Читать книгу Vogelfrei - Fritz Sauer - Страница 9
Kopenhagen-Centrum.
ОглавлениеEs war Samstagmorgen und die Einkaufsstraße Stroget war voller Leute. Kopenhagener kauften ein und Touristen schlenderten von Schaufenster zu Schaufenster, betrachteten die ausgestellten Waren aus aller Welt und verglichen in Gedanken die Preise mit dem heimatlichen Angebot. Kopfrechnen war angesagt. Holger konnte am Besten Kopfrechnen, schließlich lernte er Einzelhandelskaufmann. Er interessierte sich für Fotoapparate und studierte vor jedem Fachgeschäft die Preise. Ein Pentax-Modell hatte es ihm besonders angetan, es hatte Wechselobjektive mit M42 Schraubgewinde. Schließlich fand er einen Laden, wo eine gebrauchte Pentax für 400 D-Mark angeboten wurde und kam ins Grübeln. Daneben aber lag eine Leica M2, deren Mythos ihm glänzende Augen machte, aber deren Preis ihm dann die Tränen in dieselben trieb. Das war doch eine andere Welt und unerschwinglich für einen Lehrling im Einzelhandel. „Das kannst Du dir ja doch nicht leisten“, sagte Felix, den die Sache anfing zu nerven.
„Ich habe 300 DM dabei“, antwortete Holger, „ich könnte feilschen.“
„Aber Du traust dich nicht“, entgegnete Regina provozierend und grinste herausfordernd.
Das konnte Holger nicht auf sich sitzen lassen, er ging in den Laden und bot dem Verkäufer 300 DM für die Asahi Pentax. Der holte den Chef des Ladens. Holger nahm demonstrativ drei Hunderter aus seinem Portemonnaie und hielt sie ihm hin. Regina und Felix verfolgten gespannt die Situation durch die Fensterscheibe. Der alte Chef schaute ihm ins Gesicht und dann auf die Geldscheine.
„Die Kamera gehört Ihnen“, sagte er in gutem Deutsch und nahm die drei „Hunnis“ entgegen.
Holger kam als stolzer Besitzer einer Spiegelreflex-Kamera nebst Film aus dem Laden und Regina gab ihm einen Kuss: „Das hast Du toll gemacht!“
Nachdem Holger die Anleitung überflogen hatte, spannte er den Film ein und legte los.
Regina war natürlich sein erstes Motiv und sie ließ sich auch gerne fotografieren und posierte für ihn vor allen möglichen Gebäuden und Hintergründen.
Die Kamera machte Holger irgendwie interessant.
Felix war etwas neidisch wegen der schönen Kamera und etwas eifersüchtig wegen Regina, die sich mehr und mehr als Diva fühlte, der zwei Männer zu Füßen lagen.
Sie hatte für sich eine bunte Hippie-Kette und ein gelbes Top mit Spaghetti-Trägern erstanden und hielt es vor ihren Körper.
„Wie findet ihr das“, fragte sie neckisch. „Wunderbar“, sagte Felix.
„Klasse“, meinte Holger und machte noch ein Foto.
Felix hatte nichts gekauft, aber vieles gesehen, was er auch gerne gehabt hätte.
„Ein Stadtbummel ohne was zu kaufen ist auch frustrierend“, dachte er, aber es war erst der zweite Tag seiner Reise und das Geld musste noch lange reichen.
„Ach was, ich brauche das alles nicht“, sagte er sich, „das müsste ich alles schleppen und das bei der Hitze.“
Dann machte Holger auch ein Foto von ihm mit Regina und Felix war wieder versöhnt.
Holger wollte aber auch ein Foto von sich selbst mit Regina haben und gab Felix den Apparat, um das Foto zu machen. Die Pentax lag gut in der Hand und es machte Felix Spaß, sich mit der Funktionsweise vertraut zu machen und das gewünschte Bild zu knipsen.
Holger nahm Regina in den Arm und sie strahlten beide in die Kamera.
Nach dem Einkaufsbummel besuchten sie die kleine Meerjungfrau im Hafen, das Wahrzeichen von Kopenhagen. Sie war viel kleiner als gedacht und ständig stellten sich Menschen davor, um ein Foto machen zu lassen.
Holger und Regina wollten auch eins und Felix und Regina ebenfalls und so dauerte es ganz schön lange, bis sie ihre Fotos ohne fremde Menschen im Kasten hatten.
„Jetzt möchte ich in den Tivoli“, sagte Holger und sie stiegen in den Bus zum Hauptbahnhof.
