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Arbeitsforschung im Zeitalter der Mikroelektronik

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Zum Bezug von Arbeitsforschung

Ungefähr 70 Prozent aller Arbeitsplätze sind in den späten 1980er Jahren schon irgendwie von Mikroelektronik betroffen. Daher ist es für Überlegungen zur Aufgabe von Arbeitspsychologie notwendig, die dadurch hervorgerufenen Veränderungen in den Arbeitsbedingungen grundlegend einzubeziehen. Sie betreffen das Verhältnis der Menschen zur Maschine, zur Natur, zur Wissenschaft und damit zu sich selbst und zu anderen. Ich stelle als These auf, dass die mikroelektronische Produktionsweise die Arbeitspsychologie erstmals tatsächlich als psychologische Wissenschaft fordert.

Ich nähere mich dem Thema von der Seite, vom Studium der Arbeitswissenschaften im engeren Sinn. Diese haben durch die Umbrüche in der Produktion und im Dienstleistungssektor einen unerhörten Aufschwung erlebt. Auf dem Weltkongress für Bildschirmarbeit (1986 in Stockholm) konnte man vom Ausmaß der auf diesen Gebieten geleisteten Arbeit eine Ahnung erhalten. 300 Wissenschaftler aus 30 Ländern stellten hier die Ergebnisse umfangreicher und mit großem Forschungseinsatz betriebener Studien in Zahlen- und Datenreihen vor. Die Aufarbeitung solcher Forschungsergebnisse ist von unschätzbarem Wert für kritisches Lernen.

Die Studien zeigen nicht nur schon auf den ersten Blick (vgl. Knave u. Wiedebäck 1987), dass sie die Menschen als Reiz-Reaktions-Mechanismus auffassen; immerhin bringt selbst eine solche Betrachtungsweise brauchbare Informationen über die Schäden einseitiger Nutzung von Menschen als Arbeitskraft. Man kann darüber hinaus die notwendigen Dimensionen kritischer Arbeitspsychologie herausarbeiten, wenn man prüft, was in den ergonomischen Forschungen – etwa über die schädlichen Folgen der Bildschirmarbeit – fehlt. In der Logik der Wirkungen, die im Reiz-Reaktions-Modell vorausgesetzt ist, sind folgende – für eine Forschung mit und über arbeitende Menschen – unerlässliche Dimensionen ausgespart: der Mensch selbst als tätiges Wesen und seine Erfahrungen; seine Stellung im Arbeitsprozess; sein Verhältnis zum Arbeitsmittel (Computer) – bedient er ihn oder sich seiner; der Inhalt der Arbeit; die Arbeitsorganisation; die Stellung in der Gesamtaufgabe und natürlich der gesellschaftliche Kontext, in dem diese Aufgabe steht. Aus den Auslassungen ist in geradezu einfacher Ausfüllung erschließbar, wie Arbeitsforschung vorgehen müsste. Darüber hinaus offenbart das Studium solcher internationaler Forschung ein weiteres interessantes Phänomen: Im Fall der Bildschirmarbeit sind die gemeldeten Schäden beim Einsatz gleicher Arbeitsmittel national und geschlechtsspezifisch verschieden. Sie betreffen überwiegend Frauen.

In Australien geht eine plötzliche Lähmung der Arme um wie eine mittelalterliche Seuche. Diese die Frauen befallende Krankheit wurde zunächst Tendosinovitis genannt, später – allgemeiner – RSI – repetitive strain injury. Die Symptome sind eine oft Monate bis Jahre dauernde Lähmung der Arme; sie sind auf Australien beschränkt; ganze Heerscharen von Wissenschaftlern sind unterwegs, um Erklärungen zu finden. Die betroffenen Frauen haben die »Krankheit« in ihre Zeitrechnung aufgenommen: »Das war, bevor ich RSI hatte …«. Anders in Schweden: Hier werden Fehlgeburten und Missbildungen diskutiert; aus anderen Ländern wird von Hautallergien berichtet. In Finnland scheinen die Augen am meisten betroffen. Auch Schultern und Nacken zeigen sich als Austragungsorte von Unverträglichkeiten. Es wäre sicher von Bedeutung, die methodischen Voraussetzungen kritisch zu überprüfen, die solchen Ergebnissen zugrunde liegen. – So kann man z. B. in einer weiteren Studie zu den Folgen von Bildschirmarbeit aus Schweden lesen, dass die Häufigkeit der Fehlgeburten, deren Veröffentlichung die schwedische Diskussion alarmiert hat, weniger der Bildschirmarbeit als der Berufstätigkeit von Frauen überhaupt geschuldet sei. – Ich möchte an dieser Stelle eine andere Dimension hervorheben und vorschlagen, diese unterschiedlichen Ergebnisse, die nationalkulturellen Verschiedenheiten in der Austragung eines gleichartigen Wechsels in den Arbeitsbedingungen selbst als praktische und aufklärende Kritik an der herkömmlichen Arbeitswissenschaft zu fassen. Die Ergebnisse zwingen dazu, über den ergonomischen Ansatz hinauszugehen und Bildschirmarbeit – und so alle Arbeitstätigkeit – als gesellschaftliche Frage zu erforschen und dabei die Dimensionen der Kultur und des Geschlechts in die Forschung aufzunehmen.

Unsere Forschungsfrage im solcherart vorgegebenen Feld (Bildschirmarbeit) lautet zunächst: Welche Veränderung bringt denn der Computer (als dazugehöriges Arbeitsmittel) in den Arbeitsprozess und warum melden insbesondere Frauen Arbeitsschäden?

Dazu vorweg: In der Bundesrepublik Deutschland stieg der Anteil der Frauen in der Computerarbeit von 1970 bis 1982 um 64 %; seit 1982 sinkt er langsam, während der der Männer im gleichen Zeitraum zunimmt. – Die Dimension der kulturellen Unterschiede oder gar die der unterschiedenen Produktionsverhältnisse vergleichend zu untersuchen ist ein umfangreiches empirisches Projekt, welches den Rahmen der hier vorgetragenen Überlegungen sprengt. In meinen empirischen Berichten beschränke ich mich daher auf Fragen der Arbeitskultur in westdeutschen Betrieben/​Büros.

Krise der Arbeit

Es scheint mir angemessen, Veränderungen in den Handlungsbedingungen, die plötzlich hereinbrechen und deren Handhabung noch weitgehend unbegriffen ist, als Krise zu kennzeichnen. Die innere Arbeitskrise (im Gegensatz zur »äußeren« des Ausmaßes und der Verteilung von Arbeit und Arbeitsplätzen) bezieht sich im Wesentlichen auf vier Dimensionen: auf Verschiebungen im Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit; auf Überschreitungen der Trennung von Arbeit und Freizeit; auf das Verhältnis von Männer- zu Frauenarbeit und auf das Lernen.

