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Branchen-Kodex

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Damit nun aber niemand auf die Idee kommt, des Trendreporters neue Kleider zu bemäkeln, gilt in der Zunft ein Branchen-Kodex. Stillschweigend, aber effektiv. Auf dessen Grundlage das Spielfeld mitunter beinhart verteidigt wird.

Die Mechanismen im Einzelnen:

∎ Radikaler Ausschluss von Spielverderbern.

Akteure, die nicht für mannschaftsdienliches Verhalten, sondern für unkonventionelle Attacken bekannt sind, müssen nicht lange auf die Rote Karte warten – sie werden erst gar nicht auf den Platz gelassen. Das betrifft alle Spieler der Vereine FC Zaudern, VfB Zweifel oder VfL Nestbeschmutzung.29

∎ Konsequent zirkuläre Spielweise.

Beim Konstruieren von Trends geht es zu wie ehedem beim Schalker Kreisel: Der Ball wird so in der Runde gespielt, dass keine Möglichkeit besteht reinzugrätschen. Kritikaster kommen immer zu spät. Der Trend bestätigt sich selbst und die Zukunft kommt da raus, wo sie angestoßen wurde. Logik-Experten nennen so etwas Zirkelschluss.

Der Kodex am Beispiel

Beispiel Kreative Klasse: Wer versucht nachzufragen, wie denn um alles in der Welt ganz Deutschland durch eine Handvoll digitaler Berliner Nerds zum Kreativsein angeschubst werden soll, dem wird entgegengehalten, dass laut Trendvoraussetzung eben jeder schöpferisch sei und somit flächendeckender Einfallsreichtum überhaupt kein Problem darstelle! Wenn alle kreativ sind, sind alle »Ent-Äußerungen« per se ideenreiche Handlungen. Wenn alle Tätigkeiten fantasievolle Akte sind, sind alle, die »irgendwas« machen, Kreative. Gut: Wer lebt, atmet. Handelt also irgendwie. Weshalb gilt: Das Kreative ist immer und überall. Und wer jetzt noch einzuwenden wagt, dass – ähnlich wie bei den Yetis – eigentlich noch nie ein konkretes Beispiel für die Kreative Klasse gesichtet worden sei, dem wird mit entwaffnender Chuzpe entgegengehalten: »Doch! Wir, die Verkünder der Trendreportage!« Und wer wollte da widersprechen?

∎ Anderen das eigene Spiel aufzwingen.

Vertreter der Trendreportage heißen in angelsächsischen Spielberichten Humpty Dumpty; in deutschen Goggelmoggel. Sie »wissen« oder besser: Sie bestimmen, was WAS ist.30

Beispiel Kreative Klasse: Kreativität ist – laut Trendreportierenden – im Grunde alles! Auch was Freiheit, Sinn und Erfolg bedeutet, wird entsprechend »eingerichtet«: Die Kreativen sind frei, wenn sie den »Schubs« bekommen haben. Aber eigentlich ist in der schönen neuen Wirtschaftswelt sowieso alles und jeder frei. Zwar können Konsumenten nur wählen, was sie nicht kaufen oder welchem Angebot sie sich verweigern wollen. Aber im marktradikal-(neo)liberalen Licht der Trendreporter ist jeder seines eigenen – freien – Erfolges Schmied.

Alle sind also dabei: Sowohl bei der Trendreportage als auch bei der Kreativen Klasse. Oder sind beide womöglich das Gleiche?

Wenn aber alle aufm Platz sind, kann es auch keine miesepetrigen Bankdrücker mehr geben, die das Trendspiel abwertend von außerhalb des Rasens kommentieren. Sieger, Loser, Aufstiegswillige und Frustrierte werden gleichermaßen angesprochen. Richard Floridas Zielgruppe scheint auf den ersten Blick nur aus Entscheidern, VIPs und dergleichen zu bestehen – gehobene Mittel- und Oberschicht also. Und selbstverständlich nehmen genau diese Gruppen die Trendreportagen durchaus wohlwollend zur Kenntnis: Sie bekommen die Zukunfts-Manifeste ja schließlich auf den Leib geschrieben! Doch deren Strahlkraft geht weit über diese Schicht hinaus.

»Das Tor kann er sich zu Hause übers Wohnzimmer hängen!«

JÖRG DAHLMANN

Die Erzählung über den Aufstieg der Kreativen Klasse erfüllt alle Kriterien eines klassischen Entwicklungsromans. Egal, wie mies die Gegenwart für die Protagonisten auch sein mag: Jeder kann einen Reifeprozess durchleben. Dazu muss die Person nur ihre Erlebnisse und Erfahrungen reflektieren – in einer wirtschaftlich produktiven Weise.

Gutmenschentum 2.0

Die, die oben sind, fühlen sich gebauchpinselt. Erfreut hören sie: »Wie und warum wir wurden, was wir sind.« Und die anderen? Träumen weiterhin das Märchen vom Tellerwäscher zum Slumdog Millionaire. Und das Allerbeste an diesem Urmythos: Die Elite nimmt als Status-Effekt aus dieser Story mit, dass sie als Trägerin und Haupt-Lobbyistin dieses Weltbildes für die unteren Schichten »etwas Gutes« tut! Die wiederum sehen Chancen, irgendwann tatsächlich mal dort oben anzukommen: Denn Kreativität, der Stoff, aus dem hier und jetzt, aber mehr noch morgen, die Welt gemacht wird, ist praktischerweise weder an Ort, Zeit noch an sonstige Bedingtheiten gebunden. Soziale Durchlässigkeit gilt also in jede Richtung – auch nach unten: Das Kreative durchdringt und übersteigt die gemeine Wirklichkeit und soll doch ganz realen persönlichen Erfolg bewirken können. Märchenhaft.

No such Future

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