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8. Die Entwicklung des deutschen Netzes

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Die Kraft, mit der Friedrich List den Eisenbahnfunken in Deutschland angeblasen, hat dafür gesorgt, daß er hier niemals wieder zum Erlöschen gekommen ist. Zunächst entwickelte sich aus ihm eine schmale Flamme, dann aber breitete diese sich als lodernder Brand nach allen Richtungen des Reichs aus. Die Eisenbahnbegeisterung erfaßte schließlich jeden, und mit überraschender Geschwindigkeit wurden die Grundlinien des heutigen gewaltigen deutschen Eisenbahnnetzes gezogen, deren Verlauf sich so eng an Lists Grundplan anschließt.

Bevor noch die Strecke Leipzig-Dresden ihren Betrieb eröffnet hatte, unter der bloßen Einwirkung des vielversprechenden Gründungsvorgangs, war die erste Eisenbahnlinie in Preußen zustande gekommen.

Dem Justizkommissar J. C. Robert und dem Bankier L. Arons wurde auf ihre Eingabe an den damaligen Handelsminister, Wirklichen Geheimrat Rother, die Erlaubnis zur Anlegung einer Eisenbahnlinie zwischen Berlin und Potsdam erteilt. Nach dem ersten Entwurf sollte ein eingleisiger Schienenweg von der Schafbrücke, der jetzigen Potsdamer Brücke, zu Berlin in ziemlich gerader Richtung bis in die Gegend der Langen Brücke bei Potsdam führen. Später aber wurde beschlossen, den Beginn der Bahn weiter in das Innere von Berlin zu rücken und den Bahnhof in unmittelbarer Nähe des Potsdamer Tors anzulegen. Der Schafgraben, der heutige Landwehrkanal, mußte nun durch eine Drehbrücke überschritten werden.

Schon bei der Anlage der ersten Bahnhofsbauten wurde der kleine Begräbnisplatz der Dreifaltigkeitskirche an der Hirschel-, der heutigen Königgrätzer Straße, als recht störend empfunden. Dieser Friedhof besteht bekanntlich heute noch. Damals forderte die Kirchenbehörde die Einfriedigung durch eine feste, acht Fuß hohe Mauer, die gleichfalls noch heute vorhanden ist. Außerdem mußte die Bahngesellschaft für den der Kirchenkasse erwachsenden Einnahmeausfall durch die vermeintliche Wertverminderung des Friedhofgeländes eine jährliche Entschädigung von 40 Talern zahlen. In Wirklichkeit ist eine außerordentliche Wertsteigerung des Grundstücks eingetreten, das heute vor dem später in seiner jetzigen, endgültigen Gestalt errichteten Gebäude des Potsdamer Bahnhofs an der wichtigsten Stelle der Stadt liegt.


Ältester Bahnhof der Berlin-Potsdamer Eisenbahn zu Berlin

(Der Potsdamer Platz ist im Hintergrund des Bilds zu denken)


Der heutige Potsdamer Bahnhof zu Berlin

(Links im Vordergrund der alte Friedhof der Dreifaltigkeits-Gemeinde)

Am 22. September 1838 wurde der Betrieb auf der Strecke Zehlendorf-Potsdam, am 29. Oktober desselben Jahrs auf der ganzen Linie eröffnet. Als Zugmittel waren sechs aus Newcastle bezogene „Dampfwagen bester Qualität“ und 45 Pferde vorhanden.

Die Begeisterung der Berliner bei diesem Anlaß war nicht gering. Der damalige Kronprinz, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., sprach bei der Einweihung die voraussagenden Worte: „Diesen Karren, der durch die Welt rollt, hält kein Menschenarm mehr auf.“ Aber es gab auch in der preußischen Hauptstadt Leute, die anders dachten. „Als der erste Eisenbahnzug von Potsdam her Berlins Einwohner in Raserei versetzte,“ so erzählt ein Zeitgenosse, „habe ich selbst in der Böhmeschen Kirche einer Predigt des alten Gosner angewohnt, worin die Schäflein inständigst gewarnt wurden, sich ja von dem höllischen Drachen, dem Dampfwagen, um ihrer Seligkeit willen fernzuhalten.“ Weniger Gewissensangst als ganz gewöhnliche Furcht vor dem Ungewöhnlichen hielt denn auch noch lange genug manchen Berliner von einer Eisenbahnfahrt zurück.

