Читать книгу Herz und Verstand im Verwaltungsrat - Gabriela M. Paltzer-Lang - Страница 11
A.VR-Mitglieder und ihre Beziehungen 1.Beziehungen unter den Verwaltungsratsmitgliedern
ОглавлениеFrage: Wie nehmen Sie die Beziehungen unter den Verwaltungsratsmitgliedern wahr? Wie sehr spielt das Zwischenmenschliche eine Rolle?
Meine Gespräche mit den Verwaltungsräten habe ich jeweils mit dieser Frage begonnen. Wieso? Weil auch ein Verwaltungsratsgremium nichts anderes ist als eine Gruppe von Menschen, die sich zu einer Gemeinschaft zusammengefunden hat und nur durch menschliche Beziehungen, gegenseitiges Vertrauen und individuelle Verhaltensmuster überhaupt existieren kann. Über die Sensibilität und die Wahrnehmung dieser Verbundenheit und das Gefühl der Zusammengehörigkeit in einem Verwaltungsrat haben sämtliche Gesprächsteilnehmer gerne und teilweise ausführlich gesprochen. In einem Punkt sind sich, wie Sie nachstehend lesen werden, sämtliche weiblichen und männlichen Verwaltungsräte einig: Die Beziehungen unter den Mitgliedern, das Zwischenmenschliche und der soziale Umgang miteinander haben eine grosse Bedeutung. Aber es gibt Nuancen.
In einem börsenkotierten, international besetzten Verwaltungsrat braucht es mehr Zeit, um Beziehungen etablieren zu können; man muss aktiv darum bemüht sein, dass sich ein Team bildet. Das ist eine der Aufgaben des Verwaltungsratspräsidenten. Beziehungen entstehen vorwiegend durch das gemeinsame Reisen und Logieren, auch durch die gemeinsamen Mittag- und Abendessen, und natürlich durch die Sitzungen. Der Austausch vor und nach den Sitzungen ist rege; man hat Zeit. Was einerseits dazu führt, dass man produktiver ist, und andererseits eine grössere Zusammengehörigkeit unter den Mitgliedern aufkommen lässt.
Für einen globalen Verwaltungsrat ist für die Diversität wichtig, dass er Mitglieder aus den USA und aus Asien hat. Problematisch wird es dann, wenn diese Leute wegen einer Sitzung für nur einen Tag anreisen müssen und danach gleich wieder zurückfliegen. Besonders in schwierigen Situationen muss ein Verwaltungsrat im Team funktionieren und für das Unternehmen Zeit haben. Das heisst: auf Führungskräfte eingehen, mit diesen zusammensitzen und Inputs geben. Einem Verwaltungsrat, der von sehr weit weg anreist, kann man aber nicht zumuten, jedes Mal für eine Woche zu bleiben. Eine Lösung des Problems besteht darin, Leute zu suchen, die zwar in den jeweiligen Ländern gearbeitet, gewohnt und Erfahrung gesammelt haben, jetzt jedoch wieder in der Schweiz leben.
Anders sieht es in einem Verwaltungsrat eines regionalen Unternehmens aus. Dort kennen sich die Mitglieder meist schon von ausserhalb des Gremiums und entstammen mehr oder weniger demselben kulturellen Hintergrund; die menschlichen Beziehungen sind evident und manchmal sogar sehr stark. Eine Teambildung entsteht so fast automatisch, auch schon deshalb, weil das eine oder andere Geschäft ausserhalb des Verwaltungsrates getätigt wird. Das ist natürlich manchmal nicht unproblematisch, weil die für das Funktionieren des Verwaltungsrates unabdingbare Unabhängigkeit seiner Mitglieder nicht mehr vollständig gewährleistet ist.
