Читать книгу Die Freundin des neuen Königs: Redlight Street 163 - G. S. Friebel - Страница 9
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ОглавлениеNach dem ausgiebigen Frühstück wird der Tisch abgeräumt. Nun ist es soweit. Clemens soll seinen Plan erklären. Aber dann werden sie noch mal gestört. Der Kellner meldet, draußen stünde ein Doktor Sommer, der sage, er würde erwartet.
»Richtig, das hätte ich bald vergessen«, sagt Clemens. »Rein mit dem Mann! Los Jungs, holt mal einen Stuhl für den Anwalt.«
Doktor Sommer, ein grauhaariger Herr mit Brille, kommt herein und setzt sich an den Tisch. Vor ihm liegt eine schwarze Aktentasche.
»Sind alle anwesend?«
»Ja«, sagt Clemens. »Ich wundere mich noch immer, dass Albert an so etwas wie ein Testament gedacht hat.«
»Schließlich steht sehr viel Geld auf dem Spiel«, erklärt der Anwalt.
Kuno, Fred und Clemens haben in der Hauptsache ihre Geschäfte mit Albert betrieben. Ihnen wird wohl auch das ganze Vermögen zufallen. Das ist doch klar. So dumm wird der Albert doch wohl nicht gewesen sein, dass er es dem Staat vermacht hat.
Die drei überrechnen im stillen schon ihren Gewinn. Clemens weiß, dass er sich mit dem neugewonnenen Kapital noch ein paar Bars kaufen wird. Zwölf hat er schon. Sie sind eine Goldgrube. Und dann wird er sich auch ein tolles Haus in Oberbayern kaufen. Skilaufen war seit jeher seine Leidenschaft.
Mit halbem Ohr hört er dem Anwalt zu. Doch plötzlich fällt ein Name. Verblüfft beugt er sich vor und starrt den grauhaarigen Herrn an. »... mein gesamtes Vermögen, das sich über vier Millionen beziffert, vermache ich meiner Tochter Anni. Sie ist somit Alleinerbin und kann über das Vermögen verfügen. Will sie es anlegen, so würde ich ihr raten, sich mit Clemens in Verbindung zu setzen. Er hat eine sichere Nase für Geschäfte. Aber dieses sollte sie nie ohne Anwalt tun.«
Sie sind alle erschlagen. Lydias Traum vom neuen Chinchillamantel ist ausgeträumt. Alle blicken den Anwalt an, so, als hätte er sich plötzlich als Marsmensch entpuppt.
»Seine Tochter?«, sagt Clemens noch immer sprachlos. »Seit wann hat Albert eine Tochter?«
»Noch nie davon gehört«, murmelt Clüten-Otto. »Haha, das ist der beste Witz des Jahres. Du, Clemens, der will uns alle auf den Arm nehmen. Uns einen Schreck einjagen. Aber gleich wird er das richtige Testament vorlesen. Los, Alter, wir warten, mach’ schon.«
Der Anwalt faltet das Testament zusammen. »Ich habe es vorgelesen. Es wurde vor gut einem Jahr bei mir hinterlegt. Ein anderes existiert nicht. Ja, ist die Tochter denn nicht anwesend?«
»Albert hatte keine Tochter«, schreit Kuno.
»Doch«, erklingt es aus der hinteren Ecke.
Alle drehen sich herum.
»Ich bin die Tochter.«
»Titten-Anni«, sagt Lydia.
Sie alle bekommen den Mund nicht mehr zu. »Du?«, keucht Fred. »Aber das ist doch erlogen, erstunken, aus der Luft gegriffen.«
»Können Sie das beweisen?«, will nun der Anwalt wissen.
»Natürlich. Hier, möchten Sie meinen Geburtsschein sehen? Ich habe auch noch andere Papiere.«
Titten-Anni, diese verkommene Person, soll die Millionen erben? Wieso hat Albert nie etwas von ihr erzählt? Wie alt sie ist überhaupt? Aber Lydia weiß, wenn einer mit dem Huren angefangen hat, dann kann man das Alter sehr schwer einschätzen.
Anni lächelt müde. »Bevor er Zuhälter wurde, hat er meine Mutter geheiratet. Ich lebte lange Jahre in einem Internat in der Schweiz. Als ich erfuhr, dass er meine Mutter gezwungen hatte, für ihn auf den Strich zu gehen, da rächte ich mich.«
Lydia pudert sich die Nase. Sie hat sich als erste gefangen. Nun, das Geld ist futsch, warum sich da noch aufregen?
Der Anwalt räuspert sich. »Hier steht noch ein Nachsatz auf der Rückseite.«
Gespannte Gesichter auf beiden Tischseiten. Vielleicht war doch nur alles ein Scherz. Klunker-Ede hing einem Gedanken nach. Gerade war ihm nämlich eingefallen, dass es doch nichts Einfacheres gäbe, als Titten-Anni zu ermorden. Wohlverstanden, nachdem sie alles Geld in ihren Geschäften angelegt hatte.
