Читать книгу Das Heilige Fest - Fritz Steinbock - Страница 27

Gedichte und Lieder

Оглавление

Einen sehr wichtigen Platz in den heiligen Festen unserer Vorfahren nahmen mythische Gedichte und Lieder ein, die im Ritual als Anrufungen der Götter oder beim Festgelage zu ihrem Ruhm vorgetragen wurden. Nicht von ungefähr hängt das angelsächsische Wort für ein heidnisches Opfer, lác, mit dem mittelhochdeutschen leich (Melodie, Gesang) zusammen. Das hatte natürlich auch ästhetische Gründe, denn man wollte die Feste schön und würdig gestalten, ihnen durch Wohlklang und gewählte Worte Glanz verleihen und die Götter damit erfreuen und ehren. Alle bedeutenden Dinge wecken im Menschen das Urbedürfnis nach künstlerischer Gestaltung.

Es ist aber zugleich auch so, dass das Große und Wesenhafte selbst „gesungen werden will“, wie Walter F. Otto, der Sohn des bereits genannten Religionsforschers Rudolf Otto, über die religiöse Bedeutung der Dichtung bei den Griechen sagte, für die sie eine heilige Kunst war: „Der Geist des Gesanges gibt ihnen Kunde, von welcher Art die Götter sind. Denn er ist im Grunde ihre Stimme.“ Deshalb waren nicht Priester und Philosophen die religiösen Lehrer der Griechen, sondern die Dichter, deren besondere Sprache und Erzählweise, das ehrwürdige Wort des mythos zum Unterschied von der Alltagsprosa des logos, den Göttern nahe stand und ihren Werken Wahrheit und Gültigkeit gab. In der Dichtung sprach, wie auch Platon in seinem Dialog „Ion“ erklärt, nicht der Mensch, sondern die Gottheit, die den Dichter ähnlich erfüllt und zu ihrem Sprachrohr macht wie den Seher. Apollon, der Gott der Seher, ist auch der Gott der Dichter, in dessen Gefolge sich die neun Musen befinden, von denen die Dichter ihre Inspirationen empfangen.

Bei den Germanen ist diese hohe religiöse Bedeutung der Dichtung, die sich bei den Kelten im druidischen Rang der Barden niederschlägt und ein indogermanisches Urerbe ist, noch viel deutlicher, denn hier ist es der höchste Gott selbst, Odin, der sich um sie kümmert. Auf seinem dreifachen Weg zu Wissen und Weisheit, der mit dem Erwerb der Seherkraft durch das Opfer eines seiner Augen im Brunnen Mimirs beginnt und sich in der Findung der Runen durch sein Selbstopfer am Weltbaum Yggdrasil vollendet, nimmt er in der Mitte zwischen diesen Ereignissen viele Mühen und Gefahren auf sich, um den Met Odrörir zu gewinnen, der ihn zum Dichter macht und fortan die Dichter der Menschen inspirieren lässt. Auch er schenkt ihnen dabei eine besondere Sprache, die in der nordischen Tradition bezeichnenderweise „runisches Reden“ genannt wird. Sie gibt dem Geheimnis, altgermanisch rûna, Gestalt und lässt es lebendige Gegenwart werden. Deshalb ist die Dichtung wahr und deshalb will alles, was wahr und wesentlich ist, zur Dichtung werden.

Die poetische Gestaltung eines Rituals hat also nicht nur ästhetischen, sondern auch spirituellen Wert und sollte bei großen Feiern nicht vernachlässigt werden. Wenn sich passende Texte aus der Überlieferung finden lassen, ist es gut – ihre Zahl ist aber leider relativ gering, sodass wir ohne neue, selbst gedichtete Anrufungen und Lieder nicht auskommen. Traditionelle Formen wie der Stabreim und die nordischen Strophen bilden dabei eine ideale Anknüpfung an die historische Dichtung; es eignen sich aber, wenn sie im Geist der Tradition eingesetzt werden, auch moderne Metren und Reimformen oder rhythmische Prosa. Die große Bandbreite, die sich etwa in der Wikingerzeit innerhalb weniger Generationen entwickelt hat, lässt erkennen, dass die germanische Dichtung nicht auf starre Formen fixiert, sondern sehr flexibel und innovativ war. Auch Mythen und Heldenepen wurden immer wieder neu bearbeitet, sodass wir mit neuen Gestaltungen, solange der Inhalt stimmt, in guter Tradition stehen.

Das Heilige Fest

Подняться наверх