Unterschiede bestehen auch zwischen einem normalen Verwaltungsrat und einem Familien-Verwaltungsrat, wo die Familien mit ihren schon bestehenden persönlichen Beziehungen im Gremium vertreten sind. Für einen aussenstehenden, nicht zur Familie gehörenden Verwaltungsrat ist die Kunst, zu spüren, was im Interesse eines guten Geschäftsprozesses liegt, und als Moderator so einzuwirken, dass eine positive Energie entsteht. Häufig stehen Familiengeschichten dahinter, alte Geschichten über Generationen, Enttäuschungen, Streit, Intrigen; das sieht man den Leuten nicht an. Auch wie die Familienmitglieder sozialisiert worden sind, spielt immer eine wichtige Rolle, im Positiven wie im Negativen. Sind es Söhne, Töchter, Stiefsöhne, Stieftöchter, älterer Bruder, ältere Schwester, Einzelkind, verschiedene Ehen – die Liste könnte beliebig verlängert werden. All diese Familienkonstellationen können zugunsten des Geschäftlichen in einem Verwaltungsrat nicht einfach beiseitegeschoben werden. Wie überall geht es meist um Macht, Geld und Einfluss. Es kann sich für einen externen Verwaltungsrat als schwierig erweisen, klare und harte Aussagen zu formulieren und sich gleichzeitig bei den einen oder anderen Familienmitgliedern nicht unmöglich zu machen. Dazu braucht es viel Menschenkenntnis und immer auch den richtigen Tonfall. Neu eintretende Verwaltungsräte sind sich solcher Situationen meist bewusst; sie nehmen gerade deswegen gerne ein Mandat in einem Familien-Verwaltungsrat an. Aber das Angebot an qualifizierten Kandidaten ist beschränkt.
Die Grösse eines Verwaltungsrates hat auch einen Einfluss auf die Beziehungen. Bei einer Gruppe von zehn bis zwölf Mitgliedern gibt es automatisch sogenannte Untergruppen, die sich organisieren und meistens auch über ihre Meinungsbildung miteinander reden. Eigentlich ist es Sache des Verwaltungsratspräsidenten, dies zu verhindern und Beziehungen unter allen Mitgliedern zu fördern. Und trotzdem kommt es vor, dass sich vereinzelte Verwaltungsratsmitglieder vorgängig absprechen und solche Bündnisse den übrigen Mitgliedern überraschend an einer Sitzung vortragen. Das ist nicht gewünscht. Es ist jedoch ziemlich selbstverständlich, wenn ein Verwaltungsratsmitglied einen Vorstoss machen möchte, er zuerst sondiert, ob seine Idee gut ankommt
Die Geschlechterunterschiede spielen bei den meisten Verwaltungsräten für die Beziehungen keine Rolle. Im Gremium muss es menschlich stimmen, was sich als direkter Motivationsfaktor für das Unternehmen auswirken kann. Dazu braucht es auch soziale Fähigkeiten wie Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Einfühlungsvermögen, Toleranz, Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Kritikfähigkeit und Lernbereitschaft. Man muss nicht miteinander befreundet sein; bestehende Freunde in einen Verwaltungsrat zu holen, wird von sämtlichen Verwaltungsräten abgelehnt; das könne nicht gut herauskommen. Was aber nicht heisst, dass nicht mit der Zeit Freundschaften entstehen und die Beziehungen dann bis ins Private reichen können. Eine gesunde Distanz ist auch zugunsten einer Streitkultur trotz allem immer gut. Und wie überall, wo Menschen miteinander interagieren, ist es normal, dass man sich mit dem einen oder anderen Mitglied besser versteht. Ganz bestimmt ist ein Verwaltungsrat aber keine gemütliche Runde, sondern ein seriöses Gremium.
Natürlich ist es angenehm, wenn die Mitglieder eines Verwaltungsrates von den Persönlichkeitsstrukturen her zueinander passen. Das ist dem Nutzen für das Unternehmen förderlich und hat Einfluss auf ein gut zusammenspielendes Team. Dafür spielen unter anderem der respektvolle Umgang und das Empfinden, von seinen Kollegen ernst genommen zu werden, eine grosse Rolle. Es gibt aber auch Mitglieder, die eher distanziert sind, sich vorwiegend auf das Mandat konzentrieren und für Smalltalk weniger zugänglich sind. Andere trennen strikte das Geschäftliche und Private; ihre Beziehungen sind rein professionell. All das zu akzeptieren gehört zu einer toleranten Beziehung untereinander. Solange immer eine klare Verpflichtung zum Wohle des Unternehmens erkennbar ist, stellt es auch kein Problem dar.
