Читать книгу Lüge, Verrat und Liebe zwischen den Gipfeln: Heimatroman Doppelband 2 Romane - G. S. Friebel - Страница 8
1. Kapitel
ОглавлениеDer Himmel war azurblau. Die gezackten Felsen sahen wie Scherenschnitte aus. Heiß stach die Sonne. Ein Flimmern lag in der Luft, und die Hitze drückte auf Mensch und Vieh. Seit Tagen war es nun schon so heiß.
Für die Bauern war es gut; denn sie mussten das Heu einbringen. Jetzt durfte es auf keinen Fall regnen, dann war alle Arbeit umsonst. Aber eine harte Plage war es schon. Da standen alle verfügbaren Kräfte an den steilen Hängen und holten das Heu ein. Wenn die Wiese sehr hoch lag, musste man es mit der Kiepe heruntertragen. Hier fuhr kein Wagen mehr. Auch die kleinen Pausen an der Quelle erfrischten nicht mehr. Es war eben zu heiß. Für die Urlauber war das natürlich eine feine Sache. Sie spazierten umher und fanden alles so lustig und schön. Hier sei die Welt noch in Ordnung, sagten sie. Das Wetter zeigte sich wirklich von seiner besten Seite, umso überraschter war man dann, wenn man an den Eignerhof vorbei kam und sah, dass dort das Heu in der Sonne lag und schier verbrannte. Hier rührte sich keine Hand. Der ganze Hof schien wie ausgestorben. Der Eignerhof lag am höchsten und am weitesten vom Kirchspiel Torf entfernt. Man konnte schon sagen, das Haus klebe mit dem Rücken am Kulmberg. Es war so in eine Mulde gebaut worden, dass keine Lawinen das Haus wegreißen konnten. Der Hof stand nun schon über dreihundert Jahre. Reich waren sie einstmals auch gewesen. Da gab es noch die Silberbeschläge an der Tür, die wertvollen Schnitzereien im Treppenhaus, die uralten Truhen und Schränke, das alte Zinn. Neulich noch hatte der Pfarrer gesagt, der Eignerhof müsse eigentlich ein Museum werden.
Josef hatte lange Zeit mit seiner Schwester zusammengelebt. Er war dreißig, als er die Wilma heiratete. Lisa hatte es nicht mehr für möglich gehalten, dass der Bruder sich eine Frau nahm.
Mit ihren fünfunddreißig war sie wirklich keine Schönheit, und ein bissiges Mundwerk hatte sie außerdem. Josef hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Schwester geblieben wäre, aber es war wirklich kein Auskommen mit Lisa. So hatte sie denn gehen müssen, und war Zimmermädchen in Schladming geworden.
Dann waren die Kinder gekommen, zuerst Annelie, die jetzt siebzehn zählte, dann der Florenz, der jetzt zwölf Jahre alt war, und zum Schluss noch das Nesthäkchen Sabine mit seinen vier Jahren.
Wilma und Josef führten eine überaus glückliche Ehe und sie kannten auch keine Geldsorgen. Wilma hatte eine Menge mit in die Ehe gebracht und so konnten sie es sich ohne weiteres leisten, ihre Kinder auf die höhere Schule nach Schladming zu schicken. Dort waren sie die Woche über bei den Großeltern und kamen nur zum Wochenende heim. Annelie war eine mittelmäßige Schülerin. Hingegen waren sie doch ein wenig verblüfft, als sie merkten, mit welcher Leidenschaft der Bub, der Florenz, zur Schule ging. Seine Zeugnisse waren hervorragend und die Lehrer voll des Lobes. Wenn man ihn fragte, was er denn einmal werden wolle, so sagte er immer: „Ich möcht Arzt werden, oder Richter.“
Josef und Wilma waren dann wohl ein wenig bestürzt. Der Bub, der Hoferbe, musste doch den Hof übernehmen. Sie hatten ihn zur Schule geschickt, damit er später einmal auf die landwirtschaftliche Hochschule gehen konnte.
So war eigentlich alles geregelt. Wilma und Josef waren achtzehn Jahre verheiratet, als das unfassbare Unglück passierte Das Heu lag in der prallen Sonne und keine fleißigen Hände brachten es ein. Der Hof am Kulmberg wirkte wie verlassen, weil dort das lange Sterben begann.
