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3.2 Bedeutung der sozialen Medien und Auswirkung auf den Journalismus

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Die Erfindung des Buchdrucks und die damit einhergehende Möglichkeit, Schriftstücke in einer hohen Auflage zu produzieren und zu veröffentlichen, beeinflusste bzw. ermöglichte erst das Pressewesen. Ähnlich revolutionär wirken sich nun die digital vernetzten sozialen Medien auf den heutigen Journalismus aus. Das Stichwort lautet Partizipation: Die Tatsache, dass jeder Internetnutzer Content nicht nur empfangen, sondern auch selbst erstellen und senden kann, weckt im User den Wunsch nach Mitgestaltungsmöglichkeiten – beispielsweise als Bürgerjournalist oder Produktrezensent. Doch bereits 2009 äußerte sich FAZ Mitherausgeber Werner D’Inka der digitalen Revolution und dem Bürgerjournalismus gegenüber kritisch:

»Stellen wir uns vor, nach der sogenannten digitalen Revolution gebe es keinen Journalismus mehr. Stattdessen redet jeder mit jedem über alles, und weil das alles angeblich so authentisch ist, kann auch jeder jede Form der Kompetenz für sich und seine Liebhabereien beanspruchen. (…) Mir kommt das so vor, als würden wir uns, statt zum Friseur zu gehen, alle gegenseitig die Haare schneiden. Das kann ja ganz sympathisch sein – aber würden wir uns auch von einem Bürgerchirurgen den Blinddarm entfernen lassen?« (D’Inka, 2009, S. 22).

Der klassische Journalismus wird durch die Partizipationsmöglichkeiten der sozialen Medien zwar nicht ersetzt, die Umbrüche in den letzten Jahren stellen die Struktur des Journalismus dennoch vor Herausforderungen. Die zahlenmäßige Asymmetrie zwischen Sendern und Empfängern wird aufgehoben, da die ursprünglichen Empfänger nun immer vielfältigere Chancen erhalten, ihre eigene Öffentlichkeit zu schaffen und ihre eigenen Themen zu diskutieren. Die sozialen Medien und die damit einhergehende Partizipation der Leser sind jedoch nicht als Konkurrenz zum klassischen Journalismus zu sehen, sondern vielmehr als Ergänzung:

»Professionell, redaktionell organisierter Journalismus sieht sich im Zeitalter der digitalen Moderne vielerorts mit einer Gefährdung seiner existentiellen Grundlage, seiner Prinzipien und Werte konfrontiert. Es bieten sich aber auch beträchtliche Chancen. Digitale Medien werden anders konsumiert als gedruckte Medien, sie fördern Partizipation und damit die Emulsion vormals strickt getrennter Welten: Mediennutzer und Medienprofis gestalten mit jeweils unterschiedlichen Hintergründen, Zielen und Praktiken die medialen Öffentlichkeiten unserer Zeit« (Kramp/Novy, 2013, S. 237).

Die Chance zur Partizipation mithilfe der sozialen Medien zeigt verschiedene Auswirkungen auf die Aufgaben des Journalisten. In der Alltagspraxis machen sich diese Neuerungen beispielsweise dadurch bemerkbar, dass der von »unprofessionellen« Journalisten veröffentlichte Content von den Redaktionen beobachtet und auf deren Relevanz hin gefiltert oder Leserkommentare zu redaktionellen Beiträgen moderiert werden müssen. Der Journalist wird vom Gatekeeper zum Gatewatcher. Anstatt nur die eigenen Tore zu bewachen, werden auch die Ausgangstore von externen Quellen wie etwa Blogs, Wikis, Foren und anderen Communities beobachtet, um die Informationen als Rohmaterial für die eigenen redaktionellen Beiträge zu nutzen. Somit haben sich die Quellen, die Journalisten für ihre Recherche nutzen, durch die sozialen Medien etwas gewandelt. Selbst wenn Branchenexperten und Nachrichtenagenturen nach wie vor die beliebtesten Informationsquellen darstellen, wird immer häufiger ebenso in bekannten Blogs und Microblogs (TWITTER) zu Themen recherchiert. Auch die Journalisten selbst werden in den sozialen Medien aktiver – so besitzen laut einer weltweiten Studie (vgl. Global Digital Journalism Study, 2013, S. 2) über 50 Prozent einen TWITTER-Account, und ein Drittel betreibt einen eigenen Blog als Ergänzung zur traditionellen Berichterstattung (vgl. Schmidt, 2012, o. S., sowie Kramp/Novy, 2013, S. 236 ff.).

