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2. Tag - Die Grande Dame der Karibik

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Sonntag, 08.März 2015

Murmeltiere schlafen auch nicht besser, aber sie stehen bestimmt zeitiger auf als wir nach der langen Anreise. Gut, dass wir Frühstück erst für halb zehn bestellt haben. Jede Stunde Schlaf können wir gut gebrauchen. Noch vor dem Frühstück baue ich die Räder zusammen. Den Lenker habe ich zu Hause abmontiert, in Luftpolsterfolie eingewickelt und senkrecht an das Rad mit Packband geklebt. Jetzt wird er wieder an den Vorbau geschraubt. Sattel, Pedale und das abmontierte Schaltwerk werden angebracht. Zuletzt noch Luft in die Reifen und schon stehen die zwei Drahtesel fahrbereit vor uns. Langsam realisieren wir, dass wir wirklich da sind. Jetzt beginnt unsere langersehnte Reise durch Kuba.

Auf der Terrasse ist das Frühstück gedeckt. Wir setzen uns auf alte Stühle aus Metall. Auch der Tisch besteht aus filigranen Metallarbeiten. Es wird Kaffee mit Milch serviert. Das scheint auf Kuba genauso üblich zu sein, wie in Europa. Dann wird es exotischer. Als erstes gibt es für jeden von uns einen Teller mit frischen Früchten. Darauf sind Papayastücke, eine große Scheibe frische Ananas, aufgeschnittene Bananen und ein paar Stücke Guave. Diese Frucht ist bei uns weniger bekannt. Eine Guavenschorle findet man hin und wieder in einem Asiarestaurant auf der Karte. Als rohe Frucht sieht man sie in Deutschland nur selten. Sie stammt aus den tropischen Gebieten Amerikas. Aber auch im Mittelmeerraum, Südafrika oder in Westindien werden sie heute angebaut. Sie schmecken süß-säuerlich, fast wie ein Mix aus Erdbeere, Stachelbeere und Birne. Beim Essen spürt man viele kleine Kerne, so dass man nicht einfach drauf los kauen kann. Guaven sind sehr gesund. Ihr Anteil an Vitamin C ist viermal höher als der einer Kiwi. Hier bekommen wir die Früchte reif auf den Tisch. Wenn wir sie bei uns im Supermarkt fänden, wären sie unreif geerntet und mit dem Flieger verschickt worden. Das macht sie sehr teuer und der Vitamingehalt ist aufgrund der frühen Ernte sicher nicht so hoch. Als wir noch einen Krug mit Guavenschorle von Alma vorgesetzt bekommen, kann gar nichts mehr schiefgehen. Das Frühstück deckt den Vitamin-C-Gehalt einer Woche.

Zum Frühstück gibt es aber noch mehr. Wir bekommen getrocknetes Weißbrot, gelben Zwieback, Marmeladen und Honig serviert. Dazu noch ein Stück Kuchen. Nach dem üppigen Frühstück ist mir klar, dass ich erst am Abend wieder etwas zu Essen brauche. Zur Verdauung steige ich noch die steilen Stufen einer Metalltreppe auf das Dach des Hauses empor. Hier habe ich einen guten Blick über die Stadt. Es ist der erste Blick in die Ferne auf Kuba bei Tageslicht. Im Hintergrund erkenne ich ein paar kleinere Hügel. Die Stadt ist groß. Sie besteht aus vielen kleineren Häusern, alten Kolonialbauten und ein paar Plattenbauten am Stadtrand. Dazwischen wachsen Palmen. Die meisten Häuser könnten einen neuen Anstrich vertragen. Auffällig sind die vielen, blauen Wassertanks auf den Dächern.

Wir zahlen unsere Rechnung und deponieren die zwei Radkartons und eine Reisetasche bei Alma. So müssen wir sie auf unserem langen Weg nicht dauernd mitnehmen. Das haben wir bereits im Vorfeld vereinbart und geben der netten Dame noch etwas extra für den nicht selbstverständlichen Dienst.

