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Arbeitspolitische Terrainverschiebungen
ОглавлениеWie Fortschritt denken?
Die Märchen der Gebrüder Grimm erzählen u. a. von Wölfen, die sich als wer anders ausgeben, um leichter an ihre Beute zu gelangen. Der Wolf geht im Schafspelz, verkleidet sich als Mutter oder Großmutter, übernimmt fremde Stimmen. Das Modell passt auf unsere Frage nach dem Fortschritt. Schließlich geht es davon aus, dass entweder alles genau so ist, wie es auf den ersten Blick scheint – dies die behütete Normalität –, oder das Schlechte sich als das Erhoffte verkleidet, der trügerische Schein den Sieg davonträgt.
So dachten in den 1970er Jahren die kritischen Beobachter der rasanten Produktivkraftentwicklung innerhalb des Kapitalismus und versuchten die Umbrüche, die mehr Selbständigkeit der Arbeitenden, mehr Qualifikation, mehr Mitentscheidung verlangten, z. B. mit Worten wie »Scheinsozialismus« oder »Management-Sozialismus« zu begreifen (Nichols 1975). Nichols sieht damals durchaus den revolutionären Charakter der neuen Anforderungen, der aber zugunsten von mehr Profit integrierbar war – mangels einer entsprechenden Politik der kollektiven Arbeiter oder, wie Cressey und Maclnnes (1980) herausarbeiten, weil es den Unternehmern gelingt, ihre Lösungen in quasi sozialistischen Begriffen, z. B. als Partizipation akzeptabel zu machen. Burawoy (1978) behauptet sogar, die Arbeiterinteressen an Zukunft überschnitten sich mit den Kapitalinteressen, Mehrwert zu gewinnen, sodass das antagonistische Erleben politisch erst entwickelt werden müsse als Engagement für die Gesamtgesellschaft. Zur Diskussion stehen eine Reihe von neuen Formen in der Arbeit, die traditionell unter sozialistischem Vorzeichen angestrebt worden waren. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf den Abbau von Hierarchie und Formen kollektiver Selbstbestimmungskompetenz, die sich ausdehnt auf Qualifikation und Zeiteinteilung. Die Wirkung dieser von der Entwicklung der Produktivkräfte her in Bewegung geratenen Strukturen besteht in einem Ineinander von Attraktion und Integration. Das Attraktive äußert sich in Zielen, Perspektiven, Forderungen, die als utopische am Horizont des zu Erkämpfenden, mithin als Fortschritt erhofft waren. Das Kapital erweist sich als starker Moloch, der sich diese als sprengend gedachten Dimensionen einverleibt. Zu begreifen ist nicht nur dieser Vorgang, sondern weit schwieriger, wie strategisch zu handeln ist, wenn die einstigen Ziele zu Mitteln der Profitproduktion werden und zur Befriedung der entstandenen Krisen und Unruhen genutzt werden können. Dies ist nach den Umbrüchen vom Fordismus zur mikroelektronischen Produktionsweise innerhalb des neoliberalen Projekts zu analysieren. Betrachten wir also die Wölfe im Schafspelz und fragen zugleich, ob die Annahme, dass es sich um Schein, Täuschung, Verkleidung handle, tragfähig ist.
Auch Ernst Bloch arbeitet mit Begriffen wie Betrug, Verkleidung, Tarnung, Schein, um die Indienstnahme von Sprache und Symbolik der Arbeiterbewegung durch den Nazismus zu begreifen. Sein Begriff »Entwendungen aus der Kommune« (1933, 70 ff) empfiehlt so, genuin sozialistische oder gar kommunistische Praxen, Gehalte, Vorstellungen anzunehmen, die »wirklichen Bedürfnissen entsprechen« (70) und die aus ihrem Zusammenhang gestohlen und in fremde Dienste genommen sind. Das Projekt Automation und Qualifikation (PAQ 1981) hat diese Begriffssprache übernommen und entsprechend Arbeitsformen, die als »sozialistisch« gedacht waren – die Brigade, der Wettbewerb, das Neuererwesen –, in kapitalistischen Betrieben untersucht. Ihr Begriffsvorschlag »gesellschaftlicher Schein von Unternehmerstrategien« bleibt im Bann der Täuschungsmetaphorik. Dabei gelingt es, eine ganze Reihe von neueren Managementstrategien als widersprüchliche Weisen zu entdecken, neue Produktionskonzepte zu installieren; Denkwerkzeug jedoch bleibt, dass etwas dem Kapitalismus nicht Gehörendes hörig gemacht wird. Eine solche Abbildungsweise tut sich schwer, die Bewegungsweise kapitalistischer Entwicklung als eine Dynamik mit Übergängen zu begreifen.
