Читать книгу No such Future - Friederike Müller-Friemauth - Страница 27
Fallrückzieher
ОглавлениеGenaueres über die Kreativen? Erfährt man in dieser Trendreportage nicht. Weder soziodemographische Essentials (Alter, Einkommen, Bildung und so weiter) noch einschlägige Besonderheiten. Außer: Dass sie irrwitzig kreativ sind.
Das Besondere an den Kreativen
Diese unkonventionellen Köpfe, Visionäre und Querdenker leben in einer eigenen Sphäre des Grübelns und Arbeitens. Sie produzieren Dinge, die das Dasein einfach besser machen. Genau deshalb sind sie eine Bereicherung für die Gesellschaft: Durch ihre Vorstellungskraft und Inspiration geben sie Orientierung in einer sich rasant verändernden Welt – und Anstöße für lukrative Projekte. Diese Möglichmacher, Hindernisabbauer, Durchsetzungshelfer, Zweifelzerstreuer und Risikoeingeher stehen durchweg für die positiven Qualitäten des Wandels. Sie haben es geschafft, Eigenschaften der nicht immer angenehmen neuen Arbeitswelt, wie Beschleunigung, Zwang zur Originalität, Anpassung, hohe Mobilität, Effizienzorientierung und so weiter, umzumünzen, zu nutzen, etwas daraus zu machen. Und zwar etwas wirtschaftlich Verwertbares.
»Die gerne beschworene Wissensgesellschaft ist nur dann wirtschaftlich erfolgreich, wenn das im Überfluss vorhandene Wissen in Geschäftsideen umgewandelt und ökonomisch genutzt wird. Nur mit Innovationen, die genau diese Kreativität hervorbringt, mit dem Schaffen von neuen Produkten, neuen Verfahren, neuen Märkten und Organisationsformen werden wir einen Weg aus der Krise finden und einen neuen Aufschwung erleben. […] meines Erachtens ist […] die wesentliche Frage, wie man Menschen dazu bringt, ihre Talente zu entwickeln und sie ökonomisch zu nutzen.«22
»Sie können ruhig etwas lauter nicken!«
UDO LATTEK
Aber auch Kreativitionisten brauchen offensichtlich einen Schubs23, um ihre Talente »richtig«, das heißt wirtschaftlich nutzbar zu entfalten. Dann aber bringen diese Pioniere-Nach-Vorn uns alle voran. Richard Florida betreibt also ein sehr spezielles Erwartungsmanagement: Er will den Menschen fürsorglich in den verlängerten Rücken treten24, damit sie – in Freiheit – ihr kreatives Potenzial auch abrufen. Im Sinne der individuell-gemeinschaftlichen Maxime: »Jeder (kreativ) für sich – und Gott für alle!«
Kreativität ist immer und überall
Damit das auch klappt, wird das Verständnis von »Kreativität« maximal entgrenzt. Es geht nicht mehr nur um die Tätigkeiten von Künstlern, Architekten und Designern, sondern genauso um die Praktiken von Internet-Jobbern, Städtebau-Planern und Unternehmensberatern. Demzufolge ist die Liste der Branchen und Organisationen, die sich auf die Kreative Klasse einschießen, entsprechend lang und, wo sich die Kreativlinge austoben, beziehungsweise ausbeutbar einbringen dürfen, beachtlich:
∎ Universitäten, Agenturen, Lifestyle- und Medienunternehmen, Tourismusorganisationen oder Exportfirmen wollen mit den Kreativen zu Wachstumsmotoren werden und präsentieren sich als Brutstätten für Ideenproduzenten.
∎ Städte und Kommunen wetteifern darum, für Kreative attraktiv zu sein, profilieren dementsprechend ihr Gemeinde- und Stadt-Marketing und versuchen, sich zu Marken zu entwickeln. (Inoffizieller Benchmark in Deutschland: Arm, aber sexy!)
∎ Management- und Personalentwicklungs-Leitlinien werden umgearbeitet, um die »Normalisierung« von Kreativität zu fördern.
∎ Das Kreativitätsvokabular spiegelt sich schon seit Langem in den Ausschreibungen der Stellenmärkte, die teilweise ganz neue Berufsbilder entwerfen.
∎ Diverse Schul-, Bildungsprogramme und Uni-Studiengänge versuchen sich an der Förderung von Kreativität.
Stellt sich nur die Frage, was nicht als kreative Tätigkeit angesehen werden sollte. Zwischen Arbeit, Kunst und Wirtschaft verschwimmen die Unterschiede. Und der Unternehmer? Mutiert vom Entrepreneur über den Freepreneur zum Culturepreneur, der finanzwirtschaftliche Disziplin mit der freiheitlichen Kunst des kreativ-kulturellen Denkens verbindet.25