Jetzt holen wir das Auto vom Plaza, damit wir unsere Sachen einladen können. Als wir unseren Wagen besteigen, fegt ein alter Mann Blätter vom Autodach und hofft auf ein Trinkgeld. Wir geben ihm ein paar Groschen. Er scheint unzufrieden, zumindest verrät uns dies sein Gesichtsausdruck. Wir müssen erst noch rauskriegen, wer überhaupt und wie viel Trinkgeld für was bekommen soll.

100 Kilometer Autofahrt nach Havanna liegen vor uns. Die Räder und das Gepäck sind schnell verstaut und wir auf dem Weg raus aus Matanzas. Elke lotst mich mit der Landkarte perfekt auf die Hauptstraße. Jetzt am Tag ist das Fahren ein Kinderspiel. Im Vergleich zu Deutschland geht es auf den Straßen gemütlich zu. Auf der Strecke nach Havanna kommen uns viele amerikanische Oldtimer entgegen. Man denkt sofort an das Kuba der 40er und 50er Jahre.

Die Straße von Matanzas nach Havanna ist über weite Strecken zweispurig. Es fahren nur wenig Autos. Dafür sehen wir viele Pferdewagen. Sie sind meist einspännig und besitzen nur eine Achse wie ein Sulky. Auf dem einfachen Bock haben zwei bis drei Personen Platz. Man sieht vorwiegend kleinere Pferderassen. Sehr oft stehen Menschen an der Straße und wollen als Anhalter mitgenommen werden. Sie winken schon von weitem mit Pesoscheinen in der Hand. Das ist üblich auf Kuba. Da die Leute des Öfteren ein bis zwei Stunden zur Arbeit fahren müssen, der öffentliche Verkehr bei weitem nicht ausreicht, die wenigsten aber ein Auto besitzen, warten sie am Straßenrand, um mitgenommen zu werden. Wir haben leider keinen Platz. Unser Auto ist bis unter das Dach mit Rädern und Taschen aufgefüllt. Sonst würden wir den einen oder anderen mitnehmen.

Es gibt auf der Fahrt viel zu sehen. So haben wir schnell die 100 Kilometer bis Havanna geschafft. Jetzt müssen wir ins Zentrum. Im gleichnamigen Stadtteil „Centro“ liegt unsere Unterkunft. Es ist ein privates Haus. Ich hoffe, dass es heute bei Tageslicht einfacher ist, es ausfindig zu machen. Jetzt müssten wir schon wissen, wo die Straßennamen zu finden sind und wie die Hausnummern aussehen. Von Osten kommend fahren wir erst unter der Naturbucht von „La Habana“ hindurch. Dies ist möglich, weil zwischen 1955 und 1958 ein aufwändiger Straßentunnel gebaut wurde.

Die Anzahl der Fahrzeuge und der Trubel auf den Straßen steigt zunehmend, je weiter wir uns dem Zentrum von Havanna nähern. Dank Karte können wir uns gut orientieren. Wir fahren gemütlich. Trotzdem drängelt fast keiner der anderen Verkehrsteilnehmer. Es scheint im Verkehr so etwas wie eine kubanische Gelassenheit zu geben. Die vielen alten Autos stinken ganz schön, wenn man hinter ihnen herfährt. Kein Wunder, denn wenn die alten Karossen mal Gas geben, kommt eine schwarze Wolke aus ihrem Auspuff. Gehupt wird andauernd und das von allen Verkehrsteilnehmern, außer natürlich von den Fußgängern und den Reitern. Letztere sind in der Stadt aber selten. Gehupt wird nicht um zu Drängeln, sondern nur, um freundlich auf sich aufmerksam zu machen.

Unsere Unterkunft ist schnell gefunden. Eine schmale Tür an einer etwas heruntergekommenen Fassade ist es. Ein kleines Schild mit dem Namen des Eigentümers zeigt uns, dass wir richtig sind. Wir läuten und der Türsummer ertönt. Das Auto haben wir auf der recht breiten Straße einfach vor der Haustüre geparkt. Wir gehen eine Treppe nach oben in den ersten Stock. Die Vermieter, ein älteres Ehepaar, begrüßen uns freundlich. Wir finden gepflegte Räume eines circa 100 bis 150 Jahre alten Gebäudes vor. Die Zimmer sind hoch. Die Einrichtung ist alt, aber gut erhalten und gepflegt. Die Kubaner achten sehr auf ihr Hab und Gut. Eine Wiederbeschaffung ist eben nicht so einfach möglich. Man kann nicht in den nächsten Laden gehen und sich zum Beispiel neues Geschirr besorgen. Zum einen ist nicht alles verfügbar, zum anderen sind die finanziellen Mittel begrenzt. Also hütet man seinen Besitz, auch wenn er alt geworden ist. Antiquitätenhändler hätten auf Kuba vermutlich ihre wahre Freude.