Anders Rosa Luxemburg. Sie nimmt – Marx folgend – an, dass der Kapitalismus die Produktivkräfte entwickelt, die über ihn hinausreichen, dass er dafür aber Altes (Lebensweisen, Formen, Gebräuche, ganze Völker) zerstört und noch für diese Zerstörung selbst die neuen Produktivkräfte einsetzt. Das Neue tritt bei ihr also auf in der Form einer Destruktivkraft (GW 1,1 283 ff). Das ist keine Verkleidung oder Täuschung, sondern Praxisform in bestimmten Verhältnissen. Entsprechend braucht es Menschen, die einen Umsturz herbeiführen. Die Perspektive heißt: Sozialismus oder Barbarei.
Marx’ Metaphorik legt die Analysewerkzeuge wie folgt zurecht. Er fordert auf, die »Bildungselemente einer neuen und die Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft« (MEW 23, 526) als Produkte der Antagonismen der kapitalistischen Produktionsweise zu entdecken. Das ist weder Diebstahl noch Schein, sondern Einschreibung in eine widersprüchliche Bewegung der Veränderung und Erneuerung. Das Neue wird in alten Verhältnissen produziert und ist entsprechend geformt – es trägt, um im Bild zu bleiben, die Geburtsmale und zeigt zugleich Abstoßungskräfte. Das Neue/Fortschritt kündigt sich an als Kampf, als Schmerz, als Bruch, als Abschied, als Krise. Es wird unverträglich mit der alten Hülle, in der es gerade noch geborgen und gemacht war. Dies bezeichnet den Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Im Widerspruch braucht es Akteure, die in der entstandenen Krise neuen Verhältnissen zum Durchbruch verhelfen. Es gibt keinen automatischen Fortschrittsweg. Und in Bezug auf unseren Gegenstand, die Entwicklung der kapitalistisch organisierten Arbeit heißt es: Im Ergebnis verliert die unmittelbare Arbeit ihre zentrale Rolle und setzt die Bedeutung des Wertgesetzes herab, woraus völlig neue Formen von »Reichtum« resultieren. Nun erscheint der »Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, [als] miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffne« (MEW 42, 601).
Es gibt weder ein einfaches geradliniges Fortschrittskonzept noch das eines zunehmenden Rückschritts. Die Sache ist komplizierter: Die Menschen bringen ihre Geschichte unter bestimmten Verhältnissen von Herrschaft und Ausbeutung voran. Auf diesem Wege entwickeln sie Produktivkräfte, die unentbehrlich sind, um die Menschheit auf ein Niveau zu bringen, auf dem sie einigermaßen über die Verausgabung und Entfaltung ihrer Lebenskräfte bestimmen kann; die Früchte dieses Fortschritts werden jeweils von den Herrschenden der verschiedenen Produktionsweisen angeeignet, sodass die Lage der Arbeitenden u. U. schlechter werden kann (nicht muss). Unter Herrschaftsbedingungen ist es allerdings nicht möglich, dass alle zu gleichen Teilen an den Früchten partizipieren. Wenn die Entwicklung so weit vorangetrieben ist, dass die bewährten Herrschaftsformen unpassend werden, gibt es eine Reihe von Verwerfungen, Verschärfungen, Krisen, Polarisierungen, Hoffnungen und ihre Pervertierungen. Solche Krisen sind eine Chance zum Handeln. In einer solchen Krise finden wir uns seit geraumer Zeit, seit dem Ende des Fordismus, also seit den 1970er Jahren, und in Bezug auf die neoliberale Regulierung seit den 1990er Jahren, in der Frage der Arbeit.
