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Kapitel 18

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Robert kam Heiligabend vorbei und zelebrierte zu Mittag eine Spaghettisoße, die die Zwillinge beim Essen auf dem Küchentisch verteilten und die Jungs mit Genuss, zusammen mit den überlangen Spaghetti, durch die Luft schnippten. Er brachte Konstantin und Franziska auch noch jeweils eine Portion runter in den Laden, der ziemlich voll war. Viele Leute kauften Heiligabend noch schnell Geschenke ein. Nach dem Essen tranken wir zusammen Kaffee, danach drehten Robert und ich mit den Kindern eine Runde durch das weihnachtlich geschmückte Hameln. So hatte Henry genug Zeit und Ruhe, den Weihnachtsbaum zu schmücken, und die Kinder sahen ihn nicht vor der Bescherung. Daniel glaubte ja inzwischen nicht mehr an den Weihnachtsmann, aber er sollte das auf keinen Fall vor Niclas erwähnen, noch nicht in diesem Jahr. Kim und Linda saßen warm eingemummelt in ihrer Karre.

Als wir an dem Tabakwarenladen in der Bäckerstraße vorbeikamen, stand der Besitzer, Herr Santotzky, vor seinem Geschäft, wie immer wie aus dem Ei gepellt. Die Haare pomadig nach hinten gekämmt, im teuren Zweireiher. Er hielt eine Holzkiste in der Hand. Seine Frau, im Kittel, putzte mit so heißem Wasser den Tritt, dass es um sie herum nur so dampfte. Sie kniete und wedelte mit dem heißen Feudel hin und her. Ab und zu machte sie sich hoch, hielt ihren Rücken, stöhnte und feudelte weiter. Ihr Blick sprach Bände. Robert und ich sahen uns nur an. Herr Santotzky kam auf uns zu.

»Na die Herrschaften, noch einen Spaziergang mit den lieben Kleinen machen, bevor der Weihnachtsmann kommt?« Er zeigte Robert die Zigarrenkiste. »Wie wäre es mit einer edlen Zigarre für den Herrn Papa?«

Er kannte mich und wusste genau, wer mein Mann war. Herr Santotzky sah Robert aufreizend an. »Bitte, möchten Sie?«

Robert war eigentlich Nichtraucher, aber er nahm sich eine. Herr Santotzky präparierte die Zigarre und gab ihm Feuer. Hoffentlich fängt er nicht auch noch an zu reden, dachte ich. Er kam öfter bei meinem Vater im Laden vorbei und quatschte sich fest. Besonders berüchtigt war er für seine frauenfeindlichen Witze. Wenn Konstantin ihn vorm Laden auftauchen sah, sagte er immer: »Jetzt ist es vorbei mit der Ruhe, jetzt kommt der hinterfotzige, schleimige Santotzky.«

Robert hielt die Zigarre in der rechten Hand, die linke Faust war auf Herrn Santotzky gerichtet, mit dem Zeigefinger nach vorn gestreckt und dem Daumen nach oben. Er sagte: »Gar nicht schlecht, diese Zigarre. Davon nehme ich mal welche mit.« Er nahm eine aus der Kiste und steckte sie sich in die Manteltasche. »Genau das Richtige für meinen Vater.« Robert griff richtig zu und stopfte sich die Taschen voll. »Auch noch welche für Großmutter und Großvater, meine Schwestern und ihre Männer«, sagte er belustigt. Er hatte inzwischen die Taschen bis oben gefüllt, die Zigarren fielen schon auf den Boden. Ich fragte mich, was das Ganze sollte.

»Vielen Dank, dass Sie hier außerhalb der Geschäftszeiten so großzügig Zigarren verteilen. Das ist ein feiner Zug von Ihnen«, meinte Robert zu dem verdutzt dreinblickenden Herrn Santotzky.