Die Herrschaften vermieten drei Zimmer in ihrem Haus. Sie zeigen uns das Gemach, in dem wir zwei Tage residieren dürfen. Wir haben das mittlere Zimmer ohne Fenster. Das stimmt nicht ganz. Im angrenzenden Bad ist eines, das zum Innenhof gerichtet ist. Klimaanlage, Kühlschrank und ein kleiner Fernseher sind auch vorhanden. Wir erzählen, dass wir Räder im Auto haben und diese gerne im Haus deponieren wollen. Das ist kein Problem. Der Hausherr zeigt uns gleich einen guten Platz. Außerdem gibt er uns ein paar grundlegende Tipps für den Besuch der Stadt. Auf einem kleinen Stadtplan zeichnet er uns den Weg zum historischen Zentrum auf und markiert wichtige Sehenswürdigkeiten. Außerdem erklärt er uns die zwei Währungen es Landes. Dafür hat er sogar ein Plakat, auf dem die Scheine abgebildet sind. Wir würden uns gerne am nächsten Abend von der Hausherrin bekochen lassen, was scheinbar kein Problem ist. Sehr gut, dann haben wir für morgen gleich gesorgt.

Ich habe mir überlegt, dass wir heute Nachmittag zu Fuß die Altstadt von Havanna erkunden. Morgen können wir mit dem Rad durch die Stadt streifen und unseren Radius vergrößern. Jetzt laden wir unsere Habe erst einmal aus und bringen die Taschen und die Räder auf das Zimmer. Mit den Rädern sind wir sehr vorsichtig, damit wir Wände und Einrichtung nicht beschädigen oder verschmutzen. Für den Transport müssen wir zweimal klingeln. Einmal an der Haustür und dann noch einmal an einem Zwischengitter, das sich auf halber Höhe der Treppe befindet. Die Haustür wird von den Hausherren immer blind geöffnet. Das Gitter wird nur dann geöffnet, wenn die Besitzer erkennen, dass der Besucher zum Haus gehört. Am Ende der Treppe ist noch ein niedriges Gitter, an dem Glöckchen befestigt sind. Es scheint so, als würde man es Eindringlingen so schwer wie möglich machen wollen.

Es ist erst Mittag und wir beschließen uns gleich auf den Weg zu machen. Wir wollen die Stadt erkunden, Oldtimer bewundern und fotografieren. Das reizt mich schon seit dem Entschluss für die Reise. Es sind eben die Bilder, die man im Kopf hat, wenn man an Kuba denkt.

Bevor wir gehen, sehen wir uns noch im Haus um. Gemälde, Möbel, Fußböden und das Gebäude an sich sind antiquarisch. Gleich fällt uns ein großer, über hundert Jahre alter, gusseiserner Aschenbecher auf. Er ist knapp einen Meter hoch und wirkt wuchtig und alt. Hier sind sicher schon so einige Zigarren in Asche aufgegangen. Die Bilder an den Wänden zeigen alte Familienfotos in Schwarz-Weiß. Die Möbel sind massiv, aus dunklen Holz gefertigt und künstlerisch verziert.

Jetzt aber los in die Altstadt, dem Stadtteil „Habana Vieja“. Wir genießen es durch die weltbekannte Metropole zu schlendern. Im Kopf klingen mir die legendären Melodien der Compay Segundo. Wir sehen die alten Häuser im Kolonialstil und durch die Straßen fahren amerikanische Oldtimer der 40er und 50er Jahre. Man könnte meinen, wir sind in der Bilderbuchromantik angekommen, die viele mit Kuba verbinden und all das bei guten Wetter und karibischer Gelassenheit. Aber die Realität sieht anders aus.