So werden die Verschiebungen in der Diskussion um die Zukunft der Arbeit im Folgenden keinesfalls naiv als Dimensionen von Fortschritt betrachtet, den es zu unterstützen und voranzutreiben gälte. Sie sind vielmehr als Zeichen von Unverträglichkeiten zu begreifen, als Versuche, ein lebbares Gleichgewicht unter Beibehaltung der Rahmenverhältnisse zu finden, dabei möglichst viel Widerstand zu vereinnahmen oder präventiv umzulenken in Form einer Art passiven Revolution. Bei alledem interessieren sie als Veränderung unserer Handlungsbedingungen, die nicht zuletzt daraus resultiert, dass eine ganze Reihe radikaler Forderungen etwa aus der Frauenbewegung auf der Seite offizieller Vorschläge erscheint.
Krise um Arbeit. Club of Rome 1998
Nach dem aufsehenerregenden Bericht über die Grenzen des Wachstums (1972), den Bänden Mit der Natur rechnen (1995) und Faktor 4 (1995) hat der Club of Rome 1998 einen politischen Vorschlag zur Arbeitsproblematik vorgelegt. Das Buch enthält außer dem Vorwort von Ernst Ulrich von Weizsäcker ein Geleitwort des Aufsichtsratsvorsitzenden der Robert Bosch GmbH Bierisch und eine Vorbemerkung des Exekutivkomitees des Club of Rome. Als Motto spricht Sir Karl Popper über die Dringlichkeit, das »Problem der Vollbeschäftigung« »optimistisch« anzugehen. So eingeführt strahlt das Buch Bedeutung aus und Segen von oben. Versprochen werden: eine systematische Behandlung der Arbeitslosigkeitskrise und die Vision einer neuen Arbeitsgesellschaft (von Weizsäcker), ein arbeitsethisches Fundament (Bierisch), eine eingehende Analyse der moralischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte der Arbeit (Exekutivkomitee). Wer mit entsprechenden Erwartungen das Buch durcharbeitet, muss enttäuscht werden. Keiner der hier vorgestellten Gedanken und Vorschläge, Analysen und Berichte ist in irgendeiner Weise »neu«. Im Gegenteil wurden die einzelnen Punkte zur Veränderung von Arbeit und Arbeitsbegriff seit mehr als 20 Jahren geradezu mit Redundanz diskutiert, wenn auch nicht im Mainstream. So u. a. von Andre Gorz, vor allem aber, soweit es die Hausarbeit betrifft, in der Frauenbewegung, unter vielen anderen bei Rifkin, aber auch in den jüngeren Diskussionen um Eigenarbeit (vgl. etwa Scherhorn 1995, 1998; Möller 1997).
Im Folgenden geht es besonders um die Stichworte, die aus den politischen Diskursen »von unten« in das neoliberale Konzept des Berichts eingebaut werden. Die Begründungen, die historischen Exkurse lasse ich weg, weil sie zumeist nur Ideologisches zu bieten haben. Immerhin haben sich die Autoren die Mühe einer Historisierung gemacht und ebnen damit wiederum dem Einsatz historischer Argumentation einen Weg.
Es geht um die weltweit wachsende Arbeitslosigkeit, die im Geleitwort folgendermaßen umrissen wird: In Deutschland verloren die Landwirtschaft und das produzierende Gewerbe in den letzten sieben Jahren 4,5 Millionen Arbeitsplätze, die ein Zuwachs an 1,5 Millionen Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor nicht auszugleichen vermochte. In der OECD wuchs die Zahl der Arbeitslosen auf 36 Millionen oder 7,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung. Diese Entwicklung hält an. Ergänzen wir: Nach Zahlen des Sachverständigenrats 1997 steigt zwar die Zahl der Erwerbstätigen insbesondre zwischen 1950 und 1965 ein wenig, stärker noch aber steigt die Erwerbsbevölkerung, sodass seit 1980 die Zahl der Arbeitslosen dramatisch wächst, um nach kurzer Pause von 1985 bis 1989 schnell weiter zu steigen. Das Statistische Jahrbuch zeigt seit den sechziger Jahren ein kontinuierliches Wachstum an Sachkapital der deutschen Wirtschaft bei stets schrumpfendem Bedarf an Arbeiterinnen und Arbeitern. Dies also ist die Ausgangslage.