Im Vergnügungspark aßen sie dänische Würstchen, die eine rote Farbe hatten und sehr künstlich aussahen. Auch die Brötchen waren ziemlich pappig.
„Und jetzt auf die Achterbahn“, rief Holger gut gelaunt und trank den letzten Schluck Bier aus.
Die Achterbahn war aus Holz gebaut, uralt und hieß „Rutschebanen“ auf Dänisch. Sie wurde bereits 1914 eröffnet. In der Mitte des Zuges saß auf einem erhöhten Stuhl der Bremser und bediente den Bremshebel, denn der Zug hatte keine Sicherungsrollen unter den Gleisen wie bei den modernen Achterbahnen und durfte in den Kurven nicht zu schnell fahren, sonst wäre er entgleist.
Felix wollte dafür kein Geld ausgeben und Regina hatte Angst, als sie den vierschrötigen Bremser sah, dem sie ihr Leben anvertrauen sollte. An den höchsten Stellen war die Achterbahn immerhin 13 Meter hoch und bei den Schussfahrten erreichte sie eine Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern, die der Bremser vor der nächsten Kurve wieder abstoppen musste.
So musste Holger alleine fahren und Felix und Regina warteten vor der Achterbahn und sahen zu, wie der Zug erst in der Bergkulisse verschwand und dann die Abfahrten hinunter schoss.
Felix spielte mit der Kamera und übte die Bewegungsabläufe, die ein Fotograf beherrschen muss: Belichtungszeit wählen, Motiv anvisieren, scharf stellen, Belichtungszeiger in die Mitte der Skala durch drehen am Blenden-Ring bringen und dann auf den richtigen Moment zum Abdrücken warten. Auf den magischen Moment, die Hundertstel Sekunde, in der ein besonderer Ausdruck im Gesicht eines Menschen erscheint oder in dem die Sonne ein besonderes Licht auf das Motiv wirft.
Oder der Moment, in dem etwas Schreckliches passiert, z.B. die Achterbahn aus der Kurve fliegt und dreißig Menschen verunglücken. Ein Foto von diesem Augenblick, in dem der Zug in der Luft schwebt, bevor er zu Boden stürzt, würde um die Welt gehen und den Fotografen berühmt machen, der diesen Moment festgehalten hatte.
Felix behielt die Gleise im Visier und hatte alles richtig eingestellt, als die Bahn die Abfahrt hinunter schoss. Holger saß im ersten Wagen und hatte Felix und Regina im Blick. Er sah, dass Felix die Kamera im Anschlag hatte, sprang auf und winkte.
Dann kam die Kurve und die Fliehkräfte begannen zu wirken. Holger konnte sich nicht mehr halten und wurde nach außen geschleudert, wo er gegen die Wagenwand knallte, fast wäre er aus dem Wagen geschleudert worden. Wenig später war die Fahrt zu Ende. Holger stieg aus der Achterbahn und kam grinsend aus dem Fahrgeschäft. „Hast Du mich fotografiert?“, fragte er und war erfreut, als Felix das bestätigte.
„Hoffentlich ist es gut geworden.“
„Du bist ein ziemlicher Idiot“, meinte Regina kopfschüttelnd, „Du hättest jetzt auch mit gebrochenen Knochen am Boden liegen können.“
Dann gingen sie zum nächsten Amüsierbetrieb, diesmal wurde eine Bootsfahrt auf einem Wasserkanal angeboten und alle drei stiegen in dasselbe Boot.
Felix fotografierte weiterhin und Holger freute sich, dass er so viele schöne Fotos mit Regina bekommen würde.
„Jetzt sitzen wir alle in einem Boot“, sagte Regina und lächelte sybillinisch.
Felix fotografierte das Pärchen mit einem romantischen Wasserfall im Hintergrund.
„Vielleicht auch mal einen Kuss?“, schlug Felix vor, den das Jagdfieber gepackt hatte. Die Beiden zierten sich nicht und lieferten ihm eine filmreife Liebes-Szene, von der er drei Bilder machte.
Der Umgang mit der Kamera faszinierte ihn, und er vergaß dabei sogar seine leise Eifersucht, denn er hatte jetzt eine neue Geliebte gefunden - die Kamera.
Nachdem sie noch eine Weile über das Gelände geschlendert waren und alle möglichen Fahrgeschäfte bestaunt hatten, wollte Felix zum Freistaat und Holger wollte in ein Restaurant. Regina wollte auch lieber in ein Restaurant und so gab Felix die Kamera zurück an Holger und machte sich allein auf den Weg.
„Wir sehen uns dann beim Frühstück“, sagte Regina zum Abschied und winkte ihm nach.