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4. Kapitel

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Der Frühling war mit seinem ganzen Gefolge ins Land gezogen. Die Berge im Walde waren mit blauen Leberblümchen und weißen Anemonen übersät, auf dem Scheunendach stand klappernd der Storch, und aus allen Bäumen und Hecken erklang das Jubellied der kleinen Sänger, die fleißig an ihren Nestern arbeiteten … Ein lauer Wind strich über die Erde, der die Sinne aufreizte und die Körper zu wohliger Müdigkeit erschlaffte…

Singend zogen die russischen Schnitter ins Feld.

Aus den hässlichen Raupen waren bunte Schmetterlinge geworden, die sich mit hellfarbigen Miedern und Kopftüchern schmückten. Wie Kohlen glühten die schwarzen Augen in dem bräunlichen Gesicht … Nur unten, von den kurzen Röcken abwärts, war noch keine Verschönerung eingetreten, denn die Füße steckten noch in plumpen Männerstiefeln…

Vierzehn Tage hatte Hanna fest zu Bett gelegen, und ebenso lange dauerte es, bis sie wieder etwas zu Kräften kam, bis sie aus dem Liegestuhl aufstehen und einen kurzen Spaziergang durch den Garten unternehmen konnte. Ihr Gesicht hatte einen anderen Ausdruck bekommen. Es wurde vollständig beherrscht von den dunklen Augen, die das übermütige Lachen verlernt zu haben schienen. Ihre Schönheit hatte dadurch einen neuen, eigenartigen Reiz gewonnen.

Das traurige Ende der schönen Stute, das sie verschuldet hatte, war ihr nahe gegangen. Auch an Wolf musste sie oft denken. Die Schwestern hatten ihr erzählt, wie er sie reitend nach Hause gebracht und sich täglich nach ihrem Befinden erkundigt hätte. Aber seitdem sie aufgestanden war, hatte sie ihn noch nicht gesehen.

Nur telefonisch hatte er sich einige Male nach ihrem Befinden erkundigt.

Hanna war von aller Welt so verwöhnt, dass sie es als eine Vernachlässigung empfand. Sie hatte die vielen Beweise von Wolfs Zuneigung wie etwas Selbstverständliches hingenommen. Nun sträubte sich ihre Eitelkeit gegen den Gedanken, dass er sich von ihr zurückziehen könnte … Vielleicht hatte sie ihn durch ihre übermütigen Worte gekränkt? Sie war nicht weit von der Wahrheit entfernt.

Wolf hatte in der Zeit, wo er Hanna nicht täglich sah, sich in Gedanken viel mit ihr beschäftigt. Schon mehrere Male, wenn er ihr die Möglichkeit einer Verbindung angedeutet hatte, war sie ihm ausgewichen oder sie hatte auch schon mal gesagt, dass sie nicht auf dem Lande verheiratet sein möchte … Dann hatte er dazu gelacht und es als eine Neckerei aufgenommen. Diesmal waren ihre Worte bei ihm tiefer gegangen. Und damit kam ihm die Empfindung, dass er gar kein Recht hatte, sich so sehr um Hannas Befinden besorgt zu zeigen … Vielleicht, dass seine Zurückhaltung auch sie dazu veranlasste, ihre Stellung zueinander zu prüfen…

In gewissem Sinne hatte er recht … Denn eines Vormittags, als die Sonne so recht warm schien, machte sich Hanna auf den Weg, um Tante Mathilde in Dalkowen zu besuchen. Eine freudige Kraft war in ihr…

Den Ausreißer, den Wolf, wollte sie zur Rede stellen und so lieb und nett zu ihm sein … Frau Stutterheim saß in ihrem Wagen am Fenster ihres Zimmers, von dem aus sie den Hof und alles, was darauf geschah, übersehen konnte. Da sah sie dann auch öfter ihren Sohn, wenn er vom Felde heimkam und nach kurzem Verweilen wieder hinausritt…

Freundlich, wie immer, empfing sie den Besuch und beglückwünschte Hanna zu ihrer Genesung. Mütterlich besorgt strich sie ihr über die Wange, die von ihrer Rundung und frischen Farbe viel eingebüßt hatte. Und ihr Auge empfand, dass von dem Mädel ein neuer Zauber ausging, seitdem sie ernster und still geworden war. Aber schon blitzte es in den dunklen Augen schelmisch auf.

