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Die Orientierung des Gebets und des liturgischen Raumes

Renaissance der „Ostung“?

Eine grundlegende Kategorie, die in der momentanen Diskussion häufiger auftaucht, ist die der Richtung des Kirchenraumes. Zuweilen wird für den liturgischen Raum erneut eine „Ostung“ verlangt. Worum geht es dabei?

Die Richtung des Gebets im Kosmos

Zunächst einmal kannten die frühen Christen keine Ostung des Raumes, sondern vielmehr eine des Gebetes. Sie richteten sich beim Gebet nach der aufgehenden Sonne aus, da die Wiederkunft Christi aus dem Osten, dem imaginären Ort des verlorenen Paradieses, erwartet wurde. Vermutlich nahmen sie damit eine Tradition des antiken Judentums auf, das die Ausrichtung des Gebetes nach Osten oder aber nach Jerusalem kannte, sodass sich im zweiten Fall die Himmelsrichtung entsprechend der geografischen Lage der Betenden änderte. Bald wendete sich das Judentum – auch in Abgrenzung zum sich etablierenden Christentum – nur noch nach Jerusalem. Der Islam nahm die Gebetsorientierung der Juden auf und wandelte sie später in eine Ausrichtung des Gebets nach Mekka ab.

Die Ostung christlichen Betens drückt auch die Überzeugung aus, dass sich ein „Sitz“ Gottes auf der Erde nicht lokalisieren lässt, dass es also letztlich um eine innere Haltung und Gottesbeziehung geht, die sich aber an grundlegenden kosmischen Erfahrungen festmacht.

Die Ostung des Gebets im Kirchenraum

Diese Gebetsrichtung wurde bei der Errichtung fester Kirchen nach der Konstantinischen Wende übernommen, ohne dass dies automatisch zu einer Ostung der Apsis führte. Während sich die Apsis in der Ostkirche anscheinend von Anfang an immer auf der Ostseite des liturgischen Raumes befand, konnte sie innerhalb der westlichen Liturgie, zumindest in den frühen Basiliken Roms, auch an deren Westseite platziert sein, sodass sich die Türen nach Osten zur aufgehenden Sonne hin öffneten. Normierend blieb aber in beiden Reichsteilen die Ostung des Gebets, sodass sich die Gemeinde gegebenenfalls zum Gebet in Richtung Osten drehte. Je nach Stellung des Altars und des Priesters konnten dann Priester und Gemeinde sogar einander den Rücken zuwenden, während sie ansonsten einander zugewandt waren. Zeugnis dieser Gebetsrichtung ist z. B. der Ruf des Augustinus am Ende von Predigten: „Conversi ad Dominum“ – „Wendet euch um zum Herrn“. Und in Eucharistiegebeten der koptischen und äthiopischen Liturgie gibt es den Zuruf des Diakons: „Blickt nach Osten!“

Die Ostung des Kirchenraumes

Erst mit der Wende zum 5. Jahrhundert übernahm der Westen das östliche Raumkonzept, denn nur so konnte man die Ausrichtung des Gebets in Übereinstimmung bringen mit der auf den Altar, der zunehmend zum Zentrum des Raumes wurde. Dennoch war die Ostung von Kirchen im Westen nie festes Gesetz, und mit der exakten Richtung nahm man es bisweilen nicht so genau. Andererseits hatte eine Ostung für mittelalterliche Kirchen den Vorteil, dass diese zur Zeit der morgendlichen Gottesdienste das beste Licht durch die großen, gotischen Glasfenster erhielten und nicht künstlich beleuchtet werden mussten.

Zunehmend dominierte die Ausrichtung des liturgischen Raumes auf den Altar. Doch selbst diese verlor allmählich an Bedeutung: Spätmittelalterliche Bilder zeigen z. B. Vornehme in ihrem Kirchengestühl, das nicht auf den Altar, sondern auf ein gestiftetes Bild hin orientiert war. Die Auflösung der Gerichtetheit bezeugen auch die als architektonisches Ideal verstandenen Zentralbauten der Renaissance in Italien, selbst wenn die Liturgie an einem geosteten Hochaltar gefeiert wurde. Erst in nachtridentinischer Zeit wurde das kleingliedrige Raumverständnis, das die Kirchen des Hochmittelalters mit ihren vielen Seitenaltären und -kapellen bestimmt hatte, durch neue Ansätze eines Einheitsraums abgelöst. In der Neuzeit kam der Tabernakel auf dem Hochaltar als Ziel der Ausrichtung hinzu – durchgehend umgesetzt wurde dieses Konzept aber erst im 19. Jahrhundert.

Spätestens mit der sich endgültig durchgesetzten Erkenntnis, dass die Erde keine Scheibe mit klaren Richtungen, sondern eine sich drehende Kugel ist, bildeten die Ostung wie die zugrunde liegende endzeitliche Vorstellung (Erwartung des wiederkehrenden Christus) keine wesentlichen Kriterien mehr. Für die Gemeinde wurde in der Eucharistiefeier letztlich die Erfahrung bestimmend, dass der Priester ihr den Rücken zukehrte und sich nur für wenige Rufe zu ihr umwandte.

Die Frage der Richtung nach dem Konzil

Nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde die Frage der Ostung im Zusammenhang mit der Stellung des Priesters am Altar intensiv diskutiert, angetrieben durch die Frage, wie die Zelebrationsrichtung mit der Forderung des Konzils nach tätiger Teilnahme der Gläubigen in Übereinstimmung gebracht werden konnte. Dabei wurde aus heutiger Sicht so mancher textliche und archäologische Befund in einer von den jeweiligen Interessen geleiteten Weise interpretiert. Letztlich ist der historische Befund im Westen zu vielfältig und wird eine anscheinend „eindeutige Aussage“ über die Ausrichtung des Raumes und der Zelebrationsrichtung den vielfältigen Raumstrukturen nicht gerecht.

Wichtiger als der nie gänzlich abgebrochene Streit um die historischen Quellen und Fakten ist wohl, dass die Forderung nach der aktiven Teilnahme aller an der Liturgie fast wie von selbst zur einer veränderten Stellung des Zelebranten am Altar führte. Die „Allgemeine Einführung ins Messbuch“ fordert daher in Nr. 262 vom Altar, dass man „ihn ohne Schwierigkeiten umschreiten und an ihm, der Gemeinde zugewandt, die Messe feiern kann“. Letztlich muss die Liturgie selbst erkennen lassen, dass die versammelte Gemeinde den erhöhten Herrn im Geist in ihrer Mitte gegenwärtig weiß, ihm in Wort und Sakrament begegnet und sich so gestärkt weiß auf dem Weg in die noch ausstehende Vollendung.

Diese Offenheit auf den Herrn hin kann sicher zusätzlich durch eine entsprechende architektonische Gestaltung sowie ein angemessenes liturgisches Verhalten – besonders des Zelebranten – ausgedrückt und erfahrbar werden. Eine bloße Wiedereinführung der „Ostung“ des Raumes würde aber der Welterfahrung der Menschen unserer Zeit nicht gerecht. Für uns heute haben die Himmelsrichtungen im täglichen Erleben keine tiefere symbolische Bedeutung mehr und können deshalb nicht mehr die Grundlage bilden, um auszudrücken, dass wir im Gottesdienst nicht uns selbst feiern, sondern die Begegnung mit Gott suchen. Diese Begegnung können wir nicht selbst „erwirken“, sondern sie wird uns allein geschenkt. Die Liturgie kann sich weder ihrer eigenen Geschichtlichkeit noch der veränderten kosmischen Weltsicht entziehen.

Dem Gottesdienst Raum geben

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