»Eigentlich war es… äh… ja nicht kostenlos gedacht, aber… nun ja, weil heute Weihnachten ist, mache ich Ihnen einen Freundschaftspreis«, stotterte der.

»Und weil heute Weihnachten ist, bezahle ich natürlich den regulären Preis für diese Zigarren«, sagte Robert.

Er holte seine Brieftasche aus der Innentasche des Mantels und reichte dem Mann, der wie angewurzelt dastand, einen Hundert-Mark-Schein.

»Das reicht aber nicht ganz«, stammelte Herr Santotzky.

»Ach, was mache ich denn?«, sagte Robert und tat so, als hätte er das nicht mit Absicht gemacht.

Er griff erneut in seine Brieftasche. Und diesmal hielt er ein ganzes Bündel Hundert-Mark-Scheine in der Hand und legte es in die fast leere Zigarrenkiste.

»Das ist dafür, dass Sie Ihrer Frau mal was Anständiges zum Anziehen kaufen.«

Robert verzog gekünstelt mitleidig das Gesicht und holte noch ein Bündel Scheine aus der Brieftasche. Herr Santotzky fragte sich wohl, was als Nächstes kommen würde, und machte eine abwehrende Handbewegung. Robert schoss auf den Mann zu und stopfte ihm ein paar Scheine in den Mund.

»Das ist dafür, dass sie ihren Tritt in Zukunft selber wischen.«

Herr Santotzky spuckte die Scheine im hohen Bogen aus, dabei verzog er angewidert das Gesicht. Robert sammelte alle Scheine wieder ein, auch die aus der Zigarrenkiste nahm er heraus.

»Ich nehme das Geld jetzt wieder an mich, weil Sie es ja sowieso nicht Ihrer Frau geben werden.«

Ich bemerkte Roberts Brandstifterblick, als er die Scheine in der Hand bündelte und sie der ängstlich wirkenden Frau Santotzky in die Tasche ihres Kittels stecken wollte. Sie lehnte energisch ab und verschwand mit Eimer und Schrubber im Laden.

»Da ist Ihnen ja was ganz Tolles eingefallen!«

Herr Santotzky hatte sich etwas gefangen und versuchte nun, die Sache ins Lächerliche zu ziehen. Er hatte die Kiste auf den Boden gestellt und klatschte in die Hände.

»Bravo!«, rief er, »bravo!«

Robert öffnete die Kiste und leerte seine Taschen dort hinein aus. Die meisten Zigarren waren kaputt und nicht mehr zu gebrauchen. Herr Santotzky schnappte sich die Zigarrenkiste und stolzierte wie ein Gockel in seinen Tabakwarenladen.

»Was soll der großkotzige Quatsch?«, fragte ich, obwohl ich im Stillen fand, dass es auch was hatte.

»Dann nimm du das Geld, bitte.«

Er blickte zur Seite. Niclas und Daniel spielten auf den Treppen am Pferdemarkt. Auf dem Platz davor räumte gerade ein Straßenmusikant seine Sachen zusammen.

»Ich will dir keine Almosen geben«, sagte er.

»Dann lass es doch gefälligst auch«, meinte ich entrüstet.

Er fasste in die Brusttasche seines Mantels und holte erneut einen dicken Stapel Geldscheine heraus, die er mir in die Hand gab.

»Es sind zehntausend Mark. Ich weiß, was Henry verdient, und ihr habt Kinder. Du bist finanziell auf ihn angewiesen. Es ist nicht gerade viel Geld, aber so fürs Erste, als kleine stille Reserve für dich.«

»Wo hast du so viel Geld her?«, fragte ich. Für mich war es viel Geld, so viel hatte ich noch nie auf einmal in der Hand gehalten.

»Dieser Freund aus Hamburg, von dem ich dir mal erzählt habe, der mit den Kampfsportschulen, der hat mich gefragt, ob ich ihm etwas helfen kann. Jetzt mache ich erst mal ein oder zwei Urlaubssemester. Bei ihm kann man gutes Geld verdienen. Diese Jobs bei ihm sind sehr interessant und lukrativ.«

»Aber deine Ziele?«, fragte ich verwundert.