Angefangen hatte es vor drei Tagen. Wie immer war Josef zuerst draußen, Wilma kümmerte sich erst um die Wirtschaft und bereitete das Essen vor, dann ging sie auch hinaus, um dem Mann zu helfen. Am Abend wollten sie hinunter nach Torf, Peter, ihr Schwager, hatte Geburtstag, und den wollte man feiern. Also musste heute ziemlich rasch die Arbeit fertig werden. Josef war vielleicht auch mit den Gedanken bei seinen Kindern. Morgen würden sie wieder daheim sein.
Als Wilma aus dem Haus kam, fand sie ihn nirgends und sie rief nach ihm. Nach geraumer Zeit hörte sie erst seine schwache Stimme. Da ging sie nachsehen und fand ihn, auf der Tenne liegend. Erschrocken kniete sie sich neben ihm nieder und fragte angstvoll: „Was ist denn los, Josef. Ist dir die Sonne zu Kopf gestiegen?“
Schneeweiß war sein Gesicht und die Backenknochen traten hart hervor. „Wilma, du musst den Doktor holen. Ich bin aus der Bodenluke gestürzt.“
Entsetzt sah sie nach oben. „Oh, nein“, flüsterte sie unter Tränen. „Das darf doch nicht wahr sein.“
„Mit der Feierei wird es heut leider nix, Wilma. Oder musst allein runter und ein Gläschen für mich mittrinken.“
„Oh, Mann“, rief sie flehend, „scherz doch jetzt nicht so. Sag, hast du Schmerzen?“
Josef brachte kein Lächeln mehr zustande. Die Schmerzen raubten ihm fast den Verstand.
„Du musst den Doktor holen, Wilma, rasch.“
„Soll ich dir nicht erst in die Stube helfen? Du kannst hier doch nicht liegenbleiben“, weinte sie.
„Ich kann nicht aufstehen“, flüsterte der Mann.
Sie blickte ihn zärtlich an und strich ihm dazu behutsam über das Gesicht. Dann sprang sie hoch und lief ins Haus. Mit einem Kissen und Decken kam sie zurück.
„Ich bin gleich wieder zurück. Ich laufe so schnell wie ich kann, Josef.“
„Ja“, sagte er, dann schloss er die Augen. Rote Schleier tanzten davor und er konnte es nicht mehr ertragen.
Wilma küsste ihn noch einmal, dann raffte sie ihren Rock zusammen und lief den steilen Pfad ins Dorf hinunter. Für gewöhnlich schaffte man diesen Weg in einer Viertelstunde. Aber Wilma lief und lief und wusste nur eins: sie durfte jetzt nicht stehenbleiben, um zu verschnaufen. Es ging um ihren Mann. Der Doktor musste ihm eine Spritze geben, dann würde alles wieder gut sein. Und die ganze Zeit betete sie, er möge auch daheim sein, nicht unterwegs auf einen Krankenbesuch.
Reni, ihre Schwester, stand am Fenster und sah sie kommen. Sie winkte ihr zu. Aber Wilma sah sie nicht, sie lief weiter. Neben der Kirche war das Schulhaus und dort, zwischen dem Pfarrer und dem Lehrer, wohnte der Doktor Steinbrecher. Er war schon alt, aber versah noch immer seinen Beruf. Die Dörfler hatten schon Sorge. Wenn er einmal nicht mehr konnte, würden sie ohne ärztliche Hilfe sein. Ein Junger würde sich in so einem kleinen Ort nicht niederlassen. Zu den Patienten war es oftmals ein langer Weg und sehr anstrengend, sie zu betreuen. In der Stadt war das alles viel bequemer.
Wilma riss bald die Klingel ab, da stand sie nun auf der Schwelle und konnte im ersten Augenblick keinen Ton über die Lippen bringen, weil sie so außer Atem war. Die Haushälterin kannte sie recht gut.
„Den Doktor willst du sprechen?“
Wilma nickte.
„Hast Glück, er ist noch da, wollt grad fort auf die Knappenalm. Aber wart, ich ruf ihn, dann kannst ihm selbst alles sagen.“
„Danke“, würgte Wilma hervor und ließ sich zugleich erschöpft auf die Bank fallen.
Wenige Augenblicke später stand der weißhaarige Doktor in der Küche.
„Schau Eignerin, grüß dich, schon lange nicht mehr gesehen. Du willst zu mir? Ist was mit den Kindern?“
Wilma sprang auf und umklammerte seinen Arm. Mit flehentlichem Blick beschwor sie ihn.