In Wahrheit sind viele Häuser über die letzten Jahrzehnte mehr und mehr verfallen. Die Straßen haben zahlreiche Schlaglöcher. Oft sieht man verlassene Baustellen. Nicht viele Bewohner haben die finanziellen Mittel, um ihr Haus hübsch herzurichten. Das ist nur denen möglich, die gut verdienen. Und verdienen kann man derzeit eigentlich nur im Tourismus. Auf den Straßen sieht man sofort, dass die Menschen wenig haben. Man kann nicht sagen, dass sie ganz arm sind. Dazu fängt sie das sozialistische System mit seiner Grundversorgung auf. Aber das Leben wird, so sagt man, von Jahr zu Jahr schwieriger zu bewältigen. Warum? Das werden wir noch herausfinden.

Wir wohnen im Stadtteil Centro. Von der Seitenstraße unserer Unterkunft gehen wir zur großen Hauptstraße, der Neptuno. Es ist die traditionelle Geschäftsstraße in diesem Stadtteil. Neben den staatlichen Läden sind hier auch viele Privatbetriebe ansässig. Touristen wie wir werden an jeder Ecke angesprochen, ob wir ein Taxi brauchen, ob wir Essen gehen wollen, ob wir etwas kaufen wollen, und und und. Touristen werden von den Habaneros gesehen, wie „Geld auf zwei Beinen“.

Wir kaufen uns eine Flasche Wasser. In dem kleinen Supermarkt, der gefühlt nur 100 Produkte anbietet, bekommen wir eine 1,5-Literflasche für umgerechnet 0,70 Euro. Es gibt nur eine Sorte Wasser. Auch bei Cola und Limonade steht nur eine Marke im Regal. Dafür gibt es wesentlich mehr Sorten Rum zu kaufen. Es sind sicher 30 verschiedene im Angebot. Sie kommen aus allen Teilen Kubas. Die Preise für Rum sind für uns günstig. Eine Flasche guter, siebenjähriger Rum kostet circa 10 Euro, ein Drittel weniger als in Deutschland. Für Einheimische ist das aber unerschwinglich. Die Löhne werden in kubanischen Peso ausbezahlt und betragen für Angestellte umgerechnet gerademal 20 Euro im Monat. Selbst Ärzte verdienen nur 50 Euro. Das Ganze funktioniert nur, weil die Waren des täglichen Bedarfs mit den einheimischen Pesos in sogenannten Pesoläden für billiges Geld zu haben sind. Es gibt so etwas wie Lebensmittelmarken, mit denen bestimmt wird, wie viel und wie oft man bestimmte Dinge pro Person kaufen kann. Die Mengen sind abhängig von Alter und Geschlecht. Kinder bekommen zum Beispiel mehr Milch zugeteilt als Erwachsene. Andere Beispiele sind Reis, von dem man pro Monat und Person circa 2,7 Kilo beziehen kann, oder Kartoffeln, deren Bezugsmenge etwa 7 Kilo pro Monat ausmacht. Eine eigens geschaffene Behörde verteilt die "Libreta", ein kleines Heftchen mit den Marken an jeden Bürger. Die Waren haben sich im Preis viele Jahrzehnte mehr oder weniger stabil gehalten, weil sie staatlich subventioniert wurden. Die Löhne sind dafür aber auch kaum gestiegen. Nur so kann das System einigermaßen funktionieren. Wobei der Begriff "funktionieren" übertrieben wäre. Der Staat bietet dem Bürger mehr als er leisten kann. So ist er auf Einnahmen des Auslandes angewiesen. Ein Großteil der Einnahmen Kubas wird durch die Entsendung von Akademikern ins Ausland bestritten. 50.000 kubanische Ärzte sind derzeit in mehr als 60 Ländern im Einsatz. Es landen etwa 80 % dieser im Ausland verdienten Gehälter in der Staatskasse. Brasilien zum Beispiel bezahlt Kuba 4.100 Dollar für einen Arzt im Monat. Eine Reform 2014 brachte etwas Verbesserung. Der Arzt selbst bekommt jetzt circa 350 Dollar, was das Vielfache seines Verdienstes in der Heimat darstellt. Ein Teil des Restgeldes, nämlich 500 Dollar, wird für seine Familie in Kuba vom Staat aufbewahrt, bis der Arzt seine Zeit im Ausland beendet hat und zurückkehrt. Schlau gedacht von der Regierung. Trotzdem nutzen immer wieder viele die Gelegenheit, sich im Gastland abzusetzen. Wie hoch die Fluchtbewegung ist, kann man nicht ermitteln. Es gibt keine offiziellen Zahlen. Die meisten werden aber zurückkommen, da das angesparte Guthaben für die Familie eine wirklich große Menge Geld bedeutet.