Besonders wichtig sind die menschlichen Beziehungen in einem Verwaltungsrat für die Kommunikation. Die Leute drücken sich einfacher und freier aus, wenn sie die Gesichter am Tisch kennen und eine gute Beziehung untereinander haben. Andernfalls kann es sein, dass Hemmungen entstehen und lieber geschwiegen wird.
Verwaltungsrätinnen äusserten sich dazu wie folgt:
Sicherheit – Vertrauen
Nur wenn es ihr wohl sei, könne sie sagen, was sie denke, und sie fühle sich in ihrer Rolle sicherer. Die Beziehungen unter den Verwaltungsratsmitgliedern spielten für sie eine grosse Rolle; dazu gehöre auch ein Basisvertrauen in die andere Person. Nur wenn man am gleichen Strick ziehe, miteinander arbeite und gleichzeitig untereinander eine gute Beziehung pflege, könne man das Beste für die Firma herausholen. Aber sie suche keine Freundschaften im Verwaltungsrat.
Freundschaften – Balanceakt
Wenn man neu sei in einem Verwaltungsrat, dann nehme man natürlich wahr, dass sich die anderen schon kennen. Als Neue müsse man sich immer zuerst orientieren, Beziehungen ergäben sich dann durch die Zusammenarbeit. Gewöhnlich versuche sie immer zuerst, die Stimmung wahrzunehmen. Mit der Zeit könnten sich durchaus freundschaftliche Beziehungen entwickeln; das könne aber auch problematisch werden. Nämlich dann, wenn man seinem Mitverwaltungsrat wegen der freundschaftlichen Beziehung weniger kritisch gegenüberstehe und ihn eher nicht in Frage stelle. Jemanden, den man nicht so gut kenne und zu dem man ein eher distanziertes Verhältnis habe, ergründe man vielleicht mehr. Positiv sei jedoch, dass man sich bei einem engeren Verhältnis und guter Bekanntschaft eher getraue, etwas zu sagen. Alles in allem versuche man indessen schon, immer professionell und auf einer sachlichen Basis zu funktionieren. Das Beziehungsgeflecht in einem Verwaltungsrat sei stets ein Balanceakt, welchen jedes Mitglied immer wieder von neuem bewältigen müsse. Ein gut harmonierender Verwaltungsrat sei insbesondere gegenüber der Geschäftsleitung von grossem Vorteil.
Sonderstellung Frau
In keinem Verwaltungsrat habe sie persönliche Freunde, dies könne aber auch Zufall sein. Es sei schon so, dass es in allen Verwaltungsräten Leute gebe, die sich besser kennen als andere. Sie sei immer die Ausnahmefigur, weil es ja nicht so viele Frauen gebe; das schaffe eine Sonderstellung und fördere das Ausmass an Vertraulichkeit sicher nicht. Das möge heute etwas anders sein, doch früher sei sie die Quotenfrau gewesen und habe sich immer ganz klar als Fremdkörper empfunden. Aber damit habe sie gut leben können. Als dann einmal eine zweite Frau in einen der Verwaltungsräte gewählt wurde, habe sie sich nicht mehr als Quotenfrau gefühlt. Es sei zwar ein subjektives Gefühl gewesen, aber damit sei für sie die Verpflichtung weggefallen, sozusagen die ganze Gattung Frau vertreten zu müssen. Es habe sie entlastet und die Situation für alle entspannt. Generell sei es auch wichtig, dass die Verwaltungsräte dank der Anwesenheit von weiblichen Kolleginnen lernen, dass Frauen genau so verschieden seien wie Männer.
Mittagessen
Das Zwischenmenschliche spiele eine grosse Rolle und werde oft unterschätzt, insbesondere wenn es darum gehe, Vertrauen zu bilden. Die informellen Gespräche bei einem anschliessenden Mittagessen fände sie wichtig. Einen hohen Wert habe es deshalb, weil man dort die Gelegenheit habe, auch über Privates zu sprechen, um so den Menschen und Kollegen als Ganzes besser zu verstehen und zu erfassen. Natürlich gebe es immer Kollegen, zu denen man mehr Affinität habe, einen anderen Draht, das sei normal. Sie könne nicht sagen, ob sie sich eher zu Frauen oder Männern hingezogen fühle, weil für sie die Persönlichkeit, die Sympathie und vielleicht auch ein ähnlicher Background ausschlaggebend seien, ganz sicher nicht das Geschlecht. Es gebe keine Verbundenheit speziell zu einer Frau, nur weil sie beide in der Minderheit oder eben Frauen seien.
