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Kapitel 10

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Ich hätte mich für den Fehler selbst ohrfeigen können, aber ich musste ihn ja unbedingt überreden, mir seine Eltern vorzustellen. Wir waren mit den Kindern ganz früh morgens losgefahren, die Eltern wohnten in der Nähe von Stuttgart. Die Mutter war eine kleine, freundliche, runde Person, die sofort auf Henry zuging und ihn herzte und küsste, ebenso tat sie es mit ihrem Enkel Daniel, den sie noch nie gesehen hatte. Henrys jüngerer Bruder Emmes, der draußen auf dem Hof seinen Manta reparierte, begrüßte uns nur mit einem »Hallo!« Er machte gar keine Anstalten, wegen des Besuches die Arbeit zu unterbrechen. Ich erschrak, als ich erfuhr, dass Henry seine Familie seit zehn Jahren, seit er siebzehn war, nicht mehr gesehen hatte. Es musste ein riesiger Bauernhof sein, auf dem wir waren, und ich fand mich komplett unpassend angezogen in meinem engen, schwarzen Minikleid und den Sandalen mit Pfennigabsätzen. Nirgends waren Tiere zu sehen, alles wirkte auf mich, als befände ich mich auf einem Fabrikgelände. Zwischen Henry und seinem Vater herrschte eine eisige Atmosphäre. Auch zu mir und den Kindern war der stur wirkende Endfünfziger eher abweisend. Henry führte mich in eines der ›Fabrikgebäude‹ und sagte mit tränenerstickter Stimme: »Sieh es dir genau an. Weißt du jetzt, warum ich kein Fleisch esse und warum ich hier wegmusste?«

Es war wirklich ein grausiger Anblick, wie Rinder, eingeklemmt zwischen Stangen, sodass jede Bewegung unmöglich war, reihenweise in diesen Hallen standen. Jedes Eckchen, jeder Meter war ausgenutzt.

Henry brachte die Kinder und mich in die Küche zu seiner Mutter. Wir unterhielten uns über die Herstellung von Käsekuchen und sprachen über die Kinder. Henry war mit seinem Vater nach draußen gegangen.

Von dem Gespräch erfuhr ich erst später im Bus auf der Heimfahrt, nachdem Henry uns zum Aufbruch getrieben hatte. Ich war noch nicht mal dazu gekommen, mein viertes Stück Käsekuchen aufzuessen und mich von Henrys weinender Mutter zu verabschieden.

»Was war los?«, fragte ich.

»Weißt du, was der Sack mich nach zehn Jahren als erstes fragt? Ausgerechnet er. Wo hast du eigentlich diese Schlampe her? In welchem Nachtclub hat die denn vorher die Männer bezirzt? Er meint dich, Emi.«

»Und was hast du gesagt?«

»Ich fragte ihn, wie er auf so was kommt. Er daraufhin: Dafür habe ich einen Blick. Das glaube ich ihm. Ich habe ihn dann auch gefragt, ob er den Sex, den er braucht, immer noch im Puff sucht und ein Bild von Mutter mit Heiligenschein überm Bett hängen hat. Sie war immer nur für die Kinder da, obwohl, du hast das Kind ja gesehen, meinen Bruder, den Proll. Er kotzt mich an, mein Alter. Wir hatten mal einen richtigen Bauernhof mit allen Arten von Tieren. Ich habe meine Arbeitskraft und mein Herzblut da reingesteckt und war traurig, als mich meine Eltern für ein Jahr nach Amerika geschickt haben. Angeblich wegen der Bildung. Damals war ich fünfzehn. Als ich wieder kam, waren alle Tiere weg und mein Vater hatte diese Fleischzucht aufgemacht. Meine Träume waren weg, meine Pferde. Verstehst du, alles. Für mich zählt nur noch, was wirklich ist, und jetzt will ich nichts mehr davon hören.«

Mein Gott, der arme Henry. Ich konnte es nicht fassen. Und wie knallhart er war. Ein toller Typ.

»Sehe ich eigentlich nuttig aus, oder wie kommt dein Vater auf so was?«, fragte ich.

»Du siehst völlig in Ordnung aus«, sagte er, »vielleicht würde dir etwas mehr Farbe ganz guttun. Aber ich mag es auch ganz gern, wenn Frauen eine etwas verruchte Ausstrahlung haben.«

Verrucht? War es das? Wirkte ich so auf die Männer?

»Erinnere mich nicht mehr an meine Eltern und erschlag mich bitte rechtzeitig, wenn ich so werden sollte wie mein Vater!«, sagte Henry, bevor wir ausstiegen und die schlafenden Kinder in die Wohnung trugen.

Der Schuh

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