In Venezuela arbeiten ebenso viele Kubaner. Das Land liefert im Gegenzug jedes Jahr für über 3 Milliarden Dollar Gegenwert Öl nach Kuba. Die gesamten Ärztemissionen spülen etwa 8 Milliarden US-Dollar in die Staatskasse. Die Einnahmen aller entsandten Akademiker im Ausland ergeben zwei Drittel der Einnahmen Kubas im Dienstleistungssektor, noch weit vor den Einnahmen durch den Tourismus.

Unser Wasser haben wir in einem Geschäft gekauft, in dem man mit CUC bezahlt. Deswegen sieht man im Laden hauptsächlich Touristen oder Kubaner, die über den Tourismus CUC einnehmen und damit Waren zum Bewirten ihrer Gäste kaufen.

Das "Libreta-System" war und ist natürlich eine Maßnahme, um die Bürger vom Staat abhängig zu machen. Systemkritiker haben es daher schwer. Da die Gehälter in einheimischen Peso ausgezahlt werden und der Bezug der Lebensmittel in Peso erschwinglich ist, wäre ein Ausschluss von der Versorgung durch die Bezugsscheine eine harte Maßnahme, ja eine echt harte Strafe.

Die Straße „Neptuno“ endet an der „Paseo de Marti“, der Prachtstraße in Havanna. Hier beginnt die Altstadt mit ihren vielen Sehenswürdigkeiten. Man sieht viele Touristen. Die meisten alten, amerikanischen Oldtimer sind als Taxis im Einsatz. Die Fahrer chauffieren die Urlauber klischeehaft durch Havannas Altstadt.

Gleich rechts an der „Paseo de Marti“ befindet sich das Capitolio. Das Bauwerk, das in seiner äußeren Form im Stil des Klassizismus 1929 gebaut wurde, ähnelt sehr dem Kapitol in Washington D.C. oder dem Petersdom in Rom. Es diente bis 1959 als Sitz der Legislative. Später wurde es ein Kongresszentrum und konnte besichtigt werden. Derzeit ist es wegen dringender Sanierungsarbeiten geschlossen. Die "Oficina del Historiador de la Ciudad de La Habana" (deutsch: Büro des Stadthistorikers von Havanna) hat die Arbeit in Auftrag gegeben. Sogar eine deutsche Firma ist mit einem Teil der Arbeiten betraut. Die Kubaner haben ein ausgeprägtes, historisches Bewusstsein, das sich baulich nicht nur auf die Castro-Zeit beschränkt. Devisen aus dem Tourismus machen es möglich die historische Substanz ausgewählter Bauwerke zu erhalten. Außerdem hat die UNESCO einiges an Fördergelder zum Erhalt berühmter Gebäude nach Kuba fließen lassen.

Wir gehen weiter durch die Straßen der Altstadt. Ohne Plan, aber mit guten Orientierungssinn werden wir uns sicher nicht verlaufen. Touristen sprechen uns an, wo wir die Wasserflasche gekauft haben. Sie hatten keine 1,5-Literflasche in den Geschäften gefunden. Wir erklären bereitwillig, wo sich der Laden befindet, in dem wir vorhin eingekauft haben. Die Verfügbarkeit von Wasser scheint nicht selbstverständlich zu sein.

Wenig später kommen wir an den Bahnhof. Gerade ist ein Zug angekommen. Einige der Wagone sehen gut erhalten aus, andere sind rostig und alt. Hier ist der sprichwörtliche Lack schon sehr lange ab. Die Reisenden strömen aus dem Haupteingang. Viele haben Pappschachten, die mit Schnüren zu einem großen Paket eingebunden sind, in der Hand oder auf der Schulter. Pappschachteln dienen hier als Kofferersatz. Not macht eben erfinderisch.

