Читать книгу Die Freundin des neuen Königs: Redlight Street 163 - G. S. Friebel - Страница 6
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ОглавлениеDas Gerücht läuft wie ein Feuer durch die Stadt. Hinter vorgehaltener Hand diskutieren sie, ob es seine Richtigkeit damit hat. Nun ja, die Familie stammt aus diesem Ort. Diejenigen, die es verbreiten, wollen es ganz genau wissen. Die Spannung wächst. Das wäre wirklich eine tolle Sache!
»Hast du schon gehört? Also, ich geh' auf alle Fälle hin...«
»Natürlich weiß ich davon. Na, so interessant ist es auch wieder nicht.«
»Nicht? Hast du eine Ahnung! Mensch, da wirst du was zu sehen bekommen.«
»Und wann soll es sein?«
»Ich glaube morgen.«
Eine kleine Stadt, ein verschlafenes Nest. Nun sind sie alle aufgeschreckt. Die Prüden sprechen von Moral, und man solle sich schämen.
Die anderen lachen nur und zucken die Schultern.
Was denn? In der Presse hat es tagelang gestanden. Die Überschrift war dick und rot gewesen.
»Man sollte den Friefhofswärter fragen«, meinen die einen.
»Aber du kennst ihn doch. Der lügt uns was vor. Ich sage euch, es stimmt wirklich.«
»Hast du gewusst, dass der Albert so einer war?«
»Nee! Hielt ihn immer für einen gerissenen Geschäftsmann. Aber seine Familie wollte ja nichts mehr von ihm wissen. Jetzt wissen wir auch, warum.«
»In der Zeitung hat gestanden, er sei der Ludenkönig«, sagt ein kleiner Lehrling.
Die Männer in der Fabrikhalle fahren auseinander. »Was weißt du denn schon davon, du Milchgesicht?«
Der Junge grinst. »Ich komm' ja schließlich aus Berlin. Hab' schon genug von der Sorte gesehen. Ihr redet ja, als wären das Marsmenschen. Sind ganz natürliche Leute, bestimmt.«
»Waaas? Du hast den Albert in Berlin getroffen?«
»Nee, den nicht! Die treten nicht in Erscheinung. Mensch, die machen sich doch unsichtbar, wegen der Bullen. Aber ihre Trittvögelchen, die Bordsteinschwalben, Erosbienen, Benzinhexen oder Handtaschengeschwader, die laufen doch herum.»
Die Männer sehen sich an.
»Verstehst du, was der Junge da redet?«
Einer tut sich wichtig, will weltmännisch wirken. »Paul, der spricht doch von den Dirnen.«
»Ach so, das hättest du ja gleich sagen können.«
Der Lehrling grinst.
»Und die kommen alle hierher zur Beerdigung?«
»Da kannst du Gift drauf nehmen. Albert war doch der König der Zuhälter. Hatte überall seine Pfoten im Spiel. Die werden kommen!«
»Wir haben dich nicht gefragt«, sagen die Männer grob.
Einer will es jetzt näher wissen. Er schiebt sich nach vorn. Seine Augen glitzern. »Du, erzähl doch mal weiter. Woran kann man denn erkennen, dass das solche sind?«
Der Kleine lacht frech. »Hast du noch nie Bekanntschaft damit gemacht?«
Der Arbeiter wird rot. »Halt dein loses Maul«, schreit er ihn an.
»Wer hat denn angefangen?«, wehrt sich der Junge.
Das Pausenzeichen ertönt. Sie müssen an die Arbeit zurück. Natürlich bleibt die Beerdigung weiter das Gesprächsthema des Tages. Einer will genau wissen, dass morgen der Ludenkönig hier auf dem Friedhof begraben wird. Alle sind voller Spannung. Wenn es der Wahrheit entspricht, wird das Städtchen morgen von Zuhältern und Dirnen überlaufen sein. Zumindest wird man sie auf dem Friedhof sehen können.
Wenn sie auch sonst so tun, als wollen sie mit dem Lotterleben nichts zu schaffen haben, als seien sie ehrbar und sauber, so haben sie doch ein Prickeln im Blut. Das Verbotene reizt alle. Sie wissen nur noch nicht, wie sie es anstellen sollen.
Morgen haben sie alle die gleiche Schicht. Ob man vielleicht mit der Abendschicht tauschen könnte? Aber wenn die auch Wind davon gekommen haben, dann klappt es nicht.