»Weißt du, Tantchen, dass Wolf sich schon seit vierzehn Tagen, solange, wie ich auf bin, nicht bei uns hat sehen lassen?«

»Mein Kind, er hat zu viel zu tun. Morgens vor Tagesgrauen steht er auf zum Melken und Buttern. Dann reitet er aufs Feld und steht bei den Leuten. Ich sehe ihn nur zu Mittag und Abendbrot auf eine Viertelstunde. Und bis tief in die Nacht sitzt er über seinen Büchern und schreibt Briefe…«

»Aber Tantchen, das kann doch kein Mensch auf die Dauer aushalten. Was hat er denn von seinem Leben?«

»Arbeit, Hanna, die unseren Lebenszweck ausmacht.«

Mit einem Blick, aus dem der alte Übermut sprühte, sah Hanna zu ihr auf…

»Ich habe immer sagen hören, Tantchen, eine Beschäftigung muss der Mensch haben, aber die darf nicht in Arbeit ausarten.«

Frau Stutterheim machte eine abweisende Miene.

»Das ist nichts weiter als ein schlechter Scherz, mein Kind. Jeder Mensch muss die Stelle ausfüllen, auf die ihn das Schicksal gestellt hat. Mein Sohn hat eine große und schwere, aber eine schöne Pflicht zu erfüllen. Er tut es mit Freuden, und es bekommt ihm sehr gut. Der Junge ist wie von Eisen.«

»Er könnte sich doch wenigstens einen Inspektor halten.«

»Jawohl, das könnte er. Aber die tüchtigen Menschen sind dünn gesät und noch dünner aufgegangen. Ehe er sich mit einem schlechten Beamten herumärgert, tut er selbst die Arbeit.«

»Ich würde an deiner Stelle doch darauf dringen, dass er sich nicht zu viel zumutet … Sein Herz ist doch nicht ganz taktfest.«

»Ach du spielst auf den Unfall an, der ihn bei der letzten Übung vom Pferde warf und seiner militärischen Laufbahn ein jähes Ende bereitete…? Ja, Kind, das hat mir damals auch Kopfschmerzen bereitet, dass sein Herz nicht ganz in Ordnung sein sollte. Wer weiß, was das gewesen ist, ich meine, auch ein Stabsarzt kann sich irren. Ich habe auch unter der Hand Erkundigungen eingezogen und in Erfahrung gebracht, dass die jungen Offiziere die Nachricht von einem bevorstehenden Kriege mit Russland sehr energisch gefeiert hatten … Und du weißt doch, dass Wolf nie mit Alkohol über die Schnur gehauen hat. Nein, Kindchen«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »darüber mache dir keine Sorgen mehr. Wenn er man sonst mit seinem Herzen in Ordnung wäre.«

Hanna errötete. Noch nie hatte Tante Mathilde eine solche Anspielung gemacht. Sie hätte sie gern durch eine lustige und schelmische Antwort zurückgewiesen, aber ihr fiel in diesem Augenblick nichts ein. Ganz beklommen fragte sie:

»Was fehlt ihm denn?«

Frau Stutterheim seufzte tief auf.

»Ach viel, mein Kind. Du bist auch mit ihm so befreundet, dass du nicht darüber sprechen wirst.«

»Nein, Tantchen, gewiss nicht…«

»Na dann will ich es dir erzählen. Du bist ja sehr klug und kannst mir vielleicht einen guten Rat geben … Höre zu: Wolf hat sich in ein Mädchen verliebt, das ich nicht gern zur Schwiegertochter haben will.«

»Ach, wieso nicht, Tantchen?« entfuhr es Hanna.