»Meinen wirklichen Zielen komme ich so am schnellsten nahe. Glaub mir.« Er küsste mich auf die Wange. »Sei nicht kleinkariert, Emi. Steck das Geld ein.«

Ich verstaute das Geld in der geräumigen Innentasche meiner Winterjacke. Er begleitete uns noch bis zur Einbiegung in die Fischpfortenstraße, sein Blick hing an meinem Mund. Ich hatte das Gefühl, dass uns beiden zum Heulen zumute war.

»Bis bald?«, fragte ich.

Er nickte. »Bis bald.«

Ich sagte, ich müsste mal ganz nötig aufs Klo, als ich in Jacke und Mütze an Henry und meinen Eltern vorbeischoss, die schon mit dem Weihnachtsglöckchen auf dem Flur standen. Im Bad legte ich ein Handtuch ins Waschbecken, damit es nicht so klapperte, kippte den Inhalt meines pinken Kosmetikkoffers dort hinein und schnitt mit der Nagelschere das Futter des Köfferchens auf. Dahinter steckte ich das Geld. Ich hob das Handtuch aus dem Waschbecken und beförderte damit die Schminkutensilien zurück in den Koffer. Dort war das Geld erst mal in Sicherheit, und ich würde es für einen absoluten Notfall aufheben, beschloss ich.

Meine Familie wartete schon ungeduldig. Die Zwillinge bekamen eine Holzeisenbahn vom Weihnachtsmann und die Jungs jeder einen Rodelschlitten. Für alle zusammen gab es noch ein Spiel. Henry war der Meinung, die Kinder dürften erst gar nicht an zu viel Konsum gewöhnt werden, und er hatte auch seine Schwiegereltern gebeten, da mitzuziehen. Deshalb bekam jedes der Kinder von Franziska und Konstantin ein liebevoll eingepacktes Buch. Ich schenkte Henry eine neue Mundharmonika und bekam von ihm ein Parfüm. Ein sinnlicher Duft, etwas holzig, aber doch weiblich. Ich freute mich sehr darüber. Er hatte es super getroffen. Und dass er wegen mir durch die Parfümerien gestreift war.

»Ich fand es geil an einer Kollegin«, sagte er.

»Und an mir?« Ich hätte heulen können.

»Auch gut«, meinte er und küsste mich. Von Franziska gab es Selbstgestricktes. Henry bekam einen dicken Norwegerpullover, passend für jemanden, der sich sehr viel im Freien aufhielt. Mein Pullover war aus weicher, weißer Angorawolle, extragroß, um auch noch einen dicken Babybauch wärmen zu können. Ich zog den Pullover gleich über, er stand mir hervorragend.

»Sieh mal, gefalle ich dir darin?«, fragte ich Henry, dabei kam ich mir lächerlich vor, als ich mich so anpries.

»Du riechst gut und siehst gut aus, Emi«, war seine Antwort.

Nach der Bescherung stürmte ich ins Bad und begutachtete mich im Spiegel. Wenn er mich schön, aufregend und begehrenswert finden würde und ich ihn begeistern könnte, würde er anders reagieren. Und er würde es mir sagen, dachte ich. Er war nun mal kein Schmeichler. Solche Leute sagen immer die Wahrheit. Wenn ich mit den Kindern durch die Stadt ging, drehte sich sowieso kaum noch ein Mann nach mir um. Ich musste mich der Realität stellen. Ich war nicht mehr die Schöne, nach der die Männer verrückt waren, sondern eine, wenn überhaupt, durchschnittlich aussehende Frau, die Mitte zwanzig zum vierten Mal schwanger war und die außer Kinderkriegen nichts Richtiges auf die Rolle bekommen hatte.

Der Schuh

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