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2. Kapitel

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Wolf hatte das Unheil kommen sehen. In demselben Augenblick war er vom Gaul gesprungen, hatte mit kurzem Anlauf den Graben überflogen und sich über den Zaun geschwungen. Mit zwei Sätzen war er bei Hanna, die regungslos und ohne Bewusstsein· auf dem Gesicht lag. Ohne zu zögern, schob er seinen Arm unter ihre Brust und hob sie etwas empor. Unwillkürlich strich seine linke Hand zärtlich liebkosend über ihr reiches, schwarzes Haar, von dem sich das Hütchen gelöst hatte.

»Hanna, du leichtsinniges Mädchen! Hast du dir weh getan?«

Sorgsam, aber schnell betastete er ihre Arme, sie schienen heil zu sein. Dann zog er sein Taschentuch und wischte ihr das Gesicht ab… Voll scheuer Zärtlichkeit sah er auf das liebe Gesicht, das im jähen Schreck erstarrt zu sein schien. Neben ihm bewegte sich das Pferd und stöhnte jammervoll. Er wandte den Kopf.

Das edle Tier hatte den rechten Vorderfuß über dem Knie gebrochen. Ein spitzes Knochenende hatte die Haut durchbohrt… Mit menschlichem Ausdruck in den schönen Augen schien die Stute seine Hilfe anzuflehen.

Er biss die Zähne zusammen, dass sie knirschten.

»Auch das noch … armes Tier! Das ist ein teurer Spaß geworden, Hanna! Ach was! Wenn du dir nur nichts geholt hast.«

Nun schob er auch seinen linken Arm unter ihren Körper und hob sie auf. Schritt für Schritt rang er sich durch den zähen, weichen Boden, in den er fast bis zu den Knien einsank, am Zaun entlang, bis zu einer kleinen Bohlenbrücke, die über den Graben führte. Gehorsam wie ein Hund ging Potrimpos auf dem Wege mit ihm mit und stand still, als Wolf mit seiner Last auf ihn zutrat.

Vorsichtig hob er Hanna auf und schob ihren Oberkörper über seine linke Schulter. Dann suchte er mit dem Fuß den Bügel und hob sich mit seiner Bürde in den Sattel.

»Trab, Potrimpos … wir müssen machen, dass wir nach Hause kommen…«

Jetzt erst fühlte er die Schweißtropfen auf seiner Stirn und gleichzeitig die Nässe und Kälte, die von Hannas Kleidern auf ihn eindrang. Der Fuchs schnob und kochte.

»Hilft nichts, mein Alter, wir müssen uns beeilen.«

Der Gaul warf den Kopf auf, als hätte er seinen Herrn verstanden und schlug eine schärfere Gangart an.

Auf dem Gutshof herrschte geschäftiges Leben.

Ein Dreschsatz war in voller Tätigkeit … dabei stand gerade die jüngste der vier Schwestern, ein kraushaariger Blondkopf von zwölf Jahren. Sie kam über den Hof gelaufen, als Wolf vor der Veranda hielt.

»Wolf, was ist mit Hanna geschehen?«

»Nichts Schlimmes, Gretel, wie ich hoffe. Ein ungefährlicher Sturz in den weichen Acker. Mach’ mir schnell die Tür auf, und nun spring’ in die Küche und hol’ ein paar Margellen, bringt auch eine Schüssel warmes Wasser mit.«

Auf der Diele trat ihm Christel entgegen, die zweite Tochter, größer und stattlicher als ihre ältere Schwester.

»Frag’ nicht, Christel, führ’ mich zu Hannas Zimmer…«

Er hatte seine Bürde auf einen Diwan niedergelegt und strich ihr sanft mit der Hand über das kalte Gesicht…

»Kleide sie aus, wasch’ sie ab und bringe sie zu Bett. Hoffentlich ist nichts gebrochen. Wenn sie aufwacht, gebt ihr heißen Fliedertee. Ich bleibe unten, bis du mir Bescheid bringst, ob alles in Ordnung ist…«

Der Gutsherr saß gemütlich mit Pfeife und Schlafrock in seinem Arbeitszimmer und las die Zeitungen.

»Wolf, mein Junge, wie siehst du aus? Hast du dich im Dreck gewälzt?« rief er dem Eintretenden entgegen.