Obgleich in andern Teilen des Reichs alsbald größere Eisenbahnstrecken gebaut wurden, erweiterte Berlin seinen Bahnanschluß vorläufig nicht. Erst im Jahre 1841 wurde das Teilstück der Anhalter Bahn von Berlin über Wittenberg nach Cöthen hergestellt, so daß man nun auf einem Umweg Magdeburg erreichen konnte, das inzwischen mit Leipzig verbunden worden war, und ebenso Dresden. Im Jahre 1842 folgten die ersten Bahnen nach dem Osten, Berlin-Angermünde in Richtung auf Stettin und Berlin-Frankfurt a. O. Das Jahr 1846 brachte die Verbindung mit Hamburg und die Verlängerung der Berlin-Potsdamer Bahn bis Magdeburg.

Das beste Zeugnis für die große Wichtigkeit, die man gleich nach Inbetriebsetzung der ersten Strecke nunmehr dem Eisenbahnwesen in Preußen beimaß, ist der Erlaß eines Eisenbahngesetzes bereits am 3. November 1838. Es war das erste Gesetz dieser Art in Deutschland und hat mit seinen zum größten Teil sehr einsichtsvollen Anordnungen und durch die einheitliche Ordnung, die es schuf, der Entwicklung lebhaften Nutzen gebracht.

Das Gesetz enthält eine Reihe durchaus neuzeitlich anmutender Bestimmungen. So die Möglichkeit der Verleihung des Enteignungsrechts an Eisenbahngesellschaften; Ersatzpflicht für jeden Schaden, der nicht durch nachgewiesene Schuld des Beschädigten oder durch unabwendbaren äußeren Zufall bewirkt worden ist; die Verpflichtung für jede Eisenbahngesellschaft, den Anschluß anderer Linien zu gestatten und den Vorbehalt, daß der Staat nach Ablauf einer gewissen Zeit berechtigt sein solle, jede Bahnstrecke anzukaufen. Merkwürdig berührt, besonders in der Nachbarschaft solcher guten Gedanken, die im Absatz 27 den Gesellschaften auferlegte Verpflichtung, auch anderen gegen Entrichtung des Bahngelds die Benutzung des Schienenwegs zu gestatten. Es ist dies die schon früher kurz gestreifte Forderung des „freien Wettbewerbs auf der Schiene“. Tatsächlich hat er infolge der technischen Unmöglichkeit in Deutschland niemals stattgefunden.

Am 1. Dezember 1838 war auch die erste Staatsbahn in Deutschland eröffnet worden, die Strecke von Braunschweig nach Wolfenbüttel und Harzburg. Diese Linie ist besonders bemerkenswert auch dadurch, daß sie im Jahre 1869 an eine Aktiengesellschaft verkauft wurde, was der einzige Fall des Übergangs einer deutschen Staatsbahn in nicht öffentlichen Besitz geblieben ist.

Im Jahre 1845 waren in Deutschland bereits 2162 Eisenbahnkilometer vorhanden. Überall wurden jetzt Schienenwege gebaut. Auch die Kleinstaaten blieben vom Eisenbahnfieber nicht verschont. Sogar der Herzog Alexander von Anhalt-Bernburg, fühlte sich zu dem Ausruf veranlaßt: „Ich muß eine Eisenbahn in meinem Land haben, und wenn sie mich tausend Taler kosten sollte!“

Doch trotz der immer wachsenden Ausbreitung fehlte dem Netz noch jede Geschlossenheit. „Von Berlin konnte man“, nach von Mühlenfels, „im Norden nur Stettin, im Osten nur Frankfurt a. O., im Süden Dresden, Leipzig, Werdau erreichen. Nach Westen gelangte man über Magdeburg bis Halberstadt, über Oschersleben nach Braunschweig, Harzburg und Hannover. Aber zwischen Frankfurt a. O. und Bunzlau, zwischen Werdau und Nürnberg, Halle und Frankfurt a. M., zwischen Hannover und dem Rheinland klafften große Lücken. Im Südosten bestand nur die Linie Bunzlau, Liegnitz, Breslau, Oppeln und Schwientochlowitz, in Bayern waren, außer der Ludwigs-Bahn, Nürnberg-Magdeburg, Augsburg-Donauwörth und München-Augsburg fertig. Frankfurt a. M. und Nassau hatten nur die Taunusbahn, dann die Strecke von Mannheim bis Freiburg, am Rhein war Köln mit Bonn und Aachen, Deutz mit Düsseldorf, Aachen mit Herbestal, Elberfeld mit Düsseldorf verbunden. In Württemberg, das im Jahre 1843 ein Gesetz über den Bau von Eisenbahnen erließ, eröffneten 1845 die Staatsbahnen ihre erste Strecke von Cannstatt nach Eßlingen. Im Norden waren Altona-Kiel und Neumünster-Rendsburg im Betrieb.“