Geistige und körperliche Arbeit

Sobald Arbeit zu informationsverarbeitender Tätigkeit wird, ist die alte Trennung von Händen und Köpfen, von praktischer und theoretischer Arbeit in Produktion und Verwaltung unhaltbar. Damit stehen Hierarchien und Kooperationsverhältnisse in Frage ebenso wie Beziehungen zwischen einzelnen Arbeitergruppen. Inhaltlich gilt, zumindest in unseren Verhältnissen, der hierarchischen Anordnung eine Art Kompetenzentzug, ohne die Autorität der Vorgesetzten selbst anzutasten. In dieser Weise bildet sich ein neuer Widerspruch heraus: Die Untergebenen werden den Vorgesetzten überlegen und bleiben ihnen zugleich unterstellt. Aber Computerarbeit ist noch nicht ausreichend bestimmt, wenn wir wissen, dass sie Kopfarbeit, informationsverarbeitende Tätigkeit ist. Denn die Arbeitselemente treten den Einzelnen nicht nur als Informationen entgegen, sondern sie tun dies in Form einer Theorie über den Arbeitsprozess. Insofern wird die Distanz des Menschen zur eigenen Arbeit vergrößert. Wir sind daran gewöhnt, Distanz in der Arbeit spontan als etwas Negatives wahrzunehmen, als Vergrößerung von Fremdheit; dabei übersehen wir den umgekehrten Aspekt, dass allzu große Nähe den Überblick und die Kritik, notwendig für Entwicklung, verunmöglicht.1 Mit der größeren Distanz wird das Verhältnis zur Arbeit notwendig reflektierter. Dies gilt selbst für einfache Eingabetätigkeiten im Vergleich zur vorhergehenden Schreibmaschinenarbeit und selbstverständlich für Dialogsysteme und Systemanalyse. Die Logik der Computer ist ein bestimmter Zugriff auf Sprache und Information. Man kann sich dem unterwerfen und versuchen, die Befehle auswendig zu lernen mit der ständigen Angst und Hilflosigkeit, aus dem System geworfen zu werden. Man kann sich den Computer aneignen, d. h. seine Möglichkeiten austesten und das System ausbauen und weiterentwickeln. Das bedingt ein Verhältnis zur Arbeit wie zu einem Experiment. Die Arbeit ergreift einen und hält einen fest – dieser Umstand ist bekannt, wenn auch nicht begriffen als Faszinationsproblem.2

Die Verschiebungen im Verhältnis von körperlicher und geistiger Arbeit bringen im Wesentlichen folgende Widersprüche und neuen Spannungen hervor: Die Bewegung, die schon in der Ersten industriellen Revolution begann, vollendet sich – die Arbeitenden stehen oberhalb und außerhalb des eigentlichen Produktionsprozesses, ohne jedoch zugleich die solcher Stellung angemessene Verfügungsmacht zu haben.

Die Inanspruchnahme wird mit der wachsenden Distanz zum Arbeitsgegenstand zugleich intensiver und konzentrierter und dabei auch engagierter. Empirischen Untersuchungen, die die Zunahme an Intensität und Konzentration anklagend erheben und sie als Beweis für eine besonders anspruchslose Arbeit behaupten, entgeht, dass engagierte, »motivierte« Arbeit immer mit wachsender, auch subjektiv so erfahrener Intensität verbunden ist. Die Formen der Arbeitsteilung sind weniger unmittelbar hierarchisch, ohne dass Hierarchie dabei tatsächlich verschwände. Die Vorgesetzten sind weniger kompetent in der Arbeit als ihre Untergebenen, ohne den Vorsitz zu verlieren.

Arbeit und Freizeit

Eine der wichtigen Trennungen im Leben der Lohnarbeitenden ist die von Arbeit und Freizeit. In der Freizeit sind sie zu Hause, Privatmenschen, die aus der Arbeit flüchten. Aber auch umgekehrt flüchten sie aus der privaten Enge in die Gesellschaftlichkeit der Arbeit. Mit dem Einsatz der Computer wird einiges verrückt. Indem Arbeit geistige Arbeit ist, kann sie vor den Fabriktoren und Bürotüren nicht haltmachen. Die Probleme werden mit nach Hause genommen. Sie durchsetzen die Freizeit. Computerarbeit ist auch Hobbyarbeit. Rechner fallen aus, und die meisten Firmen nutzen die angespannte Arbeitsmarktlage, um von den Beschäftigten einen flexiblen Umgang mit den Arbeitserfordernissen zu verlangen. Die ausgefallenen Zeiten müssen als Überstunden nachgeholt werden. Solche Praxen verändern das Familienleben, wenn sie allgemein werden. Die Arbeiten werden über die Grenzen von Bürozeiten gedrängt. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit bringt die häusliche Ordnung massenhaft durcheinander. Wenn die betroffenen Büroarbeiter Frauen sind, können sie entweder den Überstunden nicht gehorchen und müssen einen Halbtagsjob annehmen oder ihre Partner ändern Haltung und Verhalten und übernehmen die zu Hause anfallenden Aufgaben – ein weiterer Schritt in Richtung Frauengleichberechtigung wäre getan? In unserer Untersuchung in computerisierten Büros (Brosius/​Haug 1987) berichteten Männer und Frauen einmütig, dass solche partnerschaftlichen Lösungen bei ihnen üblich seien. Allerdings stellte sich bei der Überprüfung ihrer tatsächlichen Praxen heraus, dass die befragten Frauen die Probe aufs Exempel nicht gewagt hatten: Sie machten keine Überstunden. Ihre Verankerung in den Firmen war entsprechend fragil. In allen bisher skizzierten Veränderungen im Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit sowie zwischen Arbeit und Freizeit sind Aufweichungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen enthalten. Dabei ist eine Hauptfrage in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung noch ganz unentschieden: Ist Computerarbeit eigentlich »männliche« technische Arbeit oder »weibliche« Schreibarbeit?

Lernen

Auch im Bereich des Lernens möchte ich nur einige Aspekte skizzieren. Sicher verändert sich durch die mikroelektronischen Arbeitsmittel das Verhältnis von Lernen und Arbeit, von Theorie und Erfahrung (der Praxisbezug ist selbst ein theoretischer). Zunächst gibt es eine Reihe von neuen Fragen:

Wie ist es möglich »auszulernen«, wenn Arbeit Weiterentwicklung einschließt? Welche »Ausbildung« wird überhaupt gebraucht, wenn Lernen Lebenstätigkeit ist? Kann Arbeit selbst so angeordnet werden, dass Lernen ein integraler Bestandteil wird, und was ist mit der gängigen Lernform des Learning by Doing?

Ich möchte thesenförmig zuspitzen, dass die Arbeit im mikroelektronischen Arbeitsprozess es zu einer Notwendigkeit macht, die Rahmenbedingungen des Arbeitens als entwickel- und veränderbar aufzufassen und sich selbst dafür zuständig und verantwortlich zu fühlen. Arbeitsteilungen, Arbeitsorganisation und vor allem die Produktionsverhältnisse blockieren den angemessenen Umgang mit den neuen Produktionsmitteln. Schließlich stehen mit dem Verhältnis zur Arbeit selbst auch Fragen der Arbeitskultur und der Arbeitsidentität zur Disposition.

