Читать книгу Democracy will win - Frido Mann - Страница 7

Wegweiser

Оглавление

In einer Zeit, in der die Tiefschläge gegen unsere westlichen Demokratien ein beängstigendes Ausmaß angenommen haben, mag die apodiktische Prognose „Democracy will win“ entweder naiv oder provokativ klingen. Ich habe mich mit dem Titel des vorliegenden Buchs für die provokative Version entschieden. Diese, die weiß, dass Demokratie die anfechtbarste und brüchigste Gesellschaftsform ist, aber zugleich auch diejenige, ohne die unsere heutige Zivilisation nicht überleben kann.

Diese unbedingte Forderung entspricht nicht zuletzt auch der Haltung Thomas Manns, als er 1938 nach der Niederschrift seiner Ansprache an die Amerikaner The Coming Victory of Democracy bei einem Filminterview während einer seiner letzten Atlantiküberquerungen vor der Übersiedlung in die USA genau diese drei Worte laut und unerbittlich vorbrachte: Democracy will win. Thomas Mann war während seines ganzen amerikanischen Exils bis ein knappes Jahr vor Kriegsende, nämlich bis zur Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944, alles andere als sicher, ob ein Sieg über Nazideutschland gelingen werde. Er bangte und litt immer wieder unter der grauenvollen Vorstellung eines Nazis-Sieges. Nur zweieinhalb Jahre nach Kriegsende allerdings begannen ihm und den Seinen die Schrecknisse der McCarthy-Ära in den USA so bedrängend zuzusetzen, dass unsere ganze Familie im Lauf weniger Jahre unserer neugewonnenen amerikanischen Heimat den Rücken kehrte und wieder nach Europa übersiedelte.

Im November 2016 hielt ein prekäres transatlantisches Ereignis die Welt in Atem. Eine östliche Großmacht in Stalins Gefolgschaft nutzte die sich zuspitzende Krise der US-amerikanischen Demokratie aus und manövrierte vermutlich mittels digitaler Wahlmanipulationen von außen einen hochgefährlichen, demagogischen Narzissten auf den US-amerikanischen Präsidentenstuhl, was das westliche Bündnis und dessen demokratisches System noch weiter aushöhlen sollte. Ganz kurz danach erwarb, als positives Gegengewicht, die deutsche Bundesregierung auf Initiative des damaligen Außenministers und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier mein früheres Großelternhaus in Kalifornien, das „Weiße Haus des Exils“, wie er es nannte. Dieses wurde als bleibendes Wahrzeichen für Humanismus und Demokratie zu einem transatlantischen Dialogzentrum und einem Ort des Beharrens gegen die neue, zunehmend faschistoide Washingtoner Administration umgewidmet. Wer in irgendeiner Weise Thomas Manns humanistischem und politischem Vermächtnis weiter nachkommen wollte, wusste, was zu tun war, um mit allen Kräften gemeinsam unsere Demokratie zu verteidigen. Das Leben in unserer Welt hat sich seit meiner Kindheit in den USA zwar drastisch verändert. Der Ruf nach einem demokratischen Miteinander in unserer nicht nur in den USA, sondern heute weltweit gefährdeten Situation bleibt, sogar dringender denn je, bestehen.

In diesem Buch beschäftige ich mich mit den verschiedenen individuellen und gesellschaftlichen Aspekten der immer noch sehr jungen und noch nicht ausreichend gefestigten Demokratie auf dem europäischen Festland sowie mit der zwar historisch bewährteren, aber immer dringender reformbedürftigen Demokratie der Vereinigten Staaten von Amerika. Vor diesem Hintergrund will ich die Rolle der verschiedenen verbalen wie auch nichtverbalen Formen des zwischenmenschlichen Dialogs auf der Basis menschlicher Grundwerte als Weg zu einer Festigung unserer demokratischen Systeme aufzeigen.

