Читать книгу Lottes bunter Lebensherbst - Gabi Ebermann - Страница 13

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Lisa selbst war als geliebtes und umsorgtes Einzelkind großgeworden. Später als Jugendliche hatte sie die ehelichen Probleme ihrer Eltern sehr wohl mitbekommen, obwohl diese von Lotte bestmöglich unter den Tisch gekehrt wurden, um die Tochter nicht zu belasten. Es lief ganz bequem für das Mädchen, es musste nie wirklich einen Finger krumm machen zu Hause – Lotte putze hinter ihr her und ihr Vater Georg verwöhnte sie nach Strich und Faden. Es war ja nicht so, dass sie als Familie keine schöne Zeit miteinander verbracht hätten. Sie machten tolle Ausflüge und schöne Urlaube, wiewohl sie auf Grund Lottes Flugangst nie viel weiter als nach Caorle oder Umag kamen und sie feierten wunderbare Familienfeste. Lisa konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie Weihnachten, Ostern, Geburtstage, Erstkommunion, Firmung, Matura und ihre Promotion zelebriert wurden, als wäre sie eine Prinzessin. Sie stand gerne im Mittelpunkt und ihre Eltern hatten ihr das auch stets ermöglicht. Trotz aller Schlitzohrigkeit, die Georg in seiner Ehe an den Tag legte, war er in dieser Hinsicht ein echter Familienmensch. Sie hatten nie Geldsorgen, denn obwohl Lotte bei Lisa zu Hause blieb, waren sie durch Georgs Job im gehobenen Management mehr als gut gestellt. Beiden Elternteilen war es wichtig, ihrer Tochter eine geborgene Kindheit und Jugend zu ermöglichen und sie bei einem guten Start ins eigene Leben zu unterstützen. Lisa kostete das in vollen Zügen aus, ihr Medizinstudium war ihr zwar wichtig, aber mit der Studiendauer nahm sie es nicht ganz so genau. Es fehlte ihr ja schließlich an nichts. Sie durfte reisen, konnte nach Belieben ausgehen, shoppen und besaß sogar ein eigenes Auto: einen kleinen roten Fiat Panda, mit dem sie und ihre Freunde die Gegend unsicher machten. Mit dem Weg in die Selbständigkeit hatte sie es daher nicht übertrieben eilig gehabt.

Als sie schon im Turnus war, lernte sie auf einem Gartenfest ihrer Freundin Jim kennen und lieben. Er war der Cousin ihrer Freundin, der als kleines Kind mit seinen Eltern nach Australien ausgewandert war. Als sich die beiden nach einem unbeschreiblich schönen Sommer wieder trennen mussten, war Lisa untröstlich. Lotte hielt das für eine vorübergehende Liebelei, aber in dieser einen Sache blieb Lisa hartnäckig. Sie sah in dem jungen Mann doch weit mehr als nur einen Sommerflirt. So hielten sie und Jim über fast zwei Jahre mittels Mails und endlosen Telefonaten den Kontakt aufrecht, bis Georg letztendlich solches Mitleid mit seiner mittlerweile sehr reif gewordenen Tochter bekam, dass er ihr für den Sommer eine Reise nach Australien schenkte. Lotte fiel fast in Ohnmacht damals, ihr schlotterten schon bei dem Gedanken an diesen langen Flug die Knie so heftig, dass sie sich setzen musste. Lisa aber war im siebten Himmel, und so kam es, dass sie ihre große Liebe in Übersee besuchte und Lotte und Georg erstmals seit mehr als drei Jahrzehnten wieder sich selbst überlassen waren.

Es war nicht zu übersehen, sie waren sich fremd geworden und wussten sich nichts miteinander anzufangen. Egal ob sie ins Theater gingen, einen Ausflug planten oder auch nur abends ein Restaurant besuchten, es kam so gut wie nie eine Kommunikation zustande. Was war bloß aus ihnen geworden? Sie hatten doch früher immer so viel Spaß miteinander gehabt. In dieser Zeit musste sich Lotte eingestehen, dass sie sich endgültig auseinandergelebt hatten. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Die einzige sie aneinanderbindende Gemeinsamkeit würde bald aus dem Haus sein, und dann wäre Lottes Hingabe an die Familie nicht mehr erforderlich. Sie hatte Georgs Leben und seine vielen Affären immer akzeptiert, weil sie und Lisa trotz allem das Wichtigste in seinem Leben zu sein schienen. Doch während Lisas Abwesenheit war ihr klar geworden, dass das wohl nur auf eine von ihnen beiden zutraf, Lotte selbst stellte schon lange nur noch eine zweckmäßige Gewohnheit dar. Sie hatte dafür gesorgt, dass für Georg immer ein behaglicher Rückzugsort existierte – wie praktisch! Sie musste sich zwar selbst auch nicht rechtfertigen was sie mit ihrem Leben anfing, es interessierte aber auch niemanden.