Krise der Arbeitssubjekte

Wesentlicher Gegenstand von Arbeitspsychologie werden die Erfahrungen der Arbeitssubjekte mit den neuen Bedingungen und ihre Verarbeitung im alltäglichen Handeln. Schließlich bargen die alten Strukturen, Arbeitsteilungen, Arbeitsorganisationen, Ausbildungen, Trennungen und Lernarrangements sowohl Handlungsfähigkeiten und deren Stützen als auch Hindernisse und Fesseln (Letzteres insbesondere für die nicht-männlichen Nicht-Facharbeiter).

Beim Einbezug der Arbeitenden als Subjekte unserer empirischen Forschung lernten wir: Sie erfahren die neuen Bedingungen weitgehend als eine Art faszinierender Katastrophe (vgl. PAQ 1987, Kap. 11). Einerseits sind die Arbeiten verlockend wie ein Hobby, andererseits bedrohlich wie eine Beraubung. Im Großen und Ganzen kann man sagen: Computerarbeit ist mit der herrschenden Arbeitskultur unverträglich. Ich möchte diese Behauptung mit einigen Thesen verdeutlichen:

1. Arbeit wird als Nichtarbeit wahrgenommen – wie früher die Arbeit der Intellektuellen vonseiten der Arbeiter. Die Arbeit verändert ihren Charakter so, dass unklar wird, was eigentlich Arbeit ist. Die gewohnten Maße für die geübte Disziplin passen nicht mehr. Sind Lernzeiten Arbeitszeiten? Ist das Suchen nach Lösungen, das Herumprobieren Arbeit oder die Verhinderung derselben? Wie steht es mit den Passivzeiten? Ist Fehlersuche Arbeit?

2. Wenn körperliche Arbeit Kopfarbeit wird, wird die Haltung der praktischen Arbeiter zu den Intellektuellen problematisch.

3. Wenn nicht klar ist, was Männerarbeit, was Frauenarbeit ist, gerät die stark an die Arbeitstätigkeit gebundene Identität in Krise.

4. Kulturelle Gewohnheiten in und um Arbeit werden zerstört: das betrifft z. B. Alkoholgenuss bei der Arbeit, Spaß, Kraftgefühl, welches »Männlichkeit« absicherte und auf körperlicher Arbeit beruhte.

5. Die Art der Zusammenarbeit, das Verhältnis der Geschlechter, das Zueinander von Familie und Freizeit werden verändert. Die Bedrohungen, die mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit erahnbar werden – die Reduktion von Freundschaften auf zufällige Gleichzeitigkeit von Arbeits- und Freizeit und die Reduktion des Sozialen auf die innere Organisation der Familienzeiten sind hier erst ein Anfang.

Subjektive Verarbeitungsweisen objektiver Umbrüche

Bei einer empirischen Untersuchung an 240 Büroarbeitsplätzen in der Dateneingabe, der Dialogbearbeitung und der Systemanalyse zerlegten wir das Verhältnis der Einzelnen zum Arbeitsprozess analytisch in einzelne Aspekte und versuchten so, spezifische Erfahrungen der Arbeitenden mit den neuen Produktionsmitteln ausfindig zu machen. Das ist sehr viel leichter gesagt als getan. Wir fragten nach der Qualifikation, der Vielfältigkeit der Arbeit, der Arbeitsteilung und Hierarchie, den Formen der Zusammenarbeit und der Solidarität unter den Arbeitenden und schließlich nach Lern- und Weiterbildungsstrukturen. – Wir stießen sogleich auf zwei Merkwürdigkeiten:

Zunächst auf eine relativ große Sicherheit der Betroffenen, dass die Computer weitgehend schlechte Folgen hätten, dass sie hauptsächlich monotone Arbeit hervorbrächten, die Arbeitsteilung sich eher verstärkt habe, Isolation die Folge sei und Lernen eigentlich nicht vorkäme. Allerdings träfe dies auf die anderen zu, die darum auch solidarisch untereinander seien, weil sie nichts zu verlieren hätten.

Und zweitens gab es eine fast ebenso große Sicherheit, dass der Einsatz der Computer in der eigenen Arbeit zu höherer Qualifikation, größerer Vielfalt in der Arbeit, integrierten Arbeitsaufgaben, verdichteter Kooperation und schließlich auch zu verbesserten Lernmöglichkeiten geführt habe. Die Sicherheit des Andersseins war begleitet vom Gefühl des selbstbewussten Alleinseins.

Dieser Befund verweist uns als ein erstes Ergebnis auf ein Problem, aus dem methodische Konsequenzen zu ziehen sind. Bei der Einschätzung der negativen Folgen der Computerisierung hatten die Befragten ganz offensichtlich von ihrer eigenen Erfahrung abstrahiert, sich selbst als Ausnahme begriffen. Die herrschende Auffassung setzt sich als Meinung gegen die eigene praktische Arbeitserfahrung durch. Ihre Nichtübereinstimmung mit eigener Praxis wird verarbeitet als Trennung des Ich von den Anderen. Nicht die herrschende Auffassung wird kritisiert, sondern die eigene Praxis wird selbstbewusst isoliert. Eine solche Verarbeitungsweise durch die betroffenen Subjekte lässt empirische Methoden, die sich mit der einfachen Antwort begnügen und die Ergebnisse als widerspruchsfreie Tatsachensammlung behaupten, sehr fragwürdig werden.

Immer wieder trafen wir auf Vereinzelungsstrategien und -phänomene. Die neuen Bedingungen werden als Bedrohung der Privatperson, der Privatsphäre, des Privaten schlechthin wahrgenommen. Wir können sicher davon ausgehen, dass in diesem Rückzug auch das gesellschaftliche Projekt, soweit es sich ankündigt, zusammen mit den Übergriffen der Unternehmer und den entfremdeten Arbeitsverhältnissen abgewehrt wird. Der Widerstand geht in die Befestigung der privaten Fluchtburg.

Auch solche Umbrüche, die schon heute objektiv als eine Bereicherung wahrgenommen und ergriffen werden könnten, werden unter dem Blickwinkel der alten Verhältnisse und der »alten Menschen« strukturiert und erfahren. Z. B. wird die autonomere Zeitverfügung von einer Gruppe von Programmierern als Entleerung und als Strukturmangel wahrgenommen und setzt ein Verlangen nach der alten Ordnung frei. Die Inkompetenz der Vorgesetzten wird zwar mit einem gewissen Stolz verkündet, jedoch die soziale Anerkennung, die mit diesem Kompetenzverlust von oben einhergeht, als fehlend eingeklagt. Ebendieser Mangel führte selbst bei arbeitsmäßig und politisch engagierten Programmierern zur »Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes« in die Familie, um dort »soziale Anerkennung« an die Kinder zu vergeben, damit sie zu Menschen werden könnten. Und die Faszination, die die neue Arbeit auf die Einzelnen ausübt, wird schließlich als Verführung abgewehrt, als Versuchung, das Private zu vergessen (ebd.).