«Bonding»
Es gebe schon eine natürlich Verbindung und Sympathie, ein gewisses «Bonding», unter Frauen, das sei so.
Verbundenheit
In einem Verwaltungsrat gebe es von distanzierten bis zu kollegialen Beziehungen alles. Es vereinfache vieles, wenn man sich besser kenne und eine gewisse Nähe und Kollegialität vorhanden sei. Die Folge davon sei auch, dass man etwas vorbesprechen könne, um die Chance zu erhöhen, dass ein Thema oder Geschäft im Verwaltungsrat durchkomme. Alleine sei dies immer schwierig.
Self-Assessments
Es gebe in den Verwaltungsräten auch die sogenannten Self-Assessments. Dabei handelt es sich um eine Selbstevaluation der einzelnen Verwaltungsratsmitglieder. Sie bewerten ihre Leistung, ihre Stärken, ihre Erwartungen und auch ob sie die jeweiligen Ziele erfüllt haben. Die Resultate werden im Verwaltungsrat diskutiert und jeder hat die Möglichkeit, sich mit seinen Kollegen zu vergleichen. Dort sollte jeder Verwaltungsrat knallhart sagen, wie man etwas empfinde. Es bringe nichts, um den Brei herumzureden oder etwas zu beschönigen. Man könne es ja anständig formulieren; der Respekt gehöre dazu.
Verwaltungsräte äusserten sich dazu wie folgt:
Teambildung – Reisen
Es spiele für ihn keine Rolle, ob er ein Verwaltungsratsmitglied schon aus der Vergangenheit kenne. Bei einer Neubesetzung versuche er, die Besten aufgrund ihres Curriculums, ihrer Leistungen und Erfahrungen zu analysieren und dann ein Gespräch zu führen. Er ginge sogar so weit, es vorzuziehen, jemanden vorher nicht gekannt zu haben; so gebe es keine Belastungen und auch keinen freundschaftlichen Gefallen, den man zurückgeben sollte. Seine Aufmerksamkeit gelte dem Team. Starke individuelle Persönlichkeiten, die nur auf sich selber schauen, möchte er darin nicht haben. Die Teamfähigkeit eines Verwaltungsrates und die Einstellung, die Firma in den Vordergrund stellen und nicht sich selbst, spielten für ihn eine zentrale Rolle. Das Team dürfe durchaus auch kontroverse Elemente beinhalten. Er möchte die Herausforderung und die Diskussion, aber man müsse als Mensch fähig sein, am Schluss einen Teamentscheid zu akzeptieren, auch wenn er nicht den eigenen Ideen entspreche – in dieser Hinsicht könnte es wieder ein Vorteil sein, jemanden schon gut zu kennen. Er investiere viel Zeit für ein Auswahlverfahren, um sicher zu gehen, ein gutes Team formen zu können. Man könne mit ganz einfachen Dingen ein Team bilden. Am Vorabend einer Verwaltungsratssitzung gebe es etwa ein Nachtessen, manchmal mit dem CEO, dann sei es ein Geschäftsessen. Oder auch ohne CEO, wenn man keine entsprechenden Themen habe; dann würde allgemein diskutiert, um das Team zu formen. Der gesamte Verwaltungsrat mache überdies eine Reise pro Jahr; auch dort gebe es Zeit, zwischen Sitzungen und Kundenbesuchen ganz locker zu diskutieren und zu schwatzen. Zusätzlich gehe der Verwaltungsrat in eine zweitägige Retraite, nicht am Hauptsitz, sondern irgendwo in der Nähe an einem abgelegenen Ort, um Strategien zu besprechen und Zeit für informelle Gespräche zu haben. Bei all diesen Reisen und damit verbundenen Sitzungen gehe es ihm stark um das Zwischenmenschliche, weil das für ihn der Kernpunkt eines zu Höchstleistungen fähigen Teams sei. Er komme aus einer 30-jährigen Firmenkultur, die stark auf einer teamorientierten Entscheidungskultur beruhe, das habe ihn natürlich geprägt. Er sei ein absoluter Fan von Teamfähigkeit, aber mit klaren Richtlinien. Ein einmal gefällter Entscheid sei ein Entscheid, der nicht mehr diskutiert würde, und es werde eingeführt, was entschieden wurde.