In demselben Augenblick kam es ihr zum Bewusstsein, dass sie sich durch die Heftigkeit, mit der sie die Worte hervorgestoßen hatte, verraten hätte…

»Das wirst du gleich hören. Das Mädchen ist ganz großstädtisch erzogen, hat gar keinen Sinn für Landwirtschaft und, was noch schlimmer ist, keine Neigung für den Beruf eines Landwirts. Er liebt sie mit allen Fasern seines treuen Herzens und ist tief unglücklich, weil ihn diese Liebe in einen schweren Konflikt schwerer Pflichten bringt. Stelle dir mal vor, Hanna: ein Mann, der bei seiner Frau nicht das geringste Verständnis für die Pflichten seines Berufes findet … Er muss doch schwere Bedenken tragen, solch ein Mädel trotz der größten Liebe an sich zu fesseln. Ich empfinde es in solcher Zeit als seine Mutter schon so schwer, dass ich ihn nur zu den Mahlzeiten sehe, und stelle mir das für eine Frau, die ihren Mann liebt, noch viel schwerer vor.«

»Liebt sie ihn denn?« fragte Hanna leise.

»Mein Kind, das weiß ich nicht. Sie muss es doch merken, dass er sich um ihre Zuneigung bewirbt. Trotzdem bringt sie es fertig, ihm zu sagen, dass sie nur für Musik und Theater schwärmt und nur in der Stadt leben will. Wenn sie ihn richtig lieben würde, dann würde sie ihm das nicht sagen … Ob sie nicht doch ‘Ja’ sagen würde, wenn er sie vor die entscheidende Frage stellt, weiß ich nicht. Aber das geht mir wider den Strich. Mein Junge verdient eine Frau, die ihn aus tiefer, herzlicher Liebe nimmt … Dann mag sie meinetwegen für die Landwirtschaft gar keinen Sinn haben, er ist Mannes genug, um die Hilfe einer Frau entbehren zu können, aber die Liebe muss vorhanden sein, die große, ehrliche Liebe, ohne die es keine rechte, heilige Liebe gibt…«

Sie schwieg einen Augenblick still und sah auf das Mädchen zu ihren Füßen, das den Kopf gesenkt hatte und mit den Fransen der Stuhldecke spielte…

»Sag’ mal, mein Kind, habe ich nicht recht?«

Hanna nickte ein paarmal mit langsamer Kopfbewegung.

»Ja, Tantchen…«

Ihre Stimme klang traurig und bebte leise.

»Aber das Mädchen kann doch nichts dafür, dass Wolf sich in sie verliebt hat. Und sie kann doch nicht eine Liebe heucheln. Und sie kann doch nicht aus ihrer Haut fahren, wenn sie so erzogen ist, dass sie nur für andere Dinge Sinn und Verständnis hat.«

Sie hob den Kopf und sah der alten Dame frei ins Gesicht.

»Sag’ mal, Tante, du bist doch eine erfahrene Frau, woran erkennt man eigentlich die richtige Liebe? Ist es wahr, dass man keine Ruhe hat, dass man immerfort an den Mann denken muss und gar keinen anderen Gedanken hat, als den, dass man alles andere über ihn vergisst? Ist das wahr?«

Ihre Augen flammten, Und der schön geschnittene Mund zitterte wie in banger Erwartung … Langsam hob die alte Dame die Hand und strich ihr über das Haar…

»Ja, mein Kind, das sind die richtigen Zeichen, ich habe es selbst erfahren. Ich war einundzwanzig Jahre alt, als mein Mann zum ersten Mal in mein Elternhaus kam. Er beachtete mich gar nicht. Ich glaube, wir haben nicht drei Sätze miteinander gesprochen. Aber von der Stunde an verließ mich sein Bild nicht, weder im Wachen noch im Träumen. Als er das nächste Mal zu uns kam und ich ihn empfangen musste, da hatte ich ein Gefühl wie ein armer Sünder. Ich hatte das Gefühl, dass er es mir am Gesicht ablesen müsste, was ich dachte und fühlte … Wie mit Blut übergossen stand ich vor ihm und war verlegen wie ein kleines Gör…«

Ihre Augen schienen ins Weite zu gehen, als wenn sie noch sahen, was der Mund erzählte. Mit bewegter Stimme fuhr sie fort:

»Er hat mir später erzählt, dass er mich in diesem Augenblick schön fand … Mein Kind, ich habe nie auf besondere Schönheit Anspruch machen können … und dass er mir die Neigung auf dem Gesicht ablas … Und da wurde er auch verlegen, und wir standen uns wie zwei kleine Kinder gegenüber, die sich fremd sind und sich nicht anzureden getrauen. Ja, Kind, das ist die Liebe auf den ersten Blick. Es gibt auch eine andere, ruhigere. Aber die soll auch voll heißer Sehnsucht sein.«

Hanna hatte ihren Kopf wieder sinken lassen. Ein paar Tränen tropften ihr aus den Augen. Die alte Frau sah mild auf sie nieder, nahm ihre Hand und zog sie auf ihren Schoß.