„Musst sofort kommen, Doktor, ich fleh dich an. Mein Mann, der Josef, ist aus der Bodenluke gestürzt, und nun liegt er auf der Diele und kann sich vor Schmerzen nicht rühren. Er hat mir gesagt, du sollst kommen. Bitte, bitte!“
„Natürlich komm ich sofort mit, Wilma. Das ist doch selbstverständlich. Aber sag, habt ihr Mannsbilder oben?“
„Nein, ich bin mit dem Josef allein. Das weißt du doch. Einen Knecht bekommt man doch nicht mehr. Aber warum fragst du?“
„Allein schaff ich ihn nicht in die Stube. Und ich will ihm nicht unnötige Schmerzen bereiten. Wart Wilma, lauf schnell zum Schibl, der Gendarm hat Zeit, er soll mitkommen. Er ist stark und groß. Die andern Leut sind bei der Ernte. Ich hol jetzt meinen Wagen aus der Garage und dann fahren wir sofort los.“
„Ja, ja, ich tu ja alles. Ich lauf ja schon.“ In der Tür blieb sie aber noch einmal stehen. „Wirst ihn mir wieder gesund machen, Doktor, nicht wahr?“
Er drehte sich um und so konnte sie sein Gesicht nicht mehr sehen. Da lief sie fort.
Steinbrecher sagte zu seiner Haushälterin: „Wenn ich fort bin, rufst in Schladming an und fragst nach, ob der Hubschrauber angefordert werden kann. Und auch das Krankenhaus rufst an und fragst nach einem Bett. Bestellen tust es aber erst, wenn ich dich von unterwegs irgendwo anrufe.
Zuerst muss ich mir den Josef ansehen. Vielleicht hat er sich auch nur was verrenkt. Dann brauch ich den Schibl erst recht, damit er ihn festhält, während ich ihm die Knochen wieder einrenken tu. Das tut mörderisch weh, aber nur einen Augenblick.“
„Dem Lützebronner sein Hof liegt auf dem Weg ins Dorf, der hat ein Telefon. Von dort kannst ja dann mir eine Nachricht schicken.“
Dann hörten sie den Gendarm des Ortes und Wilma zurückkommen.
„Die Eignerin sagt, du brauchst mich, Doktor?“
„Ja, kommt mit und steigt ein, unterwegs erzählt uns dann die Wilma, wie alles passiert ist.“
Mit dem Wagen konnten sie die Hälfte des Weges bewältigen, aber dann musste auch der Arzt kapitulieren, und sie stiegen aus und gingen zu Fuß. Und Wilma dachte daran, was der Josef noch neulich zu ihr gesagt hatte: „Wenn die Regierung endlich ihr Versprechen hält und den Weg zur Straße ausbaut, dann werden wir uns auch ein Auto kaufen, Wilma. Und schau, dann können wir alle Tag unsere Kinder selbst zur Schule fahren und sie auch wieder abholen.“
„Aber das wird doch viel Geld kosten“, hatte sie ihm geantwortet.
„Geld“, hatte er lachend gesagt. „Wir haben es ja auf der Kasse, mein Schatz. All die Jahre waren wir so fleißig und so sparsam. Jetzt werden wir uns mal was gönnen.“
Da war sie doch wirklich richtig rot geworden. Nach all den Jahren Ehe sprach der Josef noch immer zärtlich mit ihr. Ach ja, sie hatte es keine Sekunde bereut, ihn geheiratet zu haben.
Nun hatten sie ihren Hof erreicht und sie durfte nicht mehr in Träumen leben. Hurtig lief sie auf die Diele. Dort lag noch der Josef so, wie sie ihn verlassen hatte. Er war zum Glück ohnmächtig geworden. Der Arzt fand das ganz gut, so würde er von dem Transport in die Stube nicht viel merken.
„Lauf vor, und richte das Bett“, sagte er zu Wilma.
„Ja, ja“, sagte sie und jetzt musste sie auch wieder weinen, weil er gar so weiß aussah, ihr Josef.
Als Schibl und Steinbrecher den Bauern hochhoben, da sah der Arzt eine große Blutlache auf der Tenne. Aber er sagte nichts. Wenige Augenblicke später lag dann der Bauer in seinem Bett. Er schickte die Frau und den Gendarm hinaus und begann dann mit der Untersuchung. Dazwischen wurde der Josef wach und begann sofort Blut zu spucken. Erschöpft fiel der Verletzte in die Kissen zurück. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er wollte dem Arzt etwas sagen, brachte aber keinen Ton über die Lippen.