Die sozialen Medien bieten mehr Publikumsnähe, und es gilt, sich gegenüber den Lesern zu öffnen, die früher Content nur passiv rezipierten und jetzt selbst aktiv Content produzieren. Denn mehr Publikumsnähe wird nicht nur ermöglicht, sondern auch gefordert. Belohnt wird die Ausrichtung auf das Publikum durch Retweets auf TWITTER oder Likes und Shares auf FACEBOOK, die die Reichweite der journalistischen Beiträge erhöhen. Außerdem wird die Meinung der Leser schneller und direkter erkennbar, z. B. durch persönliche Kommentare zu den redaktionellen Beiträgen oder durch Blogs von Laien-Journalisten. Auch wenn nicht jeder Nutzer den Anspruch hat, selbst Content zu veröffentlichen, tragen die sozialen Medien zur Vielfalt der gesellschaftlich verfügbaren Informationen bei. Insbesondere durch Nischenthemen und Gegenöffentlichkeiten entstehen so neue publizistische Angebote (vgl. Schmidt, 2012, o. S.).

Oftmals werden die Social Media als Gegenspieler zum klassischen Journalismus angesehen, doch gilt es, wie bereits oben in einigen Beispielen aufgezeigt, auch die neuen Möglichkeiten zu sehen, die dem Journalismus bei der Erfüllung der ursprünglichen Aufgaben behilflich sind (vgl. Simons, 2011, S. 153):

• direktere Interaktion mit den Usern,

• neue Möglichkeiten zur Produktion und Distribution von Content,

• Chancen, die Attraktivität des medialen Angebots zu steigern, z. B. durch Partizipationsmöglichkeiten für den User,

• effizientere und produktivere journalistische Arbeit, etwa durch neue Recherchemöglichkeiten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sozialen Medien enorme Auswirkungen auf den Journalismus und den Journalisten haben – um nicht im Mediendschungel unterzugehen, ist es wichtig, die Chancen zu nutzen, die sich durch die Herausforderungen bieten. Deshalb sind strukturelle Änderungen in den g der sozialen Medien ist die Wiederherstellung sozialer Strukturen. Die Gesellschaft in den Industriestaaten ist durch die Tendenz zur Isolation stark fragmentiert, wie an der hohen Zahl an losen Freundschaften, sich schnell auflösenden familiären Bindungen, Patchwork-Familien und Alleinerziehenden gesehen werden kann. Die klassischen Medien sind dabei Ausdruck dieser isolierten Individuen: »Leser, Hörer und Zuschauer konnten ihre Blicke allein auf die Inhalte richten, also auf das, was Zeitungspapier, die Mattscheibe oder der Lautsprecher hergaben. Und während Medien 1.0 ihre Nutzer im Wesentlichen mit den Meinungen und Emotionen, die diese Inhalte bei ihnen auslösten, allein gelassen haben, rüsten Medien 2.0 ihre Nutzer mit starken Feedback- und Interaktionsmöglichkeiten aus« (Simons, 2011, S. 140). Die sozialen Medien bieten Fluchtpunkte und haben Integrationskräfte, um zerstörte soziale Strukturen wiederherzustellen, zu stärkeren und neue Beziehungen aufzubauen. Da die Kommunikation indirekt erfolgt, werden Kommunikationsbarrieren und -hemmungen aufgelöst (vgl. Ebersbach et al., 2011, S. 223). So organisieren Studenten im sozialen Netz gemeinsame Feste, ohne sich je zuvor gesehen zu haben, und Anhänger der mittelalterlichen Lebensart finden bundesweit Gleichgesinnte, auch wenn lokal keine Ansprechpartner anzutreffen sind. Die sozialen Netzwerke tragen dazu bei, dass sich unabhängig von Ort, Zeit, Kultur und sozialem Status eigene Kulturen entwickeln, denn in der Social-Media-Kommunikation ist die eigene Biografie weniger wichtig als im »realen Leben«. Bedeutender sind die Fähigkeit zur Kommunikation und die Qualität der Beiträge (vgl. ebd., S. 225 f.).

Auch bieten die sozialen Medien den Nutzern »die Möglichkeit, sich überhaupt einmal mit ihren Leistungen, Fähigkeiten und Interessen öffentlich darzustellen. Es entstehen Freiräume, Enklaven für verdrängte Interessen und ignorierte Potenziale von Individuen. Dabei lässt sich genau das Bild zeichnen, das man gerne von sich hätte« (Ebersbach et al., 2011, S. 224). Anknüpfend an die in Kapitel 3.1 aufgegriffene Triebfeder zur Nutzung sozialer Medien, bieten sie eine Plattform zur Selbstinszenierung, auf der die User sich selbst, ihre Interessen, ihre Stärken und ihre Arbeit in den Fokus rücken können. Je mehr Nutzer ihren eigenen Content verbreiten, desto stärker ist jedoch auch der Kampf um Bedeutung und Anerkennung. Viele Social-Media-Angebote machen sich deshalb die bürgerlichen Werte und Leistungsvorstellungen zunutze: »Je ungleicher die Aufstiegschancen in einer Gesellschaft verteilt sind, desto attraktiver werden diese als gerecht und klar empfundenen Werte« (ebd., S. 225). So existieren beispielsweise auch in Foren bestimmte Rollenmuster, wie die des Administrators, der durch Wahl bestimmt wird und dem aufgrund seines Amtes neue Aufgaben und Handlungsspielräume übergeben werden. Das Prinzip ähnelt dem einer Wahl des Sprechers einer real existierenden Interessensgruppe.