Im Zentrum steht der Vorschlag einer Ausdehnung des Arbeitsbegriffs auf alle »produktiven Tätigkeiten im erweiterten Sinn« (u. a. 14 u. 211). Dafür soll im Gegenzug der jetzige Arbeitsbegriff auf den der Beschäftigung verengt werden, womit das, was wir als »Krise der Arbeitsgesellschaft« zu denken gewohnt sind (seit 1982, seit dem Soziologentag, auf dem Dahrendorf, Offe et al. diesem Sprachgebrauch zum Zuge verhalfen), weniger dramatisch wird. Für den Umbau des Arbeitsbegriffs wird konstatiert: »Letztlich ist es unsere Produktion im weitesten Sinne, nicht allein der Prozess der industriellen Erzeugung materieller Güter, über die wir uns definieren: wir sind, was wir produzieren.« (26)
Der historische Exkurs zurück in die Agrarwirtschaft soll den hohen Anteil an Eigenproduktion dort zeigen und verdeutlichen, dass die Konzentration auf Güterproduktion und Erwerbsarbeit nur eine Übergangsphase war, die den Wohlstand der Nationen (Smith ist Kronzeuge) schnell und wirksam, aber einseitig voranbrachte. Das Fazit: Die Konzentration auf bezahlte Arbeit in der Güterproduktion gehört einer vergangenen Epoche an. Jetzt geht es darum, die Dimensionen menschlicher Produktivität und Kreativität, die »identitätsstiftend« sind, zum Einsatz zu bringen, um »eine völlig andere Organisation von Arbeit« (212) voranzutreiben.
Diese Stoßrichtung wird eingangs von Weizsäcker emphatisch zusammengefasst: Die Reduktion menschlicher Arbeit auf einen ökonomischen Produktionsfaktor verursache Schäden und sei eine Herabwürdigung. Arbeitslosigkeit bedeute so nicht nur Abnahme von materiellem Wohlstand, sondern beraube den Menschen auch der Möglichkeit von Selbstverwirklichung und aktiver Teilnahme an Gesellschaft. Indem die Autoren als zentrale Dimensionen von Lohnarbeit die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand, Identität oder Selbstverwirklichung und die Frage der Partizipation an Gesellschaft aufnehmen, kommen sie erst gar nicht auf die Idee, das Lob der Arbeitslosigkeit als möglicher Muße zu singen und – wie das auch anderswo politisch diskutiert wird – die Frage einer existenziellen Krise mit Verweis auf ein Existenzminimum beiseitezuschieben. Es geht darum, die derzeitige Entwicklung, die auf eine Massenarbeitslosigkeit zusteuert, welche mehr als ein Drittel der Bevölkerung umfassen wird, als äußerst bedrohlich wahrzunehmen und ihre Lösung daher sofort anzugehen.
Die Autoren nehmen Forderungen aus dreißig Jahren Frauenbewegung auf: Anerkennung der Hausarbeit als Arbeit. Sie ergänzen: Anerkennung überhaupt der unzähligen ehrenamtlich verrichteten Tätigkeiten durch ihren Einschluss in den Arbeitsbegriff. Sie schlagen für die Zukunft im Prinzip eine Dreiteilung des Verständnisses von Arbeit als produktiver Tätigkeit vor. Die herkömmlich entlohnten Tätigkeiten sollen auf ca. 20 Stunden pro Woche reduziert werden (212); hinzu kommen solche Tätigkeiten, die man auch am Markt berechnen und kaufen könnte, die aber herkömmlich nicht bezahlt geleistet werden7, sondern »freiwillig« oder »wohltätig« (37) sind, wie Kinderbetreuung, Haushaltstätigkeiten, viele ehrenamtliche Tätigkeiten – sie werden zu 70 Prozent von Frauen getan und bilden, laut Berechnung des Familienministeriums von 1994, ein Drittel des Sozialprodukts in Deutschland (150). Schließlich gibt es Tätigkeiten, die gewöhnlich nicht als Tauschwerte ausgedrückt werden – die Autoren nennen Tätigkeiten des »Eigenkonsums« und der »Eigenproduktion« wie Reparaturen, Selbstbehandlung, Bildung (151) und behaupten, dass diese Tätigkeiten in »unserer Dienstleistungsgesellschaft« dauernd zunehmen. Als Beispiel führen sie etwa die Selbstbedienung in der Distribution und am Geldautomaten an, »wo vormals monetisierte Systeme abgeschafft werden« (151) und neue Typen entstünden wie der Prosument (nach Toffler zusammengesetzt aus Produzent und Konsument). Sie resümieren, »dass jede Strategie für die Entwicklung von Beschäftigung und produktiven Tätigkeiten alle drei Formen der Produktion parallel fördern muss« (145). Die Unterscheidung in diese Tätigkeitsarten dient dem Nachweis, dass eine Gesellschaft, die allein auf Tausch basiert – mit Geld als Vermittler und einer Berechnung der Verausgabung von Zeit –, immer weniger überlebensfähig ist. Freilich werden die Nutznießer nicht genannt, sodass man den Eindruck einer eher schicksalhaften Bewegung hat.