„Schweig nur“, sagte Steinbrecher. „Ich versteh dich auch so, Josef. Musst jetzt ganz still liegenbleiben, ja? Ich geb dir eine Spritze und dann wirst keine Schmerzen haben und auch schlafen können. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus.“
Voll Vertrauen blickte der Bauer ihn an. Wie konnte er auch wissen, dass der Arzt ein furchtbares Würgen in der Kehle hatte. Aber er musste doch so sprechen, ihm Mut machen.
Wenige Minuten später war er dann auch wirklich eingeschlafen. Und sein Gesicht war auch ganz friedlich.
Während er die Spritzen in die Taschen zurück tat, dachte er daran, was zu tun war. Gewiss konnte er jederzeit den Hubschrauber anfordern. Dann würde man den Josef in das Krankenhaus von Schladming bringen. Dort würden sich die Ärzte um ihn bemühen, dort gab es feine Krankenzimmer und Krankenschwestern. Aber all das würde ihm nicht mehr nützen. Auf einen Blick sah er, dass er einen Todgeweihten vor sich hatte. Die Lunge war zerrissen und es konnte sich nur noch um ein paar Tage handeln, dann würde er sterben.
Sollte er ihn wirklich nach Schladming bringen lassen? Dann brauchte er keine Verantwortung zu übernehmen, vor allen Dingen brauchte er dann der Wilma nicht die Wahrheit zu sagen. Das würden dann seine Kollegen besorgen.
Steinbrecher kannte aber die Krankenhäuser. Dort durfte man nur zu einer bestimmten Zeit die Kranken besuchen. Josef würde zwischen fremden Menschen liegen und langsam dahinsterben. Womöglich würde Wilma gar nicht bei ihm sein, wenn seine letzte Stunde gekommen war.
Nein, dachte er und lächelte grimmig. Das werd ich nicht tun. Gesundmachen können sie ihn nicht, so soll er in Frieden und Würde daheim sterben. Josef wird es nicht merken und bis zum letzten Augenblick seine Wilma um sich haben. Ich werde jeden Tag zweimal rauf kommen und ihm eine Spritze geben, so braucht er keine Schmerzen zu erleiden. Das ist das wenigste, was ich noch für ihn tun kann.
Oh, mein Gott, warum nur hatte er diesen Beruf gewählt? So selten hatte er die Freude, jemanden gesund zu sehen nach einer schweren Krankheit. In der Stadt mochte es ja anders sein, da ging man aus lauter Langeweile zum Doktor mit jedem Zipperlein. Aber die Bergbauern, die hatten keine Zeit. Wenn die wirklich nach dem Doktor riefen, dann wusste er, dass es ernst war.
Behutsam verließ er das Zimmer. Als er die Stiege hinunterstieg, kam Wilma mit angstvollem Gesicht aus der Küche.
„Hast einen starken Kaffee für mich? Das könnt ich jetzt gut gebrauchen“, sagte er mit krächzender Stimme.
Der Gendarm saß auf der Ofenbank und streichelte die Tigerkatze, der Liebling von Annelie.
„Wie geht es dem Josef?“, flüsterte Wilma.
„Ich hab ihm eine Spritze gegeben, er wird jetzt ein paar Stunden schlafen. Er hat keine Schmerzen mehr.“
„Gott sei Dank“, sagte sie mit einem warmen Lächeln. „Ich wusst ja, Doktor, du kannst uns helfen.“
Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Sollte er vielleicht nicht doch den Hubschrauber anfordern? Müde ließ er sich auf die Bank fallen. Wilma machte sich gleich am Herd zu schaffen. Nach zehn Minuten roch man schon den guten Kaffee. Sie hatte auch noch ein Stück Gugelhupf. Schnell deckte sie den Tisch, dann forderte sie die beiden Männer auf, zuzulangen. Zwischendurch hatte Schibl immer wieder einen verstohlenen Blick auf den schweigsamen Doktor geworfen. Das war so gar nicht seine Art. Sonst war er doch immer zu einem Späßchen aufgelegt. Und wenn es dem Josef jetzt wirklich gutging, warum machte er dann so traurige Augen?
Schweigend trank er die Tasse leer. Sofort schenkte Wilma nach.
„Danke“, sagte er leise.
Seine rechte Hand lag geballt auf dem Tisch. Die blauen Adern traten scharf hervor. Wilma betrachtete sie mit einer gewissen Zärtlichkeit. Wie alt er doch schon war. Aber er war zäh und nahm es noch mit so manchem jungen Burschen auf.
Da hörte sie, wie er sie angesprochen hatte.