»Was ist dir, mein Kind? Sprich dich offen aus. Du weißt, ich habe dich von klein auf lieb wie eine Tochter. Sei offen zu mir, Hanna, es handelt sich um das Glück zweier Menschen, die ich lieb habe … Und der eine davon ist mein Ältester…«

Hanna hatte das Gesicht an ihrer Brust geborgen.

Ganz leise begann sie zu sprechen:

»Ich weiß, dass du mir sehr böse sein wirst, Tantchen, aber ich kann beim besten Willen Wolf nicht heiraten … Er tut mir ja so furchtbar leid, aber ich habe doch keine Schuld daran, dass er mich so lieb hat … Ich glaube, wir haben zu früh als Kinder Brautpaar gespielt … Ich habe es immer als Spaß genommen und er im Ernst …

Glaube mir, Tantchen, jetzt während der Krankheit, als ich nicht einmal lesen durfte, habe ich mich viel mit Gedanken geplagt, was doch sonst nicht meine Art ist. Und da habe ich mir gesagt: Wenn du den Wolf nimmst, bist du geborgen. Ich weiß, dass es bei uns zu Hause nicht gut steht. Und ich weiß, dass Wolf mich auf den Händen tragen würde, aber ich kann nicht…«

»Sag’ mal offen, dass du einen andern liebst.«

Hanna richtete sich empor und drückte beide Hände gegen ihre Brust.

»Bei Gott nicht, Tantchen. Mir macht es Spaß, wenn die Offiziere sich um mich drängen, um mir Schmeicheleien zu sagen, aber sie sind mir alle gleichgültig.«

Sie sprang auf und stellte sich vor die Frau. Der Schelm erwachte in ihr.

»Tante, ich muss eine geistige Missgeburt sein. Andere Mädchen in meinem Alter haben sich schon mindestens ein halbes dutzendmal verliebt oder wenigstens für einen Mann geschwärmt … Ich noch nicht ein einziges Mal. Ich glaube, ich kann gar nicht lieben.«

Die alte Dame lächelte nachsichtig.

»Das ist ein gutes Zeugnis, was du dir ausstellst … Ich sehe daraus, dass der Rechte noch nicht gekommen ist. Aber er wird auch kommen, verlass’ dich darauf. Ich hatte auch noch keinen Mann angeschwärmt, als mein Einziger kam … Aber nun noch eine ernste Frage: Darf ich Wolf unser Gespräch mitteilen? Die nackte Gewissheit, mag sie auch noch so traurig sein, ist für ihn besser als solch Hangen und Bangen.«

»Ja, Tantchen, er wird es überwinden und mich vergessen und eine bessere Frau bekommen, als ich es jemals werden könnte.«

»Wollen’s hoffen, mein Kind. Es wäre gut, wenn du nun einige Wochen verreisen könntest … Deine Eltern brauchen den richtigen Grund ja gar nicht zu erfahren. Und nun zieh’ mal die Glocke. Du kannst mit dem Groneberg zurückfahren; er steht angespannt, weil ich ins Feld fahren wollte … Grüß’ mir deine Eltern und schilt Christel und die beiden Jüngeren aus, dass sie mich so sehr vernachlässigen…«

»Christel ist entschuldigt. Die steht jetzt früh zum Melken und Buttern auf, dann betreut sie auch den Geflügelhof und hilft der Mamsell in der Küche…«

Über das Gesicht der alten Dame flog ein heller Schein.

»Dann gib ihr in meinem Auftrag einen Kuss, und in den nächsten Tagen komme ich selbst zu euch … Das Ein- und Ausladen meiner Person ist ja nicht so angenehm für die Beteiligten, aber ich will nicht in meinem Stuhl versauern … Auf Wiedersehen, mein Kind … Ich werde mich freuen, wenn du mich bald wieder auf ein Plauderstündchen besuchst. Du bist mir stets ein lieber Gast … Auf Wiedersehen…«

Der Mann von Eisen

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