Allgemein können wir formulieren, dass eine Zunahme von Angst und Vereinzelung zu den Verarbeitungsmustern der neuen Produktionsmittel und -arrangements gehört.

Folgen für die Arbeitspsychologie

Eine Bestandsaufnahme über die typischen Aufgaben von Betriebspsychologen lehrt uns: Sie beraten die Arbeitenden in sogenannten persönlichen Fragen wie Ehe und Familie, Kindererziehung; hinzu kommen Fragen der Eignung für die Arbeitsplätze und die Herausbildung solcher Eignungstests; manchmal sind Fragen der angemessenen Ausbildung und der zumutbaren Belastung Aspekte ihrer Tätigkeit; ganz selten gehört auch die Arbeitsgestaltung dazu.

Diese Fragen haben auf den ersten Blick nicht allzu viel mit den oben diskutierten Veränderungen in den Produktionsbedingungen und den damit auftretenden Problematiken zu tun, bekommen aber in den Zeiten der Umbrüche eine neue Dimension. Es ist ja weder davon auszugehen, dass die Arbeitssituation so einfach und unumwunden die Familiensituation bestimmt, wie wir dies noch vor Jahren mit dem vereinfachten Modell der Weitergabe von Unterdrückung annahmen (der männliche Arbeiter wird im Betrieb unterdrückt und gibt diese Erfahrung sozusagen kompensatorisch an die Familie weiter). Auch die umgekehrte Behauptung, dass die Familie den Arbeitsfrieden störe, erscheint als zu einfach und gradlinig. Unsere empirischen Untersuchungen zeigten vielmehr, dass die Weise, wie privat Probleme angeordnet und gelöst werden – nämlich vereinzelt, hierarchisch und unter Eliminierung aller Widersprüche –, das Problemlöseverhalten auch im Betrieb bestimmt und unter den neuen Bedingungen dort scheitert.

»Arbeits-« und »Lebens«weise sind als ein Zusammenhang zu begreifen. Die dringliche Aufgabe einer »eingreifenden« Arbeitsforschung ist, dazu beizutragen, dass die Handlungsfähigkeit der Arbeitenden in schnellen Veränderungsprozessen auf höherem Niveau wiederherstellbar wird. Dabei können die Betroffenen nicht als Objekte solcher Forschung konzipiert werden, denn es geht nicht um arbeitsteiliges Diagnostizieren von Problemen, sondern die neue Weise zu produzieren ist solcherart, dass Handlungsfähigkeit der Arbeitenden nur erreichbar ist, wenn sie ihre eigene Arbeitssituation beherrschen. Dafür ist eine erste Voraussetzung die Analyse der Arbeitsprozesse durch die Handelnden selber. Die Zweifel über die eigene Identität und die damit verbundenen Probleme fehlenden Selbstbewusstseins bedürfen einer historischen Betrachtung der eigenen Arbeit und ihrer Bedeutung für die Gesellschaft. Wie lässt sich anders Sinn und Bedeutung finden, wenn etwa die Aufgabe als Versetzen eines Kommas oder eines Bindestrichs beschrieben wird (wie dies uns durch eine Gruppe von Programmierern nahegelegt wurde), in einem Feld allgemeiner Neudefinition von Arbeit und Beruf?

Die theoretisch-praktische Beherrschung des eigenen Arbeitsfeldes beinhaltet das Lernen des Lernens, ist bestimmt durch die Möglichkeit, verändernd eingreifen zu können, Alternativen zu entwerfen, Kritik zu üben. Wenngleich diese Dimensionen sich abstrakt und utopisch anhören mögen, sind sie doch Wirklichkeit auf den verschiedenen Niveaus computerisierter Arbeit und dort zu studieren. Statt um Anpassung an die gegebenen Arbeitsstrukturen muss es jetzt um deren Aneignung gehen.

Projektforschung

Lernen steht in jeder Weise im Zentrum der neuen Arbeit. Alle Umbrüche in den Arbeitsbedingungen verlangen neue Lernformen und aktive Anstrengungen, um einer Auslieferung zu entgehen, die ohnehin für den Umgang mit den neuen Technologien nicht tragfähig ist. Arbeitsforschung, die nicht bloß konstatierend, sondern eingreifend tätig sein und in den neuen Arbeitsstrukturen die Erforschten als Subjekte einschließen will, verlangt ebenfalls neue Formen des Herangehens. Unter den bisher möglichen Formen scheint mir das Projektstudium für dieses Unterfangen am geeignetsten zu sein. Es verbindet für die Studierenden forschendes Lernen als wesentliche Weise, in der Lernen überhaupt stattfindet, mit der Möglichkeit, in den erforschten Arbeitsbereichen die Arbeitenden selbst zur Analyse ihrer eigenen Bedingungen zu gewinnen. Für ein solches Vorgehen ist ein Zusammengehen von Wissenschaft und Gewerkschaften unerlässlich.

Methodische Überlegungen und erste Ergebnisse

Die Veränderung in den Arbeitsbedingungen wird vielfältig widersprüchlich erfahren. Lösungsformen für solche Widersprüche sind ihre Leugnung – was nur einen kurzen Aufschub bedeuten kann –, ihre partielle Auslöschung, der Rückzug aus solch widerspruchsgeladenem Feld. Gegen eine kollektive Bewältigung der Widersprüche nach vorn stehen die Bemühungen der Unternehmer und des Staates, die Vereinzelung, die Privatheit zu stärken – das selbstbestimmte Individuum hat in den neokonservativen Strategien Konjunktur –, und die subjektive Verarbeitungsform der Privatisierung3.