Eine exemplarische Analyse der Höhen und Tiefen meiner Lecture Tour durch zwölf Städte der USA und Kanadas from Coast to Coast im Jahr 2019, rund ein Jahr nach der Wiedereröffnung des Thomas Mann House, zeigt ein konkretes Bild vom gegenwärtigen Stand der US-amerikanischen Demokratie. Ziel meiner Vortragsreise war es, meine amerikanischen Mitbürger in ihrem inzwischen politisch polarisierten und zerrissenen Land an die verloren gehenden, von ihren Vätern leidenschaftlich verteidigten und 1787 in ihrer Verfassung verankerten Ideale Freiheit und Gleichheit zu erinnern und sie zu einem dialogischen Wiederzusammenfinden zu ermutigen. Das wichtigste Ergebnis meines Austauschs mit amerikanischen sowie bald danach mit deutschen Gesprächspartnern, zuerst in vivo und nach Ausbruch der Pandemie dann digital, war die Bestätigung der Erkenntnis, dass eine offene, herrschaftsfreie und pluralistische Demokratie das dem modernen Menschenbild am meisten entsprechende politische Instrumentarium ist für den immerwährenden Kampf um die Unversehrtheit der Würde des Menschen und um die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der beiden ersten Artikel des deutschen Grundgesetzes und dass der Kern einer jeden zukunftsorientierten, sich immer wieder erneuernden Demokratie der im werteorientierten Miteinander gelebte Dialog ist.

Meine wichtigsten Gesprächspartner sowohl in den USA als auch in Europa waren Vertreter der nachwachsenden Generation von Schülern und Studenten in Universitäten, Gymnasien, Colleges und Highschools.

Die mich zur Umstellung auf den digitalen Dialog zwingende Pandemie von Covid-19 erweist sich als grundlegende Herausforderung für das Zusammenleben der Menschen bis hin zu den Prinzipien unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Denn gerade beim Bemühen um die Überwindung der hereingebrochenen Katastrophe zeigt sich, dass die Erhaltung bürgerlicher Autonomie immer einhergehen muss mit der Wahrung einer gemeinsamen Verantwortung und Achtung voreinander im Sinn einer Balance zwischen Freiheit und Gleichheit. Die Krisensituation schuf neue Notwendigkeiten, einen neuen Imperativ. Unmittelbar richtet er sich gegen die Seuche selbst, indirekt aber auch gegen Rückfälle in die Unmenschlichkeit populistisch, nationalistisch, rassistisch verengter Gesinnungen. An deren Stelle tritt die tätige Solidarität und eine oft berührende Mitmenschlichkeit gegenüber Kranken, Alten und Schwachen – ein wesentliches Merkmal einer offenen Demokratie. Trotzdem scheiden sich im Ausnahmezustand die Geister. Es zeigt sich selbst in dieser völlig neuartigen Situation, dass immer noch zu viele Menschen das Unglück anderer für sich ausnutzen oder durch verantwortungslos leichtsinniges Benehmen ihre Mitmenschen und sich selbst gefährden. Außerdem hat inzwischen vor allem die zweite und dritte Welle der Pandemie generell das soziale Konfliktpotential vergrößert und die Gewaltbereitschaft erhöht und, besonders in den USA, die Armut in der Bevölkerung drastisch ansteigen lassen.

Alles in allem scheint der durch die Pandemie erzwungene Wandel aber zu einem grundlegenden positiven Bewusstseinssprung zu führen, der unser Leben, vor allem unser Konsumverhalten, unser Umweltbewusstsein und unser Sozialverhalten global auf lange Sicht verwandeln könnte und dies auf lange Sicht auch muss. Sogar in den USA hat inzwischen immerhin eine Mehrheit den gesundheits-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen und vor allem moralischen Bankrott der sie die letzten vier Jahre regierenden, antidemokratischen Oligarchen-Partei durchschaut. Deswegen dürfen wir jetzt nach der letzten, in der Tat befreienden und Anlass zu neuer Hoffnung gebenden US-amerikanischen Präsidentschaftswahl vom 3. November 2020 wenigstens davon träumen, dass uns diese vielleicht doch den Beginn eines post-populistischen Zeitalters beschert und dass nicht nur Amerikas Demokratie, sondern auch die westlichen Gesellschaften insgesamt diese Bewährungsprobe bestehen.