Egon kaut auf seinem Bleistift. Sein Blick fällt immer wieder auf den kleinen Lehrling an der Drehbank. Er arbeitet gewissenhaft. Es scheint so, als würde er gar nicht mehr an das Gespräch denken. Was wusste der für Ausdrücke!
Egon geht langsam durch die Reihen. Der Meister ist nicht zu sehen.
»Sag mal«, er tippt dem Kleinen auf die Schulter, »warst du schon dort?«
Der Lehrling pustet sich die Haare aus dem Gesicht. »Wo?«, fragt er unschuldig. Natürlich weiß er ganz genau, was Egon hören will.
Dieser wird für einen Augenblick verlegen. »Du weißt schon«, brummt er. »Los, blick mich nicht so blöd an. Du lügst dir alles zusammen. Als wenn die so ein kleines Würstchen wie dich mitnähmen.«
Der Lehrling aus Berlin ist wütend. Man glaubt ihm also nicht. »Wer sagt denn, dass ich so ein Trittvögelchen besucht habe? Mensch, bevor ich denen meine schwerverdienten Flöhe in den Rachen werfe, müsste erst ganz was anderes passieren. Nee, ich hab' Freundinnen genug. Bei denen krieg’ ich alles umsonst.«
»Also ist doch alles erstunken und erlogen?«
»Halt’ die Luft an! Hör endlich auf, mich auszuquetschen. Wenn du so scharf darauf bist, dann kauf dir doch eine Fahrkarte und fahr’ in einen Puff. In Berlin, weesste, da kriegste das gratis. Da brauchste nicht in so'n Lustbunker zu gehen. Berlin ist groß, aber überall triffste auf so eine Lustbienen. Im Kaufhaus, in der Bar, auf der Straße.«
Egon hat einen ganz trockenen Mund. Er hat eine komische Vorstellung von den Dirnen.
»Und die Polizei erlaubt das?«, fragt er.
»Du bist vielleicht naiv. Warum soll die denn was dagegen haben? Die müssen doch auch leben. Meinste, die werden nur von Liebe satt?« Er kichert.
»Aber sind die denn nicht eine Gefahr für die Bürger?«
»O bist du schwer von Begriff! Ich hab’ dir doch schon mal gesagt, die sind wie du und ich. Meinste, die überfallen jeden Kerl, den sie sehen? Die sind auch froh, wenn sie nicht immer arbeiten müssen. Nur wenn sie stehen, dann sprechen sie die Kerle an. Sonst sind die ganz normal.«
In der hinteren Reihe steht plötzlich der Meister. Egon hat es eilig, an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Der Lehrling sieht ihm grinsend nach. So ein Heuchler, denkt er. Er ist ganz wild und will so tun, als spräche er von der Moral. Wetten, dass er morgen an Ort und Stelle ist?
Er ist so mit seinen Gedanken bei Egon, dass er gar nicht merkt, dass der Meister ihn anspricht.
»Na, was ist?«
Er fährt zusammen. »Prima. Wirklich. Morgen schreiben wir in der Berufsschule eine Arbeit.«
Das hört der Alte immer gern. Nun ja, eigentlich ist er ganz in Ordnung, der Chef. Versteht was von der Sache und hilft einem, wo er kann. Ich mag diesen Job, denkt der Junge. Wenn ich erst mal fertig gelernt habe, dann geh’ ich in eine große Werkstatt. Da wird man ganz anders behandelt. Auf den einzelnen Mann kommt es dort an. Und mit dem Lehrbrief von diesem Betrieb, da bin ich fein raus. Hauptsache, ich kann was.
Er beginnt eifrig zu feilen. Seine Gedanken sind aber nicht bei der Sache. Jetzt ist er auch angesteckt. Nicht, dass er neugierig ist, Luden und Dirnen zu sehen. Die kennt er ja. Nein, er denkt an den Toten. Reich wie ein Nabob. Der hat das Geld nur so gescheffelt und nichts getan. Er wusste selbst nicht einmal, wie viele Vögelchen für ihn liefen. Dann die Bars, Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf.
Der hat verstanden zu leben, denkt er. Aber jetzt ist er tot. Nicht mal ganz fünfzig geworden. Morgen wird er eingescharrt. Na ja, damit müssen die Kerle rechnen. Ein gefährliches Leben!
Nee, Lude ist nichts für mich.