Weiter oben berichtete ich von unserem merkwürdigen Befund, dass die einzelnen Büroangestellten ihre eigenen Arbeitsplätze durch die Ausgestaltung mit Computern jeweils als interessant und verbessert erfuhren, im Ganzen aber unbeirrt an der Auffassung von den durchgehend negativen Auswirkungen der Computerisierung festhielten; dass sie die Methode verfolgten, beim Fällen von allgemeinen Urteilen von der eigenen praktischen Erfahrung zu abstrahieren, aber nicht von den herrschenden Meinungen über ihr eignes Arbeitsfeld. Dieses individuelle Widerspruchsverhalten brachte uns dazu, eine eigene Methode zu entwickeln, um die Einzelnen darin zu unterstützen, den Widerspruch als Bewegungsform zu entdecken.4 Wir gingen davon aus, dass die Notwendigkeit, in widersprüchlichen Situationen handlungsfähig zu werden, verlangt, Widersprüche zu explizieren, zu erkennen, zu artikulieren statt sie zu eliminieren. Zunächst hatten wir einzelne Arbeitende in Gruppen (gemischtgeschlechtlichen mit verschiedenen Positionen in der Arbeit) zusammengesetzt, mit dem Ziel, ihnen einige Themen zur Diskussion vorzulegen und in die Diskussion nur dann einzugreifen, wenn ein Monolog entstünde, der die anderen Gesprächsteilnehmer aus der gemeinsamen Gedankenproduktion ausschalten würde. Unsere Vorgabe fragte ausdrücklich nach einer Diskussion auf der Grundlage eigner Erfahrung, wenngleich wir zunächst gar nicht damit gerechnet hatten, dass alle Gesprächsteilnehmer sofort anfangen würden, über die gemutmaßten Erfahrungen der anderen zu sprechen. Sie teilten sich in überkommenen Ausdrücken so mit, dass es ihnen unmöglich wurde, sich selbst ins Allgemeine zu ziehen. Gegen unsere Entmutigung, solcherart über ein Biertischrunde nicht hinauszukommen, die wir uns fast auch selbst hätten ausdenken können, setzten wir jetzt die Methode, die Erfahrung der offiziellen Lesart ausdrücklich gegen die Arbeitserfahrung zu richten. Wir sprachen als widersprüchliches Faktum aus, was in ihren Köpfen als Nebeneinander vom je eignen guten und den fremden schlechten Arbeitsplätzen koexistierte. Wir richteten also die je offizielle Meinung gegen die Arbeitserfahrung und warfen diesen Widerspruchsballon in die Diskussionsrunde. Die Diskutanten nahmen den Ball auf, bearbeiteten aber nun den Widerspruch als solchen, nicht die Sache selbst, die so widersprüchlich artikuliert war. Der Widerspruch war ihnen eine Herausforderung, die es zu beseitigen galt. Die Diskrepanzen zwischen der je eignen Erfahrung und den gesellschaftlich durchschnittlich vermittelten Auffassungen führten in der Folge zu Äußerungen wie, dass unqualifizierte Computerarbeit (die der anderen) eben eine Charakterfrage sei, als eine Art Beruhigung der selbstpositionierten Elite über die Masse. Störend im Schwarz-Weiß-Gemälde blieb die Einsamkeit des qualifizierten Computerarbeiters gegenüber der heimelig solidarischen unqualifizierten Masse: »Es sind eigentlich diejenigen, die keine Chance haben zu einer steilen Karriere, die zusammenhalten und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln« (Brosius/​Haug 1987, 88), sagte einer, durchaus ohne steile Karriere, mit Trauer in Bezug auf die von ihm als nur für seinen Fall angenommene Abwesenheit von Solidarität. Ist ein Widerspruch erst einmal selbstverständlicher Bestandteil einer solcherart forschenden Diskussion, so wird er durch die Bereiche getrieben, als führe er ein Eigenleben. Neue Dimensionen tun sich auf, die Gespräche gewinnen an Spannung für die Teilnehmer selbst. Sie haben den Eindruck, voranzukommen und selbst urbar gemachtes Neuland zu betreten.

In dem berichteten Fall kam die Gruppe von der Einsamkeit und vom Alleinsein in der Arbeit zu der auch von den Gruppenmitgliedern beobachteten Zunahme an Kooperation, einer Verdichtung der Zusammenarbeit, seit die Computer im Büro waren. Sie beharrten aber darauf, dass dieser Umstand am Alleinsein nichts ändere, sodass dieses Phänomen vielleicht vorläufig ebenso widersprüchlich mit Kooperation als Vereinzelung bezeichnet werden kann. Bis hierher hatten wir selbstverständlich angenommen, dass Zusammenarbeit von Menschen im Arbeitsprozess auf jede Weise positiv sei. Vom Standpunkt der Effektivität und Produktivität der Arbeit liegt der Nutzen der Zusammenarbeit auf der Hand. Je sinnlicher sie durch die Einzelnen erfahren wird, desto höher der Ansporn oder Wetteifer, dachte Marx. Aber auch vom Standpunkt der Arbeitenden selber hatten wir Zusammenarbeit und ihre Erfahrung als Ausgangspunkt für solidarisches Handeln angenommen, als unmittelbare Lebendigkeit der vergesellschafteten Menschen. Von daher war uns die Frage nach dem Schicksal der Kooperation in der Computerarbeit strategisch wichtig. Das Ergebnis war im Ganzen einhellig: Während tatsächlich eine Verdichtung der Kooperationsstrukturen angegeben wird, wird zugleich eine Abnahme der Zusammenarbeit erlebt. In weiteren Diskussionsverläufen zeigte sich, nicht die Zusammenarbeit hat abgenommen, sondern ihre Zunahme wird nicht als Stärkung, sondern als Zwang, ja als Bedrohung, jedenfalls als Zunahme an Fremdbestimmung erfahren. Die neue Zusammenarbeit nahm subjektiv und objektiv den Platz der vorhergehenden persönlichen Beziehungen am Arbeitsplatz ein. Unter persönlichen Beziehungen verstanden sie Geburtstagsfeiern, Unterhaltungen über Hochzeiten, Taufen, Krankheiten, Tod in der Verwandtschaft, Feste aller Art bis hin zu kleinen Aufmerksamkeiten wie Blumen am Arbeitsplatz. Sie bezeichneten diese »persönlichen Beziehungen« als Grundlage solidarischen Verhaltens. Kurz, sie vermissten eben jene Beziehungen, die wir als oberflächlich dachten, weil sie mit dem Inhalt der Arbeit nichts zu tun hatten. Wir hatten dabei angenommen, dass inhaltliche Arbeitsbeziehungen durch Produktivkräfte wie Fließband z. B. und vor allem durch Produktionsverhältnisse behindert werden und so kaum über die räumliche Nähe hinauswachsen.5 Umgekehrt waren unsere Büroarbeiter praktisch außerstande, inhaltliche Arbeitsbeziehungen als entwickelte Beziehungen zwischen Menschen wahrzunehmen und zu leben. Das inhaltliche Aufeinanderangewiesensein in der Büroarbeit wird als doppelte Bedrohung erfahren: als Bedrohung der persönlichen Arbeitskontakte und der Privatperson durch aufgezwungene Arbeitsbeziehungen, die die Einzelnen ungeschützt treffen können und müssen.

Vorsichtig formuliere ich folgende These: Unter Konkurrenzverhältnissen sind aufgezwungene inhaltliche Arbeitsbeziehungen ein Paradox, welches als bedrohlich erlebt wird. Die Auslieferung an Fremdbestimmung wird nicht ermäßigt, sondern verstärkt. Was selbstbestimmte Koordination von Einzelarbeiten sein könnte, erscheint in der Form ihres Gegenteils, als Auslieferung an fremde andere in diffus horizontaler und darum umso konkurrenzförmiger erfahrener Zusammenarbeit.