Diese Ausgangsbestimmungen legen nahe, dass ein Umbau auch eine kulturelle Tat ist, die eingreift in die Werthaltungen und Gewohnheiten der Menschen. Die Autoren bezeichnen dies munter als »kulturelles Abenteuer« (26).
Die Lohnarbeitszeitverkürzung soll flankiert werden durch ein Grundeinkommen und eine negative Einkommensteuer (179). Beides soll gewährleisten, dass niemand in Armut leben muss, aber im Ganzen geht es darum, »Arbeit zu subventionieren, nicht Untätigkeit« (181). Die Argumentation entspricht der in den USA und in England als Entwicklung vom »welfarestate« zum »workfare-state« propagierten. Alle sollen über ein Mindestmaß an Geld verfügen als Einkommen für produktive Arbeit und als Grundeinkommen für Ernährung, Kleidung, Unterkunft, Gesundheit. Unmittelbare Abhängigkeiten sollen dadurch überwunden werden: zwischen Männern und Frauen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Arbeitslosen und Arbeitslosenämtern usw. (176).
Die Vorschläge scheinen zumindest für ein so entwickeltes industrielles Land wie die BRD nicht vollkommen illusionär, wenn man z. B. bedenkt, dass die strategische Seite des Problems, die Arbeitslosigkeit, den Fiskus jährlich ca. 38 000 DM pro Kopf kostet. Dieses Geld wollen die Autoren für die Subventionierung von Arbeit verwendet wissen.
Von Kapital oder Profit und Markt als gesellschaftlicher Regelungsinstanz ist in dem Bericht nirgends die Rede, jedoch werden einigermaßen realistisch die Folgen betrachtet, die der zunehmende Reichtum in Gestalt der wachsenden Produktivität der Arbeit unter kapitalistischen Verhältnissen für die Produzierenden hat: dass sie nämlich zu großen Teilen arbeitslos werden. Dies soll das »Paradox des Paradieses« zeigen:
»Das Paradies ist ein Ort, wo die Technologie so weit fortgeschritten ist, dass es möglich ist, alle materiellen Waren praktisch ohne jegliche Kosten herzustellen. Der Haken an der Sache ist, dass in einer solchen Situation niemand bezahlt werden könnte, mit dem Ergebnis, dass unser Produktionsparadies eher wie eine gesellschaftliche Hölle – kein Geldeinkommen und hundert Prozent Arbeitslosigkeit – aussähe.« (96)
Auch der Raubbau an der Natur wird in die Bestandsaufnahme einbegezogen: Es müsse ein Weg gefunden werden, »den Wert der Mitgift und des Erbes der Natur« für uns festzustellen (139 f). Am Ende kommen die Autoren zu dem Schluss, den Maßstab für Wohlstand zu ändern, ihn nicht mehr als Summe aller monetären Kosten zu fassen, sondern Kriterien wie die Kaufkraft (gemäß dem Jahresbericht der Weltbank zum Wohlstand der Völker) und solche der »Menschheitsentwicklung« (deren Indizes vom United Nations Development Programme unter Hineinnahme bestimmter nichtbezahlter Tätigkeiten entwickelt wurden) zur Grundlage zu machen (257 f). Sie empfehlen, Tätigkeiten ohne Bezahlung anders zu stimulieren sowie die Überwachung des allgemeinen Wohlstands wie des Wechsels von Tätigkeiten zwischen den bezahlten und anderen Teilen der Wirtschaft (264). Sozialpolitik müsse so gestaltet werden, dass alle das Recht haben, produktiv tätig zu sein (249). Ziel ist eine Vollbeschäftigung (in der neuen Dreiteilung), in der ein Minimum an Erwerbsarbeit vereinbart sei (249).