Beim Schlendern durch die Altstadt sehen wir viele der gut erhaltenen und neu renovierten Gebäude. Auch die zahlreichen Parks mit Palmen und vielen Bäumen runden das Stadtbild ab. In der Nähe des Hafens entdecken wir ein großes Gebäude. Davor parken zahlreiche Reisebusse. In der mächtigen Halle befinden sich hunderte von Verkaufsständen. Es werden Souvenirs, Zigarren, dazugehörige Humidore, T-Shirts, Kleider, Bilder und allerlei sonstige Ramschware feilgeboten. Hierher werden also die Touristenmassen aus den Badeorten gebracht. Die Händler sind fast so aufdringlich wie auf einem ägyptischen Bazar. Will man sich etwas näher ansehen, wird man gleich von den verkaufstüchtigen Geschäftemachern umworben. Überall ist nur „Hola“ und „Hello“ zu hören. Gemütlich etwas anschauen ist nicht möglich. Manchmal kann Massentourismus abstoßend sein. Wir sind froh, als wir das Verkaufsgelände wieder verlassen dürfen.

Auf der Uferstraße, dem berühmten Malecón, gehen wir in nördlicher Richtung weiter. Hin und wieder spenden uns Bäume wohltuenden Schatten. Noch besseren Schatten bieten Häuser. Deswegen schlendern wir durch eine schmale Gasse parallel zum Malecón, vorbei am Parque Humboldt. Alexander von Humboldt gilt praktisch als zweiter Entdecker Kubas. Er bereiste Anfang des 19. Jahrhunderts das Land und kritisierte die Zustände, unter denen die schwarze Sklavenbevölkerung litt.

Vor dem „Plaza de San Francisco de Asis“ passieren wir das Kloster des Heiligen Franziskus. Der große Platz selbst liegt direkt am Hafen. Dort legen Kreuzfahrtschiffe an. An der Nordseite des Platzes befindet sich ein großes Gebäude im romanischen Stil. Es ist das "Lonja del Comercio", das 1909 vom spanischen Architekten Tomas Mur geplant wurde. In dem Gebäude befand sich bis zur Revolution die Börse. Auf dem Dach thront eine mächtige Bronzestatue von Merkur, dem römischen Gott der Kaufleute. Heute sind hier Büros internationaler Firmen untergebracht.

Über die Calle Obispo gelangen wir zurück zum Parque Central und erreichen wieder das Capitolio an der Paseo de Marti. Die Sonne steht tiefer und lässt das ehemalige Regierungsgebäude in schönem Abendlicht scheinen. Apropos Abend, wir haben langsam Hunger. Heute verlassen wir uns mal auf den Reiseführer und gehen zu einem Restaurant, gegenüber dem Capitolio, das als sehr gut beschrieben wird. Sein Name ist „Nardo“. Es ist gerade mal 17.30 Uhr und vor der Tür hat sich bereits eine Schlange gebildet. Wir stellen uns dazu und warten einfach. Mal sehen, wie lange es dauert. Vor uns stehen noch drei kleine Grüppchen. Ein Türsteher schickt immer wieder ein paar Leute rein, wenn Gäste das Lokal verlassen.

Knapp eine halbe Stunde müssen wir warten, dann werden wir aufgerufen. Wir müssen hoch in den ersten Stock. Das Haus ist klimatisiert. Hoffentlich reicht unsere spärliche Kleidung, um der Klimaanlage zu trotzen. Im großen Gastraum ist es sehr dunkel. Ein Kellner empfiehlt uns als Getränk die Sangria des Hauses. Dazu nehmen wir kubanisches Schweinefleisch, ein typisches Gericht. Als Beilagen gibt es Kartoffeln, Reis mit Bohnen und einen Salat. Mit einen Mojito zum Abschluss kommen wir auf eine Rechnung von 35 CUC, also etwa 35 Euro. Es war gut und reichlich. Das Lokal ist sehr gepflegt. Es ist ein nichtstaatliches Restaurant. Vielleicht gerade deshalb ist das Personal sehr bemüht. Das hohe Maß an Sauberkeit ist bemerkenswert.

