Читать книгу Lottes bunter Lebensherbst - Gabi Ebermann - Страница 8

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Lotte saß im Lehnstuhl, auf ihrem Schoß Alexander mit einem Bilderbuch in der Hand. Der kleine Sohnemann von Miki und Tom liebte „Buch schauen“ mit Oma Lotte über alles. Das Exemplar zum Streicheln und Hören, das gerade an der Reihe war, mochte er besonders gerne. Es war meistens das letzte, das Alexander aus seiner Bücherkiste hervorholte. Lotte musste eines nach dem anderen vorlesen, immer in der gewohnten Abfolge. Wenn Alexander dann müde wurde, kam das Streichelbuch dran. Nachdem die Fellbäuchlein aller Tiere gestreichelt waren und den dazugehörigen Ton von sich gegeben hatten, ballte er seine kleine Faust, streckte den Zeigefinger aus, rutschte zu Oma Lottes Handgelenk hinüber und zeichnete immer und immer wieder ihr Tattoo nach, bis sein Fäustchen sanft liegen blieb und er tief und fest schlief. Lotte wusste genau, dass es ihrem Enkelsohn Aaron nichts ausmachte, dass er sein „A“ auf ihrem Tattoo mittlerweile mit Alexander teilen musste. Sie liebte auch diesen kleinen Kerl wie ihr eigenes Fleisch und Blut.

Seine beiden Väter waren heute ein wenig von der Rolle. Sie hatten Lotte außertourlich gebeten, Alexander vom Kindergarten abzuholen. Miki klang ganz aufgeregt, als er anrief, stotterte irgendetwas von unvorhergesehenen Ereignissen und Familienrat zusammenrufen. Lotte zögerte nicht lange, denn wann immer ihre Familie sie brauchte, stand sie zur Verfügung. Und die drei zählten ganz zweifelsohne längst zu ihrer Familie. Sie hatte sie mit Herz und Seele adoptiert. Schließlich war es Miki gewesen, der vor drei Jahren ihrem Leben eine so wunderschöne Wende gegeben hatte. Wie mit einem Katapult war sie aus ihrer Einsamkeit mitten ins Leben zurückbefördert worden. Seither war unglaublich viel geschehen.

Jetzt aber, da sie Miki und Tom so kopflos durch die Wohnung huschen sah, machte sie sich ernsthafte Sorgen und fragte sich, was denn passiert sein konnte. Bei den beiden handelte es sich normalerweise um ganz ruhige, besonnene, junge Männer, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließen. Lotte wusste nur so viel, dass Toms Eltern und seine Schwestern erwartet wurden, genauso wie Mikis Vater Ludwig.

Vorher wollten die beiden nicht mit der Sprache herausrücken. Sie tuschelten miteinander, hatten rote Köpfe, verstrubbeltes Haar und waren merklich aufgewühlt. Lotte bekam es mit der Angst zu tun. Hoffentlich war nicht einer der beiden etwa ernsthaft krank, oder Toms Bäckerei in Schwierigkeiten geraten, möglicherweise hatte auch Miki seinen Job verloren, oder aber, und Lotte konnte nur mit Schaudern daran denken, vielleicht würden sie sogar Alexander wieder verlieren. Nein, das durfte einfach nicht geschehen.

Sie drückte den Kleinen ein wenig fester an sich und schnupperte genüsslich an seinen Haaren, die in ihrer Nase kitzelten. Seine Bäckchen waren erhitzt und die Wärme, die er ausstrahlte, kroch Lotte unter die Haut und breitete sich vom Kopf bis zu den Zehenspitzen aus. Sie wiegte das Kind ganz sanft und sie waren eins. Lotte liebte es, wenn er auf ihrem Schoß einschlief. Wenn sie so dasaß, dachte sie nicht selten daran zurück, wie alles begann.

Miki und Lotte hatten sich vor knapp drei Jahren durch Zufall kennengelernt. Miki war im wahrsten Sinne des Wortes über sie gestolpert. Daraus hatte sich eine großartige Freundschaft entwickelt. Er war vom Lehrmeister in Sachen Computer zum Freund und schließlich wie zum eigenen Sohn für sie geworden. Sie hatten sich gegenseitig viel zu verdanken. Miki war es gelungen, Lotte aus ihrem Alltagseinerlei zu reißen und ihr dabei zu helfen, den größten Traum ihres Lebens zu verwirklichen: einen Besuch bei ihrer Tochter in Australien. Jahrelang hatte sie mit ihrer Flugangst gekämpft, bevor die Freundschaft zu Miki und seinem Freund Tom alles veränderte. Lotte hatte wieder begonnen, an sich selbst und das Leben zu glauben und damit auch ihrer irrationalen Angst vor dem Fliegen den Kampf angesagt.

Sie konnte sich noch an fast jedes Detail ihrer Reise erinnern, als wäre es gestern gewesen. „Weißt du, kleiner Mann“, murmelte sie leise, um Alexander nicht zu wecken, „ohne deine Papis wäre ich jetzt eine einsame, störrische Alte, die ihr Schicksal betrauern würde“. Lotte hatte ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, sie blickte in die Ferne.

Wie im Zeitraffer sah sie die letzten drei Jahre an sich vorbeiziehen. Sie waren einfach unglaublich gewesen, aufregend und schön.

Lottes bunter Lebensherbst

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