»Nein, Onkel, ich habe mich von Hanna abgefärbt, die sieht noch etwas dreckiges: aus.«

»Wieso? Weshalb?«

»Weil sie vom Gaul in den knietiefen Sturzacker hinter dem Roggenschlag gefallen ist. Da habe ich sie aufgelesen und nach Hause gebracht…«

»Wolf, doch nichts Schlimmes?«

»Ich hoffe nicht, Onkel, die Christel hat sie schon oben in Behandlung… Aber die schöne Stute ist zum Deuwel. Sie hat den rechten Vorderfuß gebrochen. Der Inspektor muss sofort rausreiten und sie durch einen Schuss erlösen…«

Der Gutsherr schüttelte langsam den Kopf hin und her.

»Wie ist das gekommen?«

»Aus reinem Übermut, Onkel. Hanna wollte den Graben mit dem Zaun dahinter nehmen. Die Stute kam im Sprung schlecht ab und schlug gegen die oberste Stange…«

»Warst du denn dabei?«

»Freilich… Wir ritten gemütlich nebeneinander, da jagte Hanna plötzlich los, und ehe ich es hindern konnte, war das Unglück geschehen.«

Kopfschüttelnd ging der Gutsherr vor die Tür, um den Inspektor zu rufen. Wolf ging unruhig im Zimmer auf und ab. Nach einer Weile tat sich die Tür auf und die Gutsherrin trat herein. Eine stattliche Dame, die ihren Gatten um gut einen halben Kopf überragte.

»Was ist das für eine dumme Geschichte mit der Hanna? Warst du nicht dabei?«

»Allerdings, Tantchen. Ich habe sie ja nach Hause gebracht.«

»Wie kann denn das in deiner Gegenwart passieren? Konntest du der Stute nicht in die Zügel fallen?«

»Wenn das ein Vorwurf sein soll, liebe Tante Adele, dann muss ich ihn ablehnen. Ich denke, du weißt, dass ich Hanna jederzeit behüten möchte wie meinen Augapfel.«

»Ein tolles Mädel … Zur Strafe werde ich sie acht Tage nicht reiten lassen.«

»Das wird sich von selbst verbieten, die Stute hat das Bein gebrochen und muss erschossen werden.«

»Auch das noch!«

»Möchtest du nicht nachsehen, Tante, ob Hanna unverletzt ist, damit im Notfall sofort nach dem Arzt geschickt werden kann?«

»Nein, Wolf, das besorgt die Christel viel besser als ich.«

»Aber die tiefe Bewusstlosigkeit, Tantchen, ist die nicht bedenklich?«

Frau Brettschneider lächelte und zuckte die Achseln.

»Du musst deine Ungeduld schon etwas zügeln, lieber Wolf. Wie geht es deiner Mutter?«

»Wie immer, Tantchen … Sie fährt mit ihrem Stuhl im ganzen Hause umher und kommandiert das Ganze. Du weißt doch, dass die Lähmung nur die Folge einer starken Erkältung ist, die sie sich um diese Zeit im Frühjahr durch einen Sturz in den Graben zugezogen hat?«

Die Frau sah dem jungen Mann lächelnd in das ehrlich bekümmerte Gesicht.

»Ja, Wolf. Das ist aber ein sehr seltener Ausnahmefall, und du kannst dich darauf verlassen, dass für Hanna alles getan wird, was nötig ist.«

Erwartungsvoll schauten beide nach der Tür, durch die eben Christel eintrat.

»Alles in Ordnung«, rief sie schon von der Tür aus. »Einen gräulichen Schnupfen wird sie sich geholt haben, weiter nichts. Sie niest schon ganz tapfer und trinkt gehorsam heißen Fliedertee … Sie lässt dir vielmals für deine Hilfe danken und fragt nach ihrer Odaliske.«

»Die ist leider bei dem Sprung verunglückt und muss erschossen werden.«

Über Christels Gesicht flog ein Schatten von Zorn, und ihre dunkelblauen Äugen blitzten auf.

»Ach … das ist aber doch entsetzlich. Wie kann Hanna bloß so leichtsinnig sein?«

»Du würdest solch einen tollen Streich nie fertig bekommen«, meinte die Mutter mit leisem Spott im Ton.

