirkte wie ein neuer Funke Leben, durch den München Jahrzehnte aufzuholen schien. Auch der bald aus den USA nach Europa schwappende, „Achtundsechzigerbewegung“ genannte, erste politische Aufstand der jungen Generation ließ in Deutschland nicht lange auf sich warten – ziemlich zeitgleich mit dem Experiment des „demokratischen Sozialismus“ Alexander Dubceks in Prag bis zu dessen Niederwerfung durch die Truppen des Warschauer Pakts. Diesen Ereignissen auf dem Fuße folgte 1969 die langersehnte Ablösung der die deutsche Vergangenheit viel zu zögerlich aufarbeitenden Regierungen Adenauers, Erhards und Kiesingers durch Willy Brandts sozialliberale Koalition. Ein für mich besonders bewegender Augenblick war, nur ein Jahr nach dem Beginn von Brandts Kanzlerschaft, dessen Kniefall vor dem Mahnmal in Warschau als Geste der Demut und der Bitte um Vergebung. Das wichtigste Ereignis war dann der keine 20 Jahre später folgende Fall der Berliner Mauer zwischen West- und Osteuropa und das Ende des sowjetischen Machtimperiums. Mit der Auflösung des DDR-Unrechtsstaates und mit der lange in unerreichbarer Ferne scheinenden deutschen Wiedervereinigung konnte endlich mit einem Friedensvertrag 45 Jahre nach Kriegsende ein deutlicher Schlussstrich unter die Nachkriegszeit gezogen werden. Auch wenn das Ende des Sowjetimperiums auch die wesentliche Voraussetzung gewesen war für die Änderung des gesamtdeutschen Status, so war es doch maßgeblich das Volk der DDR gewesen, welches mit seinem beharrlichen und mutigen Auftreten bei den „Montagsdemonstrationen“ in Leipzig das Ende des kommunistischen Regimes wesentlich mit herbeigeführt hatte. Für mich war dies der handfeste und eindrücklichste Beweis für die bestandene Reifeprüfung der Deutschen in Bezug auf demokratisches Verhalten und demokratische Gesinnung. Was für ein gewaltiger Sprung vom herdentriebartigen Mitläufertum und der politischen Unmündigkeit der Bürger vor und auch noch eine ganze Weile nach 1945. Diese Festigung des demokratischen Bewusstseins in der west- und der ostdeutschen Bevölkerung lösten meine letzten politischen Vorbehalte gegenüber Deutschland auf.

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