Zusammenspannen – Machos
Mit der Zeit würden sich Beziehungen entwickeln, das könne man nicht verhindern. In seinem Verwaltungsrat hätten sich die Mitglieder vorher nicht gekannt. Es sei natürlich nicht gut, wenn zwei Mitglieder immer derselben Meinung seien und man spüre, dass die beiden eine besondere Beziehung pflegten. Er erinnere sich an eine Sitzung, in der ein Verwaltungsrat zu einem Thema eine spezielle Meinung hatte. Es wurde nicht in seinem Sinne entschieden. Zwei Tage später habe er von einem anderen Mitglied einen Anruf erhalten, um dasselbe Thema nochmals anders aufzubringen. Er habe sofort gemerkt, dass die beiden miteinander gesprochen hätten. Das sei nicht offen, und ihm sei echte Transparenz wichtig. Es sei auch nicht gut, wenn sich zwei Frauen in dem Sinne zusammentäten, um gemeinsam eine Idee verteidigen zu müssen. Das sei für ihn ebenso absolut inakzeptabel wie wenn sich Männer als Machos aufführten.
Enttäuschungen – keine Firmenloyalität
Die Beziehungen sollten auf einer so weit wie möglich klaren geschäftlichen Basis funktionieren. Probleme, wie er sie beobachtet habe, seien genau deshalb entstanden, weil es persönliche Beziehungen gab. Entweder seien diese Beziehungen im Verwaltungsrat entstanden, falls sich die Leute vorher nicht gekannt hätten, oder sie seien schon vorher dagewesen und die Leute hätten sich im Verwaltungsrat wieder getroffen. Eine Firma sei eine rechtliche Körperschaft, klar definiert durch das Gesetz, und nicht etwas Persönliches. Ihre Existenz habe einen einzigen Grund, nämlich zu überleben. Eine Firma kenne auch keine Loyalität. Die Leute, die für das Unternehmen arbeiten, zeichneten sich durch ihre Managementqualität und Loyalität aus. Enttäuschung komme in dem Moment auf, wo diese Menschen realisierten, dass die Firma keine Loyalität zeige; dies etwa, wenn sie in Schwierigkeiten komme. Viele Angestellte würden glauben, die Firma sei eine menschliche Person; gerade das sei sie aber nicht. Der Verwaltungsrat sei bei grossen, kotierten Unternehmen nicht der Besitzer, er erhalte lediglich jedes Jahr einen Lohn und sei von Gesetzes wegen verpflichtet, Massnahmen zu treffen, damit die Firma überlebe. Und genau da gingen dann viele dieser menschlichen Eigenschaften, die man schätze, verloren. Wenn also jemand zwanzig oder dreissig Jahre für eine Firma gearbeitet habe und dies richtigerweise, – denn vielleicht hätte er sogar für mehr Geld wechseln können –, auch als Loyalität ihr gegenüber auslege, müsse er bei Schwierigkeiten enttäuscht die negative Erfahrung machen, dass er wie jeder andere, der vielleicht gerade mal zwei Jahre dort gearbeitet habe, auf die Strasse gestellt würde. Es sei unmöglich, 50 000 Angestellte zu kennen, aber man sollte im Grossen und Ganzen wissen, wie gut sie seien und welche ersetzt werden müssten und welche nicht. Dann könne man Letzteren für ihre Loyalität etwas zugestehen. Aber meist sei es eben so, dass eine Firma, die in ernsthafte Schwierigkeiten gerate, zu diesem Zeitpunkt kein gutes Management und keinen guten Verwaltungsrat habe. Deshalb würden diese Unfälle überhaupt passieren.