Fortab machte sich dann der Wunsch nach einem planmäßigen Ausbau geltend. Sehr viel hierzu beigetragen hat ein Zusammenschluß verschiedener Verwaltungen, dessen Folgen segensreich bis zum heutigen Tag fortwirken. Auf Einladung der Privatbahngesellschaft Berlin-Stettin traten am 10. November 1846 zehn Verwaltungen zur Beratung gemeinschaftlicher Maßnahmen zusammen. Es wurde ein dauernder Verband der preußischen Eisenbahnen errichtet, aus dem schließlich der heute noch bestehende Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen hervorging. Im Jahre 1910 umfaßte diese Vereinigung 63 Verwaltungen und zwar 40 deutsche, 15 österreichisch-ungarische, 4 niederländische, eine luxemburgische, eine belgische, eine rumänische und eine russische. Fast ein Drittel aller europäischen Bahnstrecken war bereits in diesem Jahr angeschlossen. Die Vereinstätigkeit hat sich auf die Herbeiführung gleichmäßiger Beförderungseinrichtungen, Aufstellung wichtiger technischer Grundsätze und gemeinschaftliche Wagenbenutzung erstreckt. Die Allgemeinheit hat den größten Nutzen aus diesem Wirken gezogen, das in den folgenden Abschnitten noch sehr häufig zu erwähnen sein wird.

Für die Herbeiführung eines geschlossenen deutschen Eisenbahnnetzes waren ferner die Überbrückungen der großen deutschen Ströme sehr wichtig. In den Jahren 1856 bis 1865 wurden der Rhein bei Köln, Mannheim und Kehl, die Weichsel bei Dirschau, die Nogat bei Marienburg mit eisernen Jochen überspannt.

Nachdem in Preußen lange die Privatbahnen allein geherrscht hatten und der Staat sich nur in loserer Form an den Unternehmungen beteiligt hatte, brachte das Jahr 1879 durch das zielbewußte Vorgehen des Eisenbahnministers von Maybach den Übergang zum Staatsbahnsystem. In den folgenden dreißig Jahren wurden in Preußen nicht weniger als 16 200 Kilometer Privatbahnen im Wert von 41⁄2 Milliarden Mark verstaatlicht. Da zu gleicher Zeit auch der Staat selbst viele neue eigene Linien baute, so entstand allmählich das größte Erwerbsunternehmen, das es heute auf der Erde gibt: die preußische Staatsbahn.

Als die Verstaatlichung der hessischen Ludwigs-Bahn notwendig erschien, deren Linien zum Teil auf preußischem, zum Teil auf hessischem Gebiet lagen, kam ein Staatsvertrag zwischen den zwei Ländern über die gemeinschaftliche Verwaltung des beiderseitigen Eisenbahnbesitzes zustande. Seit 1896 besteht demzufolge die preußisch-hessische Eisenbahn. Man glaubte damals, daß auch andere deutsche Bundesstaaten dem Beispiel Hessens folgen und sich an Preußen unmittelbar anschließen würden. Diese Hoffnung ist nicht in Erfüllung gegangen, eine einheitliche deutsche Reichseisenbahn besteht bis zum heutigen Tag nicht.

Seit 1908 ist der deutsche Staatsbahnwagenverband errichtet, der die freie Benutzung aller deutschen Güterwagen ohne Berücksichtigung des Eigentumsrechts der einzelnen Verwaltungen gestattet. Dadurch ist eine sehr bedeutende Ersparnis infolge Verringerung der Leerläufe erreicht worden. Die Güterwagenverteilung für ganz Deutschland erfolgt seitdem durch das beim Eisenbahnzentralamt in Berlin errichtete Hauptwagenamt. Auch über diese beispiellos großartige Verkehrsvermittlungsstelle wird noch ausführlich zu sprechen sein.

Am Schluß dieses Rückblicks auf die Geschichte der Eisenbahn möge eine Zusammenstellung der Eröffnungszeiten einiger geschichtlich besonders wichtiger Strecken Platz finden:

Stockton-Darlington: 1825

Manchester-Liverpool: 1830

Brüssel-Mecheln (erste Lokomotivbahn auf dem Festland): 1835

Nürnberg-Fürth (erste Eisenbahnstrecke in Deutschland): 1835

Berlin-Potsdam (erste Strecke in Preußen): 1838

Braunschweig-Wolfenbüttel (erste deutsche Staatsbahn): 1838

Leipzig-Dresden: 1839


Sicherheitstrachten für Eisenbahnreisende

(Spottbild auf ängstliche Fahrgäste der Berlin-Potsdamer Eisenbahn)

Die Welt auf Schienen (Artur Fürst) - mit den originalen Illustrationen - (Literarische Gedanken Edition)

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