»Die Kollegen reichen mir über die 8 Stunden und ich sehne mich danach, in den Familienbereich zurückzukommen und meinen eigenen Neigungen nachzugehen. […] Diese enge Kooperation, die teilweise zwischen den Kollegen da ist, die reicht mir dann. Das geht nicht mehr, […] das auch noch in den Stunden nach Feierabend durchziehen zu können.« (Brosius/​Haug 1987, 88)

Das Wichtigste, das uns diese Kooperationserfahrungen lehrten, war eigentlich auch wieder eine Selbstverständlichkeit: Zusammenarbeit ist gebunden an die selbstbestimmte Entscheidung der Subjekte und nicht einfach ein von oben dargebotenes Arrangement, in das sich die selbstbewussten Individuen einfügen können, ohne ihr Selbstbewusstsein zu verlieren. In der Tat kam in allen Gruppendiskussionen irgendwann die Rede von »wahrer Zusammenarbeit« auf, in der die Einzelnen einander begeistert »widerständige« Taten berichteten, wie sie gemeinsam gegen die Regeln verstießen, verlangte Strukturen durchkreuzten, einander die Passwörter gaben usw. Unsere oben formulierte These lässt sich ergänzen: Unter fremdbestimmten Arbeitsverhältnissen wird Kooperation widerständig gelebt.

Da wir alte Grenzziehungen zwischen verschiedenen Einzelarbeiten und -arbeitern und ebenso die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit auch als Schranke gegen Entwicklung und Vermenschlichung der Arbeitsverhältnisse dachten, sahen wir die durch die Computerarbeit bedingte Auflösung solcher Grenzen auch als eine Chance. In unserer Untersuchung konnten wir die Einzelnen dabei erleben, wie sie diese »Chance« durchweg als Bedrohung wahrnahmen, neue Grenzziehungen versuchten und alte weiter ausbauten. Ihre Hauptaktivität schien die Verhinderung von Durchlässen zu sein. Die Arbeit z. B. soll niemals nach Hause genommen werden – falls dies unbestreitbar doch der Fall ist, »retten« sie sich durch Umbenennung, indem sie nicht als Arbeit bezeichnen, was sie im Kopf nach Hause tragen. Wichtiger noch ist die Umkehrung: Die Privatperson bzw. das Private an ihr soll nicht in den Betrieb. Wesentlich wird die Kontrolle von Informationen über sich selbst.

Wieder treffen wir auf das Phänomen zunehmender Vereinzelung. Da dies als eine neue Erfahrung berichtet wird, nehmen wir nicht an, dass es »nur« ein Problem der Produktionsverhältnisse ist, sondern etwas mit den Produktivkräften, also mit dem Computereinsatz zu tun haben muss. Wir fragten nach den spezifischen Anforderungen in den computerisierten Büros bzw. den Erfahrungen der Einzelnen mit diesen Anforderungen. Trotz unterschiedlicher Arbeitsplätze stimmten die Einzelnen zunächst darin überein, dass Qualifikationsanforderungen gestiegen seien, dass mehr Wissen und Können erforderlich sei, beurteilten dies aber negativ. Auf unsere Anschlussfrage, wie denn dieses erforderliche Wissen vermittelt werde, kam bemerkenswert wenig. Das Wenige verwies uns zudem auf die Geschlechterverhältnisse. Es gab Einführungskurse, insbesondere für die Männer. Frauen eigneten sich das erforderliche Know-how meist während der Arbeit an. Gibt es nennenswerte Formen der Weiterbildung für den Umgang mit Computern? Diese Frage stieß nahezu auf Unverständnis; d. h. die Anzahl derer, die nicht geantwortet haben, war besonders hoch. Da Weiterbildung bislang eine übliche Form des innerbetrieblichen Aufstiegs war, versuchten wir in Gruppeninterviews diese Form des Lernens zur Diskussion zu stellen. Dabei kamen wir zu dem überraschenden Ergebnis, dass die nächtliche Aneignung von Computerhandbüchern, das heimliche Lernen nach Feierabend von den Betroffenen überhaupt nicht als eine Form von Bildung begriffen wurde. Vielmehr erfuhren sie dies als Ausgleich von Charakterdefiziten, den sie vornehmen müssten, um auf dem enger werdenden Arbeitsmarkt verkäuflich zu sein bzw. im Betrieb nicht zu den Aussortierten zu gehören.

Learning by Doing ist keine sehr gute Form des Lernens, wenn die Tätigkeitselbst nicht alltagsverständig strukturiert ist. Computerarbeit folgt einer anderen Logik als der des Alltags. Dies erfordert einen Umgang, der sich gewissermaßen theoretisch über die Arbeitsvollzüge erhebt, den Computer selbst als »dumm« erkennt und sich also zum Computer »denkend« verhält. Eingewiesen über unzureichende Einführungskurse, die sie zudem zu einem Zeitpunkt bekommen, zu dem die männlichen Kollegen schon das erforderliche Know-how besitzen, und da sie selbst abends meist keine Zeit haben, das Versäumte nachzuholen, reagieren die Frauen mit Panik. Sie lernen die Befehle auswendig mit der Konsequenz, dass sie wie in einem Gefängnis unverstandener, jederzeit drohender Katastrophen arbeiten. Wir fanden eine Menge Hinweise, warum es insbesondere die Frauen sind, die in den verschiedenen Ländern die alarmierenden Unverträglichkeiten melden.

Sind Frauen vielleicht generell an den geringer qualifizierten Arbeitsplätzen und von daher belasteter als ihre männlichen Kollegen? Da wir in unserer Untersuchung einen relativ hohen Anteil an männlich besetzten Eingabeplätzen fanden und da die Frauen zudem den Bereich der Dialogbearbeitung fast zur Hälfte innehatten, waren wir nicht versucht, uns vorschnell mit diesem Argument zufriedenzugeben. Im Feld der Vorurteile prüften wir eine weitere gängige Erklärung: Frauen seien technikfeindlich. Eine Aversion gegen Technik überhaupt könnte sowohl Angst wie eine Schwierigkeit beim Lernen und ein allgemeines Problem mit Bildschirmarbeit begründen. Es gab in unserem – immerhin 240 Arbeitsplätze umfassenden – Sample nur sehr wenige Männer oder Frauen, die der neuen Technologie an ihrem eigenen Arbeitsplatz nicht positiv begegnet wären. Die praktische Selbsteinschätzung gleicht allerdings den Meinungen über das Verhältnis der Frauen zur Technik wenig. Die jüngeren Männer (unter 35) und die verheirateten Frauen sind durchweg der Meinung, dass Frauen der Technik nicht wohlgesonnen seien und dass dies von den Vorgesetzten auch entsprechend wahrgenommen und behandelt werde.6 – Einmal auf der Spur der Geschlechtsspezifik der in den automatisierten Büros auftretenden Probleme, stießen wir auf eine besondere Unzufriedenheit der weiblichen Arbeitenden mit sich selber, die vielleicht mit dem Charakter der Arbeit zu tun hatte. Sie beklagten sich darüber, häufig nichts geschafft zu haben. Sie wollten eine Auslastung der durch Rechnerstillstand verursachten Leerzeiten durch Mischarbeitsplätze. Wir hatten eigentlich angenommen, dass angespannte Alarmbereitschaft, Wartezeiten, Kritik und experimentelle Sorgfalt dem weiblichen Sozialcharakter besonders entgegenkommen müsse, da Frauen ähnliche Anforderungen in Haus- und Familienarbeit gewohnt sind. Tatsächlich aber waren sie es, die solchen Arbeitseinsatz als besonders unbefriedigend charakterisierten. Sie betrachteten sich mit den Augen von Vorgesetzten und empfanden solche Arbeit, die der häuslichen am meisten ähnelt, als unzureichend, ja im Grunde überhaupt nicht als Arbeit, sondern als vertane Zeit. Da hätten sie »gleich zu Hause bleiben können«. Es geschieht hier das Eigentümliche, dass die Frauen nicht so sehr versuchen, sich der Arbeit, da sie Lohnarbeit und entfremdete Arbeit ist, zu entziehen, sondern sie empfinden es als Privileg, überhaupt gegen Geld arbeiten zu können, und wollen von daher auch außergewöhnlich tätig sein.