Linke Einwände können sich auf die Vagheit der einzelnen Bestimmungen richten; so wird z. B. nicht deutlich, ob jetzt alle die Halbierung der Erwerbsarbeit mitmachen sollen oder gar müssen und wie mit den vorherigen Löhnen umgegangen wird (dazu 242 ff); man kann aus den Vorschlägen nicht errechnen, wie hoch die jeweiligen Verdienste tatsächlich sind und wie weitere Polarisierung zu verhindern ist. Warum hier nicht strategisch und fordernd konstruktiv eingreifen statt zu klagen, dies bedeute eine Verschlechterung: Pflichtarbeit für die Armen, zu geringes Grundeinkommen für die vielen, Armut, Polarisierung und ein Verlust an Perspektive. Der Vorwurf gewinnt in dem Maße an Plausibilität, wie man sich das Gesamtprojekt nur als kapitalistische Überlebensstrategie denkt und nicht vom Standpunkt eines veränderten krisenhaften Kraftfeldes spricht, in dem wir als Handelnde vorkommen und ein politisches Projekt überhaupt erst Konturen und Hegemonie gewinnen muss. Vorläufig sehen wir eine Reihe von für uns bislang positiven Bestimmungen – radikale Verkürzung der Arbeitszeit, Einbeziehung aller Arbeiten in den Arbeitsbegriff, Ansprüche an Arbeit, dass man sich mit ihr überhaupt identifizieren kann – als Material für eine Lösung der »Krise der Arbeitsgesellschaft« von oben.
Betrachten wir die Phänomene mit marxschem Blick als »Elemente der neuen Gesellschaft« in den Fesseln der alten und zugleich als »Umwälzungsfermente«, als Dimensionen, die unser politisches Handeln bestimmen. Warum nicht eine Halbierung der Erwerbsarbeitszeit für alle mit einem Ausgleich, der ein Leben ermöglicht, in dem »Ernährung, Kleidung, Wohnen, Gesundheit« gesichert sind, und dies selbstverständlich ergänzen um Bildung und Politikkompetenz sowie Entfaltung von Fähigkeiten? Warum nicht endlich die vielen Mogelpackungen an ehrenamtlichen und unbezahlten Arbeiten vor allem von Frauen aufnehmen in den Fundus gesellschaftlich notwendiger Arbeit und die Herausforderung, die ein solches Unterfangen im Ernst für die Kapitalverwertungsstrukturen bedeutet, offensiv mitartikulieren?
Die Autoren sehen eine Überwachung des »Wohlstands« vor und ebenso eine, die den Wechsel in den Tätigkeitsarten einmahnt. Vorbilder sind der Human Development Report und Sozialpolitik. Ließe sich solches nicht für eine sozial gerechtere Gesellschaft ausarbeiten und erringen, statt Kontrolle zu befürchten, wo es jetzt unter dem Mantel der Freiheit äußerst ungerecht zugeht?
Es handelt sich zweifellos nicht um eine Neuauflage des Bündnisses für Arbeit, wie es derzeit zwischen Gewerkschaften, Regierung und Wirtschaft verhandelt wird. Vielleicht aber ist es näher an den Forderungen der Frauen und also auch näher an einer guten Gesellschaft, in der gerechter und demokratischer gelebt werden könnte?
Feministische Fragen
Ich prüfe im Folgenden unter feministischem Gesichtspunkt und setze dabei implizit voraus, dass die herkömmliche Weise, u. U. etwas mehr Lohn für die gebliebenen, zumeist männlichen Arbeiter zu erringen und im Übrigen die Gesamtentwicklung auf eine Katastrophe zutreiben zu lassen, kein Projekt ist, das irgendwo Frauenunterstützung verdient, aus ihm mithin kein Fortschritt zu gewinnen ist.
Ich habe vor 15 Jahren zum ersten Mal und seither kontinuierlich versucht, drei wichtige aktuelle Problematiken zu bündeln: den Rückgang an Erwerbsarbeit, die einseitige Verteilung der mit Familienarbeit/Reproduktionsarbeit benennbaren Bereiche und die Notwendigkeit einer politischen Gestaltung der Gesellschaft, die Einbeziehung aller als gesellschaftliche-politische-kulturelle Menschen. Meine Idee war eine Dreiteilung in Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit und kulturelle/politische Arbeit. Als politische Losung inmitten der »Krise der Arbeitsgesellschaft« formulierte ich: Wir haben nicht zu wenig, sondern zu viel Arbeit (Haug 1985, 1986, 1986b). Später habe ich dies als Menschenrechte einzufordern versucht: Recht auf Arbeit (verstanden als Lohnarbeit), verpflichtendes Recht auf Arbeit an Zukunft – Sorge für Leben und Natur – und Recht auf Politik als Gesellschaftsgestaltung, und in allen Fällen ein Recht, alle diese Bereiche sich lernend anzueignen (u. a. Haug 1996). Daher bin ich auf der einen Seite erleichtert, dass mit dem Bericht an den Club of Rome solche Fragen offensichtlich geradezu im Mainstream Platz genommen haben, und gleichzeitig verwirrt, wie ähnlich und wie anders sie hier klingen.