»Nein, Mutter, das würde ich wirklich nie fertig bekommen. Dazu bin ich, obwohl ich jünger bin, viel zu bedachtsam – — ich hätte sicherlich daran gedacht, wie teuer das Pferd ist…«

Sie drehte sich kurz um.

»Wolf, mach’, dass du nach Hause und in trockne Kleider kommst … Grüß’ dein Mütterchen herzlich von mir…«

Sie reichte ihm die Hand und ging hinaus.

»Nun wird Hanna eine gründliche Strafpredigt bekommen«, lachte Frau Brettscheider.

»Das schadet nichts, Tantchen, die hat sie reichlich verdient … Grüß’ den Onkel, er wird wohl selbst aufs Feld geritten sein … Ich muss wirklich machen, dass ich nach Hause komme, mir wird auch kalt…«

Geduldig wartend stand Potrimpos vor der Tür.

Wolf klopfte ihm, ehe er aufstieg, den Hals…

»Es ist alles in Ordnung, mein Alterchen, und du hast auch dazu beigetragen. Das war ein tüchtiges Stück Arbeit, was du geleistet hast … Nun wollen wir nach Hause.«

Eine halbe Stunde später trat Wolf, nachdem er sich umgezogen, in das Wohnzimmer, wo seine Mutter in ihrem Rollstuhl am Fenster saß. Zärtlich beugte er sich zu ihr, küsste ihr den eisgrauen Scheitel und die fleißige Hand, die emsig an einem Deckchen stickte. Ein wunderbar durchgeistigtes Gesicht hob sich ihm entgegen. Darauf stand neben scharfer Klugheit die mild abgeklärte Ruhe des Alters und ganz leise angedeutet ein Schein von sanfter Ergebung in das Schicksal, das sie der Bewegungsfreiheit beraubt hatte. Jetzt leuchtete darauf nur die Mutterliebe…

»Na, wie steht es draußen, mein Sohn?«

»Gut, Mutterchen, gut! Sonne und Wind werden in wenigen Tagen mit der Nässe fertig werden, und dann geht’s an die Arbeit … Ich habe eben die Nachricht vorgefunden, dass die russischen Schnitter heute ankommen. Ich muss nachher in das Schnitterhaus gehen.«

»Es ist alles vorbereitet, mein Sohn, aber es ist gut, wenn du noch mal nachsiehst … Weshalb hast du dich aber umgezogen?«

Wolf lachte.

»Du siehst aber auch alles, Mutter. Ich war etwas nass geworden … Brauchst mich nicht so forschend anzusehen, ich bin ja schon dabei, dir alles zu erzählen. Also: Hanna ist mit ihrer Stute gestürzt. Es ist alles gut abgelaufen, sie fiel in den weichen Sturzacker und wurde wohl infolge des Schrecks und der Nässe ohnmächtig. Da habe ich sie aufgehoben und nach Hause gebracht … Jetzt schwitzt sie und trinkt Fliedertee…«

Die Mutter hatte die fleißigen Hände in den Schoß sinken lassen und ihm schweigend zugehört … Mit einem missbilligenden Kopfschütteln nahm sie ihre Arbeit wieder auf…

Wolf ging unruhig vor ihr auf und ab. Er empfand das Schweigen der Mutter schärfer als ein tadelndes Wort. Erst nach einer langen Pause sagte er leise:

»Du hast recht, Mutter, es war bei ihr ein Ausbruch unbesonnenen Übermutes, der ihr den Unfall zuzog.«

»War das der Erfolg deiner Unterredung mit ihr?«

Wolf nickte.

»Leider, ja!«

Auch Frau Stutterheim nickte.

»Ich habe mit Absicht dich davon nicht zurückgehalten, obwohl ich es wusste, wie dein Versuch ausfallen würde. Du solltest selbst die Erfahrung machen.«

Wolf blieb vor ihr stehen.