Es wäre verwunderlich, wenn der Einbruch der Männer in die computerisierten Büros ohne nennenswerte Kämpfe vor sich gehen sollte. Die Charakterisierung der Büroarbeit folgt durchweg Kriterien von »Weiblichkeit«: Sie ist körperlich leichte Arbeit; sie ist sauber; sie ist Tipparbeit und nicht schwer, schmutzig oder vorwiegend technisch, wie dies für Männerarbeit angemessen wäre. In unseren Gruppendiskussionen arbeiteten die männlichen Teilnehmer zunehmend eine Art Angst vor der weiteren Entwicklung der Technologie heraus. Ihre Auffassung war: Die Zukunft der Arbeit gehört den Frauen, weil die Technologie selber verweiblicht werde. Das ging bis zur Vision des »rosaroten Computers«. Solche Einschätzung wurde schließlich auf dem ideologischen Feld neutralisiert; es gab zugleich eine Umwertung der Arbeit. Am Ende einigten sie sich, Computerarbeit sei eigentlich doch nicht vorwiegend Tipparbeit, sondern eine technische Arbeit und gebühre von daher den Männern. Dieser Kampf um die geschlechtsspezifische Bedeutung von Arbeit und damit von Arbeitsplätzen findet überall statt. Es sieht so aus, als würden die Frauen ihn verlieren, wenn sie nichts Eingreifendes tun.

Die unzulänglichen Lernmöglichkeiten können in der Arbeit schlecht kompensiert werden und müssen es gleichwohl. Wir fragten in diesem Zusammenhang nach der Kooperationsmöglichkeit mit Kollegen: nach dem Einholen und der Notwendigkeit von Ratschlägen anderer. Die Antworten zeigen kulturelle Ausgrenzungen von Frauen. Während 80 Prozent von ihnen die Notwendigkeit solcher Ratschläge betonen, gibt es offensichtlich Männersolidarstrukturen der Informationsweitergabe, von denen Frauen weitgehend ausgeschlossen sind. Dabei hatten – zumindest in unserem Sample – Frauen einen eigentümlichen Einfluss auf die Solidarstrukturen überhaupt: Wo immer der Frauenanteil unter der Belegschaft hoch war, gab es kaum individuelles Konfliktlöseverhalten, während die kollektiven Formen von zuvor 20 auf 70 Prozent stiegen. Die wechselseitige Information in den Männer- und Frauennetzwerken wird übrigens von ihnen nicht als geschlechtsspezifische Solidarstruktur gesehen und nicht als spezifischer Zusammenhalt ausgesprochen. Von daher können wir wohl davon ausgehen, dass es praktisch geübte Solidarstrukturen gibt, die noch nicht als solche bewusst sind und von daher keine strategische Zielorientierung entfalten.

Der kurze Durchgang durch veränderte Arbeitsbedingungen nach der Einführung von Computern zeigte uns eine Reihe von Unverträglichkeiten, Widersprüchen, Paradoxien:

– Eine Arbeit, welche die vertikalen Hierarchien und die zwischen den Geschlechtern ermäßigen könnte, die gewissermaßen egalisierend ist, wird als verschärfte Spaltung erfahren: männliche Arbeitskulturen grenzen Frauen aus. Wo beide Geschlechter nahezu paritätisch vertreten sind, bei den Sachbearbeitern, bilden sich neue Arbeitsteilungen heraus. Frauen lassen sich abschieben oder begeben sich »von selbst« in die weniger anspruchsvollen Aufgaben oder in solche, die weniger Anerkennung finden. Sie übernehmen zudem durchweg das Blumengießen, Kaffeekochen, Kopieren, Botengänge und die Ablage.

– Die höhere Qualifikation, die als Erfordernis inzwischen allgemein anerkannt ist, wird nicht durch eine entsprechend allgemeine Ausbildung für alle vorbereitet. Zwar wird Informatik in verschiedenen Bundesländern ein Fach an allgemeinbildenden Schulen; aber auch hier sind es die Jungen, die diesen Zweig offensiv ergreifen. Zweifel an der Angemessenheit von Koedukation mehren sich.

– Arbeit, die die allgemeine Kompetenz der Arbeitenden in Bezug auf den Zugriff auf den Arbeitsprozess und die Sicht auf den Gesamtablauf erhöhen müsste, führt zu vermehrter Kontrolle von oben.

Selbst die Frage des Eigentums an Produktionsmitteln und am Produkt wird diffus. Daten- und Softwarediebstahl gehören zum Alltäglichen. Und doch hat auch diese Auflösung einer der wichtigen Säulen unserer Gesellschaft, die Unantastbarkeit des Eigentums, den Effekt verschärfter Konkurrenz.

Diese Anordnung von Paradoxien wird persönlich als Zerrissenwerden in Widersprüchen erfahren und führt zu Vereinzelung und Angst. Beides sind wesentliche Ursachen somatischer Austragungen von kulturellen Unverträglichkeiten. Unverträglich werden die Produktionsverhältnisse und in ihnen die Geschlechterverhältnisse, die Gewohnheiten, die Werte und schließlich die Identitäten der Arbeitenden selber.