Auf den ersten Blick ist die Beliebigkeit auffällig, mit der der Arbeitsbegriff beim Club of Rome erweitert und ergänzt ist. Während ich versucht hatte, meine Erweiterungsvorschläge an der gesellschaftlich notwendigen Arbeit und ihrer Verteilung zu orientieren, wird im Bericht alles aufgenommen, was Menschen überhaupt tun könnten. Maßstab ist die eigene Organisation des individuellen Arbeitslebens und die Aufnahme von möglichst viel nichtbezahlter Arbeit in die Lebensplanung. Diese Beliebigkeit fordert geradezu dazu heraus, sich moralisch zu erheben und das eine oder andere – etwa den Vorsitz in einem Kegelverein – für nicht so wichtig zu halten, weil ihm der Bezug auf das gesellschaftlich Notwendige fehlt. Diese Dimension, welche an Zukunft zu orientieren ist – also die Sorge für die nächste Generation ebenso einschließen muss wie die für die außermenschliche Natur – und an Gerechtigkeit – also auch die Völker in den Dritten Welten betrifft –, verschwindet im Club-of-Rome-Vorschlag im Markt der Möglichkeiten. Was geschieht, wenn man sie nachträgt?
Die Beliebigkeit betrifft alle einzelnen Bestimmungen. Sie ist gewonnen durch gezielte Weglassungen. So sind unter »nichtmonetisierten Tätigkeiten« »freiwillige oder wohltätige Arbeiten« (37) zur Aufwertung vorgeschlagen. Indem Absicht und guter Wille der solcherart Tätigen die Definition bestimmen, verschwindet der Sinn, den diese Tätigkeiten für Gesellschaft haben oder haben könnten. Im weiteren Begriff der »nichtmonetarisierten Tätigkeiten« – worunter auch alle unbezahlte Kinderbetreuung, Haushaltstätigkeiten etc. fallen – verschwindet der Skandal, dass die Gesellschaft es sich leistet, die Frage der Zukunft ins Abseits des »außerökonomischen Sektors« geschoben zu haben.
Beide – die nichtmonetisierten wie die nichtmonetarisierten Tätigkeiten – sollen auf einem Satellitenkonto (150) ebenso bilanziert werden, wie das Bruttosozialprodukt den Wohlstand einer Nation ausweist. Dieser Vorschlag ist nicht nur von der Hand zu weisen, jedoch problematisch. Einerseits werden politische Argumentationen für die Anerkennung und Aufwertung von Hausarbeit gestärkt, wenn man auf den »Wert« der unbezahlten Arbeit in diesen Bereichen verweisen kann. Andererseits gerät durch die »Erhebung« zeitintensiver Reproduktionsarbeit in den Rang von Lohnarbeit eine der Hauptproblematiken unseres Zivilisationsmodells aus dem Blick: dass die Lebensmittelproduktion im weiteren Sinn, die nach Profitgesichtspunkten reguliert ist, sich über das Leben erhoben hat, als sei dies nicht Ziel, sondern bestenfalls ein Absatzmarkt. Für die Frage der Diskussion und Durchsetzung solcher Vorschläge wie dem des Satellitenkontos bedeutet dies im Übrigen, dass wirkliche Zustimmung aus der Bevölkerung problematisch wird. Dem gesunden Menschenverstand scheint es eher ein Anschlag auf die Menschlichkeit, wenn man etwa vorrechnet, was das Aufziehen eines Kindes nach Tariflohn kosten würde, und fragt, ob dieses Produkt »Kind« dann auf irgendeinem Markt verkaufbar wäre, ob die investierte Arbeit sich also gelohnt habe. Befürchtet wird nicht nur von konservativer Seite, dass auf diese Weise nun auch »Liebestätigkeiten« entseelt würden, wenn man sie in Geld umrechnet. Die Nichtbezahlung von zeitintensiver Arbeit am Lebendigen ist nicht nur Gewohnheit und hat Tradition, sie ist nicht nur grundlegend für die Unterdrückung und Marginalisierung von Frauen, sie ist auch ein Hoffnungsposten in diesem Zivilisationsmodell, wo ansonsten nur zählt, was sich bezahlt macht, und durchfällt, was sich am Markt nicht bewähren kann.