Dies alles macht deutlich, dass Demokratie nie ist. Demokratie wird („will win“). Sie entwickelt sich nicht einmal linear von einem ist-Punkt zum nächsten. Sie nimmt vielmehr als ein sich zunehmend verdichtendes Netz zusammenlaufender, sämtliche Bereiche von Wirtschaft, Kultur und Recht miteinander verknüpfender Fäden Gestalt an. Dieser Prozess besteht in der letztlich unvorhersehbaren Realisierung bereitliegender Möglichkeiten. Die äußeren Faktoren für deren Umsetzung sind mit einer gewissen Eigendynamik sich herausbildende, komplexe Vorgaben wie Gesetze, Fakten, Ereignisse. Der innere Motor jedoch ist das Handeln ihrer mit Willensfreiheit ausgestatteten Menschen.

Deshalb stelle ich in diesem Buch einige in die Zukunft weisende Erneuerungsansätze der Demokratie vor, beispielsweise das aus Harvard stammende Modell einer „High Energy Democracy“ genannten neuartigen Verbindung aus parlamentarisch repräsentativer und direkter Demokratie im digitalen Zeitalter. Auch werden die entwicklungsgeschichtlichen Grundlagen unserer Willensfreiheit, unserer Dialogfähigkeit und damit auch unserer Demokratie im Kontext des neuen Welt- und Menschenbildes diskutiert, welches der Indeterminismus der modernen Quantentheorie nahelegt.

Demokratie heißt nichts anderes, als Menschsein und Menschenwürde möglich zu machen. Diese wiederum hat nur Bestand, wenn wir uns in unserer politisch, ökologisch und jetzt auch noch pandemisch hoch gefährdeten Welt rückhaltlos und gemeinsam darum bemühen, die meistens bei uns selbst liegenden Gründe für diese Gefahren schonungslos aufzudecken. Wir müssen von gemeinsamer Verantwortung getragene Visionen und innere Bilder dagegen entwickeln und mit allen uns zur Verfügung stehenden kulturellen, wissenschaftlichen und realpolitischen Mitteln den Gefahren für die Demokratie wirkungsvoll die Stirn bieten, gleich ob es sich um Rassismus, Krieg und Gewalt oder verantwortungsloses klima- und umweltschädigendes Verhalten handelt.

Und noch etwas Fundamentales zur Abrundung. Alle diese überlebenswichtigen Forderungen in der Demokatiewerdung lassen sich überall in den verschiedensten Entwicklungsstadien unserer Demokratien nur dann realisieren, wenn die Basis dafür geschaffen ist. Und diese Basis besteht in der Erziehung und Schulung zur Demokratie bereits ab dem frühesten Kindesalter. Nicht erst in den weiterführenden Schulen oder Hochschulen. Nein. Demokratisches Bewusstsein greift nur dann nachhaltig, gewissermaßen subkortikal, wenn dieses Bewusstsein bereits im frühesten Grundschulalter lehrplanmäßig flächendeckend institutionalisiert und internalisiert wird. Und zwar nicht nur mit einer im Frontalunterricht vermittelten Belehrung darüber, was Demokratie ist und wozu sie gut ist, sondern in der systematischen praktischen Übung und der Motivation dazu, freie Entscheidungen selbstständig und doch auch im dialogischen Miteinander aller zu treffen und sie in vivo und digital im Sinne effizienter Mitbestimmung und Mitgestaltung des Unterrichts und des Alltags aktiv umzusetzen.

Democracy will win

Подняться наверх