Satt und zufrieden gehen wir nach draußen, wo es viel wärmer ist. Vorbei am Capitolio schlendern wir nach Hause. Die US-Oldtimer fahren immer noch Touristen durch die Stadt. Manche lassen sich mit einer alten Pferdekutsche durch die Gassen chauffieren. Auch wenn es schon fast dunkel ist, es herrscht noch viel Leben auf den Straßen.

Alles in Allem ist die Altstadt gut hergerichtet. Natürlich nicht alle Gebäude, aber viele Häuser strahlen in neuem Glanz. In diesem Vorzeigestadtteil "Habana Vieja" wird eben schon länger investiert, um die alte Substanz wiederaufzubauen.

Als wir die Altstadt verlassen und den Stadtteil Centro betreten, erkennen wir einen deutlichen Unterschied. In den Nebenstraßen sieht es oft heruntergekommen aus. Einige Häuser werden von abenteuerlichen Holzgerüsten gestützt, da sie einsturzgefährdet sind. Es riecht nach Müll und Abwasser. Klar hat so eine Stadt den Charme der Historie. Aber wer sich in die Menschen hineindenkt, die hier leben, bemerkt, dass dieses Land mehr und mehr verfällt. Sicherlich bekommt der Pauschaltourist am Badestrand von Varadero bei einem Busausflug in das historische Zentrum von Havanna nicht allzu viel davon mit. Wir sehen aber nicht weg und vergessen die Bildband-Romantik. Vieleicht gerade deswegen müssen wir uns erst daran gewöhnen.

Irgendwie kommen uns Parallelen in den Sinn. Wie war es denn in Osteuropa vor der Öffnung zum Westen? Wie haben damals Städte in Polen, Tschechien und auch in den ostdeutschen Bundesländern ausgesehen?

Nach dem Zerfall des Warschauer Paktes blühten die Städte nach wenigen Jahren wieder zu neuem Glanz auf. Bei alldem bleibt trotzdem der Zwiespalt. Denn auf der anderen Seite hat der Staat in Kuba ein großzügiges, soziales Netz aufgespannt. Gesundheitswesen und Bildung sind für die Bevölkerung kostenlos. Grundnahrungsmittel gibt es günstig auf Lebensmittelkarten zu kaufen. Doch auch dieses System kippt. Das Geld der Staatskasse ist knapp. Die Öffnung des Landes zur Marktwirtschaft steht kurz bevor. Und sie ist auch notwendig. Auch wenn die Revolution und der Wandel zum Sozialismus Ende der 50er Jahre seine guten Gründe hatte, das Land braucht unserer Ansicht den Wandel sehr dringend!

Um 20 Uhr sind wir wieder zu Hause. Auf dem Bett machen wir es uns gemütlich und lesen ein wenig. Ein kleiner Fernseher ist an der Wand befestigt. Als ich ihn einschalte flimmert jeder Sender. Der Ton ist kaum zu verstehen. Ich mache mich an der Antenne zu schaffen. Wie in alten Zeiten verändere ich Stellung und Neigung und stoppe beim bestmöglichen Bild. Die meisten Programme zeigen Musik- und Tanzsendungen. Auch Nachrichten sind dabei. Ich versuche ein paar Wörter der schnell gesprochenen Sätze zu verstehen. In die Sprache muss man sich reinhören. Mein Spanisch reicht zwar zum Durchkommen im Urlaub, aber für die Nachrichtensprecherin reicht es dann doch nicht aus.

Vor dem Schlafen gehen lassen wir den Tag mit den vielen Eindrücken Revue passieren. Diese müssen erst verarbeitet werden, gerade weil wir Dinge nicht nur ansehen, sondern auch hinterfragen und verstehen wollen. Eines können wir an dieser Stelle schon behaupten. Havanna ist für uns nicht die viel besagte „Perle der Karibik“, auch nicht „Das Paris der Karibik“. Wir nennen sie die „Grand Dame der Karibik“. Sie ist schon etwas in die Jahre gekommen, besitzt Charakter, hat viel erlebt und braucht mehr und mehr Pflege.

Rum und Zigarren - Mit dem Fahrrad unterwegs in Kuba

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