Aber es geht im Bericht nicht nur dieser entscheidende Zusammenhang verloren. In der Leichtigkeit, mit der er die dominante Stellung der Lohnarbeit verabschiedet, wird die Rechnung gewissermaßen ohne den Wirt, ohne die Herren der Gesellschaft gemacht. In der Argumentation der Autoren taucht Lohnarbeit irgendwann in der Entwicklung der Arbeit (»plötzlich«, 90) auf; ihre Zeit scheint abgelaufen. Kein Gedanke wird verschwendet an die doppelte Verkehrung, welche die Form der Lohnarbeit anzeigt: dass hier auf gesellschaftlicher Stufenleiter privat gearbeitet wird, von Menschen, die frei genug sind, dies zu tun, und zugleich keine andere Möglichkeit haben, als ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und dass dieser Zusammenhang die Entwicklung vorantreibt von Krise zu Krise, weil die Erzielung von Profit die Wirtschaftsweise regelt.
Damit wird fraglich, ob der Vorschlag tatsächlich hegemoniefähig ist, ob er also auf eine Massenzustimmung und eine Durchschlagskraft im Politischen rechnen kann. Vorläufig scheint es mir, als ob die eben aufgeführten Schwächen der Beliebigkeit und Gleichgültigkeit, die auf jede ethische Wertung verzichten und keinen Zwang auf individuelle Lebensweisen auszuüben scheinen, gerade die Stärken sind, die eine allgemeine Zustimmung hervorbringen können. Dies wird abgesichert durch das Versprechen eines existenzsichernden Einkommens, so vage dies auch im Einzelnen bleibt. Prüfen wir diesen Vorschlag für unsere reichen industriell entwickelten Gesellschaften, für die gleichwohl die »Krise der Arbeitsgesellschaft« ein brennendes Problem ist. Hier klingt die Vergewisserung von Selbstverwirklichung in Eigenarbeit oder im Hobby nicht gar so zynisch. Jedoch wird offensichtlich, dass »Selbstverwirklichung« als ganz individuelle Handlung gedacht ist, losgelöst von anderen und von Gesellschaft im Großen. Vereinzelt wählt jeder, ob er sich eher im Garten, im Kegelverein oder bei der Altenpflege verwirklicht. Er macht einen Lebensplan, wie er ein Menü zusammenstellt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird ins Imaginäre geschoben.
Fazit
Die Ausgangsfrage war: Gibt es in der Entwicklung, für die der neue Bericht an den Club of Rome ein Indikator ist, einen Terrainwechsel, durch den unsere bisherigen perspektivischen Vorschläge und Kampfpunkte so einbezogen sind, dass eine linke Politik handeln muss und auf andere Weise als bisher auch kann? Die Frage kann bejaht werden. Das Ziel dieses Berichts ist nicht eine gute Gesellschaft, aber die drei Hauptachsen – die Halbierung der Erwerbsarbeitszeit, die Erweiterung des Arbeitsbegriffs, die Garantie eines existenzsichernden Einkommens und damit das Recht auf Arbeit und Leben in Gesellschaft – eröffnen neue Möglichkeiten, die wichtigen Fragen in großer Öffentlichkeit zu diskutieren. Sie sind ein Anfang, wie er in dieser Weise bislang nur in eher linken und vor allem feministischen Vorstellungen überlegt wurde. Dass diese Vorstellungen Mainstream werden, ist sicher auch eine Waffe gegen derzeitige gewerkschaftliche Diskussion und Vorschläge. Da die Autoren Realentwicklung aufnehmen und Lösungen vorschlagen, wo die Bedrohung schon offensichtlich ist – etwa bei Jugendlichen, Frauen, Alten –, wäre zynisch, wer hier bloß Ungenügen anmerkte. Wir müssen aus solchen Vorschlägen von oben eine Stärke von unten machen und das Projekt einer guten Gesellschaft unter Nutzung dieser Widersprüche vorantreiben.