Die sozialen Medien geben jedem Einzelnen die Möglichkeit, den Wunsch nach Selbstpräsentation und Anerkennung zu befriedigen. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist dieselbe, die dem Henne-Ei-Problem zugrunde liegt: Was war zuerst da? Sind die sozialen Medien Schuld an dem Bedürfnis nach Profilierung oder sind sie lediglich eine Antwort auf bereits bestehende Wünsche? FACEBOOK bietet diesbezüglich ein gutes Beispiel: Bei jedem Besuch der Plattform werden dem Nutzer neue Statusmeldungen, Profilbilder, besuchte Veranstaltungen etc. präsentiert. Es scheint, als könnten alle FACEBOOK-Kontakte am laufenden Band soziale Errungenschaften aufweisen: der Aufstieg im Job, ein abgeschlossenes Studium, eine neue Beziehung, das erste Kind. Um im sozialen Ranking zu bestehen und dem Vergleich mit anderen standhalten zu können, setzt schnell das Gefühl ein, selbst auch an diesem inoffiziellen Wettbewerb teilnehmen zu müssen – vermeintlich wird man in der virtuellen Gesellschaft nur noch so überhaupt wahrgenommen.

Einerseits schüren die sozialen Medien also die Tendenz zur Selbstinszenierung, andererseits wurde das eigene Profil aber auch bereits vor dem Zeitalter des Web 2.0 öffentlich präsentiert. Die Bühnen waren und sind immer noch: das Klassenzimmer für den Klassenclown und Streber, der Konzertsaal für den Musiker und Opernkenner, die Fußgängerzone für den Straßenkünstler und die Fashion-Diva, das Büro für den immer netten Mitarbeiter und den dominanten Abteilungsleiter. Die sozialen Netzwerke ermöglichen es nun, sich vor einem größeren Publikum zu inszenieren, denn die beschriebenen Inszenierungstypen finden ihre Plattform auch im Internet. Der Klassenclown postet seine humorvollen Statements und Bilder auf www.9gag.com, der Streber verewigt sein Wissen in einem Artikel auf www.wikepedia.de, der Musiker und Straßenkünstler veröffentlicht seine Songs in einem eigenen Channel auf www.youtube.com, und die Fashion-Diva bloggt über die neusten Modetrends auf ihrem persönlichen Account auf www.wordpress.com. Es zeigt sich, dass die sozialen Medien einerseits eine Plattform für den Drang nach Selbstinszenierung zur Verfügung stellen sowie andererseits den Wunsch schüren und verstärken, sich selbst in gutem Lichte darzustellen.

Eine weitere Bedeutung des sozialen Webs für die Gesellschaft und das Individuum, die nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist das Entertainment durch laufende Neuigkeiten und durch das Gefühl, wie bei einem Schlüsselloch in die privaten Räume der anderen Nutzer sehen zu können: »Die Seiten ändern sich, man erhält ständig persönliche Nachrichten, man kann anderen Menschen bei der Kommunikation oder bei ihren Aktivitäten zusehen. Es ist der User Generated Content, der die jeweiligen Seiten attraktiv macht« (Ebersbach et al., 2011, S. 228).

Ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung der sozialen Medien für die Gesellschaft stellt der Arabische Frühling dar. Das wichtigste Medium zur Mobilisierung der Bevölkerung war FACEBOOK; TWITTER und YOUTUBE wurden genutzt, um weltweit über Massenproteste zu informieren. Auch wenn die Revolutionen nicht im virtuellen Raum, sondern auf der Straße stattfanden, hatte die Vernetzung von Fernsehen, Mobiltelefonen und Internet eine entscheidende Rolle für die Umbrüche in der arabischen Welt (vgl. El Difraoui, 2011, o. S.). Dies zeigt, dass sich die Beteiligten im Internet auf vielfältige Weise »als schöpferisch handelnden und teilhabenden Menschen erfahren« (Ebersbach et al., 2011, S. 229) können, sei es durch Blogbeiträge über die neusten Handtaschentrends oder den Aufruf zu politischen Revolutionen.

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