Ihre blauen Augen blickten ihn groß an. „Ja, Doktor.“
„Wilma“, und dann wieder eine lange Pause. „Wilma, du musst jetzt sehr tapfer sein.“
Die Augen wurden noch größer. Schibl zog die Schultern ein. Also doch, dachte er bei sich und fühlte einen kalten Schauer über seinen Rücken rinnen.
„Was meinst du damit, Doktor? Was ist mit Josef? Muss er vielleicht sehr lange das Bett hüten? Das macht doch nichts, wir haben Geld auf der Kasse. Ich kann es bezahlen.“
„Wenn es das nur wäre“, sagte er leise.
Nun spürte auch die Frau die Eiseskälte die plötzlich in die Stube gekommen war.
„Was willst du mir sagen?“, keuchte sie.
Steinbrecher senkte die Augenlider. Er musste es ihr sagen. Er musste es doch. Sie hatte ein Anrecht zu wissen, was los war. Und dann, solange der Mann noch lebte, vielleicht gab es da noch was zu regeln. Oh, du mein Gott, warum war er nicht Kutscher geworden, oder Bäcker?
„Sprich doch endlich, ich flehe dich an. Sag mir endlich was los ist!“
„Dein Mann liegt im Sterben.“
„Nein!“ Der Schrei war grausam, fürchterlich, und er hallte von der Küchendecke wider, zerbrach in allen Zimmerecken um dann von einem tiefen Schluchzen überdeckt zu werden.
Schibl fühlte seine Kopfhaut kalt werden. Das war ja wirklich schrecklich. Er hatte gedacht, dass der Josef vielleicht ein Krüppel bleiben würde. Aber jetzt sollte er sterben? Aber er war doch noch gar nicht alt, jünger als er selbst. Schibl stand auf und ging zum Fenster.
Steinbrecher hatte den Arm um die geschlagene Frau gelegt. Ihr Kopf ruhte an seiner alten Schulter und die Tränen nässten seine Jacke. Aber das alles war ja gar nicht so wichtig.
„Sag, dass es nicht wahr ist, ich flehe dich an. Bitte, vielleicht können die Ärzte in der Stadt noch etwas tun. Er darf doch nicht sterben! Verstehst du das denn nicht, Doktor? Er darf nicht sterben, er ist doch mein Mann und ich kann ohne ihn nicht leben, und ich will auch ohne ihn nicht leben.“
Diese Worte vernahm auch der Gendarm und später sollten sie mal eine wichtige Rolle spielen. Sie beide, er und der Doktor, sollten sich noch einmal daran erinnern, was die Wilma an diesem Tage in der Küche gesprochen hatte.
Mit behutsamen Worten erzählte ihr nun der Arzt, dass sie selbstverständlich den Josef in ein Krankenhaus bringen lassen könne. Aber er sagte ihr auch, dass man ihm dort nicht helfen könne. Ob sie ihn dann nicht lieber hier sterben lassen möchte.
„Aber wenn es über deine Kraft geht, Wilma, dann werde ich selbstverständlich alles veranlassen, hörst du.“
Da hatte sie sich die Augen getrocknet, war lange Zeit wie erstarrt. Dem Schibl war es schon richtig unheimlich. „Nein“, sagte sie mit zerbrochener Stimme. „Nein, er soll nicht fort. Ich will bis zuletzt bei ihm sein. Jede Minute die er mir noch gehört. Ich …“ Aber da konnte sie nicht mehr weitersprechen.
Wilma erhob sich, stieg die Treppe hinauf, ging in das Eheschlafzimmer. Dort lag er, so friedlich, so sanft war sein Gesicht. Und wieder kamen die Tränen.
Josef, schrie es in ihr, du liebst mich doch, du kannst mich doch nicht allein lassen! Was soll ich denn ohne dich, Josef!
Ganz zart strich sie ihm über das schweißnasse Gesicht. Der Doktor stand in der Tür.
„Ich werde dafür sorgen, dass er die ganze Zeit keine Schmerzen hat.“
„Danke“, flüsterte sie.
Mit letzter Kraft geleitete sie die beiden Männer nach draußen. Als sie verschwunden waren, stand sie noch immer im Laubengang. Für sie war die Sonne erloschen. Sie spürte die Hitze nicht mehr. Alles war dunkel und leer. Sie konnte es einfach nicht begreifen, dass noch immer die Sonne am Himmel stand, als sei nichts geschehen. Und ihr Josef, ihr Liebster, lag oben in der Stube.