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Kumpanei

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Am nächsten Morgen sprang Beo bestens gelaunt aus dem Bett. An diesem Tag gab es gleich zwei Gründe für ihn, sich zu freuen: Zum einen herrschte draußen das Sonnenhoch ‚Beowulf’. Er betrachtete das herrliche Wetter als sein ganz persönliches. Natürlich durften auch die übrigen, insbesondere alle netten Zeitgenossen, daran teilhaben. Aber schließlich hieß nur er Bengt Ole - abgekürzt Beo - Wulf. Dabei war er sich durchaus bewusst, dass der Name des aktuellen Sonnenhochs sich nicht auf ihn, sondern auf den Protagonisten des gleichnamigen angelsächsischen Heldenepos bezog. Das konnte seine gute Stimmung aber nicht mindern.

Außerdem sollte heute auf der Baustelle auf dem Großen Markt ein ganz besonderer Stein eingebaut werden: das ‚Tympanon’, ein geschmücktes Giebelfeld über dem Türsturz, unter dem sich später die Eingangstür zum Turm befinden würde.

Beo hatte die Auseinandersetzungen über den Sinn oder Unsinn einer nachgebauten Gotikfassade von Anfang an mit Interesse verfolgt. In Wesel gab es zwei diametrale Lager: eines, das den Wiederaufbau eines verloren gegangenen Baudenkmals grundsätzlich ablehnte mit der Begründung: ‚Was kaputt ist, ist kaputt! Und durch einen Wiederaufbau kann nichts wirklich Neues entstehen’. Die Anhänger des anderen Lagers sehnten sich nach einem Stückchen sichtbarer Geschichte in ihrer Heimatstadt, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges fast völlig zerstört worden war. Später, beim Wiederaufbau der Innenstadt nach dem Krieg, hatten - mit Ausnahme des Willibrordi-Doms - mehr pragmatische Aspekte im Vordergrund gestanden.

Beo und Enna fanden den ganzen Großen Markt nicht besonders attraktiv; vor allem störten sie die deutlichen Stilunterschiede zwischen dem spätgotischen Dom und der modernen Glasfassade der gegenüberliegenden Bank. Auch die einheitlich gestaltete Trapp-Zeile auf der einen und die ziemlich heterogene Häuserreihe auf der anderen Längsseite des Platzes passten ihrer Ansicht nach nicht recht zusammen. Beo und Enna konnten sich deshalb die Rekonstruktion der spätgotisch-flämischen Rathaus-Fassade als Blickfang sehr gut vorstellen. Und sie hatten mit einem kleinen Beitrag – im Rahmen ihrer Möglichkeiten - zur Realisierung des Projektes beigetragen. Damit befanden sie sich in guter Gesellschaft mit vielen Gleichgesinnten; unter ihnen auch einige Prominente wie Hanns Dieter Hüsch, Günther Jauch oder der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck.

Bei der Grundsteinlegung war Beo auch dabei gewesen. Und seit dem Baubeginn hatte er sich regelmäßig über den Fortgang der Baumaßnahmen informiert. Ihn faszinierte auch der große Kran, mit dem die einzelnen vorbearbeiteten Steine millimetergenau von oben zwischen der Hausfassade und dem Baugerüst an ihren Bestimmungsort bugsiert wurden; per Funk-Fernsteuerung vom Gerüst aus. Bei einem seiner Besuche hatte er von dem Polier erfahren, dass der verwendete Sandstein aus der Eifel sehr empfindlich sei, und dass vor allem die Kanten und vorspringenden Teile leicht beschädigt werden konnten.

Heute war also das Tympanon an der Reihe, der erste große Schmuckstein in der allmählich wieder erstehenden Rathausfassade. Er sah aus wie ein flacher Giebel. In der Mitte war eine Schriftrolle eingearbeitet, auf der ‚RENOVAT ANNO 1740’ zu lesen war, die also auf eine Renovierung der ursprünglichen Fassade im Jahre 1740 hinwies.

Es dauerte einige Zeit, bis der schwere Stein genau an der richtigen Stelle saß. Der natürlich anwesende Dombaumeister stellte schließlich fest: „Sitzt, passt, wackelt und hat Luft!“, und ein rundes Dutzend Zuschauerinnen und Zuschauer applaudierte.

Beo machte später noch ein paar Fotos für seine Sammlung. Die übrigen Besucher waren inzwischen verschwunden. Auch die Arbeiter waren jetzt nicht mehr zu sehen. Dann setzte sich plötzlich der Kran in Bewegung. Der Haken, an dem kurz vorher noch der Schmuckstein gehangen hatte, wurde langsam nach oben gezogen. Danach war es wieder still.

Beo glaubte nicht an Geister oder Heinzelmännchen. Das konnte nur einer der Arbeiter sein, der sich irgendwo versteckte. Aber warum? Beo wusste es nicht. Er schoss noch ein letztes Foto von der menschenleeren Baustelle und machte sich dann wieder auf den Heimweg.

Kling Glöckchen

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