In diesem Feld scheint die Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen, elementar. In dem konfliktreichen Feld von Frauen, Männern und Computern fanden wir schließlich in den verschiedenen Gruppendiskussionen einen Schlüssel für das Aufbrechen der üblichen Widerspruchseliminierung. Weiter oben war die Rede von der Gewohnheit, Widersprüche auszublenden, einseitig aufzulösen, als nicht-existent zu behaupten und dagegen eitle Harmonie zu setzen. Die Teilnehmer in unseren Diskussionsrunden zeigten eine große Anstrengung und Übung darin, die Widersprüche zu bestreiten. Dieses Anstrengen war zumeist gegen Begreifen gerichtet und damit gegen Veränderung. Diese Verhinderungsarbeit wurde in unseren Diskussionen von Männern wie von Frauen geleistet. Wir setzten Widersprüche; sie überboten sich, sie wieder hinauszubugsieren: durch Verwandlung in einfache Unterschiede, durch die Zuschreibung von Ungleichheit in den Charakter von Einzelnen, durch Themenwechsel etc. Diese Arbeit ging reibungslos vonstatten bis zur Frage der Geschlechter. Auf unsere These, dass Computerarbeit weiblich und männlich aus entgegengesetzten Gründen sei, hoben die männlichen Gesprächsteilnehmer mit umfangreichen Reden über die Gleichheit der Geschlechter an. Sie gelangten nach relativ kurzer Zeit zu erhabenen Sätzen über den allgemeinen Menschen und seine gleichen unveräußerlichen Rechte etc. Da riss den anwesenden Frauen der Geduldsfaden:

»Ich musste mich ganz schön zusammenreißen, […] ich habe mich zurückhalten können, weil ich weiß, was ihr macht, computermäßig, und dass ihr eigentlich in den auswertenden Bereich der Computerarbeit gehört, die also zum Teil auch Frauenarbeit ist, und ihr deshalb möglicherweise keinen Unterschied seht. Ich seh da absolut und riesengroße Unterschiede zwischen Mann und Frau am Computer […] Frauen werden einfach vor diese Sachen gestellt, die kriegen die Schreibmaschine weggenommen, weil der Chef irgendwann entschieden hat, das ist rentabler« (Brosius/​Haug 1987, 65).

Dieser und ähnliche Einwürfe brachten eine strategische Wende. Es änderte sich die Gesprächsstruktur – die eingreifende Frau wurde zu so etwas wie einer Meinungsführerin in der Runde; es änderte sich die Behandlung der Themen – nach dieser ersten Verneinung wurde plötzlich über alle möglichen Widersprüche klar und analytisch gesprochen. Behandelt wurden Profite, Unternehmerwillkür, Produktionsverhältnisse, Kapitalismus – in ihrem Lichte wurden die alten Fragen neu aufgenommen und zu neuen Erkenntnissen durchgearbeitet. Wir haben daraus folgende Schlussfolgerung gezogen:

Es gibt offenbar Widersprüche, die so weit ins öffentliche Bewusstsein gerückt sind, dass ihre Leugnung nicht mehr umstandslos gelingt. Der Aufbruch führt zum Begreifen auch anderer Fragen, etwa der Produktionsverhältnisse und ihrer Widersprüche. Die Weltdeutung wird konfliktreicher, klarer. Ein solcher Schlüsselwiderspruch ist das Verhältnis der Geschlechter. Er wird artikulierbar durch Frauen. Sie dulden es nicht länger, dass darüber hinweggeredet wird. Damit sind sie eine Kraft für allgemeine, ausgreifende und verändernde Handlungen.

Lehren für die Arbeitsforschung

Voraussetzung für Arbeitsforschung ist die Analyse der gesellschaftlich dominanten Bedingungen von Arbeit. Sie bestimmen nicht nur die Arbeit der Zukunft, sondern auch die Bereiche, die noch nicht betroffen sind – sei es im Tempo der Arbeit, in der Zusammensetzung der Arbeitsarten, in der Erwartungsangst für die zukünftig Betroffenen. Wesentlicher »Gegenstand« von Arbeitsforschung muss die Verarbeitungsweise, müssen die Erfahrungen der Arbeitenden selber sein. Ihre Handlungsfähigkeit zu unterstützen ist praktischer Auftrag an Arbeitspsychologie. Dabei gilt es, der Erkenntnis methodisch Rechnung zu tragen, dass die Einzelnen über mehrere, widersprüchlich zueinander organisierte »Erfahrungswelten« verfügen, deren Koexistenz ein individueller Balanceakt ist, der unter unseren Verhältnissen zumeist mit der alltäglichen Eliminierung von Widersprüchen stabilisiert wird. Wo immer Arbeitserfahrung zum Aufbruch nötigt, wird von ihr abstrahiert, nicht von der offiziellen Meinung, die zunächst doch weit weniger gewichtig scheint als die eigene Tätigkeit. Auszubauen wäre das Widerspruchsexperiment als ein Mittel, die Arbeitenden selber in den Forschungsprozess einzubeziehen. Ein analytischer Umgang mit den eigenen Arbeitsbedingungen, Aneignung statt Anpassung, scheint unter den Verhältnissen der Mikroelektronik unumgänglich. Dies ist eine Chance, die zugleich Herausforderung an Arbeitspsychologen ist. Schließlich verlangt eine Forschung mit Arbeitenden statt über sie, dass die wissenschaftlich Ausgebildeten zugleich auch immer an ihrer eigenen Abschaffung arbeiten, gerade, wo sie ihre Arbeit als Intellektuelle ernst nehmen. Wichtiges Resultat, welches jedes methodische Vorgehen bestimmen muss, ist die Geschichtlichkeit der Subjekte, der Prozesse, ja der Begriffe, mit denen Erkenntnis gewonnen werden muss. Gegenstand von Forschung wie Problem individueller Handlungsfähigkeit ist die Eingelassenheit der »alten« Menschen in die gewohnten Strukturen mit allen Vor- und Nachteilen. Sich da herauszuarbeiten, das Neue zu gewinnen, soweit es Befreiungszüge trägt, es zu bekämpfen, wo die bestehende Unsicherheit zur intensiveren Unterwerfung genutzt zu werden droht – dies bedarf einer strategischen Durchdringung der immer schneller umbrechenden Bedingungen des Handelns. Die wesentlichen Unverträglichkeiten müssen gemeinsam mit den Arbeitenden herausgefunden und Lösungen zu ihrer Bewältigung in Richtung auf eine kollektiv erweiterte Handlungsfähigkeit versucht werden. Das Begreifen ist dabei für beide, für Forscher und Betroffene, eine wesentliche Voraussetzung. Dies ist charakteristisch für die neuen Produktivkräfte, verstanden als Zusammenwirken von Menschen mit den technischen und organisatorischen Arbeitsbedingungen. Neue Formen des Wissens, die systemimmanent technizistisch bleiben, wiewohl sie das Nachdenken über Systeme zur Aufgabe haben, bilden sich heraus; neue Abgrenzungen gegen die Nichtwissenden spitzen die Widersprüche in den einzelnen Industrieländern zu. Arbeitspsychologie im Interesse der Arbeitenden muss auch die Analyse der Lösungsangebote durch Unternehmer und Staat einbeziehen. Gegen Vereinzelung müssen die Möglichkeiten der Kollektive herausgearbeitet, gegen Privatisierung muss die Bedeutung des gesellschaftlichen Projekts und gegen Angst das Selbstvertrauen der eingreifenden Subjekte gestärkt werden.

Die Vier-in-einem-Perspektive

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