Damals hatte Lotte begonnen, sich innerlich von Georg und dem Traum, mit ihm alt zu werden, zu lösen. Es schmerzte, aber sie musste unbedingt ihre Selbstachtung wiederfinden und ein eigenständiges Leben vorbereiten. Es war kräfteraubend gewesen, sich wieder persönlichen Interessen zu widmen und Freundschaften aufzubauen, die ihr nach einer Trennung von ihrem Ehemann Halt geben sollten. Es war nicht einfach, sich selbst wieder Beachtung zu schenken, das erste Mal nach so vielen Jahren herauszufinden, wer sie wirklich war und wofür sie eintrat. Sie ging auf Vernissagen, ins Fitnessstudio, allein ins Kino oder Theater und sogar ins Restaurant. Anfangs kostete es sie viel Mut, als Frau alleine unterwegs zu sein, nicht etwa aus Angst, dass ihr etwas geschehen würde, nein, aus Sorge vor den mitleidigen Blicken anderer Leute, die vielleicht dachten, sie hätte niemanden, mit dem sie ihr Leben teilen konnte. Aber so war es ja auch. Lotte lernte erst nach und nach, sich selbst genug zu sein und wieder wichtig zu nehmen. Sie wurde selbstbewusst und geschickt im Umgang damit, alleine Spaß zu haben und Freude zu empfinden.

Damals hatte sie noch nicht ganz realisiert, dass auch Lisa gerade dabei war, die Weichen für ihr späteres Leben zu stellen. So hatte Lotte auch nicht bedacht, dass ihr schon bald ein Dasein nicht nur ohne Ehemann, sondern gänzlich ohne Familie, bevorstand. Das Haus voller Enkel, das sie sich immer erträumt hatte, würde am anderen Ende der Welt stehen. Für Lotte mit ihrer Flugangst unerreichbar weit entfernt.

Als Lisa damals von Australien zurückkam, war sie wild entschlossen, ebendort ein gemeinsames Leben mit ihrem Jim aufzubauen. Sie absolvierte in Windeseile den Rest ihrer Ausbildung und bereitete alles vor. Lotte konnte es nicht verhindern, wollte ihr allerdings auch gar keine Steine in den Weg legen. Sie hatte ja gerade selbst ihr eigenes Leben neu geregelt. Obwohl sie sich von Georg getrennt und eine kleine Wohnung bezogen hatte, fühlte es sich trotzdem so an, als wäre sie verlassen worden. Sie war das erste Mal seit einer Ewigkeit auf sich allein gestellt. So behaglich sie ihr neues kleines Heim auch eingerichtet hatte, es fehlte das Leben in ihm, denn Lisa blieb aus Platzgründen bei Georg. Lotte hätte sie schon sehr gerne um sich gehabt, konnte aber nicht mehr länger mit dem Auszug warten, sie hätte sonst auch noch der letzten Rest Selbstachtung für immer verloren. Georg konnte das ganze damals gar nicht fassen – er hatte einerseits wohl gedacht, Lottes Toleranz würde bis an ihr Lebensende reichen und es ihr andererseits auch schlicht und einfach nicht zugetraut. Schließlich war ihm aber nichts anderes übriggeblieben, als sich das Scheitern ihrer Ehe auch selbst einzugestehen und die veränderten Umstände zu akzeptieren. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Er würde zwar erheblich an Bequemlichkeit einbüßen, war dafür aber ungebunden und konnte seinen Trieben freien Lauf lassen. Lotte war das mittlerweile egal, sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Insgeheim hoffte sie noch, dass ihre Tochter sich im letzten Augenblick anders entscheiden würde, aber sie blieb bei ihrem Entschluss, schon bald nach Australien auszuwandern. Es war kein einfacher Schritt, für niemanden. Lisa hatte ein schlechtes Gewissen, ihre Mutter alleine zurückzulassen, aber sie wollte ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten, dazu war sie von ihren Eltern schließlich auch immer ermuntert worden. Lotte und Georg bestärkten sie letzten Endes darin, ihrem Herzen zu folgen, wiewohl dies beiden fast das eigene Herz brach. Ihr Baby ging weg, und damit war die letzte Gemeinsamkeit dahin.

Lisa war weit fort, Lotte trotz eines neuen Netzes aus Freundschaften und Interessen einsam und Georg zog weiter von einer Affäre zur anderen.

Lisa hatte einen erheblichen Teil ihrer Ersparnisse für den Neustart in der Ferne bekommen, dennoch blieb genug Geld für Lotte übrig. In dieser Hinsicht waren sie eine funktionierende Verbindung gewesen, aus der niemand unversorgt herausging. Ihr inneres Band war jedoch auf der einen Seite gerissen und auf der anderen in endlose Länge gedehnt worden.

Lotte fühlte sich zu dieser Zeit so unglücklich, dass sie bald darauf beschloss, sich einer anderen Gemeinschaft anzuschließen. Sie gedachte, der Einsamkeit für immer ein Schnippchen zu schlagen, und so zog sie ins Seniorenheim, ins „Haus des Lebens“.

Wenn Lotte heute an Hilde, Hans und Sophie dachte, hatte sie im Nachhinein auch wirklich recht behalten, wenngleich der Weg nicht immer ein einfacher gewesen war.

Lotte hatte längst aufgehört, mit dieser Entscheidung zu hadern. Das Leben, das ihr noch blieb, war zu kurz, um immer wieder alles in Frage zu stellen.

Lottes bunter Lebensherbst

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