Doktor Sommer setzt sich die Brille auf. »Ja, also hier steht: Wenn meine Tochter Anni ermordet wird, oder, was natürlich auch vorkommt, eines natürlichen Todes stirbt, so fällt das gesamte Vermögen einem Heim für Waisenkinder zu.«
Das ist zu viel. Klunker-Ede bricht in schallendes Gelächter aus. »Nein, wenn ich mir eure Gesichter ansehe, ich könnte mich totlachen.«
Clemens ist schneeweiß geworden. Seine Hände ballen sich zusammen. Anni blickt einen nach dem andern ins Gesicht
»So ist er nun mal«, sagt sie hart. »So, und nicht anders. Er will alle quälen. Über das Grab hinaus schafft er es noch.«
Mary sagt: »Du kannst schön lachen. Du hast die Flöhe im Sack. Aber wir, die wir uns schon als Erben betrachtet haben, haben das Nachsehen.«
»Geld macht nicht glücklich. Mich nicht! Nach dem Leben, das ich geführt habe«, sagt sie leise.
»Dich hat man nicht dazu gezwungen.«
»Nein. Albert hat auch nie geglaubt, dass ich es wirklich tun würde. Ich, seine Tochter, die er über alles liebte, mit der er sich im Ausland brüstete. Ich hatte das beste Zeugnis im Internat. Mit Auszeichnung hatte ich mein Abitur bestanden. Ich spreche perfekt Englisch, Latein und Französisch. Ich, die ich einmal Ärztin werden wollte.«
Auf einmal ist es sehr still im Raum.
»Ich kam nach Hause. Als ich ihn nach meiner Mutter fragte, machte er Ausflüchte. Aber ich ließ nicht locker. Doch er brauchte es mir gar nicht zu sagen, ich traf sie zufällig in der Stadt. Sie war ein Wrack. Er lebte in Saus und Braus. Ich durfte die teuersten Schulen besuchen, während sie ... Es war schrecklich. Albert hatte vorgehabt, mich nach Amerika zu schicken. So wollte er eine Begegnung verhindern.« Sie blickt lange still auf ihre Hände.»Ich kann es verstehen, wenn zwei Menschen sich hassen, sich scheiden lassen. Das alles wäre nicht so schlimm gewesen. Aber er, in seiner Gier, brachte es fertig, sie so zu erniedrigen. Er hat ihr das Schlimmste angetan, was man einer ehrbaren Frau antun kann. Mutter ist ein paar Wochen später an Entkräftung gestorben. An ihrem Grab schwor ich mir, sie zu rächen. O ja, sie durfte nicht umsonst gelitten haben. Mama war so still und sanft gewesen.« Anni weint leise auf.
Alle erinnerten sich an Helga. Niemand hatte gewusst, dass sie Alberts Frau war. Lotti und Elli wischten sich die Augen. So eine Gemeinheit! Wirklich! Helga war immer still und freundlich gewesen. Nie gab es ein böses Wort. Sie half sogar noch, wo sie konnte. Und Albert schlug sie, wenn sie ihr Soll nicht erfüllte. So war sie denn von Stufe zu Stufe gesunken, bis sie ausgelitten hatte. Arme Helga! Und zu ihrem Grab waren sie nicht gepilgert.
Anni begann wieder zu reden. »Nach dem Begräbnis meiner Mutter ging ich los. Auf die Strichstraße, Wurde die gemeinste und niedrigste Dirne im ganzen Bezirk. Ich begann zu trinken, benahm mich wie jede andere Dirne. Tat so, als bekäme ich den Hals nicht voll. O ja, Albert erfuhr es sehr schnell. Umbringen wollte er mich, denn ich hatte ihn getroffen. Niemand konnte ihn tiefer treffen als ich.
Anfangs war es für mich schrecklich so zu leben. In den einsamen Nächten, wenn ich nicht auf der Straße stand, dann träumte ich, sah mich als Ärztin. Das Aufwachen war furchtbar, jawohl. Jetzt ist es zu spät. Ich werde das Geld nehmen und mich irgendwo verkriechen. Mich wundert es überhaupt, dass er es mir hinterlassen hat. Aber das tat er nur, um euch zu ärgern. So war er.«
Anni steht auf und geht zum Anwalt. »Brauchen Sie mich noch hier?«
»Nein, das ist nicht nötig. Wenn Sie so freundlich sind und folgen mir ins Büro, dann übergebe ich Ihnen die Hinterlassenschaft Ihres Vaters. Es handelt sich um den Schlüssel zum Tresor, um Aktien und Wertpapiere.«
Die beiden verlassen den Saal.
»Hättet ihr das geglaubt?«, fragt Mary leise.
»Wenn ich so etwas in einem Roman gelesen hätte, dann hätte ich gesagt, das sei erlogen. Bei uns ist ja viel los, geb’ ich ja zu. Aber so etwas, Mensch, das ist die Höhe! Und ich hab’ auch noch Blumen für den Schuft gekauft. Man sollte hingehen und sie vom Grab reißen.«
»Untersteh’ dich«, sagt Clemens ärgerlich.
»Du, du bist doch auch belemmert. Hast doch schon die Millionen eingesackt gesehen.«
Kurt grinst hämisch.
»Und trotzdem halten wir die Schnauze darüber, klar? Wenn das an die Öffentlichkeit dringt, glauben doch alle, wir hätten es gewusst und gutgeheißen.«
Lydia sagt: »Clemens hat recht. Na, so ein widerlicher Kerl. Ich bin froh, dass er die Strafe bekommen hat.«