Dysfunktionalität – Persönlichkeitsstrukturen
Das Geschäft finde in einem Verwaltungsrat als Diskurs statt. Man unterhalte sich, hinterfrage Dinge, stelle Hypothesen auf und habe Visionen. Da sei es wichtig, in welchen Rollen man miteinander spreche und wie die Rollen gelebt würden. Das Persönliche sei schon sehr wichtig: in einem Verwaltungsrat müsse man auch verstehen und vermitteln können. Da komme es enorm darauf an, wie die persönlichen Beziehungen unter den Verwaltungsratsmitgliedern seien. Sie könnten auch dysfunktional sein, beispielsweise, wenn jemand permanent versuche, dominant aufzutreten und immer recht haben möchte. Das sei nur eine von vielen Persönlichkeitsstrukturen; extrem wichtig scheine es ihm, dass man diese kenne und verstehe. Es müsse eine Art und Weise gefunden werden, miteinander umzugehen, unterschiedliche Meinungen zu erlauben und gleichzeitig auch einen Konsens zuzulassen. All das sei geprägt durch die individuelle Persönlichkeit und Erfahrung, kurz das, was man in einen Verwaltungsrat mitbringe.
Objektivität – Vertrauen
In einem Verwaltungsrat dürften keine engen Freundschaften bestehen; die Frage der Objektivität müsse gewährleistet sein. Sein Verwaltungsrat mache für die Beziehungspflege dreitägige Camps, wo man sich über die Unternehmenskultur und die Weiterentwicklung austausche. Das beinhalte auch Wanderungen, wo man immer abwechslungsweise mit dem einen oder anderen laufe. So könne man in entspannter Atmosphäre Schwierigkeiten besprechen und positive und negative Erfahrungen austauschen. Der Blick auf den Menschen würde dadurch geöffnet, was durchaus auch ins Private gehen könne. Man sehe, wie der eine oder andere funktioniere und schaffe so gleichzeitig eine Vertrauensbasis. Wichtig sei einfach, dass sich auch der Verwaltungsrat hinterfrage, was er falsch und besser machen könnte, was er erreicht oder eben auch nicht erreicht habe.
Seilschaften
Einen offenen und guten Kontakt im Verwaltungsrat und auch mit der Geschäftsleitung zu haben sei sehr wichtig. Wesentlich sei, das Gefühl zu haben, dass man offen und rechtzeitig informiert würde. Wenn Seilschaften entstünden, die den einen besser als die anderen behandelten, dann sei dies für das Team schädlich. Er poche darauf, dass man keine Freunde in den Verwaltungsrat nehmen solle, um sich damit eine Basis zu schaffen; es bestehe sonst die Gefahr, dass sich die anderen sehr schnell ausgeschlossen fühlten. Bei der Beziehungspflege unterscheide man nicht zwischen Frauen und Männern.
Chemie – raue Stimmung
Die Beziehungen unter den Verwaltungsräten seien unterschiedlich. Dem einen oder anderen könne man plötzlich sehr nahekommen, meist bei einem Abendessen, wenn es in das Persönliche gehe. Er sitze auch in einem Verwaltungsrat, wo er zwei Mitgliedern gar nicht nahekomme, mit ihnen immer noch per «Sie» sei, aber mit allen anderen per «Du». Die Chemie sei einfach manchmal völlig unterschiedlich. Er sei Vollblutunternehmer, folglich sehr kostenbewusst und da könne ein Technokrat im Verwaltungsrat schon geschockt sein, wenn er im Restaurant für einen teuren Wein einen günstigen Preis verlange. Es könne auch eine raue Stimmung geben, sehr direkt, aber immer im Sinne, das Beste für die Firma herauszuholen.
Meinungsunterschiede – Stil – Kultur
Beziehungen in einem Verwaltungsrat spielten eine grosse Rolle; man sollte auf derselben Wellenlänge sein. Es mache es einfacher, obwohl es immer um die Sache gehe. Der Mensch funktioniere ja auch über Emotionen. Wenn man jemanden persönlich nicht riechen könne, sich aber in der Sache einig sei, könne es trotzdem funktionieren; es würde erst dann schwierig, wenn es Meinungsunterschiede und Abweichungen gebe. Wenn man diese Konstellation realisiere und wisse, dass man zusätzlich dem Kollegen auch emotional nicht nahestehe, dann müsse man extrem sachlich und professionell bleiben. Das übergeordnete Ziel, nämlich das Funktionieren der Unternehmung, müsse stets gewährleistet sein; ansonsten müsse man sich auseinanderdividieren. Bei offenkundigen Kommunikations- und Verständigungsproblemen müsse man sofort Klarheit schaffen, aber mit Stil und Kultur.