»Ja, Mutter, und sie hat mir sehr wehgetan Aber was kann ich dafür, dass ich sie so lieb habe, von klein auf schon.«

Aus dem Schweigen der Mutter hörte er alles, was sie ihm damals gesagt hatte, als er ihr seine Absicht mitteilte, sich um Hanna zu bewerben…

»Mein Sohn, du wirst gut tun, diese Neigung zu unterdrücken. Hanna passt nicht für dich. Sie ist wohl klug und liebenswürdig, aber zu oberflächlich. Jeder junge Mann tut gut, wenn er sich um ein Mädchen bewerben will, sich erst die Mutter anzusehen.«

Da hatte er lachend geantwortet:

»Aber liebste Mutter, wenn ich mich nun in die Christel, deinen Liebling, verliebt hätte…«

Mit einem feinen Lächeln hatte sie geantwortet:

»Auch für Christel gilt mein Wort, denn die habe ich erzogen. Von klein auf hat sie sich wie eine Tochter an mich angeschlossen und alles befolgt, was ich gesagt habe…«

Seine Gedanken flogen wieder zurück in die Jugendzeit. Schon als Kinder waren sie unzertrennlich gewesen. Und wie oft hatten die Eltern im Scherz gesagt und im Ernst gemeint, dass aus den beiden ein Paar werden sollte. Wie ein schweigendes Einverständnis war es zwischen ihnen geblieben … Auch später, als er in Andreaswalde seine Lehrjahre durchmachte. Da war Hanna stets und überall seine Begleiterin gewesen.

Selbst, wenn er mit der Flinte aufs Feld ging, ein paar Hühner oder einen Küchenhasen zu schießen, war sie mit ihm gegangen.

Später, als er auf die landwirtschaftliche Hochschule ging und dann bei den Dragonern in Eyck sein Jahr abdiente, war das kindlich-herzliche Einvernehmen plötzlich zu Ende gewesen. Hanna war ein Jahr in einem Pensionat der französischen Schweiz gewesen, und als sie zurückkam, war aus dem lustigen Kind eine erwachsene junge Dame geworden, die ihr ausgesprochenes Talent für Musik eifrig pflegte und mit „Essig und Öl“, wie ihr eigener Vater spöttisch zu behaupten pflegte, schreckliche Bilder malte … Aber schön war sie geworden, bildschön mit ihrer schlanken und doch so vollen Gestalt, den dunklen, großen Augen, dem überreichen, schwarzen Haar und dem rosigen Mund, der so übermütig lachen konnte … Wie die Bienen um den Honig schwärmten die unverheirateten Offiziere der großen Garnison um sie herum, und auf jedem Fest war sie die unbestrittene Königin … Verwöhnt und gefeiert…

Wie oft hatte er sie in Gedanken mit seiner Mutter verglichen, in der er mit Recht das Ideal einer Mutter und klugen Hausfrau verehrte. Und ebenso oft hatte ihm sein Verstand gesagt, dass Hanna nie, auch nur im Geringsten, seiner Mutter gleichen würde. Aber was vermochte der kühl erwägende Verstand gegen das heiße Begehren seines Herzens?

Er war das, was man eine gute Partie nennt… reich, unabhängig, er galt trotz seiner Jugend für einen Musterwirt. Nur die Rücksicht auf seine Mutter hatte ihn noch immer abgehalten, das entscheidende Wort zu sprechen. Sie hatte ihm einmal angedeutet, dass sie das Haus verlassen würde, wenn er Hanna heiratete. Und das war für ihn ein unübersteigbares Hindernis…

Es war ausgeschlossen, dass er durch seine Heirat die über alles geliebte Mutter aus ihrem Heim vertrieb, an dem ihr Herz mit allen Fasern hing.

Jetzt hatte er gehofft, dass Hanna die tiefere Absicht seiner Aufforderung verstehen und die Gelegenheit ergreifen würde, sich die Zufriedenheit seiner Mutter zu erringen … oder war er ihr so völlig gleichgültig, dass sie ihn nicht verstehen wollte? Das war doch heute eine deutliche Abweisung seiner Bewerbung gewesen…

Als seine Gedanken bei diesem Punkt angelangt waren, griff er mit einem Seufzer nach seiner Mütze und ging hinaus auf den Hof … Ihm war, als hätte er ein langes Gespräch mit seiner Mutter gehabt … und doch war es nur ihr mitleidsvoller Blick gewesen, der ihm sagte, dass ein treues Mutterherz um ihn sorgte … es war keine Voreingenommenheit gegen Hanna, das wusste er, sondern ehrlich sorgende Mutterliebe, die den wackeren Sohn vor einer Ehe bewahren wollte, in der nach einem kurzen, heißen Rausch eine Ernüchterung und Entfremdung eintreten musste…

Der Mann von Eisen

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